Teil II: Kapitel I / II – (ii)

Sadachar

Es ist die Notwendigkeit für Selbstdisziplin, die Sadachar zum zweiten Eckstein der Lehre macht. Das Wort Sadachar ist nicht leicht zu übersetzen. Es gibt zwar viele buchstäbliche Entsprechungen, aber keine von ihnen bringt seine ausgedehnte und vielseitige Bedeutung wirklich zum Ausdruck. Kurz gesagt bezieht es sich auf ein gutes Leben. Es schließt keine strengen Gesetze oder festgelegte moralische Vorschriften ein, legt aber Reinheit und Einfachheit nahe, die sich von Innen her strahlend nach außen verbreitet und alles Tun, jedes Wort und jeden Gedanken durchdringt. Es bezieht sich ebenso auf die persönlichen Gewohnheiten, ob gut und hygienisch, wie auch auf die individuellen und sozialen Sitten. Auf seiner ethischen Seite bezieht es sich nicht allein auf den Umgang mit den Mitmenschen, sondern mit allem, was lebt, das heißt der Harmonie, was die Folge der Erkenntnis ist, dass alles gleichen Wesens ist und darum genau so einen Teil des Brahman bildet wie der mächtigste der Gottheiten, Indra.

Die erste Lektion, die von einem Wahren Meister gegeben wird, ist die von der Gleichheit des Wesenskerns; derjenige, welcher diese Wahrheit begriffen hat, wird sein Leben dementsprechend führen. Er wird nicht die Beute seiner zügellosen Wünsche sein; sein einziges Ziel wird sein, den Ruhepunkt zu erreichen, der alles Tun in sich schließt, den Punkt, wo nichts zu haben ebenso viel heißt, wie alles besitzen. Er wird dann wissen, dass der einzige Weg der Erfüllung durch Verzicht kommt, und der einzige Weg, um den Allmächtigen zu erreichen dadurch, dass man sich aller anderen Bindungen entledigt:

Um dahin zu kommen, Freude in allem zu finden, wünsche Freude in nichts zu haben. Um dazu zu kommen, alles zu besitzen, wünsche nichts zu besitzen. Um dahin zu gelangen, alles zu sein, wünsche nichts zu sein.

Johannes vom Kreuz

Reinige dein Herzenskämmerlein, damit der Geliebte Einzug halten kann.

Tulsi Sahib

Wo nichts ist, da ist Gott.

W.B. Yeats

Befreit vom Dämon des Wunsches (kama) wird er frei vom Dämon des Zornes (krodh), welcher dem vereitelten Wunsche folgt. Von diesen losgekommen, wird er auch von Gier (lobh), Verhaftetsein (moha) und Stolz (ahankar) frei, die nur Ausweitungen des Wunsches sind.

Er würde ein von allem losgelöstes Leben führen (nishkama). Diese Loslösung würde jedoch für ihn nicht ein gleichgültiges Leben oder eines des asketischen Verzichts bedeuten. Alles Leben zu erkennen heißt, zwischen sich und der übrigen Schöpfung ein neues Band zu finden. Einer, der dieses kennt, kann einfach nicht gleichgültig sein. Er muss zwangsläufig bis zum Überfließen von Sympathie für alles, das ihm begegnet, erfüllt sein und Sympathie für das Ganze muss einen gewissen Heiligen Gleichmut dem Teil gegenüber enthalten. Er wird nicht weiter nur an seinen eigenen engen persönlichen Interessen festhalten, vielmehr seine Liebe und Hilfe allen zukommen lassen. Er wird langsam aber sicher etwas vom Mitleid des Buddha und von der Liebe Christi entwickeln. Er wird sich nicht veranlasst fühlen die Welt zu verlassen, um in die Einsamkeit der Wälder und Berge oder in eine Wüste zu gehen.

Die Loslösung muss eine Innen sein und einer, der sie nicht zu Hause erlangen kann, wird sie auch nicht in den Wäldern erreichen. Er wird den großen Nutzen gelegentlichen Zurückziehens von den weltlichen Angelegenheiten und Sorgen in die Stille einer einsamen Konzentration und Meditation erkennen, aber er wird nicht versuchen, dem Leben und seinen Verpflichtungen zu entgehen. Er wird ein liebevoller Ehemann und ein guter Vater sein, aber er wird dabei niemals den eigentlichen Zweck des Lebens vergessen und immer dem Kaiser geben, was des Kaisers ist und für Gott bewahren, was Gott gehört. Er wird auch wissen, dass er nicht dadurch über den Wunsch hinausgelangt, wenn er ihn unterdrückt, sondern indem er ihm entsprechend begegnet und ihn überwindet. Für ihn ist Sanyasa nicht eine Sache äußeren Ausweichens oder Entkommens, vielmehr eine der Inneren Freiheit, ein Begriff, den Guru Nanak sehr gut zum Ausdruck gebracht hat, als Er sagte:

Möge Genügsamkeit euer Ohrring sein und Streben nach dem Göttlichen und Achtung für das höhere Selbst euer Beutel. Ständige Meditation über Ihn sei eure Asche. Bereitschaft für den Tod soll euer Umhang sein, und euer Körper sei wie eine reine Jungfrau. Eures Meisters Lehren mögen der Stab sein, der euch stützt. […]

Jap Ji, Strophe 28

Die beiden Haupttugenden, die ein solcher Mensch pflegt, sind Nächstenliebe und Keuschheit. Er hat ein weites Herz und ist freigebig, und mehr um die Leiden anderer besorgt als um seine eigenen, und so wird es ihm nie schwer fallen, denen zu vergeben, die ihm Unrecht getan haben. Er wird einfach und zurückhaltend sein; er braucht wenig und ist leicht zufriedengestellt; denn einer, der zu viele Wünsche hat und an zu vielen Dingen haftet, kann nicht reinen Herzens sein. Seine Reinheit wird sich sogar soweit ausdehnen, dass er Fleisch und Alkohol meidet. Denn wenn alles Leben nur eines ist, hieße es, sich selbst zu verunreinigen, wenn man sich vom Fleisch anderer Lebewesen nährt. Und wenn es des Menschen Ziel ist, Bewusstseinsbereiche zu erlangen, die höher liegen als seine gegenwärtigen, bedeutet seine Zuflucht zu Narkotika und berauschenden Getränken, einen Rückschritt heraufzubeschwören. Es ist nicht eine besondere Eigenheit indischer Seher, dass sie die Enthaltsamkeit von Fleisch und Alkohol zu einem notwendigen Teil der Spirituellen Schulung gemacht haben. Der Koran und die Bibel schärfen Ähnliches ein.

So finden wir im 5. Buch Moses:

[…] auf daß die Trunkenen mit den Durstigen dahinfahren. […] Da wird der Herr dem nicht gnädig sein […] und der Herr wird seinen Namen austilgen unter dem Himmel.

5. Mose 29:18-20

Und in Römer:

Es ist besser, du essest kein Fleisch und trinkest keinen Wein und tuest nichts, daran sich dein Bruder stößet oder ärgert oder schwach wird.

Römer 14:21

Und im 1. Korinther:

Die (Fleisch)-Speise dem Bauche und der Bauch der (Fleisch)-Speise; aber Gott wird diesen und jene zunichte machen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn und der Herr dem Leibe.

1. Korinther 6:13

Im Essäischen Johannes-Evangelium – der direkten Übertragung aus dem Aramäischen, mit den reinen und ursprünglichen Worten Jesu – lesen wir:

Aber sie antworteten ihm:

Wohin sollen wir gehen, Meister […] denn bei Dir sind die Worte des Ewigen Lebens. Sage uns welches sind die Sünden, die wir meiden müssen, damit wir nie mehr Krankheit sehen werden?

Jesus entgegnete:

Es geschehe nach eurem Glauben.

und Er setzte Sich in ihre Mitte und sprach:

Denen der alten Zeit wurde gesagt:

Ehret euren Himmlischen Vater und eure irdische Mutter und erfüllet ihre Gebote, damit ihr lange lebet auf Erden.

Und nach diesem wurde folgendes Gebot gegeben:

Du sollst nicht töten,

denn das Leben ist allen von Gott gegeben: und was Gott gegeben hat, soll der Mensch nicht wegnehmen. Denn ich sage euch, wahrlich, von einer Mutter stammt alles, was auf Erden lebt. Darum: Der, welcher tötet, tötet seinen Bruder. Und von ihm wird sich die irdische Mutter abwenden und ihm ihre erquickenden Brüste wegnehmen. Und er wird von ihren Engeln gemieden werden und Satan wird in seinem Körper Wohnung nehmen. Und das Fleisch der geschlachteten Tiere in seinem Körper wird zu seinem eigenen Grab werden. Denn ich sage euch, wahrlich, der, welcher tötet, tötet sich selbst und wer das Fleisch der geschlachteten Tiere isst, isst vom Körper des Todes. Und ihr Tod wird sein Tod werden. Denn der Sünde Sold ist der Tod. Tötet nicht, noch esset von dem Fleisch eurer unschuldigen Beute, damit ihr nicht Sklaven des Satans werdet. Denn dieser ist der Weg der Leiden und er führt zum Tod. Tut aber den Willen Gottes, damit euch Seine Engel dienen mögen auf dem Lebensweg. Hört darum auf die Worte Gottes:

Sehet da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen zu eurer Speise. Und allem Tier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel, und allem Gewürm, das da lebet auf Erden, dass sie allerlei grün Kraut essen. Auch die Milch von allerlei Getier, das sich bewegt und lebt auf der Erde, soll euch zur Speise sein; genau wie Ich das grüne Kraut auch ihnen gegeben habe, so gebe Ich euch ihre Milch. Aber Fleisch und das Blut, das es belebt, sollt ihr nicht essen.

Und Jesus fuhr fort:

Gott gebot euren Ahnen ‚Du sollst nicht töten!‘ Aber ihre Herzen waren verhärtet und sie töteten. Danach wollte Moses, dass sie wenigstens nicht Menschen töten sollten, und er erlaubte ihnen, Tiere zu töten. Und dann war das Herz eurer Vorväter noch mehr verhärtet und sie töteten Menschen und Tiere gleicherweise. Aber ich sage euch: ‚Tötet weder Menschen noch Tiere, noch was ihr sonst als Speise nehmt. Denn wenn ihr lebende Speise nehmt, dieselbe wird euch erquicken; aber wenn ihr getötete Speise nehmt, wird die tote Speise auch euch töten. Denn Leben kommt nur von Leben und vom Tod kommt immer nur der Tod. Und was eure Speise tötet, tötet auch euren Körper. Und was euren Körper tötet, tötet auch eure Seele. Und euer Körper wird zu dem, was eure Speise ist; genau wie euer Geist das wird, was eure Gedanken sind.‘

*Mit der Reinheit in Speise und Getränk wird eine weitere Art der Reinheit einhergehen, die eine, welche das Geschlecht betrifft. Er wird nicht das ganze sexuelle Verlangen unterdrücken, denn Unterdrückung kann nur eine Neurose erzeugen und den Weg für einen Sturz bereiten, aber er wird immer versuchen, es zu veredeln. Er wird verstehen, dass es, was diesen Trieb anbelangt, die Absicht der Natur ist, die Rasse zu erhalten, und er wird ihn so lenken, um diese Absicht zu erfüllen und ihn niemals zu einem Selbstzweck, das heißt zu einer Quelle physischer Freude machen. Denn wenn er dazu wird, wandelt er sich in ein Rauschgift, das den Geist betäubt und beginnt, die Absicht der Natur der Zeugung zu bezwingen, indem er die Erfindung und den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel unterstützt.

* (Die Übersetzung dieses Abschnitts ist an die
englischsprachige Erstedition von 1961 angeglichen;
Anm. d. Redaktion 2011.)

Kurzum, der aufrichtige und gewissenhafte Aspirant wird seine ganze Lebensweise neu ordnen: Essen und Trinken, Denken, Handeln und Empfinden etc. Er wird nach und nach alle nebensächlichen und ungesunden Wünsche seines Gemüts ausrotten, bis er allmählich den Stand der Reinheit und Einfachheit erlangt, der dem Kinde zu eigen ist, denn

Wahrlich, ich sage euch: Es sei dann, dass ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.

Matthäus 18:3

Die religiösen Lehrer der ganzen Welt legten größten Nachdruck auf die höheren moralischen Werte, und diese bildeten in der Tat die Grundlage ihrer Lehren. Ein Wahrer Meister besteht immer darauf, dass man Seine Fehltritte in Gedanken, Worten und Taten im Hinblick auf die fünf Haupttugenden aufzeichnet: Nicht-Schädigen, Wahrhaftigkeit, Keuschheit, universale Liebe und selbstloses Dienen allen gegenüber, da diese den Weg zur Spiritualität bahnen. Nur wenn wir unsere Fehler erkennen, können wir sie ausmerzen und nach der rechten Richtung streben.

Während dieses ganzen Vervollkommnungsprozesses wird er inspiriert durch das Beispiel seines Meisters und die Innere Erfahrung, die er von Ihm erhält. Das Leben seines Meisters wird für ihn ein lebendiges Vermächtnis sein, das ihn zu den Idealen des Sadachar aufruft; und die Erfahrung, die er vom Inneren Wort hat, wird ihm ein Beweis der Wahrheit dessen sein, was sein Meister ihn lehrt. Sadachar ist keine trockene Disziplin, die dadurch erlangt wird, dass man gewissen festgelegten Formeln folgt. Es ist eine Lebensweise, und in solchen Dingen kann nur Herz zum Herzen sprechen.

Das ist es auch, was den Satsang oder die Gemeinschaft mit einem Wahren Meister so wesentlich macht. Der Satsang dient nicht nur dazu, den Schüler beständig an das Ziel, das vor ihm liegt, zu erinnern, sondern durch die magische Berührung des persönlichen Kontaktes wandelt er allmählich den Schüler in seiner ganzen Art und Weise des Denkens und Empfindens um.

Da sein Herz und sein Gemüt unter diesem heilsamen und gütigen Einfluss nach und nach immer reiner wird, verankert sich sein Leben mehr und mehr im Göttlichen. Kurz, indem er in zunehmendem Maße das Ideal von Sadachar in der Praxis verwirklicht, werden seine verstreuten und wandernden Gedanken Gleichgewicht und Vollkommenheit erlangen, bis sie so ganz verfeinert am Brennpunkt zusammenkommen, dass dadurch die Schleier der Dunkelheit zunichtewerden und die Innere Glorie enthüllt wird.