Die Negative Kraft oder Kal

Der Höchste Herr ist selbst-existent und selbst-erhaltend. Er ist die Ursache von allem. Er ist weder real noch nicht real. Er ist jenseits von beidem. Er kann nicht durch Gemüt oder Sprache erreicht werden. Das, was war und ist, ist weder Dunkelheit noch Licht. Es gab eine Bewegung in Ihm, die wir als Welle beschreiben können. Durch diese Welle wurden sowohl der Wahre Herr, Sat Purush, als auch die Negative Kraft, Kal Purush, geboren.

Aus der Negativen Kraft ist die Schöpfung entstanden. Sie hat zwei Kräfte, nämlich die Zeit und den Raum. Diese bilden die Grundlage der Schöpfung. Der Raum hilft bei der Ausbreitung der Schöpfung, und die Zeit bringt immer wieder Veränderungen mit sich.

Der Zyklus der ,Vier-und-achtzigʽ1 steht unter der Negativen Kraft. Alle niederen Regionen wie Brahm Lok (die Region von Brahma), Rudra Lok (die Region von Shankar), Inder Lok (die Region von Indra), Shiv Puri (die Region von Shiva) und Vishnu Puri (die Region von Vishnu), welche die Menschen nach dem Tod zu erreichen versuchen, indem sie verdienstvolle Taten vollbringen, Almosen geben und wohltätig sind usw., stehen unter der Herrschaft von Kal. Diese Regionen sind nicht ewig oder unvergänglich, sondern werden nach einer bestimmten Zeit zerstört.

Die Welt von Indra wird zweifellos enden; die Region von Brahma wird untergehen, die Region von Shiva wird den Tod erleiden; alles, was unter der Herrschaft der dreiköpfigen Maya steht, wird vergehen.

Gauri M5, 237-8

Maya überwältigt die Sphären von Indra, Shiva und Brahma. Aber sie wagt es nicht, ein Auge auf diejenigen zu werfen, welche die Gesellschaft von Sants pflegen, sie wäscht immer deren Füße.

Gujri M5, 500-5

Alle Götter und Göttinnen stehen unter der Kontrolle von Kal.

Alle Götter und Göttinnen werden von Maya verlockt. Ohne Hingabe an den Meister entgeht nicht einer dem Tod.

Gauri M1, 227-4

Während wir in der Sphäre von Kal leben, müssen wir das Gemüt beruhigen und uns mit der vom Meister erhaltenen Kraft des Namens des Herrn über den Herrschaftsbereich von Kal erheben, in die Regionen, in denen sowohl Kal als auch Maya machtlos und unwirksam werden.

Tod und Wiedergeburt treiben das Gemüt in den Wahnsinn; nur der Guru kann es fixieren.2

Suhi M1, 764-15

O Narr, was kann Kal denen antun, die ihr Gemüt beruhigt haben.

Ramkali M1, 908-1

Die Negative Kraft und der Wahre Herr haben ihre eigenen Arbeitsbereiche. Kal erschafft Unterwelten und Oberwelten, erhält sie und zerstört sie dann. Kal umfasst die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die vier Zeitalter oder Yugas sind seine Kreisläufe; und Jahre, Monate, Tage, Stunden und Sekunden sind seine Unterteilungen.

Es gibt eine Geschichte im Mahabharata, in der ein Yaksha (Elementargeist) dem großen Seher Yudhistra mehrere Fragen stellt. Eine davon war,

Was ist das, was wissenswert ist?

Yudhistra antwortete,

Kal kocht alle Menschen im riesigen Kessel der Verhaftung (an seine Welten und ihre Objekte) mit dem Feuer der Sonne und rührt sie mit der Kelle der Monate und der Jahreszeiten um.

Alles vergeht, nachdem die ihm zugewiesene Zeit vorüber ist.

Deshalb hat das Adi Granth Kal als Jam Kal oder ,Tod zur festgesetzten Zeitʽ beschrieben. Die gesamte Welt steht unter der Kontrolle dieser Negativen Kraft. Sie befindet sich vollständig in ihrer Knechtschaft.

Die ganze Welt ist Kal unterworfen.

Gauri M3, 162-12

Die Hauptarbeit der Negativen Kraft besteht darin, niemanden aus ihrem Herrschaftsbereich entkommen zu lassen. Er hat, wie durch Magie und Täuschung, die Kontrolle über alle Lebewesen erlangt. Wir haben unsere ursprüngliche Heimat vergessen und sind nun dazu bestimmt, von Tür zu Tür zu wandern.

Shamas-i-Tabrez sagt:

Umherzuwandern ist unser Schicksal. Wir haben unser Zuhause vergessen. Er ist alt und trügerisch. Er hielt uns durch Betrug und Magie gefangen.

Es gibt noch eine andere Kraft über Kal, die von den Meistern in der Linie von Guru Nanak als Akal bezeichnet wird. Akal bedeutet Ewigkeit, und diese Kraft besitzt die Eigenschaften des ,Ewigen Jetztʽ und der unveränderlichen Beständigkeit. Zeit hat nichts mit ihr zu tun. Sie ist jenseits von Zeit und Raum. Da diese Kraft keine Verbindung mit Kal (Zeit) hat, ist sie jenseits der Zählung von Sekunden, Minuten, Tagen, Jahren und Zeitaltern. Sie alle verschmelzen in Seiner Ewigen Existenz. Wir können uns alle drei Zeitformen in der Existenz von Akal vorstellen.

Ein muslimischer Fakir (heiliger Mann) hat gesagt:

Als Er (Kal) nicht war, war ich.

Kabir Sahib sagt im ,Anurag Sagarʽ, dass die Kraft von Kal von Sat Purush (dem Wahren Wesen) ausging und sich von Sach Khand (der Wahren Region) nach unten ausbreitete. Kal ist es jedoch nicht erlaubt, nach Sach Khand zu gehen. Das bedeutet, dass Kal nicht in die Sphäre von Akal eindringen kann.

Akal ist real. Kal ist lediglich Seine Reflexion. Die Reflexion wird durch das Original aufrechterhalten. So wie der Mond Licht von der Sonne empfängt und von ihr beleuchtet wird, so wird auch Kal von Akal aufrechterhalten. Kal ist ein aktivierter Schatten von Akal. Die Welt wird von Ihm aufrechterhalten.

Die Veden und andere Hindu-Schriften betrachten dieses ,Schattenwesenʽ (Chhaya Purush) als das Alles in Allem und die Höchste Kraft. Von den Heiligen wird sie jedoch als Kal Purush oder die Negative Kraft beschrieben.

Kal wird in den Veden hoch gepriesen. Im neunzehnten Kapitel des Atharva Veda gibt es zwei Verse zum Lob von Kal. Diese werden die Kal-Verse genannt, oder Verse hinsichtlich der Negativen Kraft.

Kal hat das Universum erschaffen; in Kal geht die Sonne auf; alle Geschöpfe leben in Kal.

Sukt 53, Mantra 6

Hymnen haben ihren Ursprung in Kal. Genauso wie die religiösen Riten.

Sukt 54, Mantra 3

Kal hat die Körper aller Lebewesen erschaffen. Und hat sie dann in seinen Herrschaftsbereichen eingesperrt.

Sukt 54, Mantra 4

Sants glauben, dass der Herr oder Meister oder Schöpfer über unbegrenztes Bewusstsein verfügt. Er ist die Positive Kraft. Er ist ein unergründlicher Ozean der Liebe und Glückseligkeit. Er hat viele Kräfte oder Beauftragte, die sich um die Schöpfung und ihre Erhaltung kümmern. Diese werden als Wesenheiten oder Purushas bezeichnet. Der Höchste Herr wird dementsprechend das Höchste Wesen oder Param Purusha genannt. Unter diesen Kräften ist die Negative Kraft oder Kal Purush, welcher der Schöpfer des Universums ist.

Die Zeitdauer seines Universums ist begrenzt, danach muss es die Auflösung erleiden. Daher wird er der Herr der Zeit oder Kal Purush genannt. Er ist der Erhalter aller Welten mit drei Attributen. Es gibt zahllose Universen. Um jedes Universum kümmert sich ein vom Höchsten Wesen ernannter Herrscher. Jeder Herrscher hat drei Kräfte oder Götter – Brahma, den Schöpfer, Vishnu, den Erhalter und Mahesh (Shiva), den Zerstörer. Diese erschaffen, erhalten und zerstören ein Universum. Alle diese Herrscher sind Teile von Kal Purush, der selbst vom zeitlosen Herrn (Akal Purush) erhalten wird. Diese gesamte niedere Schöpfung liegt in der Macht von Kal.

Sowohl Kal als auch Akal wurden vom Höchsten Herrn erschaffen. Die Arbeit der Schöpfung und ihrer Entwicklung wurde ihnen übergeben.

Kal und Akal wurden vom Herrn erschaffen, um diese Welt der Form zu vernichten. O Kabir, nur diejenigen sind am Ende befreit, welche den Schatz des Namens des Herrn in ihrem Herzen haben.

Kabir, Maru 1104-7

Die Heiligen haben den Höchsten Herrn auch als den Höchst Barmherzigen beschrieben.

Er ist der Erhalter der Welt. Höchst wohltätig, weise und barmherzig ist Er.

Gauri M5, Chhand 249-7

Die gleichen Namen kommen auch in den Schriften vieler anderer Sants vor.

Diese Wesen (Purushas) sind beschrieben worden als:

  1. Mahadayal, Dayal and Kal.

  2. Kal, Mahakal, Satya Purush, Swami und Anami.

  3. Dharam Rai, Ram Rai und Hari Rai.

Ebenso in den Schriften vieler Seher und Weisen ist von Kal und Dayal (dem Barmherzigen) oder Akal (dem Zeitlosen) die Rede.

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru in der Linie von Guru Nanak sagte in einer Seiner Hymnen:

Gruß an Akal, Zerstörer des Todes, Zerstörer von Maha Kal (Großer Kal) und der Zerstörer des Herrn der Zeit.

Muslimische Heilige haben Shaitan und Rehman erwähnt, nämlich Satan und den Barmherzigen Herrn. Shaitan ist dasselbe wie Kal und ist, so sagen sie, die Negative Kraft, in deren Sphäre alle drei Welten und Regionen fallen. Der andere, der Barmherzige, ist die Positive Kraft. Er ist die Quelle aller Macht und die Negative Kraft wirkt nach Seinen Anweisungen. Kal (Zeit) kann Akal (Zeitloser) nicht behindern (sich einmischen). Beide sind von der Höchsten Kraft erschaffen worden, die von großen Heiligen unterschiedlich als Khasam (Herr), Maha Dayal (Gnädigster) und Swami (Meister) bezeichnet wurde.

Die Unterscheidung zwischen Kal und Dayal (der Negativen Kraft und dem Barmherzigen Einen) ist sehr schwer zu verstehen und verdient ein sorgfältiges Studium. Die Heiligen weisen darauf hin und Ihre Schriften sollten studiert werden.

Die vergängliche Welt ist allesamt eine Schöpfung von Kal. Aber demjenigen, der Zuflucht zum Herrn nimmt, kann Kal keinen Schaden zufügen. Der Ewige Klang oder die Melodie ist die Manifestation der Positiven Kraft. Indem man sie praktiziert, geht man über die Grenzen von Kal hinaus.

Wo immer es die Melodie des Shabd oder den Tonstrom gibt, kann Kal nicht eingreifen und er hält sich von dort fern.

Der Drache des Todes kann nicht erschlagen werden, außer durch das Wort des Gurus. Dann kommt er nicht in die Nähe. Wenn er das Wort hört, läuft er weit weg, damit der sorgenfreie Herr ihn nicht tötet.

Maru M3, 1054-15

Der Meister ist Selbst Shabd-verkörpert oder ,das fleischgewordene Wortʽ. Durch Hingabe an Ihn kann ein Mensch aus den Fängen von Kal entkommen. Dharam Rai (Kal) dient Ihm dann.

Dharam Rai dient denen:

Die in der Gesellschaft der Heiligen bleiben.

Gauri M5, 271-17

Im letzten Moment des Lebens kommt der Herr des Todes oder Kal nicht, um den Schüler des Wahren Meisters wegzubringen. Der Meister selbst kommt und nimmt die Seele mit Sich. Kal kommt nicht in die Nähe eines Ergebenen.

Diejenigen, die keinem Satguru begegnet sind, befinden sich in der Macht von Kal. Man kann den Klauen von Kal nicht entkommen, außer man dient einem Wahren Meister.

Alle Götter und Göttinnen werden von Maya verlockt. Ohne Hingabe an den Meister entkommt keiner dem Tod.

Gauri M1, 227-4

Kal verlangt von jedem Rechenschaft über alle Handlungen, und in Übereinstimmung mit diesen verteilt er Strafen oder Belohnungen. Rezitationen, Bußübungen, Enthaltsamkeit, Lesen, Schreiben und die drei Gunas (Eigenschaften) fallen alle in seinen Bereich.

Der einzige Weg, sie zu überwinden, ist die Praxis von Shabd-Dhun oder der Göttlichen Melodie und die Zufluchtnahme beim Wahren Meister. Aber es sind nur die überaus begünstigten Wenigen, die beim Meister Zuflucht suchen und so den Fängen von Kal entkommen.

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Fußnote:

1) Das Rad der Wiedergeburt. Vier-und-achtzig steht hierbei für 8 400 000 – die Zahl der verfügbaren Arten, in welche die Seele inkarnieren kann.

Im Jahr 2011 kamen amerikanische und britische Forscher im Rahmen des internationalen Projektes ‚Census of Marine Life‘ zu dem Ergebnis, dass es weltweit rund 8,7 Millionen Arten geben müsse. Dies berichtete das Fachjournal ‚PLoS Biology‘. Mit Hilfe einer neuen Methode der Stammbaumanalyse sei es den Forschern gelungen, bisherige Schätzungen stark einzuschränken. Zwar handelt es sich hierbei noch immer um eine Schätzung, welche von der eigentlichen Anzahl der Spezies um 300 000 abweicht, doch kommen die Wissenschaftler in ihren Forschungen der Wahrheit immer näher.

Die tatsächliche Zahl von 8 400 000 beinhaltet eine Anzahl von astralen oder nicht-physischen Wesen. Dies ist der Ursprung des bekannten Ausdrucks ‚Das Rad der Vier-und-achtzig‘. Die Seele steigt auf, durch die ganze Aufeinanderfolge der Möglichkeiten von Mineralien und Pflanzen, bis hin zum Körper eines menschlichen Wesens; wenn sie ihre menschliche Geburt missbraucht, beginnt sie den Abstieg zurück bis hinunter zum Tiefpunkt, von dem aus sie wieder aufsteigen mag.

Die 8 400 000 Arten wurden geschaffen, da die Menschen Shabd nicht akzeptierten.

(Siehe hierzu den Anurag Sagar von Kabir Sahib in der Edition von Bhai Jamal - ‚II. Die Geschichte der Schöpfung / 4. Die vier Arten des Lebens / Die Wiedererkennung der Seele, welche aus dem menschlichen Körper in den menschlichen Körper kommt – Warum wurden die vier-und-achtzig Lakhs Niederkünfte gemacht?‘)

Die Religionen erklären oft das Gegenteil und behaupten, diese 8 400 000 Arten seien – im Sinne eines stufenweisen Aufstiegs – geschaffen worden, um die Seele voranzubringen. Dies stimmt jedoch nur vom Standpunkt der gefallenen Seele aus, denn die Seelen verfügten zunächst über die menschliche Gestalt. Erst nachdem sie gefallen waren, mussten sie in die eigens dafür geschaffenen nicht-menschlichen Lebensformen inkarnieren.

Hierbei dienen die niederen Lebensformen lediglich dazu, das geschaffene Karma aus dem Depot des Sanchit Karmas abzuleben. Daher können Tiere kein neues Karma schaffen. Auch wenn zum Beispiel eine Katze eine Maus frisst, schafft sie kein neues Karma, sondern lebt lediglich – ebenso wie die Maus – ihr vorhandenes Karma ab.

Der Mensch allerdings kann für gewöhnlich nicht leben, ohne neues Karma – Kriyaman – zu schaffen. Nur wer Naam erhalten hat, kann aus dieser Falle herauskommen. Dafür ist das Spirituelle Tagebuch gedacht.

Siehe hierzu auch ‚Das Mysterium des Todes‘ und ‚Das Rad des Lebens‘, von Kirpal Singh, 1894 –1974.

2) Dies bezieht sich darauf, dass das Gemüt in der Spirituellen Praxis an einem Punkt fixiert werden muss; etwas, was nur der Guru (Shabd, der Tonstrom, ist der eigentliche Guru) vermag.