Kirpal Singh

Surat Shabd Yoga

Die beiden Dinge, die sich aus einer Untersuchung der allgemeinen Yogaformen zeigen, welche nach Patanjali entwickelt wurden, sind:

Erstens, dass sich die Seele über das Körperbewusstsein erheben kann, wenn die Mittel gegeben sind, durch die sie ihre Energien im Brennpunkt sammeln kann, ohne zu der mühseligen Kontrolle der Pranas Zuflucht zu nehmen; und zweitens, dass vollkommene Spirituelle Verwirklichung oder echter Samadhi nicht nur eine Sache des Überschreitens des Physischen ist – obgleich dies als erster Schritt notwendig ist –, sondern das Ende einer komplizierten Inneren Reise, bei welcher es viele Zwischenstationen gibt, deren Erreichen unter gewissen Umständen irrtümlicherweise für das letzte Ziel gehalten werden kann, was jeden weiteren Fortschritt ausschließt. Das Problem, das sich für den Wahren Sucher angesichts einer solchen Situation erhebt, ist, andere Hilfsmittel zu entdecken als die der Pranas, des Jnani oder der Hingabe, Bhakti, an einen Isht-deva. Es gilt nicht nur, die Geistesströme von der gegenwärtigen physischen Gebundenheit befreien, sondern auch die Seele in die Lage setzen, unbehindert nach oben und von einer Spirituellen Ebene zur anderen zu gelangen, bis sie alle Bereiche des Relativen, von Naam und Rup, Kal und Maha Kal völlig übersteigt und somit ihr Ziel erreicht: das Einswerden mit dem Namenlosen und Formlosen Einen.

I. Ton-Strom

Es ist im Zusammenhang mit diesem Problem, dass der Surat Shabd Yoga, welcher der Yoga des Himmlischen Tonstromes ist, seine einmalige Bedeutung erhält. Diejenigen, welche diesen Yoga gemeistert haben, lehren, dass das Absolute, obschon in Seinem ursprünglichen Zustand frei von allen Attributen, Sich Selbst in die Form projiziert und zwei erste Attribute annimmt: Licht und Ton. Es ist kein bloßer Zufall, dass in den Offenbarungsschriften aller bedeutenden Religionen häufig Hinweise auf das Wort zu finden sind, welches eine Hauptstellung in ihren Lehren innehat.

So lesen wir im Evangelium:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Johannes 1:1

In den alten indischen Schriften lesen wir wiederholt von Aum, das Heilige Wort, welches die drei Bereiche Bhur, Bhuva und Swah – das Physische, das Astrale und das Kausale – durchdringt.

Guru Nanak sagte:

Die Erde und der Himmel bestehen aus nichts als aus Shabd (dem Wort). Von Shabd alleinig war das Licht geboren, von Shabd alleinig kam die Schöpfung; Shabd ist des Wesens Kern in allem. Shabd ist die anweisende – wirkende Kraft Gottes, die Ursache der ganzen Schöpfung.

Prabhati

Die Moslem Sufis erklärten:

Die Schöpfung kam durch ‚Saut‘ (Ton oder Wort) ins Dasein, und aus ‚Saut‘ ging alles Licht hervor.

Shamas -i-Tabrez

Der Große Name ist das Wesen und das Leben aller Namen und Formen; Seine offenbarte Form erhält die Schöpfung. Er ist das Große Meer, von dem wir allein die Wellen sind. Nur der kann dies fassen, der unsere Wissenschaft gemeistert hat.

Abdul Razaq Kashi

Moses hörte die Gebote Gottes inmitten von Donner und Flamme.

Im Gedankengut von Zoroaster und im Tao gibt es ebenfalls Hinweise auf das Schöpferische Wort, das Göttliche Licht und auf das Wortlose Wort: das verschwiegene Wort.

Einige gelehrte Schüler und Theologen der späteren Zeit haben zufolge ihrer eigenen begrenzten Erfahrung diese Schilderung als biblische Hinweise auf intuitive oder intellektuelle Erleuchtung hingestellt. Aber bei näherer Prüfung erweist sich eine solche Darstellung als unhaltbar.

Den Begriffen Wort und Logos‚ wie sie die Griechen, Hebräer und Europäer angewandt haben, mag die Bedeutung ‚Ursache‘ oder ‚Ordnung‘ aufgezwungen worden sein, und Licht mag auf diese Weise nichts anderes besagen als mentale Erleuchtung, aber ihre Entsprechung in der religiösen Literatur – Nad, Udgit, Akash Bani, Shabd, Naam, Saut, Bang-i-Illahi, Nida-i-Asmani, Sraosha, Tao, und Jyoti, Prakash, Tajalli, Nur-i-Yazdani usw. – weigert sich ein solches Zerrbild für ihre ursprüngliche mystische Bedeutung zu dulden.

Überdies haben einige Seher ihre wirkliche Bedeutung auf eine Weise dargelegt, dass es keinen Spielraum für eine Zweideutigkeit oder auch für einen Zweifel geben kann, nämlich, dass das, was sie in sich schließt, keine bildliche Schilderung von einer gewöhnlichen mentalen Erfahrung ist, vielmehr eine transzendente Innere Wahrnehmung und Erkenntnis.

So finden wir in der Offenbarung:

Seine Augen waren wie eine Feuerflamme […] Seine Stimme wie großes Wasserrauschen […] Sein Angesicht leuchtete wie die helle Sonne […]

Kapitel 1

Und ich hörte eine Stimme vom Himmel als eines großen Wassers und wie eine Stimme eines großen Donners; und die Stimme, die ich hörte, war als der Harfenspieler, die auf ihren Harfen spielen.

Kapitel 14

Und aus den Upanishaden wissen wir:

Zuerst gleichen die brausenden Töne jenen der Meereswogen, dem Fallen des Regens, dem Rauschen des Baches, und dann wird Bheri gehört, untermischt mit den Tönen der Glocke und der Muschel.

Nad Bind Upanishade

Der Prophet Mohammed hörte eine Himmlische Musik, die allmählich die Gestalt von Gabriel annahm und sich in Worte formte; wohingegen Baha Ullah erklärte:

Myriaden von mystischen Zungen finden Ausdruck in einer Sprache, und Myriaden Seiner verborgenen Mysterien werden in einer einzigen Melodie enthüllt: aber leider gibt es kein Ohr, das ihr lauscht, kein Herz, das Sie versteht.

Blind sind deine Augen, dass du mögest schauen Meine Schönheit; verstopfe deine Ohren, damit du die süße Melodie Meiner Stimme hören kannst.

Diese Hinweise auf Licht und Ton sind nach den Meistern des Surat Shabd Yoga nicht bildlich, sondern buchstäblich zu nehmen; und sie beziehen sich nicht auf die äußere Beleuchtung oder die Töne dieser Welt, vielmehr auf die Inneren transzendenten. Dieser transzendente Ton und dieses transzendente Licht, lehren Sie, sind die ersten Offenbarungen Gottes, wenn Er Sich in die Schöpfung hineinprojiziert. In Seinem namenlosen Zustand ist Er weder Licht noch Dunkelheit, weder Ton noch Stille, aber wenn Er Form und Gestalt annimmt, erheben sich Licht und Ton als Seine ersten Attribute.

Diese Geisteskraft – Wort, Naam, Kalma – oder der waltende Gott ist für alles, was ist, verantwortlich. Doch die physischen Universen, die wir kennen, sind nicht die einzigen, die Sie hervorgebracht hat.

Sie hat Myriaden Regionen und Myriaden Schöpfungen ins Leben gerufen. In der Tat ist das Ganze eine großartige, unergründliche, grenzenlose Gestaltung, in welchem der positive Pol – Sach Khand oder Sat Lok – durch eine Ebene aus reinem unvermischten Geist gebildet ist, während der negative, Pind, aus grober, physischer Materie besteht, mit der wir in dieser Welt vertraut sind. Dazwischen liegen unzählige Regionen, welche diejenigen, welche von einem Ende zum anderen gelangt sind, oftmals in drei unterschiedliche Ebenen aufteilen, welche ihrem eigenen besonderen Ausgleich von positiv-spirituellen und negativ-materiellen Kräften entspricht.

Die Meister lehren, dass das eine dauerhafte Prinzip, welches alle diese Ebenen aus reinem Geist bis zur groben Materie verbindet, das Prinzip des flammenden Tones oder der tönenden Flamme ist.

Das Wort oder Shabd mag während Seines Abstiegs eine unterschiedliche Dichtigkeit von spirituell-materiellen Kräften annehmen – die Mystiker sprechen von purpurnem Licht, von Mittagslicht oder von dem der untergehenden Sonne und sie beziehen sich auf den Ton von Flöten, Harfen, Violinen, Muschelhörnern, Donner, Glocken, fließendem Wasser etc., aber obgleich Er sich auf den verschiedenen Ebenen unterschiedlich offenbart, bleibt Er dennoch in sich selbst unverändert.

Ein Strom, der auf den schneeigen Gipfeln gewaltiger Berge entspringt, erfährt während seines Laufes zum Meer viele Veränderungen, die der Richtung, der Form, der Bewegung und Erscheinung, aber sein Wasser bleibt das gleiche.

Könnte man diesen hörbaren Lebensstrom in sich selbst entdecken, könnte man Seine untersten Enden finden, so könnte man Ihn als einen Pfad benutzen, der unweigerlich zu seiner Quelle führt. Die Ströme mögen an bestimmten Stellen in Schluchten und Stromschnellen hineinkommen, aber sie sind nichtsdestoweniger der sicherste Weg für die Aufwärtsreise. Mag eine Bergkette auch noch so unwegsam sein, so schneiden die Wasser doch einen Pfad und bahnen einen Durchgang, und einer, der sich ihre Führung zunutze macht, findet immer den Weg. Und seit dieses Naam oder der Wort-Strom aus Anaami oder dem Wortlosen hervorgegangen ist, wird der, welcher sich daran festhält, in jedem Fall zum Ausgangspunkt gelangen, wenn Er eine Ebene variierender Bedingtheit nach der anderen durchmisst, bis Er am Ursprung von Name und Form ankommt und sich mit dem verschmelzt, das weder Name noch Form hat.

II. Die Ecksteine

Der Tonstrom bietet dem Menschen zweifellos den sichersten Weg, um von der Form zum Formlosen zu gelangen; aber die Frage, die sich da erhebt, ist: Wie kann sich der Mensch Zugang zu Ihm verschaffen, um auf diese Weise seine Innere Reise zu beenden? Jene, Welche auf diesem Pfad kundig sind, sagen immer, dass es drei Bedingungen gibt, die erfüllt werden müssen, bevor man in diesem echtesten und eigentlichen Yoga Erfolg haben kann:

(i) Satguru

Die erste Bedingung ist, dass man einen Satguru oder Wahren Lehrer findet, Der ein Adept in dieser mystischen Wissenschaft ist. Sie ist eine Sache der praktischen Selbstverwirklichung und nicht die einer philosophischen Erörterung oder einer intuitiven Empfindung. Wenn es eine der bloßen Theorie wäre, dann würden Bücher und Schriften genug sein für unseren Zweck, und wenn es eine der bloßen Empfindung sein würde, dann könnte jeder einfach auf die Eingebungen seines Gemüts bauen. Aber das Problem, das vor uns liegt ist, dass wir einen sechsten Sinn erschließen müssen, den der direkten transzendenten Wahrnehmung, des Inneren Hörens und Sehens. Dies jedoch kann nicht lediglich durch das Lesen von Büchern kommen. Wenn einer blind und taub geboren ist, kann er mittels der Blindenschrift die ausführlichsten Erklärungen über des Menschen Reichtum und der verschiedenen Erfahrungen des Hörens und Sehens lesen, aber sein Studium kann ihm niemals die direkte Erfahrung einbringen. Er kann durch die Bücher höchstens eine Vorstellung von einer umfassenden Erfahrungsebene bekommen, die ihm völlig unbekannt ist, und dies kann in ihm den inneren Drang erzeugen, Mittel und Wege zu finden, durch die er seine körperlichen Beschränkungen überwinden kann. Allein der erfahrene Arzt oder Chirurg kann Heilung bringen, vorausgesetzt, dass seine Krankheit überhaupt heilbar ist. Fällt er einem Scharlatan in die Hände, wird sein Zustand nur schlimmer und noch mehr kompliziert.

Gleicherweise muss der Aspirant, welcher Innere Spirituelle Meisterschaft sucht, nach der Hilfe eines Solchen Ausschau halten, Der den Weg bereits kennt. Alles Lesen der Schriften, all sein Überlegen, kann ihn bestenfalls – wenn er für das darin Enthaltene empfänglich ist – zu dem einzigen Schluss bringen: der Notwendigkeit eines Lebenden Meisters. Ohne einen Solchen kann er nicht einmal die wahre Bedeutung der offenbarten Schriften verstehen. Sie sprechen von Erlebnissen, die über seiner Erfahrungsebene liegen, und wenn sie seine Sprache gebrauchen, können sie nur in Bildern und Gleichnissen sprechen; denn wie könnte die Redeweise des Blinden das Geschehene direkt ausdrücken? Zu versuchen, das reiche Spirituelle Erbgut unseres religiösen Schrifttums völlig in Begriffen, die unserer begrenzten Erfahrung entsprechen, zu erklären, kann nur zu einer Verzerrung und Verdrehung ihres wirklichen Sinnes führen.

Wir können viel an psychologischer Weisheit anhäufen, aber die Innere Bedeutung geht uns verloren, und unser ganzes verstandesmäßiges Theoretisieren kann uns lediglich in endlose theologische Widersprüche bringen, mit denen die verschiedenen institutionellen Religionen heutzutage überladen sind.

Nur Einer, Der Selbst erfahren hat, was die großen Schriften beschreiben, vermag uns den wirklichen Sinn zu vermitteln. Aber die Aufgabe eines Spirituellen Lehrers hört hier nicht auf. Die Aufklärung über die wahre Bedeutung der Religion ist nur ein erster Schritt. Nachdem der Aspirant die Wahre Natur seines Zieles verstanden hat, muss er es praktisch und vernunftmäßig verfolgen. Etwas zu erkennen ist die eine Seite und es zu tun eine ganz andere. Erst wenn dem Aspiranten das Ziel, welches es zu erreichen gilt, erklärt ist, beginnt des Meisters Aufgabe. Es ist nicht genug damit, dass ein Arzt die Ursache der Krankheit des Blinden erkennt und bestimmt, er muss auch die Operation vornehmen. So gibt der Spirituelle Führer dem Schüler bei der Initiation eine Ersthand-Erfahrung des Inneren Lichts und des Inneren Tones.

Er bringt ihn in Verbindung mit dem Göttlichen Strom – und sei es an Seinem untersten Ende, und unterweist ihn im Spirituellen Sadhan, Übung‚ welchem er nachkommen muss, um diese Innere Erfahrung in vollem Umfang zu festigen und zu entwickeln.

Wer einen solchen Lehrer findet, ist wahrhaftig gesegnet. Aber Ihn ausfindig zu machen und von Ihm initiiert zu werden, ist nicht genug. Die noch im Keimen begriffene Spirituelle Erfahrung, die Er gibt, muss genährt und zur vollen Spirituellen Blüte entwickelt werden. Um dazu imstande zu sein, muss man das, was man hört, aufnehmen und versuchen, es in die Praxis umzusetzen. Einen solchen Menschen zu kennen, heißt Ihn zu lieben und Ihn zu lieben heißt, Seine Gebote zu halten. Solange man nicht lieben, gehorchen und sein Leben umformen kann, bleibt die Gabe des Meisters wie eine in der Stahlkammer verschlossene Saat, die nicht gedeihen und zur Frucht gebracht werden kann.

(ii) Sadachar

Es ist die Notwendigkeit für Selbstdisziplin, die Sadachar zum zweiten Eckstein der Lehre macht. Das Wort Sadachar ist nicht leicht zu übersetzen. Es gibt zwar viele buchstäbliche Entsprechungen, aber keine von ihnen bringt seine ausgedehnte und vielseitige Bedeutung wirklich zum Ausdruck. Kurz gesagt bezieht es sich auf ein gutes Leben. Es schließt keine strengen Gesetze oder festgelegte moralische Vorschriften ein, legt aber Reinheit und Einfachheit nahe, die sich von Innen her strahlend nach außen verbreitet und alles Tun, jedes Wort und jeden Gedanken durchdringt. Es bezieht sich ebenso auf die persönlichen Gewohnheiten, ob gut und hygienisch, wie auch auf die individuellen und sozialen Sitten. Auf seiner ethischen Seite bezieht es sich nicht allein auf den Umgang mit den Mitmenschen, sondern mit allem, was lebt, das heißt der Harmonie, was die Folge der Erkenntnis ist, dass alles gleichen Wesens ist und darum genau so einen Teil des Brahman bildet wie der mächtigste der Gottheiten, Indra.

Die erste Lektion, die von einem Wahren Meister gegeben wird, ist die von der Gleichheit des Wesenskerns; derjenige, welcher diese Wahrheit begriffen hat, wird sein Leben dementsprechend führen. Er wird nicht die Beute seiner zügellosen Wünsche sein; sein einziges Ziel wird sein, den Ruhepunkt zu erreichen, der alles Tun in sich schließt, den Punkt, wo nichts zu haben ebenso viel heißt, wie alles besitzen. Er wird dann wissen, dass der einzige Weg der Erfüllung durch Verzicht kommt, und der einzige Weg, um den Allmächtigen zu erreichen dadurch, dass man sich aller anderen Bindungen entledigt:

Um dahin zu kommen, Freude in allem zu finden, wünsche Freude in nichts zu haben. Um dazu zu kommen, alles zu besitzen, wünsche nichts zu besitzen. Um dahin zu gelangen, alles zu sein, wünsche nichts zu sein.

Johannes vom Kreuz

Reinige dein Herzenskämmerlein, damit der Geliebte Einzug halten kann.

Tulsi Sahib

Wo nichts ist, da ist Gott.

W.B. Yeats

Befreit vom Dämon des Wunsches (kama) wird er frei vom Dämon des Zornes (krodh), welcher dem vereitelten Wunsche folgt. Von diesen losgekommen, wird er auch von Gier (lobh), Verhaftetsein (moha) und Stolz (ahankar) frei, die nur Ausweitungen des Wunsches sind.

Er würde ein von allem losgelöstes Leben führen (nishkama). Diese Loslösung würde jedoch für ihn nicht ein gleichgültiges Leben oder eines des asketischen Verzichts bedeuten. Alles Leben zu erkennen heißt, zwischen sich und der übrigen Schöpfung ein neues Band zu finden. Einer, der dieses kennt, kann einfach nicht gleichgültig sein. Er muss zwangsläufig bis zum Überfließen von Sympathie für alles, das ihm begegnet, erfüllt sein und Sympathie für das Ganze muss einen gewissen Heiligen Gleichmut dem Teil gegenüber enthalten. Er wird nicht weiter nur an seinen eigenen engen persönlichen Interessen festhalten, vielmehr seine Liebe und Hilfe allen zukommen lassen. Er wird langsam aber sicher etwas vom Mitleid des Buddha und von der Liebe Christi entwickeln. Er wird sich nicht veranlasst fühlen die Welt zu verlassen, um in die Einsamkeit der Wälder und Berge oder in eine Wüste zu gehen.

Die Loslösung muss eine Innen sein und einer, der sie nicht zu Hause erlangen kann, wird sie auch nicht in den Wäldern erreichen. Er wird den großen Nutzen gelegentlichen Zurückziehens von den weltlichen Angelegenheiten und Sorgen in die Stille einer einsamen Konzentration und Meditation erkennen, aber er wird nicht versuchen, dem Leben und seinen Verpflichtungen zu entgehen. Er wird ein liebevoller Ehemann und ein guter Vater sein, aber er wird dabei niemals den eigentlichen Zweck des Lebens vergessen und immer dem Kaiser geben, was des Kaisers ist und für Gott bewahren, was Gott gehört. Er wird auch wissen, dass er nicht dadurch über den Wunsch hinausgelangt, wenn er ihn unterdrückt, sondern indem er ihm entsprechend begegnet und ihn überwindet. Für ihn ist Sanyasa nicht eine Sache äußeren Ausweichens oder Entkommens, vielmehr eine der Inneren Freiheit, ein Begriff, den Guru Nanak sehr gut zum Ausdruck gebracht hat, als Er sagte:

Möge Genügsamkeit euer Ohrring sein und Streben nach dem Göttlichen und Achtung für das höhere Selbst euer Beutel. Ständige Meditation über Ihn sei eure Asche. Bereitschaft für den Tod soll euer Umhang sein, und euer Körper sei wie eine reine Jungfrau. Eures Meisters Lehren mögen der Stab sein, der euch stützt. […]

Jap Ji, Strophe 28

Die beiden Haupttugenden, die ein solcher Mensch pflegt, sind Nächstenliebe und Keuschheit. Er hat ein weites Herz und ist freigebig, und mehr um die Leiden anderer besorgt als um seine eigenen, und so wird es ihm nie schwer fallen, denen zu vergeben, die ihm Unrecht getan haben. Er wird einfach und zurückhaltend sein; er braucht wenig und ist leicht zufriedengestellt; denn einer, der zu viele Wünsche hat und an zu vielen Dingen haftet, kann nicht reinen Herzens sein. Seine Reinheit wird sich sogar soweit ausdehnen, dass er Fleisch und Alkohol meidet. Denn wenn alles Leben nur eines ist, hieße es, sich selbst zu verunreinigen, wenn man sich vom Fleisch anderer Lebewesen nährt. Und wenn es des Menschen Ziel ist, Bewusstseinsbereiche zu erlangen, die höher liegen als seine gegenwärtigen, bedeutet seine Zuflucht zu Narkotika und berauschenden Getränken, einen Rückschritt heraufzubeschwören. Es ist nicht eine besondere Eigenheit indischer Seher, dass sie die Enthaltsamkeit von Fleisch und Alkohol zu einem notwendigen Teil der Spirituellen Schulung gemacht haben. Der Koran und die Bibel schärfen Ähnliches ein.

So finden wir im 5. Buch Moses:

[…] auf dass die Trunkenen mit den Durstigen dahinfahren. […] Da wird der Herr dem nicht gnädig sein […] und der Herr wird seinen Namen austilgen unter dem Himmel.

5. Mose 29:18-20

Und in Römer:

Es ist besser, du essest kein Fleisch und trinkest keinen Wein und tuest nichts, daran sich dein Bruder stößet oder ärgert oder schwach wird.

Römer 14:21

Und im 1. Korinther:

Die (Fleisch)-Speise dem Bauche und der Bauch der (Fleisch)-Speise; aber Gott wird diesen und jene zunichte machen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn und der Herr dem Leibe.

1. Korinther 6:13

Im Essäischen Johannes-Evangelium – der direkten Übertragung aus dem Aramäischen, mit den reinen und ursprünglichen Worten Jesu – lesen wir:

Aber sie antworteten ihm:

Wohin sollen wir gehen, Meister […] denn bei Dir sind die Worte des Ewigen Lebens. Sage uns welches sind die Sünden, die wir meiden müssen, damit wir nie mehr Krankheit sehen werden?

Jesus entgegnete:

Es geschehe nach eurem Glauben.

und Er setzte Sich in ihre Mitte und sprach:

Denen der alten Zeit wurde gesagt:

Ehret euren Himmlischen Vater und eure irdische Mutter und erfüllet ihre Gebote, damit ihr lange lebet auf Erden.

Und nach diesem wurde folgendes Gebot gegeben:

Du sollst nicht töten,

denn das Leben ist allen von Gott gegeben: und was Gott gegeben hat, soll der Mensch nicht wegnehmen. Denn ich sage euch, wahrlich, von einer Mutter stammt alles, was auf Erden lebt. Darum: Der, welcher tötet, tötet seinen Bruder. Und von ihm wird sich die irdische Mutter abwenden und ihm ihre erquickenden Brüste wegnehmen. Und er wird von ihren Engeln gemieden werden und Satan wird in seinem Körper Wohnung nehmen. Und das Fleisch der geschlachteten Tiere in seinem Körper wird zu seinem eigenen Grab werden. Denn ich sage euch, wahrlich, der, welcher tötet, tötet sich selbst und wer das Fleisch der geschlachteten Tiere isst, isst vom Körper des Todes. Und ihr Tod wird sein Tod werden. Denn der Sünde Sold ist der Tod. Tötet nicht, noch esset von dem Fleisch eurer unschuldigen Beute, damit ihr nicht Sklaven des Satans werdet. Denn dieser ist der Weg der Leiden und er führt zum Tod. Tut aber den Willen Gottes, damit euch Seine Engel dienen mögen auf dem Lebensweg. Hört darum auf die Worte Gottes:

Sehet da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen zu eurer Speise. Und allem Tier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel, und allem Gewürm, das da lebet auf Erden, dass sie allerlei grün Kraut essen. Auch die Milch von allerlei Getier, das sich bewegt und lebt auf der Erde, soll euch zur Speise sein; genau wie Ich das grüne Kraut auch ihnen gegeben habe, so gebe Ich euch ihre Milch. Aber Fleisch und das Blut, das es belebt, sollt ihr nicht essen.

Und Jesus fuhr fort:

Gott gebot euren Ahnen ‚Du sollst nicht töten!‘ Aber ihre Herzen waren verhärtet und sie töteten. Danach wollte Moses, dass sie wenigstens nicht Menschen töten sollten, und er erlaubte ihnen, Tiere zu töten. Und dann war das Herz eurer Vorväter noch mehr verhärtet und sie töteten Menschen und Tiere gleicherweise. Aber ich sage euch: ‚Tötet weder Menschen noch Tiere, noch was ihr sonst als Speise nehmt. Denn wenn ihr lebende Speise nehmt, dieselbe wird euch erquicken; aber wenn ihr getötete Speise nehmt, wird die tote Speise auch euch töten. Denn Leben kommt nur von Leben und vom Tod kommt immer nur der Tod. Und was eure Speise tötet, tötet auch euren Körper. Und was euren Körper tötet, tötet auch eure Seele. Und euer Körper wird zu dem, was eure Speise ist; genau wie euer Geist das wird, was eure Gedanken sind.‘

Zusammen mit der Reinheit in Speise und Getränk geht eine andere Art der Reinheit, jene, die sich auf das Geschlecht bezieht. Ein ergebener Schüler wird nicht all sein sexuelles Verlangen unterdrücken, denn dies kann nur eine Neurose erzeugen und den Weg für einen Sturz bereiten; so wird er immer versuchen, es zu veredeln. Er wird verstehen, dass es, was diesen Trieb anbelangt, die Absicht der Natur ist, die Rasse zu erhalten, und er wird ihn so lenken, dass diese Absicht erfüllt wird und macht ihn niemals zu einem Selbstzweck, das heißt zu einer Quelle physischer Freude, denn wenn es dazu kommt, wird er zu einem Rauschgift, das den Geist betäubt und die Zeugung, die von der Natur beabsichtigt ist, vereitelt; darüber hinaus unterstützt er die Erfindung empfängnisverhütender Mittel, indem er sie gebraucht.

Kurzum, der aufrichtige und gewissenhafte Aspirant wird seine ganze Lebensweise neu ordnen: Essen und Trinken, Denken, Handeln und Empfinden etc. Er wird nach und nach alle nebensächlichen und ungesunden Wünsche seines Gemüts ausrotten, bis er allmählich den Stand der Reinheit und Einfachheit erlangt, der dem Kinde zu eigen ist, denn

Wahrlich, ich sage euch: Es sei dann, dass ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.

Matthäus 18:3

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Anmerkung: Auszug aus ‚Die Krone des Lebens – Teil II, Kapitel I, I–II‘ (Fortsetzung folgt.)