Teil I: Kapitel III / VI

Bhakti Yoga oder der Yoga der liebenden Hingabe

Wer sich mit reinem Herzen mir ergibt und Tag und Nacht sich meinem Dienste weiht, den werd‘ ich sicher aus der Sturmflut heben. Im Wogenschall des Lebensmeeres soll er nicht versinken; denn ich errette ihn.

Bhagavad Gita

Es ist ein Yoga der Verehrung mit liebevollem und lebendigem Glauben, der unbeschränkt und unerschütterlich in dem Isht-deva oder dem Gegenstand der ehrerbietigen Verehrung gefestigt ist. Es ist ein sehr populärer Weg und bestens geeignet für jene, die ein gefühlsbetontes Gemüt haben.

Selbstlose Hingabe ist der Schlüssel zum Erfolg auf diesem Pfad. Ein Bhakta oder Ergebener erfreut sich an verzückenden Weisen und singt ständig Hymnen zum Ruhme des Herrn, ohne je dabei zu ermüden. Er unterscheidet sich von einem Jnani sowohl durch seine Lebensanschauung wie auch hinsichtlich seiner Annäherung an Gott; denn statt das Wahre Selbst zu suchen, das ebenso gut Brahman ist, stellt er zwischen sich und seinem Gott einen Dualismus auf und verehrt Ihn als getrenntes und Höchstes Wesen. Dieser Dualismus braucht aber nicht notwendigerweise endgültig zu sein, denn der Bhakta weiß um das Geheimnis, dass man zu dem wird, was man verehrt.

Der Kult des Bhakti nimmt einen bedeutenden Platz in der Yogaschulung ein. Dem Jnani gibt er eine wesentliche Stütze in Form der Hingabe an die Sache – der Sache der Selbsterkenntnis.

Dem Karma Yogi offenbart Er sich in Form des Wirkens und gelangt zur Blüte in den Werken der liebevollen Ergebenheit für das allgemeine Wohl aller Geschöpfe, denn sie sind Gottes Schöpfung.

Der Pfad des Bhakti ist durch drei hervorstechende Kennzeichen bestimmt: durch Japa, Prem und die symbolische Darstellung des Gegenstandes der Verehrung.

  1. Japa – es bedeutet die beständige Erinnerung und Wiederholung von Gottes Namen; zu beginn mündlich mittels der Zunge und später mental. Alle Ergebenen üben diese Praxis aus, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit. Die Ausübung des Perlenzählens ist auf der Welt weit verbreitet. Die Hindus nennen es Mala, die Christen Rosenkranz und die Moslems Tasbih.

    Wenn dies nicht mit Hingabe und Konzentration ausgeführt wird, ist der Zweck verfehlt, da es der Gefahr unterliegt, rein mechanisch zu werden. In manchen Ländern ist diese ganze Praxis zum bloßen Rotieren eines Rades geworden, in das die verschiedenen Gebete eingeschrieben wurden. Nur die Hand ist dabei in Bewegung, das Gemüt jedoch, anstatt auf Gott gerichtet zu sein, unterhält weiterhin weltliche Gedanken.

  2. Prem Bhava – oder die liebevolle Einstellung nimmt beim Bhakta zahlreiche Formen an. Manchmal nimmt sie die Rolle eines Kindes an und hält sich an Gott, wie man es bei einem Vater oder einer Mutter tut, und ein andermal hält er es umgekehrt und spricht mit Ihm wie mit seinem Kind. Zuzeiten nimmt sie die Haltung eines Freundes oder eines Kameraden (Sakha Bhava) an, oder eines Liebhabers, der sich nach dem geliebten Partner sehnt, eines seinem Meister ergebenen Dieners, eines Zechbruders, der nach Saqi verlangt, wie wir aus den Vierzeilern Omar-i-Kayyams ersehen. All dies hängt von der jeweiligen unterschiedlichen Stimmung und Vorliebe ab.

    Christus hat von Gott immer als dem Vater gesprochen, Paramhansa Ramakrishna verehrte Ihn als die Mutter, Prinz Arjuna, der Krieger, und die Rajput-Prinzessin Mira betrachteten Ihn als einen Sakha oder Freund und Kameraden; die Gopis wiederum sangen leid- und kummervolle Lieder, wie sie jedes von Liebe ergriffene Mädchen ihrem Liebhaber singen würde.

  3. Als Nächstes kommt das erwählte Symbol des Herrn. Jeder hat seine eigene Vorstellung von Inkarnationen und Göttlichen Manifestationen. Wie der Namenlose viele Namen hat, so erscheint auch der Formlose in vielen Formen, je nach Wunsch seines Ergebenen. Der eine findet ihn als einen Stein, wie Sadna, ein anderer in einem Idol; denn Er wohnt allen Formen inne und antwortet auf alle Gebete Seiner ihn aufrichtig ergebenen Bhaktas und lässt sie niemals im Stich. Man kann dem Herrn natürlich in menschlicher Gestalt dienen, wenn Er als Gottmensch oder als Menschheitslehrer erscheint, wie Buddha, Christus, Kabir und Guru Nanak, Die durch Ihre bloße Gegenwart die Welt erleuchten.

Der Vorgang von Bhakti weitet den Ausblick eines Bhakta, bis er das Licht seines erwählten Idols in ihm und um ihn alles durchdringen sieht und er sich durch seine Liebe ausdehnt, bis er Gottes Schöpfung völlig umfasst. Dies ist dann der Höhepunkt, zu dem ihn die Liebe bringt. Es wurde vor allem in unserer Zeit durch das Leben von Shri Ramakrishna besonders veranschaulicht. Zuerst verehrte er die Göttliche Mutter als das Idol im Tempel von Dakshineswar, dann als das Prinzip, das sich in allen guten und Heiligen Dingen offenbart, und zuletzt als den Geist, der alles durchdringt, das Üble nicht minder als das Gute, und betrachtete selbst eine Buhlerin als Seine Manifestation.

Die Stufenfolge des Fortschritts eines Wahren Bhakta vom Dualismus zum Monismus, von der begrenzten Einzelpersönlichkeit zum Allumfassenden wird wie folgt benannt:

  1. Salokya: die Stufe, auf welcher der Ergebene in der gleichen Region wie der Geliebte weilen will.

  2. Sampriya: die Stufe, auf der er nicht allein in derselben Region, sondern in unmittelbarer Nähe seines Geliebten sein möchte.

  3. Saroop: die Stufe, auf der der Ergebene die gleiche Form wie sein Geliebter haben will.

  4. Sayuja: die letzte Stufe, auf der der Ergebene mit nichts anderem zufrieden ist, als mit der Gottheit Eins zu werden.

Wenn ein Bhakta das Ziel seiner Reise erreicht hat, sieht er keine Dualität mehr, sondern erblickt die Gottheit in allem. Er spricht wohl weiterhin über sie, so wie er es gewohnt war, als Vater oder Mutter usw., aber sieht in Wirklichkeit nun keinen Unterschied mehr zwischen diesem Wesen und sich selbst; und so sagte Christus:

Ich und der Vater sind Eins.