Guru, Guru Dev und Satguru

V

Der Pfad der Meister ist ein gerader, der keine körperlichen Yoga-Praktiken in sich schließt. Er gibt eine direkte Verbindung mit der Inneren Lebensschnur. Sie besteht darin, die Seelenströme an die Gotteskraft anzuschließen, in der wir tatsächlich leben, uns bewegen und wahrlich unser Sein haben. Es ist eine Sache direkter Innerer Wahrnehmung, völlig unabhängig von allen Arten des Denkens, Fühlens, Empfindens und gefolgerten Wissens, die alle dem Irrtum unterworfen sind. Wirkliches Sehen ist Glauben, der keinen Raum für Zweifel lässt.

Guru Amar Das kam im ziemlich vorgerückten Alter von siebzig Jahren zu diesem reichen Erbe, und als Er Gott erfuhr, sagte Er:

Wenn man Glück hat, kann man mit einem Meister der Wahrheit, einem Satguru, in Berührung kommen und von Ihm die Verbindung mit dem Heiligen Wort oder den Kontakt mit dem Inneren Tonprinzip, dem Licht des Lebens, erhalten.

Während sich philosophische Abhandlungen mit theoretischen Aspekten der Religionen befassen, bringt einen die Mystik von Angesicht zu Angesicht mit der Kraft Gottes.

Selbst kleine Kinder können auf das Licht Gottes abgestimmt werden. Nichts wird als selbstverständlich vorausgesetzt, und kein Scheinglaube ist erforderlich. Es ist einfach ein direkter und bewusster Kontakt mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft im Innern, den ersten Offenbarungen des Licht- und Tonprinzips. Hazur war ein Adept in der Theorie und Praxis des Surat Shabd Yoga. In der Neuzeit ging diese Wissenschaft von Kabir und den Sikh-Gurus aus und kam im Weiteren zu Tulsi Sahib von Hathras und zu Soami Ji, Baba Jaimal Singh Ji, Hazur Sawan Singh Ji; und dieselbe Kraft wirkt nun durch den Lebenden Meister. Es ist Hazurs Göttliche Gnade, dass jeder ohne Ausnahme mit der Inneren Erfahrung von Licht und Ton gesegnet wird. Es ist tatsächlich ein unschätzbares Geschenk.

Guru Nanak sagte, wenn Er davon sprach:

Nanak ist allezeit in einem Zustand ununterbrochener Trunkenheit.

Ich sprach zu euch über Meditation, und die natürliche Frage, die ihr wohl gerne stellen möchtet, ist, worüber man meditieren sollte. Man kann nicht über etwas meditieren, das man nicht gesehen hat. Mit anderen Worten, wie können wir über den abstrakten und Absoluten Gott meditieren? Kontemplation ist eine gefährliche Sache. Wenn man so begünstigt ist, mit einem Vollendeten Meister in Verbindung zu kommen, mag es gut sein. Doch falls euer Lehrer, was Gott verhüten möge, nicht fähig ist, sein Versprechen einzulösen, und ihr über seine Form meditiert, werdet ihr verloren sein. In den ersten Tagen meiner Schülerschaft fragte ich Hazur einmal, worauf man Seine Aufmerksamkeit nach dem Zurückziehen der Sinnesströme richten solle.

Lächelnd antwortete Er:

Gewöhnlich denken wir dauernd an unsere Kinder, Freunde und anderen weltlichen Besitz. Was könnte es dann schaden, einige Zeit über die Gestalt eines Sadh (Meisters) zu meditieren?

Im Gurbani steht:

Gott Selbst kommt in Gestalt eines Sadh.

Nach einiger Zeit, als ich wieder einmal Hazur über Dhyan (Meditation) befragte, erklärte Er einleuchtend:

Wenn der Meister jemanden initiiert, wird Er in Seiner Strahlenden Form ein ständiger Begleiter des Schülers. Du magst, wenn du zur Meditation sitzt, an Seine Gestalt denken oder auch nicht, aber wenn du Innen fortschreitest, begegnest du Ihm dort sicherlich. Der Guru ist schließlich kein Mensch, für den man Ihn gewöhnlich halten mag, sondern viel mehr, denn in Ihm wirkt die Gotteskraft in Fülle, zum Segen der Menschheit. Er wird die von Ihm erwählten Seelen nicht verlassen noch versäumen, bis Er sie heil zur Wahren Heimat Seines Vaters gebracht hat.

Begünstigt sind jene, die den Vorzug hatten, von Hazur Maharaj Ji die Heilige Verbindung oder den Inneren Kontakt zu bekommen. Die Kontemplation über Seine Heilige Form ist alles, was gebraucht wird.

Doch hier stellt sich ein weiteres großes Hindernis ein. Wir können leicht irgendeine menschliche Gestalt wie die unsere betrachten, aber es ist nicht möglich, sich die Gestalt einer voll entwickelten Seele wie der des Meisters vorzustellen, die mit dem Göttlichen Eins ist. Wir mögen versuchen, uns Seine Form innerlich vor Augen zu führen, indem wir an Seinen schneeweißen, wallenden Bart, Sein strahlendes Angesicht, Seinen Turban, Seine hohe stattliche Erscheinung, Seine majestätische Haltung oder irgendetwas anderes denken, was mit Ihm zusammenhängt; es wird jedoch unser eigenes Machwerk sein, nicht die Wahre Form, und ist darum von keinem großen Nutzen. Deshalb empfehle ich niemandem, über irgendeine Gestalt zu meditieren, auch nicht über die des Meisters, sondern geradeaus in den Augenbrennpunkt zu schauen, ganz aufmerksam das zu sehen, was immer ins Blickfeld kommt – Licht oder Dunkelheit – , und geistig die Geladenen Namen sehr, sehr langsam zu wiederholen, es mag in Abständen sein, so dass der Innere Blick nicht gestört wird. Wenn der liebevolle Blick stetig an Stärke zunimmt, wird die Göttliche Gestalt des Meisters (der strahlende Pol, durch den Gott wirkt) von selbst Innen erscheinen und zu bleiben beginnen, zuerst kurz und dann, mit der Entwicklung der Inneren Wahrnehmungskraft, für eine längere Weile.

Bei der Initiation hier in Indien ist es im Allgemeinen so, dass ungefähr 25 bis 30 Prozent der Initiierten die Strahlende Form des Meisters und die von Hazur Maharaj Innen sehen, auch solche, die Ihm niemals zuvor begegnet waren. Das Innere Erscheinen des Meisters möge man deshalb Ihm überlassen. Es ist Seine Sache. Er ist Gott im Menschen und kennt am besten die Ebene, von der aus Er zu wirken hat und wie. Er kann allein kommen oder zusammen mit Seinem Meister oder irgendeiner anderen gütigen Seele, denn Sie alle sind Kinder des Lichts Gottes.

Guru Arjan sagt:

Der Guru Dev (die Strahlende Form des Meisters) hat meine Augen (das Innere Auge) geöffnet, damit ich Sein Licht sehen kann. Ich bin nun nicht länger der Täuschung unterworfen, und all mein Mühen hat ein Ende.

Mit dem Erscheinen der Strahlenden Form des Meisters ist die Hälfte von Bhakti (Hingabe) getan. Wir müssen darum unaufhörlich zu Gott beten, uns zum Göttlichen Pol oder dem lebenden Schalter zu bringen, wo Seine Kraft völlig offenbart ist. Das unwandelbare Gesetz von Bedarf und Versorgung wirkt gleichermaßen auf allen Ebenen. Es ist immer Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen da. Es gibt Beispiele liebevoll ergebener Seelen, die lange bevor sie tatsächlich mit Ihm auf der physischen Ebene in Verbindung kamen, Innere Erfahrung von der Gestalt des Meisters hatten. In Pakistan sind noch viele Menschen, die gewöhnlich die Strahlende Form von Hazur sahen, obwohl sie Ihm niemals vorher begegnet waren. In meinem Fall besuchte mich oft Hazurs Leuchtende Gestalt im Innern, sieben Jahre, ehe ich Ihn schließlich persönlich traf und meine Initiation erhielt.

Ich habe euch dargelegt, dass unsere Gebete aus unserem tiefsten Herzen kommen müssen. Der Gedanke, einen Guru zu haben, gefiel mir ehrlich gesagt nicht, obwohl ich wusste, dass man in der Spiritualität ohne einen Kompetenten Guru nicht vorwärtskommen kann. Ich scheute jedoch die falschen Gurus, von denen die Welt übervoll ist. Aber wie sollte ich einen Wahren Meister finden, wenn es jene in Scharen gab und jeder große Hoffnungen machte und bereit war, einen gegen einen kleinen Betrag zu segnen.

So pflegte ich inständig zu beten:

O Gott, gewähre mir bei meiner Suche Innere Führung.

Meine demütige Bitte wurde erhört; Hazur begann Sich mir zu offenbaren und tat es im Weiteren sieben Jahre lang, bevor ich die eigentliche Initiation erhielt. Ich wusste damals nicht, wer Er war, und glaubte immer, Er sei Guru Nanak. Ich verfasste auch einige Verse zu Seinem Lobpreis.

Ganz besonders liebte ich Flüsse. Wo ich auch immer hinkam, suchte ich einen nahe gelegenen Fluss, um dort einen einsamen Platz für meine Meditation zu finden. Als ich nach Labore ging, war es der Ravi-Fluss; dasselbe war in Jehlum der Fall. Ich saß stundenlang in Gedanken vertieft am Ufer. Bei meinem Aufenthalt in Lahore kam mir die Idee, zum Beas-Fluss zu gehen. So führte mich die Vorliebe für das fließende Wasser nach Beas. Es war ein schöner Sonntagmorgen, als ich einen Zug dorthin nahm. Beim Bahnhofsvorsteher in Beas erkundigte ich mich nach der Lage des Flusses. Zu meiner Verwunderung fragte er mich, ob ich gekommen sei, den Weisen von Beas zu besuchen. Überrascht fragte ich, ob es denn hier einen Weisen gäbe. Er erzählte mir sodann von Hazur. Damit war der Besuch von Beas reichlich belohnt. Es gab mir Gelegenheit, den Beas-Fluss zu sehen und meinem künftigen Meister zu begegnen.

Als ich die Dera, Ansiedlung, erreichte, kannte mein Erstaunen keine Grenzen, in Hazur das Abbild der Strahlenden Gestalt zu erkennen, Die mich all die Jahre in meinen Meditationen besucht hatte. Ich erkundigte mich eindringlich, aus welchem Grund Er unser Zusammentreffen so lange Zeit hinausgezögert habe. Mit einem gütigen Lächeln antwortete Er, dass dies der günstigste Augenblick dafür sei.

Ein Kompetenter Meister offenbart Sich selbst vor der Initiation. Es besteht kaum eine Notwendigkeit, irgendwelche Vorstellungen heraufzubeschwören, während man den Spirituellen Übungen nachgeht. Zur Zeit der Initiation prägt der Meister Sein Bild ein, und Seine Strahlende Form erscheint von selbst, wenn wir völlig in den Augenbrennpunkt hineingelangen. Das Geheimnis des Erfolgs liegt darin, sich ständig im Brennpunkt zu sammeln, und die Wahre Gestalt des Meisters erscheint, ohne dass man darum bittet. Dies ist ein vergleichsweise einfacher Weg und der natürlichste für die Gottverwirklichung. Gurubhakti ist der sicherste Rückweg heim zu Gott, aber er ist gleichzeitig sehr schlüpfrig.

Als Maulana Rumis Ende nahte, sagte Er:

Wenig wisst ihr von dem großen König in mir; seht den strahlenden Glanz in diesem Haus aus Fleisch und Gebein.