Meine Initiation

von L. Gurney Parrott

Weihnachten 1966. Als ich durch Bombay fuhr, um die Initiation vom Meister zu erhalten, zog die Morgendämmerung herauf und hoch über der rosafarbigen Flut des kommenden Tages stand der Morgenstern. Darunter befand sich ein gewaltiges erleuchtetes Kreuz an einem versteckten Haus.

Der Stern im Osten – das Kreuz – die Morgendämmerung. Ich war durchdrungen von den Symbolen des Himmels. Woran lag es, dass alles gänzlich übereinstimmte? Ich wollte die vernunftgemäße Seite der Dinge nicht beachten, aber freudig die Spirituelle Bedeutung dieses wunderbaren Morgenhimmels als eine glückliche Vorbedeutung nehmen.

Wir versammelten uns, wie vorher, in zwei verschiedenen Meditationssitzungen. Die erste für das Sehen und die zweite für das Hören. In Seiner kurzen Unterweisung sagte uns der Meister, dass für den Blick nach Innen am Tag vorher die Meisterkraft uns die Erfahrung gab und nicht unsere eigenen Anstrengungen. Diesmal jedoch würde die Meisterkraft zurückgehalten werden und was immer wir erhalten würden, wäre entsprechend der Empfänglichkeit der einzelnen Seele und dem Grad der Spirituellen Entwicklung.

Ich will die Wahrheit bezeugen und nur in diesem Sinne schreibe ich nieder, dass ich nochmals das Heilige Licht erblickte und den Heiligen Ton hörte.

Es ist eine praktische Sache der Selbsterkenntnis und tatsächliche Erfahrung, die durch den Meister jedem Einzelnen zur Zeit der Initiation gewährt wird‚ wie der Meister betont:

Wenn die Seele das Körperbewusstsein übersteigt, leuchtet sie auf in ihrer ursprünglichen Reinheit, kommt zum kosmischen Bewusstsein und fühlt gleichsam das Aufblühen des Mikrokosmos in den Makrokosmos, was ‘Dwa–janma‘ oder die ‘zweite Geburt‘ genannt wird, das heißt die Geburt des Geistes zum Unterschied von der Geburt des Fleisches.

In den Evangelien heißt es:

Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Die Größe des Meisters liegt nicht darin, dass Er dich lehrt, wie du Gebete hersagen oder wie du gewisse Bräuche und Riten verrichten sollst - jeder kann nach etwas Übung Unterricht geben - aber durch die Tatsache, dass Er fähig ist, dir eine Meditation zu ermöglichen, in der deine Seele zuerst vom Äußeren zurückgezogen wird und sich dann über die Sinne erhebt, dein Inneres Auge geöffnet wird und du das Licht Gottes siehst und dein Inneres Ohr geöffnet wird und du die Stimme Gottes hörst, überzeugst du dich selbst davon, dass es so ist, wie der Meister sagt.

Ich will nicht versuchen, die frohe Dankbarkeit, die Gelassenheit und den Frieden zu übermitteln, die aus dieser tiefgründigen Erfahrung resultieren, die noch in mir ist.

Als ich mich von ihm verabschiedete, sagte der Meister mit Seinem wie immer unbeirrbaren Gefühl für das rechte Wort: ‚Du hast eine Gabe bekommen, geh‘ und gebrauche sie.’

Als ich den Meister davon in Kenntnis setzte, dass ich daran dachte, Indien im Oktober 1967 wieder zu besuchen, lud Er mich wärmstens ein, zum Ashram zu kommen. Das erfreute mich, denn der Hauptgrund meines Wunsches, nach Indien zu gehen, war, wieder bei Ihm zu sein und Gelegenheit zu haben, Ihn bei der Arbeit in Seiner eigenen Umgebung in Delhi zu beobachten, abgesehen von dem Spirituellen Nutzen, den ich erhalten würde. Das war eine wunderbare Aussicht.

Am Montag, dem 30. Oktober, war ich auf dem Wege zum Ashram, in der Annahme, dass mein Besuch am folgenden Freitag erwartet würde, da der Meister, so verstand ich, nicht vor Samstag oder Sonntag zurück sein würde. Als ich jedoch den Ashram betrat, war zu meiner Überraschung und Freude die erste Person, die ich sah, der Meister, Der die Veranda seines Bungalows durchquerte, um zu mir zu kommen. Er hieß mich warm willkommen, führte mich in einen großen Empfangsraum und bestellte Tee und Früchte. Er plauderte eine halbe Stunde mit mir und beantwortete meine Fragen, dann brachte er mich zu einem Inneren Raum zur Meditation während er sich anderen Angelegenheiten widmete. Er fand jedoch noch Zeit, um in Abständen zurückzukommen und zu sehen, wie es mir geht. So ist Seine Höflichkeit und die Aufmerksamkeit bis ins Einzelne. Er versäumt nichts an einem Tag, vollgestopft mit einer Betriebsamkeit, die einen normalen Menschen erschrecken würde.

Der Tag beginnt um 4 Uhr morgens, wenn der Ashram durch einen kräftigen Gongschlag geweckt wird, zur persönlichen Meditation im eigenen Zimmer, dann Bad und Frühstück gegen 7 Uhr. Versammlung in einem großen Gebäude draußen zu des Meisters täglicher Spiritueller Rede etwa um 9.15 Uhr. Es gibt keine Hymnen oder Gebete oder andere Rituale, jedoch manchmal Verse aus dem Holy Granth oder aus Schriften von früheren Heiligen durch einen Vortragenden, und der Meister erklärt sie und legt sie aus. Er sitzt auf einem erhöhten Sitz. Er spricht im Gesprächston in Mikrophone, Verstärker und Tonbandgeräte ohne Notizen, direkt aus dem Herzen. Da gibt es keine Rhetorik, keine Gesten, kein Zögern, kein Wenn und Aber. Er übersetzt Hindi in Englisch an manchen Stellen, zum besseren Verständnis Seiner ausländischen Zuhörer und fasst am Ende immer alles in Englisch zusammen.

Wenn der Meister danach zu seinem Bungalow zurückgeht, wird Er durch eine große Menge belagert und Er bleibt dann und wann stehen, um ihre Fragen zu beantworten. Es ist fesselnd zu sehen, wie Er Seine volle Konzentration jedem zuwendet, zu dem Er spricht, indem Er kurze und bündige Sätze gebraucht, die größte Wirkung bei einem Minimum an Worten erzeugend, präzise, genau. Er bewegt sich leicht und elastisch und schließlich kommt Er zum Bungalow zurück, um eine weitere geduldig in der Veranda wartende Menge vorzufinden, denen er dieselbe sorgfältige Führung gibt. Dann betritt er den großen Empfangsraum und findet dort eine andere Gruppe einschließlich einiger Ausländer. Eine andere anstrengende Sitzung, in der er sich mit den tiefsinnigsten Fragen oder persönlichen Schwierigkeiten dieser oder jener Art, ohne im Geringsten zu zögern, beschäftigt. Manchmal herrscht nur Schweigen, wenn sein Blick andere Welten zu durchforschen scheint, in der seine Zuhörerschaft große Spirituelle Kraft aufnimmt.

Eines der interessantesten und seltsamsten Dinge, die mehr als einer von uns wahrnahm, war, dass man entfernt vom Meister über verschiedene Dinge nachdenkt, über die man Ihn befragen will und später feststellt, dass Er sie entweder beantwortet bevor man sie gestellt hat oder die Antwort kommt aus einem selbst.

Diese Dinge ereignen sich fast den ganzen Tag. Ständig gehen Leute aus und ein oder warten geduldig draußen vor dem Tor, nur um Ihn zu sehen, aber immerfort geht Er hinaus und gibt ihnen Seinen Segen.

Am Montag, der dem ersten Sonntag im Monat folgt, hält der Meister Initiation und am 5. November war ich wirklich Zeuge der außergewöhnlichsten und anspruchsvollsten Feierlichkeit der Welt. Etwa 200 Aspiranten - die Zahl ist geschätzt – versammelten sich und saßen von 7 bis 9 Uhr im Freien zur Meditation, ihre Umgebung vergessend. Allein sie zu sehen war eine Spirituelle Lehre für sich und wo sonst in der Welt konnte man etwas derartiges sehen?

Um 9.15 Uhr setzten sie sich in den Schuppen, die Männer auf eine Seite und die Frauen auf die andere. Der Meister kam ohne die geringste Förmlichkeit herein, nahm seinen Platz ein und teilte ihnen kurz mit, was sie tun sollten, nämlich ruhig und ausgeglichen zu sitzen, die Gedanken nach Innen zu wenden und den Inneren Blick auf einen Punkt zwischen den beiden Augenbrauen zu richten – dem Sitz der Seele – und ihren Körper und die äußere Welt zu vergessen. Als die Meditation zu Ende war, bat der Meister erst die Männer und dann die Frauen, sich zu erheben, wenn sie nichts gesehen hatten. Ungefähr ein Dutzend tat es. Es wurde ihnen gesagt, sie möchten sich für eine oder mehrere Meditationen nach draußen setzen, bis sie etwas gesehen hatten - denn niemand wird leer weggeschickt. Es gibt fünf verschiedene Grade Spiritueller Erfahrung, entsprechend den fünf Inneren Spirituellen Ebenen und jede wird durch ein bestimmtes Symbol dargestellt, welches durch die Innere Spirituelle Kraft gesehen wird. Der Meister bat dann diejenigen, welche die Symbole, die Er beschrieben hatte, gesehen hatten, aufzustehen, mit der höchsten Ebene beginnend. Ungefähr sechs Männer standen auf und wurden aufgeschrieben und so weiter bis herunter zu den niedrigsten in zunehmendem Maße, der Mehrzahl, die sich natürlich in der untersten Kategorie befand.

Abgesehen von der Unmöglichkeit, den Meister zu täuschen, Der auf einen Blick den Spirituellen Stand eines Menschen sehen kann, beziehen sich diese Grade auf den Zustand des Seins, der Bewusstheit und nicht auf Glauben oder Verstand und kann daher nicht imitiert oder angenommen werden. Danach folgte eine zweite Meditation für den Tonstrom in der selben Art und Weise.

Um das Glück und den Frieden zu beschreiben, der einen Ort wie den Ashram durchdringt, der eine Schule der Spiritualität ist, fehlt meiner Feder die Kraft, es zu beschreiben.

Hier ist ein Meister, Der in der Praxis Hunderten von Menschen die Wahrheiten der Heiligen Schriften der Welt beweist. Die Berichte der früheren Meister und Heiligen, die bisher eher abstrakt schienen und durch die Unwissenheit Jahrhunderte verborgen waren und die besonders in dieser modernen wissenschaftlichen Zeit unanwendbar scheinen, beginnen zu leben und erlangen Bedeutung. Er erklärt die Theorie der Spiritualität und ist kompetent, ihr wirkliche Erfahrung zu verleihen. Ist das nicht wirklich eine erstmalige und herausfordernde Sache für jene, die die Religion verneinen und keine Achtung  vor diesen großen Söhnen Gottes haben?

Eine persönliche Bemerkung, bevor ich zum Ende komme: Der Meister, so sage ich, vernachlässigt nichts. Still und ohne Hast, unter höchstem Befehl, jedoch ohne zu befehlen, bewältigt Er eine ungeheure Menge Arbeit an einem sehr langen Tag. Sogar die Haushaltsrechnungen, die Ihm jeden Tag gebracht werden, werden von Ihm überprüft.

Eines Morgens, als ich befürchtete, zu spät zu meiner Verabredung mit dem Meister zu kommen, ging ich zu Ihm, ohne dass ich gefrühstückt hatte. Seine allerersten Worte waren: Hast du gegessen? Bei meinem Geständnis, dass ich es nicht getan hatte, sagte Er: Das ist nicht gut, du musst essen! Aber es blieb nicht nur bei einer höflichen Nachfrage, sondern Er bestellte mir sofort Kaffee und Früchte und wie dankbar war ich, etwas zu bekommen, denn ich war sehr hungrig!

So ist Seine Fürsorge für die Bequemlichkeit und das Wohlergehen Seiner Kinder, Seine Aufmerksamkeit bis ins Einzelne. Aber das Größte ist die subtile Spirituelle Kraft, die Er ausstrahlt. Ist es da ein Wunder, dass Er geliebt und verehrt wird?