Der gegenwärtige Meister

Der Meister der jeweiligen Zeit ist ein lebender Meister, Der seinen Anhängern spirituelle Unterweisungen gibt. Aber alle Meister früherer Zeiten sind Meister einer vergangenen Epoche oder ehemalige Meister. Jeder von Ihnen hatte Seine Aufgabe zu erfüllen. Die Berichte der einstigen alten Meister und Ihre Lehren leisten eine Art Vorarbeit, indem sie Neuland erschließen und in uns ein Interesse für die esoterischen Fragen des Geistes wecken. Jeder von Ihnen hebt mit Nachdruck die Notwendigkeit des lebenden Meisters hervor und berichtet von Seinen eigenen spirituellen Erfahrungen. Ihre Ermahnungen geben uns einen Anstoß, mit der Suche zu beginnen. Der uns eingeborene Drang wird belebt und treibt uns an, nach Jemandem zu forschen, Der uns zu Gott führen kann.

Wirkliche spirituelle Führung und Unterweisung zu geben ist jedoch das Werk eines lebenden Meisters. Voll des höheren Bewusstseins flößt Er den Jivas Seinen Lebensimpuls ein. Spiritualität kann weder gekauft noch gelehrt werden, aber man kann sie wie eine Infektion von Jemandem auffangen, Der selbst in hohem Maße davon durchdrungen ist. Wie Licht von Licht, so kommt Leben von Leben, und ein vom Körper beherrschter Geist kann nur von einem durch Körper und Gemüt unbehinderten Geist bewegt werden. Dies ist der einzige Weg für die spirituelle Schulung; einen anderen gibt es nicht.

Ohne einen lebenden Meister kann der Geist der Knechtschaft nicht entrinnen.

Maulana Rumi erklärt daher nachdrücklich:

Traue nicht deinem Wissen, deiner Schlauheit und deinem Geschick; trenne dich nicht vom Rettungsanker des lebenden Propheten.

Auch der Prophet Mohammed sagt:

Wer sich nicht aufrichtig dem Imam der Zeit (dem lebenden Meister) genähert hat, dem Statthalter Allahs, dem vollendeten Führer, kann nichts zuwege bringen.

Ferner sagte der große Maulana:

Eile zu deinem Gott durch den Gottmenschen. Lass dich nicht nutzlos auf den trügerischen Fluten der Ich-Sucht treiben.

Ohne einen Lebenden Meister kann man nicht die Gottergebene Geisteshaltung entwickeln, die auf dem spirituellen Pfad so sehr nötig ist. Wir können uns von einem Menschen oder einer Sache nicht angezogen fühlen, die wir nie sahen und von denen wir keine Vorstellung haben. Schon das Wort „Anziehung“ deutet darauf hin, dass ein Gegenstand der Anziehung da ist.

Manche Leute glauben, diese im Gurbani so nachdrücklich hervorgehobene Notwendigkeit, zu einem Lebenden Meister zu gehen, beziehe sich nur auf die Zeit der zehn Gurus. Das ist aber nicht der Fall. Die Lehren der Meister waren an die Menschheit allgemein gerichtet und galten für alle Zeiten. Ihr Aufruf war universal und nicht auf eine bestimmte Glaubensgemeinschaft oder Zeit beschränkt:

Die Lehren der Meister sind das Gemeingut aller.

Ferner heißt es:

Bani (das Wort oder Tonprinzip) ist der Guru, und der Guru ist das Bani personifiziert; das Elixier des Lebens ergießt sich aus dem Bani1. Wer immer das akzeptiert, was das Gurbani sagt, kann durch die Gunst des Lebenden Meisters befreit werden.

Bhai Gurdas sagt in diesem Zusammenhang:

Die Veden und anderen heiligen Schriften sind das Gut der Meister und eine Hilfe, das Meer des Lebens zu überqueren; doch ohne dass der Meister der Wahrheit herabkommt und unter uns lebt, können wir die Wirklichkeit nicht erfassen.

Die esoterischen Mysterien können in den Schriften nicht vollständig erklärt werden, weil der innere Prozess seine eigenen Schwierigkeiten und Behinderungen hat. In seiner feinstofflichen Form hilft der Meister dem Geist auf seiner Reise von Ebene zu Ebene in vieler Hinsicht. Dieses Werk der inneren und äußeren Führung kann nicht durch frühere Meister getan werden.

Der Namen- und Formlose Shabd erhält eine Form, nimmt einen Namen an und wohnt unter uns. Im Evangelium lesen wir:

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

Wenn Gott nicht in der Gestalt des Menschen herabkommt, können wir den Unerkennbaren nicht erkennen. Die Lehrer der heiligen Schriften bleiben unter dem Ballast uralter Sprachen und altertümlicher Ausdrucksweisen versiegelt, bis eine Meister-Seele mit wirklicher Erfahrung von der Wissenschaft des Geistes die Wahrheit dieser Schriften erklärt.

Selbst die offensichtlich einfachen Lehren der früheren Meister können wir nicht in ihrer Bedeutung verstehen, wenn uns nicht ein lebender Adept dieser Lehre ihren wahren Sinn erschließt und uns die gleichen Erfahrungen zuteil werden lässt, über die in den Schriften berichtet wird.

Indem Er seinen eigenen Lebensimpuls überträgt, belebt Er den Geist, der unter der erdrückenden Last von Gemüt und Materie im Körper verkümmert. Wie ein kluger Führer lenkt Er ihn auf Seine unnachahmliche Weise in eine neue Richtung.

Als Nächstes enthüllt Er dem Geist neue Reiche von wunderbaren Anblick, stellt ihm ein Flugzeug (Shabd) bereit und bringt ihn selbst zu Gott. Tag für Tag wird er an gefährlichen Stellen vorbeigeführt, kommt an neue Orte und erfährt ein unbekanntes Erhobensein und eine Freude, die zu subtil ist, als dass man sie beschreiben könnte.

Das alles und noch weit mehr gehört zu der Aufgabe, die ein Lebender Meister zu erfüllen hat.

Der Geschichte des Sikhismus entnehmen wir, dass der Granth Sahib zum ersten Mal von dem fünften Guru, Guru Arjan, zusammengestellt wurde. Trotz des wohlbekannten und oft zitierten Ausspruchs, dass Bani der Guru ist, demzufolge keine weiteren Gurus mehr notwendig seien, führten die Gurus die Mission, Menschen zu initiieren, fort; und auch heute ist der Khalsa (der Reine) mit dem vollendeten, strahlenden Licht im Innern ermächtigt, das Werk spiritueller Unterweisung und Führung der Wahrheitssucher fortzusetzen.

Guru Gobind Singh sagt:

Wir sind die Verehrer des großen bewussten Lichts,

und er erklärt das Wort Khalsa

Der reine Khalsa ist Einer, in dem das Licht Gottes völlig offenbart ist.

Er sagt weiter:

Der Khalsa ist meine wahre Form; ich wohne im Khalsa, Er ist das Leben meines Lebens und fürwahr meine Lebensenergie (Prana). Der Khalsa ist mein tapferer Freund, Er ist mein Satguru Pura (völlig kompetenter Meister). Ich habe keine Unwahrheit gesprochen. Ich sage dies in Gegenwart von Par Brahm und Guru Nanak.

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Erklärung: 1) Es besteht ein großer Unterschied zwischen Gurbani und Bani. Während sich das Erstere auf die Aussprüche der Gurus bezieht, wie sie in den heiligen Schriften (besonders im Granth Sahib) überliefert sind, bezeichnet das Letztere den ewigen Tonstrom, der manchmal Gur-ki-Bani genannt wird und in der ganzen Schöpfung erklingt. Er geht von Gott selbst aus, und Gott allein kann ihn offenbaren. Ferner ertönt dieser Bani (Naam oder das Wort) durch alle vier Yugas (Zeitalter) und kündet von seiner Botschaft der Wahrheit.