Das Leben von Guru Arjan

III

Wenn man eine Handvoll Staub nach dem Mond wirft, bleibt er davon unberührt; der Staub fällt auf den, der ihn wirft, zurück.

Gurbani, Guru Arjan

Die verbleibenden Geschehnisse im Leben Guru Arjans sind wie eine lange Reihe von Verfolgungen. Trotz alledem erwies sich der Guru als lebendiges Beispiel höchster menschlicher Eigenschaften. Während Er in der Welt lebte, hatte Er ihrer im Herzen entsagt. Wenn Seine Stellung oder Sein Besitz eine Ursache von Streit waren, ließ Er sie gelassen und heiter zurück und reiste zufrieden im Willen Gottes umher. Er war jedoch kein Mensch, Der den Nöten anderer den Rücken kehrte; und so fand man Ihn immer wieder bereit, selbst Sein Leben für das Wohl anderer zu opfern – wie Er es schließlich tat.

Während Er in Amritsar war, kam einmal Birbal, ein Minister des Kaisers, zu Ihm. Birbal versuchte dem Guru und Seinen Schülern eine Steuer aufzuerlegen. Arjan lehnte es ab, sie zu zahlen, und ermutigte Seine Gefolgschaft, es Ihm gleichzutun. Er sagte dem Minister, dass Er kein Geld zu geben habe, doch welche Speise er und seine Gruppe verlangten, würde ihnen gerne vom Langar (Küche) gegeben. Diese Antwort empörte Birbal und er entsandte wieder Soldaten, um dem Guru seine militärische Macht vor Augen zu führen und die Folgen, die es hätte, sollte Guru Arjan nicht zahlen.

Aber der Meister blieb fest bei Seiner Entscheidung: „Ich werde nicht zahlen. Der Minister mag die Stadt betreten und tun, was ihm gefällt. Gott ist auf meiner Seite und wird mich schützen.“

Aus Angst vor Birbals Zorn sagten ihm die Soldaten, dass Arjan später zu ihm kommen werde, in der Hoffnung, dass der Guru Seine Ansicht ändern würde. Es ergab sich jedoch in der Nacht darauf, dass Birbal den Befehl erhielt, eilig einen Feldzug zu unternehmen, so dass er gezwungen war, seine Steuereintreibung zurückzustellen. Später verbündete er sich mit einem anderen Kommandanten und wurde bald darauf in der Schlacht getötet.

Doch kaum war ein Störenfried gegangen, als ein anderer kam. Prithi Chand erhob wieder sein Haupt in Rache. Um Seines Bruders Gehässigkeit zu besänftigen, verließ Arjan Amritsar. Er kam durch mehrere Dörfer, verbreitete Seine Botschaft der Hoffnung und brachte Licht in die dunkel gewordenen Heime. Während Seiner Reisen kaufte Er Land und plante den Bau der Stadt Tarn Taran (wörtlich: das Floß, welches die Menschen über das Meer der Welt bringt). Diese Stadt wurde eine kleine Kolonie, um Aussätzigen zu dienen, wie auch ein Ort für die Heiligen Meditationen. Hier bekamen die Leprakranken Unterkunft, Nahrung, Kleidung, ärztliche Hilfe und menschliche Fürsorge. Darüber hinaus erhielten sie spirituelle und moralische Schulung, als Hilfe für sie auf dem Pfad zu Gott. Es ist wahrscheinlich das erste Beispiel in der Geschichte Indiens, dass Aussätzigen eine solche Fürsorge und Achtung zuteil wurde. Später begann Guru Arjan mit dem Bau der Stadt Kartarpur. Nach einer langen Zeit des Selbstauferlegten Exils beschloß Arjan seine Rückreise nach Amritsar – mit einem Aufenthalt unterwegs, um mit Shri Chand zusammenzutreffen.

Inzwischen erkannte Prithi Chand, dass er nicht über seinen Bruder herrschen noch selbst als Guru verehrt werden würde. Aber da er seinen Wunsch nicht aufgeben konnte, machte er seinen Sohn zum Erben seiner Pläne. Arjan hatte zu dem Zeitpunkt keinen Sohn, und Prithia glaubte, dass dies zu seinem Vorteil sei. Doch als Arjan ein Sohn, Har Gobind, geboren wurde, war Prithia aufgebracht. Er sann darüber nach, wie er das Kind töten könne, doch es endete damit, dass die gedungenen Mörder zu leiden hatten und Prithia sich erneut bloßgestellt sah.

Als Har Gobind älter wurde, bat Chandu Savai Divan von Akbars Hof, Har Gobind seiner Tochter zu vermählen. Doch wegen der Arroganz von Chandu lehnte Arjan das Angebot ab und verheiratete Seinen Sohn mit der Tochter eines einfachen Sikhs auf dem Lande. Chandu empfand es als eine Beleidigung und verband sich daraufhin mit Prithi Chand. Sie reichten zusammen eine Klage gegen Arjan beim Kaiser ein, indem sie erklärten, dass Er ein Buch zusammengestellt habe, das sowohl Hindus als auch Moslems lächerlich mache.

Akbar ordnete an, dass ihm der Granth vorgelegt werde, aber nachdem er ihn geprüft hatte, fand er, dass die Beschuldigung unberechtigt war. Tatsächlich war er sehr beeindruckt von der Schrift und traf Vorkehrungen, mit dem Guru zusammenzukommen. Der Monarch, der sich an den Worten und der Gemeinschaft der Weisen erfreute und früher mit Guru Amar Das und Ram Das zusammengetroffen war, sah nun den Heiligen Arjan, und in aufrichtiger Ergebenheit warf er sich vor Ihm nieder. Er suchte den Rat des Gurus und wollte Ihm eine große Schenkung machen. Doch der Guru nahm nie persönliche Zuwendungen an und duldete bei der des Kaisers keine Ausnahme. Er riet Akbar, seinen Ergebenen zu dienen und ihr Wohlergehen und Glück wichtiger zu erachten als sein eigenes. Akbar regierte sein Volk nach solchem Rat.

Doch bei seinem Tod bemächtigte sich ein weniger erleuchteter Sohn, Jahangir, des Thrones. Chandu und Prithia brachten erneut falsche Beschuldigungen gegen Arjan vor. Doch als Prithi Chand zum kaiserlichen Hof bestellt wurde, starb er auf dem Weg. Nach seinem Tod führte Prithias Sohn sein gehässiges Werk fort und beschuldigte den Meister des Diebstahls, der Gotteslästerung und des Hochverrats (von Arjan wurde gesagt, dass Er früher Akbars Sohn Khurso bei seiner Flucht vor Jahangir beigestanden habe). Guru Arjan wurde zum Hof des Kaisers bestellt. Da Er wusste, was Ihn erwartete, ließ Er wissen, dass Har Gobind das spirituelle Werk weiterführen würde.

Er tröstete Seine Frau und die Anhänger und bat sie, nicht über Seinen nahen Tod zu trauern:

Wer immer in diese Welt geboren wurde, muss auch sterben. Dies ist das Gesetz der Natur. Liebt darum nicht den Körper, sondern die Kraft in ihm.

Guru Arjan in der FolterkammerAls Arjan den kaiserlichen Hof betrat, wurde Er angewiesen, eine große Geldstrafe zu zahlen, und von Ihm verlangt, die Hymnen aus Seiner Schrift zu entfernen, welche den Schriften der Hindus und Moslems gegenüber respektlos seien. Arjan kam keiner dieser Anforderungen nach. Er hatte nicht die Mittel, diese Geldstrafe zu zahlen, und bezeugte, dass die Hymnen weder den Hindu-Inkarnationen noch den Moslem-Propheten gegenüber unehrerbietig seien. Da ordnete Jahangir an, Arjan gefangen zu nehmen, und überließ Ihn der Obhut von Chandu. Des Kaisers Anweisung an seinen Minister war, er solle von Arjan alles über Khurso in Erfahrung bringen. Doch als der Fall in seinen Händen lag, überschritt Chandu diese Weisungen, indem er zuerst den Meister bedrohte und dann Befehle gab, Ihn zu foltern. Arjan wurde in kochendes Wasser getaucht, auf rotglühende Platten gesetzt, und es wurde brennender Sand auf Ihn geschüttet. Während dieser Marter zeigte Er keine Anzeichen von Schmerzen, sondern blieb ruhig.

Die Erde, die Himmel und die Sterne stehen unter dem Schatten der Angst; über ihren Häuptern regiert das unwandelbare Gesetz. Wind, Wasser und Feuer stehen unter diesem Schatten; so auch der arme Indra. Alles Seiende kennt die Angst; allein der Schöpfer ist frei von ihr.

Nanak sagt:

Gott ist der Gefährte der Heiligen, sie sind die Zierde Seines Hofes; darum kennen auch Sie keine Angst.

Maru M5

Die Menschen kamen zum Guru, um Seine letzte Segnung zu empfangen, und jeder konnte nur Seinen unerschrockenen Mut bewundern. Ein heiliger Mann, ein Moslem namens Mian Mir, kam ebenfalls. Als er die Pein sah, die der Meister ertrug, füllten sich seine Augen mit Tränen, und er bat um die Erlaubnis, Rache zu nehmen. Er sagte, dass er durch seine Kräfte die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen könne. Arjan antwortete, indem Er Mian Mirs Seele erhob, wodurch der heilige Mann himmlische Kräfte sah, die sich alle zu den Füßen des Meisters verneigten, und jede erflehte dieselbe Gunst.

Staunend sah Mian Mir in Arjans Augen, während der Meister sprach:

Der Glaube wird wahrhaftig während des Leidens geprüft. Meine ganze Freude in diesem Leben war es, ein bescheidener Knecht Gottes zu sein. Wie kann ich nun wünschen, mein Gesicht in eine andere Richtung zu wenden? Mein Beispiel wird schwächeren Menschen in der Stunde ihrer Heimsuchung Zuversicht geben.

Die Tage vergingen, und die Qualen wurden stärker. Nach einiger Zeit jedoch wurde Arjan erlaubt, im kühlen Wasser des Raviflusses zu baden. Die Menschen versammelten sich um Ihn, als Er zum Fluss ging. Sein Körper war abgemagert und von Narben überzogen, doch Sein Antlitz war erleuchtet durch das Innere Licht, und die Kraft Seines Glaubens ließ Ihn den Körper unten nicht empfinden. So badete Er und gewährte Seinen Schülern einen letzten Darshan. Er ließ sie wissen, dass Sein irdisches Leben bald zu Ende sei und Har Gobind Sein Werk weiterführen werde, das Guru Nanak begonnen hatte. Er sollte angewiesen werden, so zu handeln, wie es Seine Vorgänger taten, nur dass Er Waffen an Seiner Seite tragen und eine Armee befehligen werde. Mit diesen Worten kehrte der Meister zu Seinen Qualen zurück, bis zu Seinem Tode am 30. Mai 1606.

Das Ei der Täuschung barst und Göttliches Licht strömt auf den Geist ein. Der Meister hat die Ketten der gefangenen Seele gesprengt, und der Zyklus der Seelenwanderung ging zu Ende. Gekühlt in des Gurus Naam kocht der große Kessel der Welt nicht mehr. In der Gemeinschaft des Sants kommen die Freunde des Todes nicht nahe. Nicht einmal der Herr des Gerichts kann mich nun an seinen Hof rufen. Befreit vom Gewicht meiner Karmas handle ich nun ohne einen Wunsch. Aus den Tiefen des Meeres habe ich die Küste erreicht; solcherart ist die Barmherzigkeit des Gurus. Die Wahrheit ist mein Platz, die Wahrheit ist mein Sitz und die Wahrheit ist mein Ziel.

Nanak sagt:

In mir selbst habe ich diese Wahrheit angehäuft.

Rag Maru M5

Es heißt, dass Guru Arjan diese Hymne während der Zeit Seiner Qualen verfasst hat. Sie lässt erkennen, wie ein Meister das Leiden betrachtet: dass unsere Feinde und unsere Qualen nicht die Menschen oder die Umstände sind, die unserem niederen Selbst oder unserem Körper Schmerz zufügen, vielmehr sind es die Dinge, welche uns von Gott getrennt halten (nämlich Wünsche und das Haften an den Sinnesorganen). Gleicherweise sollte man die höchste Heiterkeit und die zuversichtliche Einstellung des Meisters beachten, selbst angesichts dessen, was wir als große Qualen und Leiden ansehen würden.

Als Guru Arjan den Granth Sahib zusammenstellte, schloss Er folgende Hymne des Sufi-Meisters Baba Farid ein:

O Farid, ich dachte, dass ich allein Kummer hätte. Doch Kummer ist über die ganze Welt verbreitet. Von meinem Hausdach aus sah ich jedes Heim im Feuer des Leides brennen.

Aber darunter schrieb Arjan eine Erwiderung zu den Versen Babas:

O Farid, die Welt ist schön, doch es ist ein dorniger Garten in ihr. Jene, zu denen der Meister gütig ist, bleiben selbst inmitten allen Leids unversehrt.

An anderer Stelle fügte Er hinzu:

Was Du gibst, o Herr, sehe ich als meine Freude. Wohin immer Du mich stellst, dort ist mein Himmel!