Guru, Guru Dev und Satguru

III

Auf meiner zweiten Reise in den Westen hatte ich Gelegenheit, mit politischen Führern unterschiedlicher Überzeugung zu sprechen, und hielt immer an dem Grundsatz von Leben und leben lassen fest. Gott habe so viele Seiner Kinder in ihre fürsorgliche Obhut gegeben, und es sei ihre Pflicht, ihnen so gut als nur irgend möglich zu dienen. Wenn sich ein Land aus dem einen oder anderen Grund nicht ausreichend um das Wohl seiner Bevölkerung kümmern und ihre rechtmäßigen Bedürfnisse decken kann, sollten andere ihnen ihre helfende Hand reichen. Warum Gewalt anwenden und das Blut von Millionen Seiner Geschöpfe vergießen?

Durch die Gnade Gottes half das rechtzeitige Erkennen dieser grundlegenden Wahrheit tatsächlich in zwei verschiedenen Fällen, eine Krise zu verhindern, wo sonst die Dinge außer Kontrolle geraten wären. Von einer dritten Stelle erhielt ich einen weiteren Hilferuf. Ich lege euch diese Dinge nur deshalb dar, um die Bedeutung einer geistigen Einheit hervorzuheben, die der einzige Ausweg aus unserem gegenwärtigen Dilemma ist, da sie uns befähigen wird, einander näher zu kommen und unsere Probleme gemeinsam zu lösen. Dem steht freilich ein Hindernis entgegen: die sich widerstreitenden Ansichten und gegensätzlichen Ziele.

Guru Arjan hat deshalb folgende Abhilfe vorgeschlagen:

Lasst uns beraten und jegliche Uneinigkeit zwischen uns in einem freundschaftlichen Geist und mit festem Entschluss auf dem Fundament eines glühenden Gottesglaubens ausräumen.

Lernt, in Liebe zusammenzusitzen und jeden Gedanken der Dualität beiseite zu lassen, denn wir sind alle Kinder Gottes. Beten wir nicht zu dem Einen Gott, dem Gott aller, wenn auch die Art und Weise der Anbetung verschieden sein mag, gemäß den Lebensbedingungen, in die wir hineingeboren wurden und unter denen wir aufwachsen? Wenn wir bereits Eins sind auf der allgemeinen Grundlage der Spiritualität, gleich den Rosenkranzperlen verschiedener Ausführung und Farbe, welchen Sinn hat dann der Streit?

Im Gurbani wird uns gesagt:

Lasst uns im Namen des Herrn verbunden sein, denn wir sind nicht getrennt von Ihm.

So ist dies der Weg, der zur Einheit in der Vielheit führt, denn die Vielheit kreist um die Mitte, das unwandelbare Sein

Guru Arjan hat ebenfalls angeraten:

Sitzt Schulter an Schulter zusammen in der Gemeinschaft von Einem, Der ein Gurumukh geworden ist.

Gurumukh bedeutet Sprachrohr des Guru, Der der menschliche Pol ist, durch Den die Gotteskraft wirkt. Ich möchte die Wichtigkeit Spirituellen Verstehens nachdrücklich betonen.

Kabir sagt:

Auf dieser Welt ist niemand großzügiger als der Guru. Er allein ist in der Tat der Geber aller Gaben.

Die Segnungen des Meisters sind wirklich von hohem Wert. Lasst uns sehen, was Er nun dem Schüler zuteil werden lässt.

Im Gurbani wird gesagt:

Der Satguru hat mich mit einer unschätzbaren Gabe (dem Heiligen Naam) beschenkt und mir die Geheimnisse des Jenseits erklärt.

Dies ist etwas, das über dem Bereich der Sinne, des Gemüts und des Verstandes liegt. Er allein und kein anderer ist in der Lage, eine solche Gnade zu gewähren; denn niemand kann etwas geben, was er nicht selbst besitzt. Es ist etwas, das man nicht durch bloßes Wissen und Klugheit oder durch das Studium der Schriften erwirbt. Von wem sonst könnte man das wunderbare Geschenk der Gotteskraft erhalten?

Auch finden wir im Gurbani:

Er gibt uns Seinen eigenen Lebensimpuls und macht die rettende Lebensschnur im Innern offenbar. Wer vermag dies? Niemand als der auf Erden polarisierte Gott.

Guru Arjan sagt gleichfalls:

Nachdem Er Sich im Meister offenbart hat, verteilt Er Selbst den Heiligen Shabd.

Einerseits gibt es den Absoluten Gott und andererseits die Gotteskraft oder den Waltenden Gott; und wenn nicht die Gotteskraft in uns offenbart wird, können wir unmöglich eine Verbindung mit Gott haben. Da es der Lebende Meister ist, Der Sie uns geben kann, übersteigt Seine Bedeutung zunächst die von Gott Selbst. Obwohl beide Ein und Derselbe sind, müssen wir doch in endlichen Begriffen zwischen Ihnen unterscheiden

Kabir sagt:

Wenn der Meister und der Herr vor mir stehen, wem soll ich meine Ehrerbietung erweisen? Bestimmt werde ich mich vor dem Meister verneigen, dem Mittler, Der mich mit dem Herrn vereint.

Der Absolute Gott ist eine Abstraktion, die niemand erkannt hat und keiner erkennen kann; und darum können wir uns nur vor dem Personifizierten Gott beugen, in Dem Gottes Kraft wirkt. Es ist wie bei einem Kraftwerk, das ihr nicht gesehen habt; aber ihr seht in eurem Haus einen kleinen Schalter, der eurem Zweck dient. Gleichermaßen ist der Lebende Meister im Besitz aller Göttlichen Tugenden und Kräfte, die Ihm der Absolute Gott für das Spirituelle Wohl der Menschheit verliehen hat. So ist es ganz klar, dass wir einen Lebenden Meister verehren müssen, denn der physische Körper des Meisters ist in höchstem Maße Göttlich, von unsichtbarer Hand für einen besonderen Zweck geschaffen, um durch ihn die menschlichen Seelen mit Gott zu vereinigen. Wenn wir dennoch glauben, der Guru gleiche einem von uns auf der menschlichen Ebene, ist es unser Missgeschick. Kabir sagt, dass jene, die im Meister nicht mehr als einen bloßen Menschen sehen, immer wieder von neuem in niedrigere Schöpfungsformen kommen werden.

Weiterhin sagt Er:

Kabirs Gemüt ist so subtil und lauter geworden, dass nun selbst der Herr ihm allenthalben folgt.

Wer reinen Gemüts ist und den Verstand zur Ruhe brachte, wird gewiss das Licht Gottes widerspiegeln. Wir müssen Verehrer des Lebenslichts sein, ganz gleich, welcher Religionsgemeinschaft wir Treue schulden. Eine jede spricht von dieser Wahrheit.

Guru Gobind Singh sagt uns:

In Wem das Licht Gottes in Seiner Fülle erstrahlt, Der allein ist ein Khalsa (rein im Herzen). Der Khalsa ist meine eigene Form, und ich wohne in Ihm. Der Khalsa ist der Wahre, Allmächtige Meister.

Wenn solche Großen Seelen kommen, besteht ihre Lebensmission darin, die ganze Menschheit in einer großen Familie Gottes zu vereinen. Wer alle Wesen von der Ebene der Seele aus betrachtet, ist in der Tat ein Großer Meister, denn Gott wirkt durch Ihn.

Was gibt Er letztlich? Er gibt etwas, das die Sinne nicht erfassen können. Wir müssen einen solchen Guru finden, Der dazu in der Lage ist.

Diese Suche ist für uns alle, ungeachtet des Geschlechts, von höchster Wichtigkeit. Die physische Verbindung zwischen Mann und Frau endet mit der Heiligen Ehe. Als Nächstes folgt die geistige Verbindung: die Ehe der Seele – ob männlich oder weiblich – mit der Überseele. Die Schriften erzählen uns, dass Parvati, die Gemahlin Shivas, Narada als ihren Guru annahm. Sita, die Gattin Ramas, wählte Anasuiya zu ihrem Guru. Wer meint, es sei für Frauen nicht nötig, einen Guru zu haben, irrt sich. Männer wie Frauen brauchen Ihn zu Befreiung ihrer Seele aus dem Netz des Gemüts und der Materie. Der Geist eines jeden von uns hat das Verlangen nach Freiheit, unabhängig davon, welches physische Gewand er trägt.

Die Ehegemeinschaft gibt uns nur einen Partner an die Seite, der uns auf der Lebensreise in Wohl und Weh beisteht. Diese Stufe, einen Hausstand zu führen (Grihastha Ashrama), ist ein bedeutender Lebensabschnitt und muss darum freudig akzeptiert werden. Die Ehe ist kein Hindernis für die Spiritualität. Vielmehr trägt sie zum Spirituellen Fortschritt bei, wenn sich beide dem Spirituellen Sadhan (Praxis) hingeben. Die Zeugung ist nur ein Aspekt des ehelichen Lebens. In früheren Zeiten begnügten sich die Eheleute mit ein oder zwei Kindern, danach entsagten sie der Welt und zogen sich in die Einsamkeit zur Meditation und Gotterkenntnis zurück. Paulus ermahnte die Ehemänner, ihre Frauen zu lieben, gleichwie Christus geliebt hat die Gemeinde. Es ist gut, verheiratet zu sein, aber wenn man ein oder zwei Kinder hat, sollte man die übrige Lebensspanne dem höchsten Zweck des Lebens – der Gottverwirklichung – weihen. Es ist bedauerlich, dass wir das Eheleben als ein Mittel der Sinnesfreude ansehen. Manche der Früheren Meister hatten einen Hausstand und Kinder.

In der Vergangenheit gab es verschiedene Stufen von Brahmacharya – Zeit der Enthaltsamkeit, die mindestens 25 Jahre dauerte. Heutzutage finden wir kaum jemanden, der vollständige Keuschheit – in Gedanken, Worten und Taten – auch nur für ein Jahr beachtet. Wie können wir bei diesem traurigen Stand der Dinge ein wirklich Spirituelles Leben anstreben?

Die eine große Lektion, die wir aus dem Leben Hazurs lernen, ist die Seiner Enthaltsamkeit. Als Er heiratete, war Er noch nicht 25 Jahre alt. Seine Frau starb jedoch, bevor die Ehe vollzogen war. Nach dem 25. Lebensjahr heiratete Er ein zweites Mal, was Beachtung vollkommenen Brahmacharyas für all diese Jahre bedeutete. Seine Frau lebte nur zeitweilig mit Ihm zusammen, was insgesamt kaum sechs Monate ausmachte. Überdies hatte Er alle Göttlichen Tugenden in Sich. Gott ist unsterblich und so auch unsere Seele. Er ist alle Wahrheit, alle Weisheit und alle Glückseligkeit, und unser Selbst ist ebenfalls mit diesen Eigenschaften ausgestattet. Aber das Selbst in uns, von Gemüt und Materie umgeben, hat seine wirkliche, ursprüngliche Natur vergessen und sich mit dem Körper und dem körperlichen Beiwerk so sehr identifiziert, dass wir nichts außer dieser physischen Welt sehen können. Wenn immer Große Seelen kommen, berichten Sie uns vom rechten Pfad, geben uns rechtes Verstehen und genaue Führung.