Teil II: Kapitel I / II – (i)

Satguru

Die erste Bedingung ist, dass man einen Satguru oder Wahren Lehrer findet, Der ein Adept in dieser mystischen Wissenschaft ist. Sie ist eine Sache der praktischen Selbstverwirklichung und nicht die einer philosophischen Erörterung oder einer intuitiven Empfindung. Wenn es eine der bloßen Theorie wäre, dann würden Bücher und Schriften genug sein für unseren Zweck, und wenn es eine der bloßen Empfindung sein würde, dann könnte jeder einfach auf die Eingebungen seines Gemüts bauen. Aber das Problem, das vor uns liegt ist, dass wir einen sechsten Sinn erschließen müssen, den der direkten transzendenten Wahrnehmung, des Inneren Hörens und Sehens. Dies jedoch kann nicht lediglich durch das Lesen von Büchern kommen. Wenn einer blind und taub geboren ist, kann er mittels der Blindenschrift die ausführlichsten Erklärungen über des Menschen Reichtum und der verschiedenen Erfahrungen des Hörens und Sehens lesen, aber sein Studium kann ihm niemals die direkte Erfahrung einbringen. Er kann durch die Bücher höchstens eine Vorstellung von einer umfassenden Erfahrungsebene bekommen, die ihm völlig unbekannt ist, und dies kann in ihm den inneren Drang erzeugen, Mittel und Wege zu finden, durch die er seine körperlichen Beschränkungen überwinden kann. Allein der erfahrene Arzt oder Chirurg kann Heilung bringen, vorausgesetzt, dass seine Krankheit überhaupt heilbar ist. Fällt er einem Scharlatan in die Hände, wird sein Zustand nur schlimmer und noch mehr kompliziert.

Gleicherweise muss der Aspirant, welcher Innere Spirituelle Meisterschaft sucht, nach der Hilfe eines Solchen Ausschau halten, Der den Weg bereits kennt. Alles Lesen der Schriften, all sein Überlegen, kann ihn bestenfalls – wenn er für das darin Enthaltene empfänglich ist – zu dem einzigen Schluss bringen: der Notwendigkeit eines Lebenden Meisters. Ohne einen Solchen kann er nicht einmal die wahre Bedeutung der offenbarten Schriften verstehen. Sie sprechen von Erlebnissen, die über seiner Erfahrungsebene liegen, und wenn sie seine Sprache gebrauchen, können sie nur in Bildern und Gleichnissen sprechen; denn wie könnte die Redeweise des Blinden das Geschehene direkt ausdrücken? Zu versuchen, das reiche Spirituelle Erbgut unseres religiösen Schrifttums völlig in Begriffen, die unserer begrenzten Erfahrung entsprechen, zu erklären, kann nur zu einer Verzerrung und Verdrehung ihres wirklichen Sinnes führen.

Wir können viel an psychologischer Weisheit anhäufen, aber die Innere Bedeutung geht uns verloren, und unser ganzes verstandesmäßiges Theoretisieren kann uns lediglich in endlose theologische Widersprüche bringen, mit denen die verschiedenen institutionellen Religionen heutzutage überladen sind.

Nur Einer, Der Selbst erfahren hat, was die großen Schriften beschreiben, vermag uns den wirklichen Sinn zu vermitteln. Aber die Aufgabe eines Spirituellen Lehrers hört hier nicht auf. Die Aufklärung über die wahre Bedeutung der Religion ist nur ein erster Schritt. Nachdem der Aspirant die Wahre Natur seines Zieles verstanden hat, muss er es praktisch und vernunftmäßig verfolgen. Etwas zu erkennen ist die eine Seite und es zu tun eine ganz andere. Erst wenn dem Aspiranten das Ziel, welches es zu erreichen gilt, erklärt ist, beginnt des Meisters Aufgabe. Es ist nicht genug damit, dass ein Arzt die Ursache der Krankheit des Blinden erkennt und bestimmt, er muss auch die Operation vornehmen. So gibt der Spirituelle Führer dem Schüler bei der Initiation eine Ersthand-Erfahrung des Inneren Lichts und des Inneren Tones.

Er bringt ihn in Verbindung mit dem Göttlichen Strom – und sei es an Seinem untersten Ende, und unterweist ihn im Spirituellen Sadhan, Übung‚ welchem er nachkommen muss, um diese Innere Erfahrung in vollem Umfang zu festigen und zu entwickeln.

Wer einen solchen Lehrer findet, ist wahrhaftig gesegnet. Aber Ihn ausfindig zu machen und von Ihm initiiert zu werden, ist nicht genug. Die noch im Keimen begriffene Spirituelle Erfahrung, die Er gibt, muss genährt und zur vollen Spirituellen Blüte entwickelt werden. Um dazu imstande zu sein, muss man das, was man hört, aufnehmen und versuchen, es in die Praxis umzusetzen. Einen solchen Menschen zu kennen, heißt Ihn zu lieben und Ihn zu lieben heißt, Seine Gebote zu halten. Solange man nicht lieben, gehorchen und sein Leben umformen kann, bleibt die Gabe des Meisters wie eine in der Stahlkammer verschlossene Saat, die nicht gedeihen und zur Frucht gebracht werden kann.