Herberge des Wahns

II

Zu Lebzeiten von Rishi Bhardwaj kam eines Tages ein Familienvater namens Shonak zu ihm und fragte:

Maharaj, was ist es, wodurch man alles andere erkennen kann?

Der Rishi sah ihn an und stellte fest, dass er eine Familie hatte. Ihr müsst wissen, dass die Familienväter heute ganz anders sind. Zu jener Zeit gründete ein Mann einen Hausstand, nachdem er fünfundzwanzig Jahre Brahmacharya (Keuschheit in Gedanken, Worten und Taten) geübt hatte, in denen er sich umfassende Kenntnis über die Veden und Shastras, die alten Hindu-Schriften, aneignete. Nach fünfundzwanzig Jahren des Lebens in der Familie trat er gemäß den Lehren der Shastras, fern von allem weltlichen Dasein und weltlichen Menschen, in den Vanprastha-Ashrama (Leben der Abgeschiedenheit, das nur der Erkenntnis des Herrn geweiht war) ein. Man kann sagen, dass diese Phase heutzutage eher zu einem Geschäft geworden ist. Jemand liest ein oder zwei Bücher und beginnt dann Vorträge zu halten, schenkt aber dem Inneren Selbst wenig Beachtung. Was kann einer über das Thema sagen, wenn sein Auge nicht geöffnet ist?

Kabir Sahib unterhielt Sich einmal mit einem gelehrten Pandit und sagte schließlich zu ihm:

O Bruder, deine Ansicht und meine Ansicht können niemals übereinstimmen ich sage, was ich sehe, du aber, was geschrieben wurde.

Aus Erfahrung zu sprechen ist etwas ganz anderes. Man kann dadurch, dass man die Darlegungen eines anderen liest, nie völlig überzeugt sein, denn selbst sehen heißt glauben. Gott gab allen Menschen die gleichen Vorrechte, und der einzige Unterschied zwischen einer Meister-Seele und einem gewöhnlichen Menschen besteht darin, dass der Eine in Harmonie ist und der andere nicht. Die verkörperte Seele hat Bewusstsein, denn obwohl sie in dieser physischen Gestalt lebt, ist sie doch wesenseins mit Gott, Der alles Bewusstsein ist. Er ist das Meer, und wir sind die Tropfen, aber unglückseligerweise stehen wir unter dem Einfluss des Gemüts; das Gemüt wiederum wird durch die Sinne angezogen, und die Sinne werden von den weltlichen Freuden gefesselt. Auf diese Weise wurde der Jiva (die verkörperte Seele; die Seele in der Schöpfung) zum Abbild des Körpers und der Welt und ist diesen so sehr gleich geworden, dass er nicht mehr weiß, wer er wirklich ist. Wer sein Selbst vergessen hat, ist von der Erkenntnis des Herrn sehr weit entfernt.

Aus diesem Grunde haben nahezu alle Meister geraten:

Mensch, erkenne dich selbst.

Nanak sagt:

Ohne sich selbst zu erkennen, wird diese Täuschung nie vergehen.

Und wann sieht man, was die Seele ist?

Dann, wenn Sinne und Gemüt ruhig sind und der Verstand schweigt, wird man die Seele erkennen.

Es ist Sache der Seele, den Herrn zu erfahren.

Er kann nicht durch die Sinne, das Gemüt, den Verstand oder die Pranas erkannt werden.

Daran gibt es keinen Zweifel.

Wissen ist gleichsam das Kind aller Bücher und Liebe ihr Ursprung, denn Gott ist Liebe, und die Seele, vom selben Wesen wie der Herr, ist ebenfalls Liebe. Aber was machen wir mit dieser Liebe? Auf der Sinnesebene zerstreuen wir sie in Hunderte und Tausende von Richtungen.

Ein Herz und Millionen Wünsche; darüber hinaus noch mehr Wünsche; wo ist da Platz für Ihn?

Sich von allem anderen zurückzuziehen und an einer Stelle zu konzentrieren wird große Kraft hervorbringen. Hat ein Rohr zehn Löcher und dichtet ihr neun davon ab, wird das Wasser aus dem zehnten geradezu herausschießen. Bisher war unsere Seele unter der Herrschaft des Gemüts; aber indem sie sich den äußeren Einflüssen entzieht und Kraft bekommt, kann sie über das ganze Wesen Kontrolle gewinnen. Bedenkt, Gott ist alle Aufmerksamkeit, und die Seele, da von derselben Natur, ist in einem Miniaturausmaß ebenfalls Aufmerksamkeit. Als diese gesamte Aufmerksamkeit aus Einem vieles werden wollte, entstand die ganze Schöpfung. Auch die Seele hat große Kraft, aber unter dem Einfluss des Gemüts hat sie ihre Aufmerksamkeit hierhin und dorthin zerstreut und sich dadurch selbst geschwächt. Würde sie sich nur von den äußeren Anziehungspunkten zurückziehen, könnte sie zumindest eine Stadt erschaffen. Mit großer Sorge sage ich, dass die Stärke der Seele in so viele Richtungen zerteilt ist.

Darum erklären alle Wahren Meister, dass Gotterkenntnis eine einfache Sache ist.

Was ist es, wodurch man den Herrn erkennt? Verpflanzt lediglich die Aufmerksamkeit von hier nach dort.

Man braucht sich nur zurückzuziehen und die zerstreute Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Wie ihr wisst, werden die Sonnenstrahlen normalerweise nichts verbrennen, aber wenn ihr sie durch eine Konvexlinse lenkt und dadurch sammelt, wird alles, worauf sie fallen, in Flammen aufgehen. Der ganze Zweck dieses Lebens besteht darin, still zu werden – sich von der äußeren Umgebung zurückzuziehen und zu konzentrieren. Ihr habt große Kraft in euch; ihr seid das Kind eines Löwen.

Als nun Rishi Bhardwaj die Frage des Familienvaters Shonak beantwortete, suchte er es auf eine Weise zu tun, die ihm bei der Erfüllung seiner häuslichen Pflichten helfen konnte.

Da er wusste, dass Shonak ein gebildeter Mann war, sagte der Rishi:

Es gibt zwei Arten von Lehren. Die eine wird Apara Vidya genannt und die andere Para Vidya.

Apara Vidya wird aus Büchern, Schriften usw. abgeleitet; es erweckt im Suchenden ein Interesse, das auch zu einer gewissen Ergebenheit führt. Darum werden Bräuche, Riten, Pilgerfahrten, Gebete, das Singen von Hymnen, Almosengeben, Fasten, sich Härten unterziehen und anderes für die Entfaltung von Bhakti (Ergebenheit in Gott) förderlich sein. Das alles ist jedoch nur die Bereitung des Bodens und bringt keine wirkliche Befriedigung, da es weder zur Erlösung noch zu Erkenntnis führt. Alle diese Dinge fallen unter die Kategorie guter Handlungen, und man mag durch sie einen Platz im Himmel erwerben; aber die Seele wird immer wieder zur Erde zurückkehren müssen, da sie alle zur Sinnesebene gehören.

Dies sind die ersten Schritte, die man tun muss, um zum Herrn zu gelangen, so wie ein Kind zur Schule geht und als erstes lernt, einen Griffel zu benutzen. Aber ihr könnt leicht sehen, wie viel solche Handlungen wert sind. Ihr alle habt irgendwann einmal diese Stufen durchlaufen, doch geht nun weiter. Macht den besten Gebrauch des von euch geschaffenen Fundaments; denn dieses allein kann euch nicht zum letzten Ziel bringen, ohne dass ihr euch selbst erkennt. Brüder, zieht euch zurück, werdet euch eures Selbst bewusst, und kommt in Verbindung mit dem Überselbst.

Wie Rishi Bhardwaj dem Familienvater Shonak sagte:

Wenn du dich selbst erkennst, wirst du alles erkennen.