Teil I: Kapitel IV / VI

Wissen und dessen Quellen

Es gibt zweierlei Art von Wissen: ultimativ und endgültig oder empirisch und relativ.

Wissen in seiner ultimativen Realität ist ein Zustand des Seins und wächst niemals. Es besteht bereits und wird enthüllt durch das Licht des Atman, welches beide transzendiert, das subjektive Wahrnehmen und das objektive Wahrnehmen, wobei es darüber hinaus nichts weiteres gibt.

Wahres Wissen ist alleinig eine Tätigkeit der Seele und ist vollendet in sich selbst und unabhängig von den Sinnen und den Sinnesorganen.

Ein allwissender Geist,

sagt Professor J.M. Murray,

umarmt das gesamte Sein unter dem Aspekt der Ewigkeit. So wir Zugang in die Welt des Seins erlangen, ist uns vollkommene Einsicht gegeben.

Laut Shankara ist

das Höchste Wissen die direkte Bezeugung der Realität selbst,

denn dann werden der Wissende und das Gewusste eine Realität. Jedoch das Wahre Selbst, welches reines Bewusstsein ist, kann nicht das Objekt des Wissens sein.

Das empirische Wissen der äußeren Welt ist nur wie das tierische Wissen. Es basiert auf und ist abgeleitet von den Sinnesorganen und hat als solches Formen und Gestaltungen, welche alle auffällig sind durch das Fehlen Wahren Wissens. Aber nichts wird wirklich, solange es nicht erfahren ist. Auch ein Sprichwort ist kein Sprichwort, solange es nicht im wirklichen Leben und in der Praxis veranschaulicht wird.

Alles empirische Wissen tritt entweder durch eigene Wahrnehmung oder durch schriftliches Zeugnis zutage. Die menschliche Wahrnehmung ist niemals als wirklich, vollkommen und fehlerfrei angesehen worden. Man kann in einem Seil eine Schlange und in einem Baumstumpf einen Geist sehen; und für gewöhnlich sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen. Die Farben der Dinge, die wir sehen, sind nicht von ihnen absorbiert oder aufgenommen, sondern werden zurück und nach außen geworfen. Das Rot der Rose ist nicht Teil dieser Blume, sondern etwas ihr Fremdes. Wiederum sind Folgerungen und schriftliche Zeugnisse durchaus nicht unfehlbar. Die Quelle der Schlussfolgerung ist eine frühe Erfahrung, die in sich selbst fehlbar ist, auch wenn sie es nicht wäre, braucht eine neue und andere Situation nicht unbedingt die gleiche Erkenntnis hervorrufen wie die, die man in der Vergangenheit gemacht hat. So ist es auch der Fall mit der Intuition, die die Gesamtsumme aller unserer Erfahrungen im Unterbewusstsein ist. Eine Rauchwolke auf der Spitze eines entfernten Berges mag an ein Feuer denken lassen, aber es kann auch Nebel sein. Auf ähnliche Weise kann auch ein schriftliches Zeugnis, obschon als unfehlbar und sichere Wissensquelle angenommen, nicht immer als solche behandelt werden.

Die Veden, die das Göttliche Wissen bilden, erscheinen und schwinden mit dem Beginn und dem Ende eines jeden Zeitzyklus. Sie werden für eine unerschöpfliche Fundgrube universalen und vollendeten Wissens gehalten. Aber der Begriff Wissen deutet auf eine Aufzeichnung Spiritueller Erfahrungen hin, die auf den übersinnlichen Ebenen gemacht worden sind.

Im Augenblick, wo die so gewonnenen Erfahrungen in die menschliche Sprache gebracht und schriftlich niedergelegt werden, erlangen sie Form und System, und in dem Moment, wo sie diese angenommen haben, verlieren sie ihre Frische und ihr Leben, ihre Eigenheit und ihr grenzenloses Sein. Was nicht beschränkt und definiert werden kann, wird als etwas Bestimmtes und Begrenztes behandelt, und somit neigen die Schriften dazu, statt lebendiges Wissen zu geben, die Menschen davon abzulenken, indem sie lediglich abstrakte Begriffe darbieten. Sie können bestenfalls nur auf die Wahrheit hinweisen, aber sie können sie niemals geben. Die Begriffe des Universalen, wie sie darin enthalten sind, bleiben bloße Begriffe, denn sie können weder empfangen noch gefolgert oder korrekt vermittelt werden. Sie erhalten erst dann ihre Bedeutung, wenn man lernt, sich über die Sinnesebene zu erheben, und so die Wahrheit selbst erfährt.

Aus Obigem kommt man unvermeidlich zu dem Schluss, dass Sehen oder direkte und unmittelbare Wahrnehmung über allen Beweisen und Zeugnissen steht. Es ist ein Sehen im reinen Licht des Atman, das auch nicht den geringsten Schatten einer noch anderen Beziehung aufweist. Es ist nichts als direkte, wesenseigene Erfahrung der Seele. Shruti oder die offenbarte Schrift ist ohne die Innere Ersthand-Erfahrung wie ein Ton ohne Bedeutung. Alle Gedankenflüge, Vorstellungen, Phantasien und alles erfahrungsmäßige Wissen sind unzulänglich und können der Wahrheit oder der letzten Wirklichkeit nicht gerecht werden. Anubhava ist wahrlich das wirkliche und vollkommene Wissen, das Wissen über das Absolute. Es ist die sich selbst bestätigende Erfahrung der Seele, die zugleich für die von den Weisen in den Shrutis niedergelegten Spirituellen Erfahrungen Zeugnis ablegt.