Das Leben von Guru Teg Bahadur

IV

Die Zeit ging dahin und der Meister war am kaiserlichen Hof nicht erschienen. Aurangzeb befahl Seine Festnahme, und obwohl Er auf dem Weg zum Hof war, wurde Teg Bahadur gefangen genommen und unter Bewachung dem Kaiser vorgeführt. Während ihrer Begegnung setzte der Herrscher alles daran, den Meister zu bereden, dass Er dem Pfad des Propheten folge. Wenn Er dazu nicht bereit sei, solle er ein Wunder tun.

Nach vielen Aufforderungen und Ermahnungen war der Meister schließlich des kaiserlichen Ansinnens überdrüssig:

Wenn euer Prophet nicht alle Menschen in einer Religion vereinen konnte, weshalb glaubt dann Ihr, es zu können?

Das brachte den Kaiser auf; er ließ Teg Bahadur und Seine fünf Ihn begleitenden Schüler ins Gefängnis werfen. Nach einigen Tagen begannen die Folterungen, aber der Meister und Seine Schüler blieben standhaft und unbewegt. Auf die vielen Forderungen des Kaisers sagte Teg Bahadur lediglich, dass Gott, als der Herr aller, jeden Menschen für Seine Taten zur Rechenschaft ziehe.

Einige Schüler näherten sich dem Meister und informierten Ihn, dass sie Vorbereitungen für Seine Flucht getroffen hätten. Einer bat, Er möge Seine spirituellen Kräfte gebrauchen, um die mohammedanische Welt zu zerstören. Alles andere als erfreut darüber, erinnerte sie Teg Bahadur daran, dass Er Sich dieser Sache freiwillig angenommen habe und bereit sei, die Folgen zu tragen. Mit dem bisschen Kraft, das man erlangt habe, ein Wunder zu bewirken, sei mehr als töricht.

[…] Die ganze Welt ist im Spiel ihrer eigenen Wünsche gefangen, doch für einen Schüler ziemt es sich, mit dem Willen Gottes zufrieden zu sein. Ich muss meinen Körper opfern, damit viele andere frei sein können.

Während Er dies sagte, blickte der Meister in die Augen des Schülers, der den Vorschlag gemacht hatte. Um ihn davor zu bewahren, dass er die Frucht all seiner Meditationen vergeudete, nahm Er ihm seine Kräfte.

Alle anderen Methoden hatten versagt und die Geduld des Herrschers ging zu Ende. Er befahl, dass die Schüler Teg Bahadurs vor den Augen des Meisters zu Tode gequält werden sollten. Als man sie zu ihrer Hinrichtung führte, wurde jedem Schüler angeboten, zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: Entweder konnten sie sich zum Islam bekennen und mit der Aussicht auf Wohlstand und Macht hohe kaiserliche Ämter übernehmen, oder sie würden einen schmerzvollen Tod erleiden.

Guru Teg BahadurAlle spotteten über das Angebot des Kaisers. Ungeachtet der Mühen, die ein Mensch im Leben auf sich nehmen muss, fanden jene, deren Herz von den Worten und der Gegenwart des Meisters tief durchdrungen waren, einen freudvollen und dauerhaften Frieden. Und so kam es, dass jeder Schüler in seinem Glauben gänzlich gefestigt und gestärkt wurde. Mati Das war an Säulen gekettet und zur Hälfte durchsägt worden, doch er unterzog sich schweigend und unberührt dieser Marter. Vor seiner Hinrichtung wurde ihm eine letzte Bitte gewährt: 

Ich erbitte nur dies, dass mein Gesicht so gedreht wird, dass ich mit meinem sterbenden Atem den geliebten Meister sehen kann.

Dann wurde sein Bruder Sati Das zur Exekution hereingeführt. Doch ebenso wie sein Bruder blieb er furchtlos, indem er ausrief, dass der Tod willkommen sei, wenn er um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen erlitten würde. Der Kaiser sei es, fuhr er fort, der den Tod fürchten solle, der über seinem Kopf kreise.

Meine Kraft ist erschöpft, ich bin gebunden und ohne Hilfe. Doch der Herr ist meine Zuflucht, sagt Nanak. Er wird mich erretten, wie Er den Elefanten rettete.1

 Lok M9, 53

Die Qualen hielten an, aber der gütige und freudige Geist des Meisters verließ Ihn nie. Als Er allein war, verbrachte Er einen großen Teil Seiner Zeit damit, Hymnen zu schreiben oder zu meditieren.

Auf Seine Bitte um Hilfe antwortete Sein Sohn Gobind Rai:

Dein ist die Stärke; Deine Fesseln sind gelöst. Alle Dinge sind in Deiner Macht. Du Selbst bist Dein eigener Helfer.

Dhora M10

Teg Bahadur war über die Antwort erfreut, und Er wusste, dass Sein Sohn bereit war, das spirituelle Werk weiterzuführen.

Die verbleibenden Schüler wurden vor den Scharfrichter gebracht und zu Tode gequält, was der Meister mit ansehen musste. Aurangzeb wollte nicht länger warten. Wenn der Meister sich weder zum Islam bekehren noch ein Wunder tun wollte, dann war die Zeit Seiner Hinrichtung gekommen. Teg Bahadur hatte seit langem diese festgesetzte Stunde erwartet, und als dann die letzte Botschaft kam, blieb Er unerschrocken.

Zu dieser Zeit erhielt Gurditta, der Sohn Bhai Budhas, die Erlaubnis für einen letzten Besuch bei dem Meister. Doch als sie alleingelassen wurden, wandte sich Teg Bahadur an ihn und hieß ihn zu gehen.

„O Herr“, erwiderte der Sikh, „es gibt nichts, was ich mehr wünsche, als zu den Füßen Dessen zu sterben, Den ich liebe.“ – „Tue, was ich dir sage, doch fürchte dich nicht. Wo einst dein Vater die Pferde meines Vaters weidete, außerhalb der Mauern von Gwalior, dort wirst du diesen Körper verlassen und mich im Jenseits finden.“

Die Wachen betraten die Zelle Teg Bahadurs und führten Ihn vor den Richtblock.

Vom Balkon schrie der Kaiser: „Ein Wunder! Ein Wunder!“, doch der Meister gab darauf die Antwort:

Ihr werdet ein Wunder sehen, wenn ich enthauptet bin: Das Wunder eines Menschen, der sein Leben opfert, damit andere die Freiheit haben, so zu beten, wie sie es wollen. Doch ich habe keine Achtung für diese billigen magischen Tricks, nach denen Ihr ruft. Ich bitte für Euch, dass Ihr erkennt, was Ihr den Menschen und Euch selbst angetan habt. Aber ich werde meinen Weg nicht ändern: Ich werde meinen Kopf opfern, nicht aber meinen Glauben.

Der Befehl für die Exekution kam, und der Meister begegnete furchtlos Seinem Tod. Er ging in Samadhi, als das Schwert Seinen Nacken traf … und im selben Augenblick hörte man überall gellende Rufe und Schreie. Ein fürchterlicher Sandsturm erhob sich und legte sich über die Stadt. Gurditta floh – zuerst nach Anandpur, wo er Gobind Rai erzählte, was sich ereignet hatte. Er überbrachte dem Sangat die Botschaft des Meisters: dass Gobind der Nachfolger des Gurus sei; und dann, indem er sich vor Ihm verneigte, bat er um die Erlaubnis zu gehen. Er eilte nach Gwalior, setzte sich in Meditation und ging in seinen letzten Samadhi ein, um für immer mit dem Strahlenden Meister im Innern vereint zu sein.

In Delhi ergriff ein treu ergebener Sikh, Bhai Jaitha, das abgetrennte Haupt Teg Bahadurs und brachte es zu Gobind Rai, wo es eingeäschert wurde. Doch als sich der Sturm erhob, blieb der Körper, wo er war, und Aurangzeb befahl unter Androhung des Todes, dass niemand ihn berühren solle. Es verging einige Zeit, bevor ein anderer Schüler, Bhai Lakhi, ihn im Dunkel der Nacht aufhob und in sein Haus brachte. Dort äscherte er ihn mit aller Ehrerbietung ein, indem er sein eigenes Haus mit verbrannte, um zu verhindern, dass der Vorfall bekannt würde. Dann ging Bhai Lakhi zu Guru Gobind, um Ihm zu erzählen, was geschehen war. Der Meister erwiderte, dass er eine Schar von Kämpfern aufstellen werde, so kraftvoll, dass es niemand mehr nötig habe, sich selbst oder seinen Glauben zu verbergen.

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Erläuterung: 1) Mythische Erzählung von einem Elefanten, der in einer tödlichen Gefahr an Gott dachte und darum von dem Herrn errettet und erlöst wurde.