Das Leben von Guru Har Gobind

I

Wessen Seele auf Gott abgestimmt ist, Dessen Handlungen, welche immer es sind, finden Gefallen bei Ihm.

Gurji M4, Guru Ram Das

Im Alter von elf Jahren wurde Har Gobind der spirituelle Mantel übergeben, den Sein Vater getragen hatte. Nach der letzten Bestimmung Seines Vaters – und indem sich eine Prophezeiung, die Bhai Budha gemacht hatte, erfüllte – erschien der junge Heilige mit zwei Schwertern im Gürtel und rief Seine Anhänger zu den Waffen. [Es heißt, dass Bhai Budha die Aufgabe übertragen wurde, dem jungen Guru das Schwert anzulegen, aber da er in der Kunst der Kriegsführung unerfahren war, befestigte er das Schwert an der falschen Seite. Er bemerkte seinen Fehler und hatte vor, es an der richtigen Seite anzubringen. Doch Har Gobind wollte nicht, dass sich der Weise selbst korrigieren musste. So ordnete Har Gobind einfach an, Ihm zwei Schwerter zu geben.] Er hatte in frühen Jahren Unterweisungen sowohl in den Heiligen Schriften erhalten als auch in der Kriegskunst. Was Er so rasch aufgenommen und zu einem Teil Seines eigenen Lebens gemacht hatte, begann Har Gobind an andere weiterzugeben. Nicht länger waren Zuwendungen von Nahrung oder Geld von wesentlichem Interesse, vielmehr bat Er um Spenden in Form von Pferden und Waffen. Gegenüber dem Goldenen Tempel baute Er eine Versammlungshalle, genannt „Akal Takht(Thron des Zeitlosen), wo nicht nur spirituelle Angelegenheiten erörtert wurden, sondern ebenso gut politische und soziale. Er baute auch eine große Festung, die „Loh Garh“ (Eisernes Fort) bezeichnet wurde.

Der rasche und radikale Wandel, den Har Gobind herbeiführte, verursachte Verwirrung und Zweifel unter der Anhängerschaft. Einige fürchteten für sich selbst, in dem Wissen, dass der Kaiser einer wachsenden Armee nicht den Rücken kehren würde. Andere stellten die scheinbare Änderung im Vergleich zur Art und Weise der früheren Gurus in Frage. Har Gobind blieb von ihren Zweifeln unberührt und hielt an den Wünschen des Guru fest:

Der Herr, Der alle Herzen sieht, ist mein Beschützer.

Bhano M5

zitierte Er und fügte hinzu:

Im Haus des Meisters sollen Religion und Dienen miteinander verbunden sein – Nahrung für die Armen und Bedürftigen und das Schwert, um die Schwachen zu schützen.

Guru Har Gobind mit einem SchwertMit Seinen eigenen Worten und bedeutungsvoller mit Seinen Taten, zeigte Har Gobind, dass Er keine einzige der Heiligen Verhaltensregeln Seiner Vorgänger überschritten noch Ihren Pfad verlassen hatte. Als Krieger galten Seine Wünsche einzig dem Wohl der Leute, „um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse wiederherzustellen“. Überdies hatte Guru Arjan Selbst viele Soldaten unter Seinen Schülern, die Er in Seinen Dienst nahm. Obwohl Er sie nie in einem aktiven Kampf einsetzte, bereitete Er sie für Seinen Nachfolger vor.

Der Rat, den Er ihnen wiederholt gab, wurde unter Guru Har Gobind praktiziert:

Denkt im Kampf nur an Gott und kämpft nur um der Gerechtigkeit willen, indem ihr die Schwachen und Unterdrückten schützt und die Tyrannen bezwingt.

Da Har Gobind an Macht gewann, bekam es Chandu mehr und mehr mit der Angst zu tun. Nachdem er es nicht vermocht hatte, sich mit dem Guru auszusöhnen, bat er den Kaiser, diesen einzusperren. Als der Kaiser mit Fieber daniederlag, zog Chandu Vorteil daraus. Er verleitete einen Priester, Jahangir zu sagen, dass die Krankheit des Herrschers vergehen würde, wenn ein frommer Mann in das Gefängnis des Kaisers gehe, um Buße zu tun. Als dies der Kaiser vernahm, befahl er, es in die Wege zu leiten, und Chandu ließ Har Gobind zu sich rufen, um seinen Vorsatz zu realisieren.

Da Gott in der Gestalt des Gurus in eine Welt des Elends herabgekommen war, konnten die Menschen aus der Knechtschaft von Gemüt und Materie befreit werden. So ließ Er es auf der Ebene des Menschen zu, hinter Gefängnismauern eingesperrt zu werden, um den dort Leidenden Erleichterung zu bringen. Hier fand Er Menschen, die, obwohl abgemagert und geschwächt, überglücklich waren, den Lebenden Meister zu sehen. Har Gobind nahm die Lasten anderer auf verschiedenen Ebenen auf Sich, um ihre Leiden zu verringern. Die wenigen Annehmlichkeiten, die Er vielleicht hatte, gab Er zugunsten der Bedürftigen auf. Manchmal gab Er sogar Sein Mahl weg, damit andere zu essen hatten. Doch Sein Leben im Gefängnis sollte nicht nur die körperlichen Leiden verringern, sondern auch das Verlangen einer suchenden Seele erfüllen. Der Gefängnisleiter Hari Das hatte sich seit langem den Darshan des Gurus gewünscht, und nun zuletzt wurde sein Herzenswunsch erfüllt, und er widmete sich dem Pfad der Ergebenheit.

Als sich der Kaiser von seinem Fieber erholt hatte, vergaß er den Heiligen Mann, den er eingesperrt hatte, und die Jahre gingen dahin. Eine Gruppe von Schülern bereitete Seine Flucht vor, doch als sie Ihn darüber in Kenntnis setzten, wollte Er es nicht: „Diese Mauern sind mein Schutzwall gegen die unbedeutenden Ansprüche der Welt geworden; hier kann ich meine Zeit der Meditation widmen."

Als viele Jahre vergangen waren und Seine Schüler die Trennung nicht länger ertragen konnten, wurde ein Plan gemacht, der zu Seiner Freilassung führte. Zwei Schüler gebrauchten ihre übernatürlichen Kräfte und verwandelten ihre Gestalt in die von wilden Tieren. Dann schlichen sie spät nachts um den Raum des Kaisers herum, setzten ihm zu und ließen ihn nicht schlafen. Als der Morgen kam, verschwanden sie, und Jahangir suchte erschreckt nach Hilfe. Einer dieser Schüler, Bhai Jetha, kam nun zurück und gab sich als Astrologe aus. Jetha sagte dem Kaiser, dass er die Kraft habe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen, und ihm bei Schwierigkeiten aller Art von Hilfe sein könne. Als der Kaiser von Jethas Fähigkeiten überzeugt war, nahm er ihn in seine Privaträume mit, um seinen Rat einzuholen.

„Ihr habt einen unschuldigen Heiligen Mann eingesperrt“, sagte ihm der Schüler, „sein Name ist Har Gobind, und diese Erscheinungen werden sich fortsetzen, bis Er freigelassen ist“.

Sogleich wurde der Befehl gegeben, Ihn freizulassen, doch wollte der Meister nicht gehen, bis alle anderen Gefangenen ebenfalls frei waren. Es handelte sich bei ihnen um Kriegsgefangene – zum größten Teil Fürsten und Könige – nicht um gemeine Verbrecher. Der Kaiser überdachte es und bot eine andere Möglichkeit an:

„So viele Männer, wie sich an Deinem Hemd festhalten können, mögen mit Dir freigelassen werden.“

Har Gobind war einverstanden und machte dann Sein Hemd so lang, dass sich jeder Gefangene daran festhalten konnte. Auch auf diese Weise wurden viele Gefangene glücklich und erhielten die Möglichkeit, zu ihren Familien zurückzukehren. Doch einem – Hari Das – wurde das Herz schwer, als Sich der geliebte Meister zu gehen anschickte. Seine Tränen flossen reichlich, doch Har Gobind umarmte ihn väterlich und versicherte ihm, dass die Kraft nicht durch Raum oder Zeit begrenzt sei.

Die physische Gegenwart des Meisters – wenngleich ein Segen – ist dennoch etwas Vorübergehendes. Doch spirituell verbunden zu sein, ist ein Unvergänglicher Schatz. Ich bin nie fern von dir, und wenn du dein Gesicht nach Innen wendest, wirst du mich dort sehen.