Die Nacht ist ein Dschungel

VII

„Erbarmen ist der Gewinn, den man aus der rechten Lebensweise erhält; der Gewinn des Stolzes ist Sünde. O Tulsi, lasse nicht ab vom Erbarmen, solange dieser Körper atmet.“

Der Mensch hat mehr Mitgefühl für seine Familie und Freunde als für Fremde. Ist das Barmherzigkeit? Welch eine Art von Mitgefühl ist es, wenn die Nachbarn Hungers sterben, während man sich selbst satt isst? Wenn euer eigenes Kind krank sein sollte, ihr aber von einem anderen hört, das Hilfe braucht, werdet ihr, wenn ihr Wahres Erbarmen habt, dem fremden Kind mehr Aufmerksamkeit schenken.

Als Guru Gobind Singhs Kinder in einer Schlacht getötet wurden, kam seine Frau weinend zu Ihm und sagte:

Wo sind meine vier Söhne?

Seine Worte sind bemerkenswert:

Für die Köpfe all dieser Söhne (der Anhänger) habe ich die vier geopfert.

Dies könnt ihr Barmherzigkeit nennen. Er opferte alles, was Sein war, für die Söhne anderer. Erwarb Er für Sich Selbst irgendein Reich oder Eigentum? Wahre Meister haben wirkliches Erbarmen für die Menschen.

Als Jesus Christus mit einigen zusammensaß, wurde Ihm gesagt, dass Seine Mutter und Verwandten draußen seien, um mit Ihm zu sprechen. Was war Seine Antwort?

Er erwiderte:

Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?

Und auf Seine Jünger und Anhänger weisend, sagte Er:

Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder!

Wenn jemand einen Fehler macht, vergebt ihm. Aber die Menschen ziehen die Gerechtigkeit der Vergebung vor. Bedenkt, dass durch Gerechtigkeit das Herz niemals gereinigt wird.

Ich will euch ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung geben.

Meine Frau reiste einmal mit dem Zug nach Hause, und ich holte sie an der Bahnstation ab. Kaum dass sie aus dem Zug gestiegen war und noch ehe ich sie erreicht hatte, stahl ihr ein Taschendieb die Geldbörse und lief davon. Ein sehr wacher Polizist hatte den Vorfall bemerkt, nahm den Mann sogleich fest und gab meiner Frau die Geldbörse zurück. Den Dieb fest im Griff, wandte sich der Polizist an mich und bemerkte: Sie müssen auch zur Wache mitkommen. Ich machte ihm klar, dass wir nun, da wir die Geldbörse wiederbekommen hätten, ganz zufrieden seien, er widersprach jedoch und sagte: Derlei Dinge geschehen häufig. Sie müssen mitkommen und Anzeige erstatten.

So ging ich mit zur Polizeiwache und saß dort länger als eine Stunde, ohne dass irgendetwas geschah. Ich sagte dem Inspektor: Mir liegt nichts daran – auch können Sie die Börse behalten – ich gehe jetzt. Er nahm meine Aussage sofort zu Protokoll, und schließlich wurde ich als Zeuge vor Gericht geladen. Es war das erste Mal, dass ich einen Gerichtssaal betrat. Während ich auf den Prozessbeginn wartete, meinte der Inspektor zu mir: Gerechtigkeit muss Gerechtigkeit bleiben. Ich sagte zu ihm: Bruder, außer Gerechtigkeit sollte es auch Barmherzigkeit geben; beides sollte Hand in Hand gehen. Durch Gerechtigkeit bleibt das Herz erregt, aber Barmherzigkeit wäscht alle Unreinheiten aus.

Als der Richter sich den Fall angehört hatte, sagte ich: Euer Gnaden, wenn Sie eine Möglichkeit fänden, diesen Mann freizugeben, hätte ich keine Einwände. Der Richter war überrascht, aber er befragte den Polizisten über die sonstige Führung des Mannes, und es wurde ihm berichtet, dass nichts gegen ihn vorläge. Der Richter willigte ein, ihn mit einer strengen Verwarnung laufen zu lassen, und er wurde auf freien Fuß gesetzt. Der Mann kehrte frohen Herzens zu seiner Familie zurück; er ging herum und sagte den Leuten: Wenn Er mich nicht gerettet hätte, wäre ich nun im Gefängnis.

Äußerlich mag ein Mensch vielleicht betonen, dass er vergibt; aber in seinem Herzen möchte er nach dem Missetäter ausholen und ihn zunichte machen. Wenn ihr kein Mitgefühl verspürt, wie könnt ihr dann ehrlich sagen, dass ihr vergebt? Gott ist Liebe, und als ein Teil von Ihm ist auch die der Seele innewohnende Natur Liebe.

Guru Gobind Singh Ji hat verkündet:

Hört ihr alle, ich sage euch die Wahrheit; Gott wird von dem erkannt, der liebt.

Kabir Sahib sagt:

Liebe den Herrn, o Gemüt, liebe den Herrn.

Und in der Bibel steht:

Wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht: denn Gott ist Liebe.

1. Johannes 4:8

Wir beten und führen Riten aus, damit die Liebe Gottes in uns geboren werde – welchem anderen Zweck sollte es dienen? Aber was für Ergebnisse rufen Gebete hervor, die mit Geschwätz untermischt sind? Was wird es uns nützen, die Andachtsstätte zu verlassen, ohne im Herzen eine Spur von Liebe für unsere Mitmenschen zu haben?

„Übt Keuschheit, Zufriedenheit und Festigkeit; dann werdet ihr über die drei Gunas1 hinausgehen.“

Nehmt eine rechtschaffene Lebensweise an und seid zufrieden. Ihr mögt gewisse Wünsche haben, aber haltet dort ein; vermehrt sie nicht. Betrachtet dann die Wünsche und bedenkt, wohin sie euch führen werden. Was liegt vor euch, und was werdet ihr mit euch nehmen? Wir eilen, hasten durch das Leben, wir sind uns meistens nicht einmal dessen bewusst, was wir tun. So rät uns der Guru, all unsere Angelegenheiten mit ruhiger Heiterkeit zu handhaben; dann besteht Aussicht, Trigunatit zu erreichen und dann darüber hinausgehen.

In der berühmten Bhagavad Gita sagte Lord Krishna zu Arjuna:

O Arjuna, erhebe dich über die drei Gunas.

Solange ihr nicht darüber hinausgelangt, werdet ihr weiterhin nach Pind, And und Brahmand kommen und gehen.

„Wunsch, Begierde, Ärger, Stolz, Habgier, Eigensinn und Verhaftetsein; duldet sie nicht in euch.“

Um tiefer in die Materie einzudringen: Was bringt den Wunsch hervor?

Alle Vorstellungen des Gemüts sind Wünsche.

Seid also wunschlos. Ihr werdet bemerkt haben, dass Ärger aufsteigt, wenn ein Hindernis der Erfüllung des Wunsches im Weg steht. Dann kommt der Stolz: 'Ich muss dies haben – oder jenes tun –, sonst bin ich in den Augen anderer weniger angesehen.' Man kann den Stolz als Ursache aller Sünden betrachten, denn er geht in die Ichhaftigkeit über. Er empfiehlt uns, vom Eigensinn abzulassen oder aufzuhören, halsstarrig zu sein. Seid immer sicher und hört euch den Standpunkt des anderen an – ihr mögt finden, dass das, was er sagt, richtig ist. Eigensinn bindet den Menschen nur noch mehr; es gibt keinen Raum für Entwicklung. Dogmatisches Wissen aus Büchern beispielsweise, das richtig oder falsch sein kann, sollte man beiseite lassen. Es versteht sich von selbst, alle Bindungen abzubrechen – ihr müsst das Geben und Nehmen beenden –, ihr müsst den Körper und seine ganze Umwelt verlassen. Wenn sich ein Hindernis zwischen euch und euren Wunsch stellt, wird er sogar noch stärker. Setzt einmal einen großen Felsen in die Mitte eines schnell fließenden Flusses, und ihr werdet zwei Dinge erzeugen, Schaum und Getöse. Wenn ein Mensch ärgerlich ist, kann er nicht ruhig sprechen, und schließlich schäumt er. Wenn ihr bekommt, was ihr wünscht, verwandelt es sich in Verhaftetsein.

Für all das gibt es nur ein Heilmittel:

Erst nachdem ihr euer Wahres Selbst gesehen habt, könnt ihr den Herrn erkennen.

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Erklärung: 1) Eigenschaften: satva (rein), rajas (tätig) und tamas (träge).