Teil I: Kapitel III / V

Jnana Yoga oder der Yoga des Wissens – Rechte Unterscheidung

Der Pfad des Jnana ist für diejenigen geeignet, die, mit einem starken Verstand oder mentalem Fassungsvermögen ausgestattet, eine sehr klare Einsicht haben und fähig sind, in das Warum oder Wofür der Dinge einzudringen, um zum Kern der Wirklichkeit zu gelangen. Es bedeutet rechte Unterscheidung und Erkenntnis, das Allerwichtigste auf dem Pfad der Rechtschaffenheit, wie er durch Buddha verkündet wurde. Versteht man die wirklichen Werte des Lebens, läuft auch alles andere in der rechten Richtung, denn ohne die richtige und genaue Kenntnis der Wahrheit gehen alle Bestrebungen trotz bester Absicht schief und bringen uns früher oder später in Schwierigkeiten.

Die Bedeutung des Wahren Wissens wird tatsächlich in allen Aspekten des Yoga-Lebens empfunden, sei es nun Karma Yoga oder Bhakti Yoga. Im Karma Yoga erfährt und erkennt man, dass man ein Recht zum Handeln und Wirken hat, nicht so jedoch auf die Früchte, die sich daraus ergeben. Da man nicht umhin kann, zu wirken, sollte es im Geist der Pflichterfüllung getan werden, dem Herrn geweiht und das Gemüt auf Ihn gerichtet. Wenn man darauf verzichtet, an den Früchten zu haften, gelangt man zu Innerer Ausgeglichenheit; und in der Stille der Selbsthingabe liegt der Wahre Yoga der Kontemplation, ein vollkommener Frieden, der aus der völligen Hingabe des eigenen Lebens an Gott geboren wird.

Auch im Bhakti Yoga muss der Bhakta oder Ergebene zunächst die Wahre Bedeutung von Bhakti, der Hingabe an den Herrn, verstehen, dann die richtige Perspektive bekommen, die es ihm ermöglicht, das Licht seines Isht-Deva nicht nur in den menschlichen Wesen zu sehen, sondern in allen Lebensformen.

Kurzum, der Pfad des Jnana Yoga legt Nachdruck auf das konkrete Erkennen der Innersten Wirklichkeit oder der Wahren Natur des Atman. Die Betrachtung des Selbst ist der Grundton eines Wahren Jnani, der durch die Ausübung genauer Unterscheidung das anscheinend riesige kleine Selbst (den äußeren Menschen) vom kleinen großen Selbst im Innern (dem Inneren Menschen) zu trennen sucht; denn das kleine äußere Selbst ist der Feind des großen Inneren Selbst, aber dieses kleine Selbst wird, wenn es richtig geschult ist, zum Freund des großen Selbst. Ziel dieses Yoga ist, das Dunkel der Unwissenheit durch die Fackel der Erkenntnis zu vertreiben. Es ist der Pfad des genauen Analysierens, und um ihn erfolgreich gehen zu können, muss man an dreierlei Dingen eifrig festhalten:

  1. Shrawan oder Hören – aus den Schriften, philosophische Vorträge und vor allem die Lebenden Lehrer der Spiritualität mit Ersthand-Erfahrung von der Wirklichkeit, Die Ihren Lebensimpuls auf diejenigen übertragen können, die mit Ihnen in Verbindung kommen; denn nur in Gemeinschaft mit einer wahrhaft erwachten Seele kann man aus dem langen Schlaf erwachen.

  2. Manan oder Denken – es besteht in der intensiven und gedankenvollen Kontemplation über das, was man gehört und verstanden hat, um das Abstrakte konkret und greifbar zu machen und sich vom Pulsschlag des von einem Augenblick zum anderen bestehenden Lebens verstandesmäßige Begriffe zu machen, indem man genaue Unterscheidung walten lässt und auf Schritt und Tritt das Wahre vom Falschen sondert. Es gipfelt darin, die Seele aus der Schlinge des Egoismus mit allen einem zu Gebote stehenden Mitteln zu befreien. Diese Übung gleicht dem Kirnen der Butter aus der Milch.

  3. Nidhyasan oder Praxis – sie besteht darin, dass man das Zentrum der Schwerkraft vom vergänglichen, sich wandelnden Selbst ein für allemal auf das stetige und immerwährende Selbst verlegt; vom Umkreis zum Mittelpunkt des Seins. Dies bringt nach und nach die Loslösung von den Gegensätzen, wie Reichtum und Armut, Gesundheit und Krankheit, Ruhm und Schmach, Freude und Leid, Stolz und Vorurteil, wovon alle im gewöhnlichen Lebenslauf berührt werden.

Der Pfad des Jnana Yoga ist eine Abkürzung des Yogaweges, aber er ist ungeheuer steil, und nur sehr wenige können ihn gehen. Er erfordert die seltene Kombination eines messerscharfen Verstandes und eines starken Spirituellen Verlangens, was nur ein paar wenige wie Buddha und Shankara besitzen.

Der Pfad wird jedoch geebnet, wenn jemand durch ein besonders gutes Schicksal einer Meister-Seele begegnet. Ein Sant Satguru kann mit Seinem langen und starken Arm den Strebenden aus dem grundlosen Wirbel des Sinneslebens herausziehen, ohne dass sich dieser zu viel dem Sadhan hingeben muss.