Die Nacht ist ein Dschungel

I

Worin liegt der Unterschied zwischen Gott und dem Menschen? Der Mensch hat das Gemüt, ohne welches er genau wie Gott wäre.

Kabir sagt uns:

All dies (die Schöpfung) ist ein Teil Gottes.

Die Seele ist vom selben Wesen wie Gott, ein Tropfen vom Meer allen Bewusstseins. Doch an das Gemüt gebunden, wurde sie ein Jiva – verkörperte Seele; da sie aber wesenseins mit Gott ist, bleibt nur Gott übrig, wenn das Gemüt ausgeschaltet wird. So ist Gott plus Gemüt der Mensch, und Mensch minus Gemüt Gott.

Gold wird zu Schmuck und anderen reizvollen Gegenständen verarbeitet, das, was direkt aus der Mine kommt, wird Erz genannt, obwohl das Gold darin enthalten ist. Wenn der Schmutz und andere Mineralien davon abgeklärt sind, bleibt reines Gold übrig. Und wenn somit die letzte Analyse durchgeführt wurde, Gemüt und Sinne nicht mehr im Weg sind, ist der Mensch Gott.

Man kann sich die großen Möglichkeiten vorstellen und von ihnen Gebrauch machen, nachdem man den Segen einer menschlichen Geburt erhalten hat; das Bewusstsein von der Materie loszulösen und zu erkennen, wer man wirklich ist. Als die Seele zum Jiva wurde, nahm sie durch die Verbindung mit dem Körper und der Welt deren Identität an, denn man wird so wie das, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet ist. Nunmehr in der Schöpfung verloren, kann sich die Seele nicht finden und zu ihrer Wahren Heimat oder ihrem Ursprung zurückkehren, bis sie wieder frei und rein ist. Wer Sein Selbst gefunden, Sich Selbst erkannt hat, ist mit Gott Eins geworden – ist der Mensch in Gott oder Gott im Menschen. Dasselbe Licht, das in Ihm erstrahlt, erhält die ganze Schöpfung.

Was ist Gott? Eigentlich ist Er nicht Licht, ist Er nicht Ton: aber als Er Sich Selbst zum Ausdruck brachte, gingen diese beiden Prinzipien von Ihm aus und kamen ins Sein. Unsere Seele ist ein Tropfen von der Woge dieser sich zum Ausdruck bringenden Gotteskraft. Eine direkte Verbindung mit Ihr wird uns wieder zu der Quelle bringen, von der Sie ausging, von Anami oder dem Absoluten Gott. Es ist die Botschaft, die von allen Wahren Meistern, Die gekommen sind, auf verschiedene Weise und in verschiedenen Sprachen verkündet wurde gemäß der jeweiligen Zeit.

Alles hat eine natürliche Neigung, zu seinem ursprünglichen Zustand und seiner Quelle zurückzukehren. Wenn man eine brennende Kerze auf den Kopf stellt, wird ihre Flamme dennoch nach oben gehen, denn ihre Quelle ist die Sonne. Wie heftig ihr auch einen Erdkloß in die Luft werft, er wird wieder zur Erde zurückkommen, von der er kam. Wenn die Seele von Gemüt und Sinnen befreit ist, wird sie von selbst zu Gott hingezogen.

Das Erste, was wir tun müssen, ist, das Gemüt zur Ruhe zu bringen. Die Grundlage des Yoga ist, des Verstandes Herr zu werden. Das Wort Yoga ist von Yuj abgeleitet, was 'wiedervereinigen' heißt, und die letztliche Aufgabe des Menschen ist, sich wieder mit dem Herrn zu vereinen, eine Aufgabe, die nur in der menschlichen Form ausgeführt werden kann. Andere Formen dienen nur dazu, sich des Lebens zu erfreuen. Auch einige Menschen leben ihres früheren Karmas wegen, um sich zu erfreuen, während andere nicht so schwer beladen sind und ihnen daher die Wahrheit mehr einleuchtet; sie besitzen bessere Unterscheidungskräfte. Die letztgenannte Art von Menschen kann sich selbst und Gott erkennen.

Heute ist das Basakhi-Fest1, das wegen der verschiedenen religiösen Bräuche auf unterschiedliche Art und Weise gefeiert wird. Die Natur selbst feiert es mit dem Aufsprießen neuer Knospen und Blätter, und in dieser Jahreszeit beginnt neues Leben. Wir sollten von der Natur lernen und in einem neuen Leben erblühen. In der Hindu-Religion gibt es zehn Avatare, und gewisse Hindus feiern diesen Tag als ein doppeltes Ereignis: die Geburt von Parshuram und die Überwindung des Bösen durch den Avatar Narsing.

Parshuram war ein großer Yogi. Narsing war der Avatar, der Prinz Prahlad rettete und den Vater des Prinzen, den tyrannischen König Hirnaikashya, tötete, der, während er das Volk mit eisernen Rute regierte, sich selbst zum Gott erhob und anbeten ließ. Da er strenge Härten auf sich genommen hatte, war ihm von den Göttern eine große Gnade zuteil geworden: dass er niemals durch eine Hand aus Fleisch und Blut sterben würde, weder am Tage noch in der Nacht, nicht innerhalb noch außerhalb eines Gebäudes, weder auf der Erde noch in der Luft usw. Sein Sohn Prahlad wurde ein Wahrer Ergebener des Herrn und erklärte feierlich, dass Gott Gott sei und nicht sein Vater. Der König versuchte den Prinzen durch verschiedene Foltermethoden zu töten, aber die reine Ergebenheit des Kindes rief wiederholt die Gnade Gottes zur Rettung herbei, bis schließlich sein Vater befahl, dass Prahlad eine rotglühende Eisensäule umfangen sollte. Einer so furchtbaren Prüfung gegenübergestellt, zögerte das Kind zuerst, aber als es eine Ameise die Säule emporlaufen sah, trat es voller Freude vor und legte seine Arme um die Säule. Diese zerbarst sogleich, und der Avatar Narsing trat in einer Gestalt aus Feuer heraus, die erschreckend anzusehen war. Er nahm den König in seine mächtigen Hände, und da die Sonne gerade unterging, trat er in einen Torweg – weder innen noch außen – und riss ihn entzwei.

Ich beglückwünsche die Buddhisten an diesem Tage, denn Lord Buddha wurde am Basakhi-Tag geboren, am Basakhi-Tag erlangte Er die Erleuchtung, und am Basakhi-Tag verließ Er schließlich Seinen Körper und ging ins Nirvana ein. So haben beide Religionen einen guten Grund zum Feiern. Auch für uns kann es ein großer Tag sein; wir klagen beständig, dass wir das Leben neu beginnen möchten. So sollten wir diesen Tag als den Anfang eines neuen Lebens nehmen, in dem die Blumen blühen und Frucht hervorkommt. An jedem Ast sollten so viele Früchte sein, dass das Gewicht ihn zur Erde neigt.

Auch für die Sikhs ist dies ein großer Tag. Der Sikhismus ist nach meinem Empfinden in Wirklichkeit kein Kult. Ein Dichter sagt, dass sich die Welt wandelt, und ein Wahrer Mensch ist, wer die Welt verändert. An diesem Tag, vor rund drei Jahrhunderten, führte Guru Gobind Singh, der zehnte Sikh-Guru, den Khalsa ein. In jener Zeit töteten die Menschen einander unbarmherzig im Namen der Religion, und Er begann die Streitigkeiten beizulegen, indem Er den Khalsa aufstellte. Ein Khalsa ist ein Wahrer Schüler, und an diesem Tage fand Guru Gobind Singh unter Seinen Anhängern fünf solcher Schüler und machte sie zu Führern des Volkes.

Während der Lebenszeit Guru Nanaks herrschte religiöse Feindseligkeit. Einmal wurde Er gefragt, wer Er sei, und gab darauf zur Antwort:

Ich bin nicht Hindu noch Moslem; der Atem dieses Körpers ist Allah und Ram.

Damit meinte Er, dass Allah und Ram Eines seien, aber sie bestanden noch auf einer weiteren Erklärung, und so erläuterte Er:

Wenn ich sage, ich bin Hindu, werdet ihr mich töten, ein Moslem bin ich nicht; Nanak ist die unsichtbare Kraft, die in dieser aus fünf Elementen zusammengesetzten Marionette wirkt.

Es ging ihnen nur um äußere Kennzeichen, und Er wollte nicht die äußere Form für Sich beanspruchen, die einen Hindu oder Moslem ausmacht. Seine Antwort diente dazu, ihnen zu zeigen, dass der Mensch größer ist als seine äußere Erscheinung, da er tatsächlich die Kraft ist, die der physischen Form innewohnt. Wir hängen alle an Etiketten und verwickeln uns früher oder später dadurch, dass wir uns diesen äußeren Formen anpassen; doch an sich sind wir eben Menschen – menschliche Wesen.

Zu diesem Thema sagt Guru Gobind Singh:

Die Kaste der ganzen Menschheit ist dieselbe.

Wir sind alle auf die gleiche Art und Weise geboren worden und haben die gleichen Fähigkeiten mitbekommen. Zu Lebzeiten Kabir Sahibs erklärten die Brahmanen als offene Herausforderung, dass sie auf direkte Weisung aus dem Munde Brahmas in die Welt gekommen seien, aber Kabir entgegnete:

O Brahmane, wenn du direkt von Gott kommst, warum wurdest du dann nicht anders als die anderen Menschen geboren?

Auch der äußere und der innere Aufbau aller Menschen ist derselbe; niemand hat vier Arme usw. Alle, ob hoch oder niedrig geboren, haben die gleichen Vorzüge, je nach ihrem Karma.

Was dieses Karma der Vergangenheit angeht, sagt Tulsi Sahib:

Das große Gesetz des Karma hat die Bedingungen der Welt geschaffen. Jeder wird die Frucht seiner Taten ernten.

Valmiki gehörte der unteren Kaste der Unberührbaren an und wurde zum Maharishi Valmiki! Wegen des Karmas aus seiner Vergangenheit musste es zu dieser Wendung kommen. Aber heutzutage werden die Kinder von Brahmanen unterschiedslos Brahmanen genannt, und genau so verhält es sich bei anderen Kasten, denn während die Zeit vergeht, werden im Namen der Religion immer mehr Fesseln hinzugefügt, und die zugrunde liegende Einheit aller Menschen ist vergessen.

_______________

Erläuterung: 1) Der erste Tag des indischen Monats Basakh; er entspricht ungefähr dem 15. April