Vier Stufen der Liebe

Normalerweise wird Liebe in vier Schritten erschaffen. Die Eigenschaften eines Menschen sind das Resultat seiner Natur, und diese resultieren in Handlungen, welche Einfluss hervorrufen. Auf ähnliche Weise ist die Liebe von vier Arten:

Die eine, welche durch bestimmte Umstände hervorgerufen wird, die mit einem anderen Menschen in Verbindung gebracht werden. So lange wie diese Ursache bestehen bleibt, bleibt auch die Liebe bestehen, aber sie verschwindet, wenn dieser verbindende Faktor beseitigt wird. Es ist wie ein Mensch, der ein batteriebetriebenes elektrisches Gerät in seiner Tasche hat, um ihn warmzuhalten. Solange die Batterie arbeitet, hat er eine Verbindung mit ihr und eine Art Verbundenheit zu ihr; aber sobald die Batterie leer ist oder herausgenommen wurde, verschwindet auch seine Bindung. Das bedeutet, dass er nicht die Batterie geliebt hat, sondern in die Handlung, die durch die Batterie hervorgerufen wurde, verliebt war.

Um ein anderes Beispiel zu geben: Ein Mensch mag ein guter Künstler oder Maler sein. Ein anderer mag ihn lieben, da er in der Lage sein mag, von seiner Kunst Gebrauch zu machen, indem er von ihm ein wunderschönes gemaltes Bild oder ein künstlerisch gestaltetes Buch erhält. Seine Liebe basiert allein auf diesem einen Zweck, und sobald dieser Zweck erfüllt ist, er sein Objekt erlangt hat, ist die Liebe für den Künstler vergangen. Dies zeigt, dass seine Liebe von eigennütziger Natur und nicht für den Maler oder Künstler war.

Die durchschnittliche Art der Liebe in dieser Welt fällt unter diese Kategorie, und ist beendet, sobald das eigene Ziel oder Motiv erfüllt ist.

Eine andere Art der Liebe wird durch eine bestimmte Handlung, die von einem anderen Menschen durchgeführt wird, hervorgerufen. Wenn diese Handlung oder Arbeit beendet ist, verschwindet auch die Liebe. Wir sollten versuchen, dies anhand eines Beispiels zu erklären: Ein Mann mag seine Frau nur für die Erfüllung seiner sinnlichen Wünsche lieben. Sobald seine Wünsche erfüllt sind oder die Frau für diesen Zweck unbrauchbar wird, endet seine Liebe für die Frau und er würde gern in eine neue Beziehung mit jemand anderem eintreten. Dies würde bedeuten, dass seine Liebe durch niedere Wünsche erregt wurde und überhaupt nicht für die Frau war.

In ähnlicher Weise lieben wir einen Diener, wenn dieser gut arbeitet und unseren Befehlen gehorcht. Aber wenn er pensioniert wird oder träge wird, wird er hinausgejagt. Wenn ein Pferd wunderschön ist und einen guten und schnellen Trab hat, lieben wir es. Wenn es schwach wird und alt, versuchen wir, es los zu werden. Ebenso lieben wir einen Ochsen, solange er für uns in unserer landwirtschaftlichen Arbeit von Nutzen ist, aber sobald er alt wird, beseitigen wir ihn. Unsere Liebe ist nicht für den Diener, das Pferd oder den Ochsen, sondern für die Arbeit, die sie für uns verrichten können.

Jemand hat wahrheitsgemäß gesagt,

Wir lieben die Arbeit, die von den Menschen verrichtet wird, aber nicht die Menschen selbst.

Auch im Granth Sahib wird erwähnt:

Ein Mensch der Welt hat viele Freunde, aber die Freundschaften sind alle durch den Wunsch nach materiellen Gewinnen angeregt.

Die dritte Art der Liebe ist jene, welche durch die Eigenschaften eines Objektes oder eines Menschen hervorgerufen wird. Sobald die Eigenschaften beseitigt werden, verschwindet auch die Liebe. Ein Mensch mag ein wunderbarer Sänger sein und mag eine liebliche Stimme haben. Ein anderer liebt Musik, also liebt er auch den Sänger; aber sobald die Stimme oder die Lieblichkeit der Stimme vergangen ist aufgrund von Krankheit oder aus einem anderen Grund, vergeht auch seine Liebe. Ein anderer Mensch wiederum mag gutaussehend oder schön sein, und mag aufgrund dieser Eigenschaft geliebt werden. Aber wenn diese Eigenschaft verschwinden sollte – aufgrund von Krankheit, eines Unfalls oder hohen Alters –, würde auch die Liebe für diesen Menschen verschwinden, weil er allein für diese Eigenschaft geliebt wurde. Normalerweise ist dies der Zustand der Liebe in dieser Welt. Menschen lieben aufgrund von oberflächlicher Schönheit oder äußerlicher Schau. Dies ist keine Wahre Liebe. Liebe, welche durch eine bestimmte Handlung oder aufgrund einer Eigenschaft hervorgerufen wird, ist von einer anfänglichen Entwicklungsstufe, doch selbst diese ist nicht von einem hohen Grad, denn sobald das Werk oder die Handlung verändert wird oder verloren geht, geht auch die Liebe verloren.

Besser als all diese ist die Art der Liebe, welche weder von irgendeinem materiellen Umstand, einer Handlung oder einer Eigenschaft abhängig ist, noch von ihnen hervorgerufen wurde, und somit nicht mit ihnen verschwindet. Wahre Liebe bleibt beständig. Solch eine Liebe wird durch ein Merkzeichen unterschieden. Sie entsteht spontan, ohne irgendeine äußere Ursache. Diese Liebe kommt aus dem Herzen mit starken Strömen und in ihr liegt kein Motiv von Gewinn oder Eigennutz. Dies ist als natürliche Liebe bekannt, und wenn sie einmal erfahren wurde, wird sie zu einem bleibenden Wesensmerkmal.

Solch eine Liebe ist allen anderen Arten überlegen, da sie weder von den Eigenschaften noch von den Handlungen ihres Objektes, noch von seiner vergänglichen Natur abhängig ist. Nicht nur das, sie vergeht nicht einmal nach dem Tode, denn sie geht in die Seele über. Dieses Ausmaß der Liebe ist in den anderen Arten nicht zu finden.

Wenn ein Mensch einen anderen liebt aufgrund einer Art von Umständen oder Eigenschaften, ist die Liebe weit davon entfernt, natürlich oder spontan zu sein. Aber wenn man die natürliche Liebe in sich hat, sind all die anderen Arten in ihr eingeschlossen, und all die Handlungen, Eigenschaften und Tugenden, die dem Geliebten innewohnen, werden auch von dem Liebenden geliebt und bewundert.

Ein Wahrer Liebender wäre bereit sich selbst zur Verteidigung der Schönheit seines Geliebten zu opfern; er wäre hingerissen von der süßen Stimme des Geliebten, und jede Handlung, die von dem Geliebten durchgeführt wird, würde ihn dazu veranlassen, sich zu ergeben. Er wäre selbst darüber erfreut, die Fußabdrücke seines Geliebten zu küssen. Es wird berichtet, dass wo auch immer Laila für gewöhnlich entlang ging, Manu ihr folgen und sich vor jedem Fußabdruck verbeugen würde. 

Wenn jemand einen anderen ohne eigennützige Motive liebt, kümmert er sich nicht um die Eigenschaften des Geliebten und ist immer bereit, den Eigenschaften um der Liebe willen keine Beachtung zu schenken, denn die Eigenschaften haben ohne den Geliebten keine Bedeutung und keinen Wert für ihn. Das Herz eines solchen Menschen wird durch das Licht der Liebe erhellt, und der Geliebte scheint der Mittelpunkt aller Eigenschaften und Anziehungskräfte für ihn zu sein. Er liebt allein um der Liebe willen, und ist nicht abhängig von den Eigenschaften, welche für ihn von keiner Bedeutung sind. Er befasst sich nur mit der Person des Geliebten aber nicht mit seinen Eigenschaften.

Das Vorangegangene ist eine Beschreibung der vier Arten der weltlichen Liebe. Ebenso gibt es vier Arten der Spirituellen Liebe.

Im Allgemeinen lieben die Menschen Gott, weil sie mit Seiner Schöpfung verbunden sind. Er ist der Erhalter des Universums und schaut nach den Sündern wie auch nach den Heiligen. Er gewährt Gesundheit, Kinder und verschiedene andere Gaben und Annehmlichkeiten. Er ist der Vergeber aller Übel. Wenn man Gott lieben würde – nicht für Seine Gaben sondern für die Liebe allein – dann wäre solch eine Art von Liebe sehr hoch.

Eine andere Art von Liebe für Gott ist von beständiger oder dauerhafter Natur, da Gott Selbst dauerhaft ist und Sein Einfluss, Seine Eigenschaften und Seine Handlungen oder Energien auf natürliche Weise gleichbleibend sind.

Doch die Wahre und Wirkliche Art der Liebe für Ihn ist jene, durch welche das Herz zu Ihm ohne eigennützige Motive hingezogen ist. Solch eine Liebe entsteht im Gemüt eines Menschen, welcher frei von Wünschen ist. Ohne irgendeinen ersichtlichen Grund ist die Anziehung da. Sie geht über eine Beschreibung hinaus, und selbst wenn wir versuchen würden, sie zu beschreiben, wäre die Beschreibung unvollständig. Es ist in der Tat nicht möglich, diese erhabene Art der Liebe mit den Einschränkungen der weltlichen Worte und Vorstellungen zu beschreiben.

Wenn du fragen würdest, was Wahre Liebe für Gott ist, und welcher der Weg ist, durch den man zu Ihm hingezogen werden kann, wäre es sehr schwer, eine Antwort in der sterblichen Sprache zu geben. Das Fließen der Tränen aus den Augen enthüllt nicht die Tiefe der Liebe. Des Liebenden Gefühl der Ruhelosigkeit ist kein Anzeichen für die Intensität seiner Liebe. Aber wenn man dem Pfad der Liebe für den Herrn folgte, würde die Seele einen Funken der Flamme dieser Liebe wahrnehmen. Aber den Einfluss, den diese Liebe auf den Menschen ausübt, kann nicht durch den Intellekt beschrieben werden.

Alle Sants lieben Gott um Seinetwillen allein. Ihre Liebe ist sehr verschieden von der Liebe der gewöhnlichen Leute. Wenn die Umstände vorteilhaft sind und man in Annehmlichkeiten des Lebens platziert wird, ist es leicht, Gott zu lieben. Aber die Sants schwanken nicht in Ihrer Liebe zu Ihm, selbst wenn Ihnen die angenehmen Umstände entzogen werden. Sie opfern Ihren Körper, Ihr Gemüt, Ihren Besitz und selbst Ihr Leben dem Herrn zuliebe.

Eigentlich ist Liebe keine Wahre Liebe, wenn sie sich mit Veränderungen in den Umständen ändert, oder angesichts von Widrigkeiten verschwindet. Wahre Liebe ist immerwährend. Sie kann nicht zerstört werden, nicht einmal durch Stürme der Bedrängnis. Solch eine Liebe ist ein Leitstern für die Welt und ihre unwissenden Menschen. Sie kann nicht in Form von Geld geschätzt werden, aber man kann trotzdem in der Lage sein, ihre Größe und Überlegenheit über die gewöhnliche Art wahrzunehmen.

Lieb’ ist nicht Liebe, die Trennung oder Wechsel könnte mindern, die nicht unwandelbar im Wandel bliebe. […] Sie ist ein ewig festes Ziel, das unerschüttert bleibt in Sturm und Wogen. Ein Stern für jeder irren Barke Kiel, kein Höhenmaß hat seinen Werth erwogen.

William Shakespeare
(übersetzt von Friedrich Bodenstedt, 1866)

Ein Liebender schwimmt glücklich im tiefen Meer von Gottes Liebe wie ein Fisch im Wasser. Ein Fisch kann ohne Wasser nicht leben. Die Intensität der Liebe für den Herrn eines Wahren Liebenden ist von solch einer Natur, dass sie in jeder Zelle und Ader seines Körper ist – von Kopf bis Fuß. Er ist immer tief in seiner Liebe für Gott versunken, welche um Gottes willen ist, und welche frei von dem Schmutz aller eigennützigen Wünsche ist.

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Fußnote: