Weltgemeinschaft der Religionen

Der Mensch muss sich selbst wiederentdecken, denn er lebt, bewegt sich und hat sein Wahres Sein in der Wahrheit, der unwandelbaren Dauer, mit den dreifachen Attributen der Liebe, des Lichtes und des Lebens, die beständig wie ein Leuchtturm in den turbulenten Wassern des Lebens scheinen. All dies ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern tatsächlich innerhalb der Reichweite von allen, und wer tief unter die Oberfläche seines Wesens bis zu seinem Zentrum tauchen kann, der umfasst die Ganzheit des Seins und gelangt zu dem unschätzbaren Juwel einer Seele. Wenn einer dieses gefunden hat, bleibt nichts mehr, das gefunden werden müsste, denn wer das Menschliche in sich selbst erfasst, versteht die ganze Menschheit. Dies ist die eine große Wahrheit, auf die alle unsere Bemühungen ausgerichtet sind, und für welche die Weltgemeinschaft der Religionen einsteht. Mit diesen Worten hat Kirpal Singh, Präsident der WGR, seit ihrem Anfang im Jahre 1957, Seine inspirierende Botschaft auf der zweiten Regional-Konferenz der Weltreligionen beendet, die in Teheran am 10. Juni 1967 abgehalten wurde.

Die Weltgemeinschaft der Religionen ist im Jahre 1967 in der historischen Hauptstadt Delhi gegründet worden als ein Ergebnis von Überlegungen während der ersten Konferenz der Weltreligionen, und sie hat sich ihren Weg gebahnt, um Zentren in den verschiedenen Teilen der Welt zu errichten und Unterstützung von hohen Würdenträgern in allen Bereichen des Lebens zu gewinnen.

Wir würden gut daran tun, einen Moment inne zu halten und über die chaotischen Verhältnisse nachzusinnen, die allgemein vorherrschen, trotz unserer lauten Bekenntnisse bezüglich erhabener Ideale und hitziger Proteste gegen Ungerechtigkeiten, Tyrannei und Unterdrückung von Mensch gegen Mensch und Gruppe gegen Gruppe. Diese Verhältnisse zerreißen das soziale Leben des Landes und gefährden die friedliche Koexistenz unter den Völkern der Erde. Ziele und Mittel, daran sei erinnert, gehen Hand in Hand. Sie können nicht getrennt und einzeln und für sich behandelt werden. Ohne rechtschaffene Mittel können wir rechtschaffene Ziele nicht erreichen. Das Ziel heiligt die Mittel ist eine falsche Vorstellung.

Der Mensch ist von Natur aus ein selbstsüchtiges Wesen und lebt daher stets in einem Zustand der Furcht und findet sich daher, wohl oder übel, in Kampf verwickelt. Es ist ein Kampf einer gegen alle und alle gegen einen, da er nicht bereit ist, sich mit der Vorstellung abzufinden; dass er nur ein Glied, aber nicht ein isoliertes Glied, in der einen großen  Familie der Menschen ist, die aus einer Höchsten Quelle hervorgeht: dem Vater-Gott von uns allen. Dies ist die eine Wahrheit, die alle Religionen lehren und allein durch die Verwirklichung dieser fundamentalen Wahrheit können wir den Himmel auf die Erde bringen, um den wir die ganze Zeit so glühend bitten, und zu unserer großen Enttäuschung  sehen wir ihn immer weiter zurückweichen, je mehr wir uns bemühen, ihn zu erreichen. Es ist wirklich ein großes Paradox, ein Rätsel des Lebens, von dessen richtiger Lösung des Wohlergehen des Staates, des Landes und der ganzen Welt abhängt.

Immer wieder sind lobenswerte Bemühungen unternommen worden, um die verschiedenen Nationen in den seidenen Banden der Liebe, Freundschaft und Eintracht zu verknüpfen. Die Folge des Ersten Weltkrieges war die Gründung des Völkerbundes und des Zweiten die Gründung der Organisation der Vereinten Nationen, mit einem weiten und ausgedehnten Gebiet der Zusammenarbeit in Dingen wie Rechtspflege, Gesundheitswesen, Kultur, Wirtschaft, Finanzwesen usw., und vor allem, um einen Krieg unter den Mitgliedstaaten zu verhindern. Inwieweit die eine Organisation Erfolg hatte bei ihren Bemühungen, haben wir schon gesehen und wieweit die zweite es haben wird, wird allein die Zeit zeigen. Niemand kann leugnen, dass es gigantische Bemühungen sind, und wir wünschen ihnen alles Gute, weil sie darauf abzielen, dem Wohlergehen der Völker der Welt zu dienen.

Der Wahre Grund der sozialen Zerrüttung liegt jedoch sehr tief im menschlichen Gemüt, zu tief, als dass das Messer des Chirurgen es erreichen und die Granaten und Geschosse der Wissenschaftler es zerstören können. Die Staatsregierungen mögen in einem gewissen Ausmaß durch gesetzgeberische Maßnahmen und Durchführungsbestimmungen und mit der Hilfe von Polizei und Armee die physischen Schritte ihrer Untertanen überwachen, aber sie können nicht die Gefühle und Empfindungen der Menschen rein waschen, noch können sie deren Verständnis verbessern und ihre Gedanken korrigieren. Allein aus der Überfülle des Herzens entspringen alle unsere Handlungen. Außer wir erhalten eine rechte Führung in den Werten des Lebens, die höheren Spirituellen Werte meine ich, so können wir nicht recht denken und handeln. Gott ist langmütig und, wie der reiche Mann aus dem Gleichnis, wartet Er geduldig, bis Sein verlorener Sohn wohlbehalten zu seiner Heimstatt zurückkehrt nach einem langen Aufenthalt in der Wildnis der Welt, die als eine Schule der Besserung dient. Er ist nicht weit entfernt von uns. Der Prophet hat erklärt:

Allah ist uns näher als unsere Halsader.

Und wiederum:

Wahrlich, wir sind für Gott und wir werden wahrlich zu Ihm zurückkehren.

Wenn dies der Fall ist, so erhebt sich natürlich die Frage, warum wir Ihn nicht sehen und Sein Wirken verstehen. Es ist deswegen, weil wir Ihn im Äußeren suchen, während Er Innen ist – wie der blinde Mann, der seine Nadel auf der Straße sucht, während er sie tatsächlich in seinem eigenen Haus verloren hat.

Wie beklagenswert ist es, dass wir in unserem eigenen Hause den Herrn des Hauses verloren haben, sagt ein persisches Sprichwort. Es ist der Grund dieses Vergessens der Wahrheiten des Lebens, dass alle Dinge kopfüber-kopfunter liegen und wir wie kleine Kinder, die sich im Walde verlaufen haben, stets nach einem Ausweg herumsuchen. Maulana Rumi ermahnt uns deswegen:

Diese Welt ist wie ein Gefängnis, und wir sind alle Gefangene darin. Durchbrich das Dach deiner Zelle und befreie so dein Selbst! Gott schuf den Menschen und der Mensch schuf die Religionen als ein Mittel, sich selbst mit Gott zu verbinden. Jede Religion hat eine wesentliche Wahrheit in ihrem Kern, denn andernfalls könnte keine Religion für längere Zeit bestehen. Aber die grundlegenden religiösen Wahrheiten sind jetzt vom Staub der Zeit verkrustet und liegen unter dem schweren Gewicht eines Wortschwalls begraben, der an die altertümliche Sprache der damaligen Zeit und der Menschen gebunden ist, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Landstrichen in der Vergangenheit lebten, und die ihre eigenen völkischen Traditionen besaßen, die ganz verschieden sind von jenen, die heutzutage vorherrschen. Trotz all dieser Abweichungen in sprachlicher Ausschmückung sind die vielen Symbole, die wir um uns herum sehen, in ihrem wesentlichen Gehalt, den sie offenbaren, ähnlich, wenn wir nur wüssten, wie sie korrekt zu entziffern sind. Mit diesem Ziel ist die Weltgemeinschaft der Religionen entstanden, so dass Vertreter von verschiedenen Religionen ein gemeinsames Forum hätten, um Schulter an Schulter zusammenzusitzen, in dem ehrlichen Versuch, die Einheitlichkeit des menschlichen Lebens zu erkennen, in dem sich drehenden Panorama von offenbar verschiedenen Formen und Arten des Lebens und Denkens, die heimlich an den lebenswichtigen Teilen der sozialen Ordnung nagen, der wir angehören.

Der Mensch ist der erste und letzte in Gottes Schöpfung. Er ist die größte Schöpfung Gottes. In ihrer Konstitution sind alle Menschen gleich geschaffen, sowohl im inneren und auch äußeren Aufbau. Gleicherweise Sind alle der Krankheit, dem Verfall und dem Tod unterworfen, soweit es den äußeren Menschen aus Fleisch und Knochen betrifft. Und wiederum sind wir alle, außer dass wir unserer Erscheinung nach Menschen sind, auch in unseren Gefühlen und Empfindungen Menschen, da wir beseelte Wesen oder verkörperte Seelen sind und als solche sind wir auf dieser Ebene eins. Zuletzt, aber nicht zum wenigsten, sind wir eins auf der Spirituellen Ebene, da ebenso die Seele in uns allen eins ist und vom selben Wesen wie die Gottes ist. Da dies so ist, sind wir alle Verehrer des gleichen Gottes, der Eins ist ohne ein Zweites.

Es gibt keinen Gott außer Gott ist, was alle Propheten einstimmig verkündet haben, und ein Pfad zu Ihm kann durch ein Leben der Rechtschaffenheit und Enthaltsamkeit erreicht werden. Wie es auch vorgeschrieben ist durch Shariat oder die Regeln des sozialen und moralischen Verhaltens, und die durch alle Gesetzgeber der Welt im Wesentlichen ebenfalls als dieselben gegeben wurden, von prähistorischer Zeit bis heute. Ethisches Leben ist daher ein Schrittsein zur Spiritualität und es umfasst in seiner Reichweite Göttliche Eigenschaften wie Reinheit, Licht, Nichtschädigen, Wahrhaftigkeit, Enthaltsamkeit, selbstloses Dienen und Opfer. Dies bildet den ersten Schritt und schließt alle Arten der Rituale ein wie Fasten und Nachtwachen, Pilgerfahrten, Almosen und dergleichen. Soweit ist es gut, aber es ist sicherlich nicht genug.

Als nächstes kommen wir zu dem Kern der Lehren, wie sie von allen Weltlehrern verkündet wurden, von Zoroaster, den Rishis der Veden, Moses, Buddha, Mahavira, Shankara, Christus, Mohammed, Kabir und Nanak. Alle stimmen bezüglich des Wesens der Gottheit überein. Der absolute Gott ist eine Abstraktion, etwas Unvorstellbares, das niemand gesehen hat und niemals jemand sehen kann. Ferner gibt es die sich zum Ausdruck bringende Gotteskraft und sie ist verschiedentlich durch Weise und Seher beschrieben worden als der Vater des Lichtes, Noorar-al Noor, Swayam, Jyoti, der inmitten von Donner und Blitz spricht und von oben kommt, als Akashvani oder Bangi-Asmani, Sant oder Kalam-i-Qadeem, Sruti oder Sraosha, Naam oder Naad, Musik der Sphären usw. Diese Worte sind nicht nur bildlich gemeint, wie viele Leute meinen, sondern sie sind im Wesentlichen und Charakter wahr. Die Begründer aller Religionen vermitteln einen direkten Kontakt des Lichtes und Tones Gottes an ihren engsten Schülerkreis und ermahnten sie, diese zu entwickeln, um Wahre Heilige im wirklichen Sinne des Wortes zu werden. Das ist das große Fundament, wo sich alle Religionen treffen und auf dem sie stehen. Es ist die Grundlage, die wir uns durch ein praktisches Studium der verschiedenen Schriften klar machen müssen, denn sie alle lehren im wesentlichen die grundlegende Wahrheit von der Einheit Gottes und der rettenden Lebensschnur, mit denen jeder Mensch ausgestattet ist, als dem Rückweg Seiner Kinder zu Seinem Ewigen Wohnsitz. Der Mensch muss sich selbst wiederentdecken, denn er lebt, bewegt sich und hat sein Wahres Sein in der Wahrheit, der unwandelbaren Dauer, mit den dreifachen Attributen der Liebe, des Lichtes und des Lebens, die beständig wie ein Leuchtturm in den turbulenten Wassern des Lebens scheinen. All dies ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern tatsächlich innerhalb der Reichweite von allen, und wer tiefer unter die Oberfläche seines Wassers tauchen kann, bis zum Zentrum seines Wesens, der umfasst die Ganzheit des Seins und gelangt zu dem unschätzbaren Kronjuwel seiner Seele. Wenn einer dies gefunden hat, bleibt nichts mehr, das gefunden werden müsste, denn wer das Menschliche in sich selbst erfasst, versteht die ganze Menschheit.
 
Dies ist die eine große Wahrheit, auf die alle unsere Bemühungen ausgerichtet sind, und um deretwillen die Weltgemeinschaft der Religionen besteht. Alle Religionen stimmen darin überein, dass Leben, Licht und Liebe die drei Erscheinungsformen des Höchsten Ursprungs von allem sind was existiert. Diese wesentlichen Attribute der Gottheit, die EINE ist, obwohl durch die Propheten und Menschen der Welt verschieden bezeichnet, sind auch in die Urform jedes empfindenden Wesens eingewirkt. Es ist dieses weite Meer von Liebe, Licht und Leben, in dem wir leben, unser Wahres Sein haben und uns bewegen; und dennoch, so befremdlich es auch scheinen mag, kennen wir, wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, diese Wahrheit nicht und noch weniger praktizieren wir sie in unserem täglichen Leben. Daher die endlose Furcht, Hilflosigkeit und Not, die wir um uns herum in der Welt sehen, trotz all unserer löblichen Anstrengungen und ernsthaften Bemühungen, davon frei zu werden. Die Liebe ist der einzige Prüfstein, mit dem wir unser Verstehen der beiden Prinzipien des Lebens und Lichtes in uns messen können, und auch wie weit wir auf dem Pfad der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis bereits gekommen sind. Gott ist Liebe, und die Seele im Menschen ist ein Funken dieser Liebe, und Liebe ist wiederum das Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen einerseits und zwischen dem Menschen und Gottes Schöpfung andererseits. Darum ist gesagt: 

Wer nicht liebt, kennet Gott nicht; denn Gott ist Liebe.

Ähnlich sagt Guru Gobind Singh:

Wahrlich ich sage dir, dass allein derjenige, dessen Herz von Liebe überfließt, Gott finden wird.

Liebe ist kurzum die Erfüllung des Gesetzes des Lebens und des Lichtes. Alle Propheten, alle Religionen und alle Schriften fußen auf zwei Geboten: Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Gemüt. 

Dies ist das erste und größte Gebot. Und das zweite ist dem gleich: 

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Über unsere Einstellung unseren Feinden gegenüber befragt sagte Christus:

Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen; wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel, Darum sollt ihr vollkommen sein wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Lasst uns mit dem Maßstab der Liebe, dem Wahren Wesen von Gottes Sein, unsere Herzen prüfen. Ist unser Leben ein Aufblühen von Gottes Liebe? Sind wir bereit, einander in Liebe zu dienen? Halten wir unsere Herzen für die gesunden Einflüsse geöffnet, die von außen kommen? Sind wir geduldig und tolerant gegenüber denen, die anders sind als wir? Dehnen sich unsere Herzen aus mit der Schöpfung Gottes, bereit, die Gesamtheit seines Seins zu umfassen? Bluten wir innerlich beim Anblick der Niedergeschlagenen und Bedrückten? Beten wir für die kranke und leidende Menschheit? Wenn wir nichts von alledem tun, sind wir noch weit entfernt von Gott und von der Religion, ganz gleich, wie laut wir in unserer Rede, wie fromm in unseren Plattheiten und wie hochtrabend in unseren Erklärungen sein mögen. Bei all unserem inneren Verlangen nach Frieden haben wir versagt und hoffnungslos versäumt, der Sache von Gottes Frieden auf Erden zu dienen. Ziele und Mittel sind ineinandergreifende Dinge und können nicht voneinander getrennt werden. Wir können keinen Frieden haben, solange  wir ihn mit kriegsähnlichen Mitteln und mit Waffen der Zerstörung und Vernichtung zu erreichen suchen. Mit dem Keim des Hasses in unseren Herzen, Rassen- und Farbenschranken nagen in uns; Gedanken politischer Vorherrschaft und wirtschaftlicher Ausbeutung branden in unserem Blutstrom, arbeiten wir am Untergang des sozialen Gefüges, das wir so mühsam aufgebaut haben, und nicht für den Frieden, es sei denn, den Frieden des Grabes; jedoch nicht für einen lebendigen Frieden, der aus gegenseitiger Liebe und Achtung geboren wurde. Vertrauen und Eintracht können die Menschheit bessern und die Erde in ein Paradies verwandeln, um das wir so inbrünstig beten und das wir von Kanzeln und Rednerbühnen predigen, das aber doch im Maße unseres Fortschritts in den fernen Horizont zurückweicht.

Wo liegt dann das Heilmittel? Ist die Krankheit denn ganz unheilbar? Nein, so ist es nicht.

Das Leben und das Licht Gottes sind noch da, um uns zu helfen und in der Wildnis zu führen. Wir sehen diese Wildnis rund um uns her, weil wir im Innersten unseres Herzens verwirrt sind und die Dinge nicht in ihrer richtigen Perspektive sehen. Die große äußere Welt ist nichts als eine Widerspiegelung unserer eigenen kleinen Welt innen. Die Saaten der Uneinigkeit und Disharmonie im Boden unseres Gemüts tragen Frucht in und um uns, und dies in Fülle. Wir sind, was wir denken, und wir sehen die Welt durch die rauchgeschwärzten Gläser, die zu tragen wir gewählt haben. Es ist nur der einzig positive Beweis dafür, dass wir bisher das Leben und Licht Gottes noch nicht erkannt und noch weniger Gott im Menschen verwirklicht haben. Wir haben uns im Spiel des Lebens vom Zentrum entfernt. Wir spielen nur an der Peripherie und sind niemals in die tiefsten Wasser des Lebens an seinem Zentrum eingetaucht. Aus diesem Grunde finden wir uns im Strudel des wirbelnden Wassers dauernd an der Oberfläche gehalten. In der Tat ist das Leben an der Peripherie unseres Seins nicht verschieden vom Leben am Zentrum unseres Seins. Die beiden sind in Wirklichkeit identisch, sehen jedoch verschieden aus, wenn das eine vom anderen getrennt ist. Daher das befremdende Paradox: das physische Leben, obwohl eine Offenbarung Gottes, ist voller Mühe und Unruhe, Sturm und Ungestüm, Zerstreuung und Zerrissenheit. In unserer Begeisterung und dem Hunger nach dem äußeren Leben auf dem Sinnesplan sind wir zu weit von unserer Mitte abgeirrt, nein, wir haben sie gänzlich aus den Augen verloren und, noch schlimmer, wir haben die Verankerungen unseres Schiffes abgeschnitten, und so ist es kein Wunder, dass wir auf dem Meer des Lebens hilflos hin- und hergeworfen werden. Ohne Steuer und Kompass, der uns den Kurs anzeigt, sind wir unwissentlich eine Beute von Wind und Wasser und können nicht die Untiefen, Sandbänke und versunkenen Felsen sehen, mit denen unser Weg übersät ist. In dieser  schrecklichen Notlage treiben wir auf dem dahinstürmenden Strom des Lebens – Wohin? Wir wissen es nicht.

Nach alledem ist diese Welt nicht so schlecht, wie wir annehmen und kann es nicht sein. Sie ist eine Offenbarung des Lebensprinzips des Schöpfers und wird durch Sein Licht erhalten. Seine Liebe ist die Grundlage von allem. Alles, was wir tun müssen, ist, die grundlegenden Lebenswahrheiten richtig zu lernen und zu verstehen, die in unseren Schriften dargelegt sind, und sie unter der Führung eines in Gott lebenden Heiligen gewissenhaft zu praktizieren. Diese Schriften sind durch Gott-inspirierte Propheten entstanden und darum können sie uns von einem Gott-berauschten Menschen oder einem Gottmenschen genau ausgelegt werden; Er kann uns, indem Er die anscheinenden Widersprüche in ihrem Gedankengut in Einklang bringt, in ihre Wahre Bedeutung einweihen und ohne eine solche praktische Führung außen und innen sind wir in dem magischen Zauber von Formen und Meinungen gefangen und können unmöglich die esoterischen Wahrheiten erreichen, die unter der Masse des Wortschwalles vergangener Epochen liegen und sich nun im Verlaufe der Zeit infolge genau geregelter Formen, Formeln und Formalitäten der herrschenden Klasse, zu Versteinerungen verdichtet haben.

Jede Religion hat notgedrungen einen dreifachen Aspekt:
 

• erstens den traditionellen, der die Mythen und Legenden für die Laienbrüder enthält;

• zweitens die auf den Verstand basierenden philosophischen Abhandlungen, um den Hunger der Intellektuellen zu befriedigen, die sich mehr mit dem Warum und Wofür der Dinge beschäftigen, als mit irgendetwas anderem, dabei einen großen Nachdruck auf die Theorie der Sache legen und die ethische Entwicklung,  die  so sehr wichtig für das Spirituelle Wachstum ist, betonen;

• und drittens den esoterischen Teil, den zentralen Kern in jeder Religion, der für die wenigen Erwählten, die echten Wahrheitssucher, bestimmt ist. Dieser letzte Teil befasst sich mit den persönlichen mystischen Erfahrungen der Gründer jeder Religion und anderer fortgeschrittener Seelen. Dieser Teil, der Mystizismus genannt wird, ist der Kern aller Religionen, der erforscht und für die Praxis und Erfahrung im Herzen verwahrt werden muss.

Diese Inneren Erfahrungen aller Weisen und Seher sind seit undenklichen Zeiten die gleichen, ungeachtet der religiösen Gemeinschaften, zu welchen sie gehörten, und handeln hauptsächlich vom Licht und Leben Gottes – gleichgültig auf welcher Ebene – und die Methoden und Mittel zum Erreichen direkter Ergebnisse sind ebenso die gleichen. Religiöse Erfahrung, sagt Plotin, liegt im Finden der Wahren Heimat durch das Exil, womit er die Pilgerseele meint, für die das Reich Gottes augenblicklich nur eine verlorene Provinz ist. Ähnlich sagt uns Bergson, ein anderer großer Philosoph: 

Der sicherste Weg zur Wahrheit ist der über Wahrnehmung, Intuition und Schlussfolgerung bis zu einem gewissen Punkt, und dann, indem man den tödlichen Sprung tut.

So haben wir gesehen, dass das Licht und Leben Gottes den einzig gemeinsamen Boden bilden, auf dem sich alle Religionen begegnen; und wenn wir diese Rettungsschnur ergreifen würden, könnten wir lebendige Zentren der Spiritualität werden, ganz gleich, welcher Religion wir unsere Treue für die Erfüllung unserer sozialen Bedürfnisse und die Entwicklung unseres moralischen Wohlergehens schulden.

Genau wie das Brennen von Kerzen ein Symbol des Inneren Lichts ist, so gibt es andererseits auch den Brauch des Glockenläutens in Kirchen und Tempeln und des Azaans durch den Muezzin, die eine viel tiefere Bedeutung haben, als erkannt wird, und die aber verwunderlicherweise nur als ein Zusammentreffen der Gläubigen zum Gebet aufgefasst werden. Hierin liegt die große Lücke zwischen Lernen und Wissen, die entgegengesetzte Pole sind; denn diese beiden sind Symbole der Musik der Seele, des hörbaren Lebensstromes, der Sphärenmusik, des wirklichen Lebensprinzips das in der ganzen Schöpfung pulsiert.

Ich möchte noch das eine betonen, dass alle Religionen im Grunde gut und wahrhaft unserer Liebe und Achtung wert sind. Unser Ziel ist weder, eine neue Religion zu gründen, denn wir haben schon genug davon, noch die vorhandenen Religionen zu werten. Das dringendste Bedürfnis der Zeit ist darum, unsere religiösen Schriften aufmerksam zu studieren, um unser verlorenes Erbe wieder zu erlangen. Ein Heiliger sagt:

Jedermann hat in sich eine Perle von unschätzbarem Wert, aber da er nicht weiß, wie er sie ans Tageslicht bringen soll, geht er mit einer Bettelschale umher.

Es ist ein praktisches Thema, und es selbst eine Religion der Seele zu nennen, ist eine falsche  Bezeichnung, denn die Seele als solche hat überhaupt keine Religion. Wir mögen es, wenn Sie wollen, die Wissenschaft von der Seele nennen, denn es ist wahrhaftig eine Wissenschaft, wissenschaftlicher als alle bekannten Wissenschaften der Welt, und imstande, wertvolle und nachweisbare, ganz präzise und bestimmte Resultate hervorzubringen. Dadurch, dass wir mit dem Licht- und Lebens-Prinzip, den ersten Offenbarungen Gottes, im Laboratorium des menschlichen Körpers in Berührung kommen, den alle Schriften als einen wahrhaftigen Tempel Gottes bezeichnen, können das Brot und das Wasser des Lebens wirksam in Anspruch nehmen, uns ins kosmische Bewusstsein erheben und Unsterblichkeit erlangen. Dies ist der Anfang und das Ende aller Religionen, und da wir alle in die EINE Gottheit eingebettet sind, sollten wir alle die erhabene Wahrheit der Vaterschaft Gottes und der Bruderschaft der Menschen repräsentieren. Es ist das Lebendige Wort des Lebendigen Gottes, das eine große Kraft in sich hat. Es ist richtig gesagt worden:

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern durch das Wort Gottes. Und dieses Wort Gottes ist ein ungeschriebenes Gesetz und eine ungesprochene Sprache. Wer sich durch das Wort selbst findet, kann niemals wieder irgendetwas in dieser Welt verlieren. Wer einmal den Menschen in sich selbst begreift, versteht die ganze Menschheit. Es ist dieses wissen, durch das alles andere Wissen bekannt wird. Dies ist ein unveränderliches Gesetz der Unwandelbaren Dauer und ist von keinem menschlichen Kopf ersonnen worden. Es ist das Sruti der Veden, das Naad oder Udgit der Upanischaden, das Sraosha des Zend Avestha, der Heilige Geist der Evangelien, das Verlorene Wort der Freimaurer, das Kalma des Propheten Mohammed, das Saut der Sufis, das Shabd oder Naam der Sikh-Schriften, die Musik der Sphären und aller Harmonien des Plato und Pythagoras und die Stimme der Theosophen. Jeder aufrichtige Wahrheitssucher kann damit in Verbindung kommen, es ergreifen und sich ihm mitteilen, und dies nicht nur zu seinem eigenen Wohl, sondern für das der ganzen Menschheit, denn es wirkt wie ein zuverlässiges Sicherheitsventil gegen alle Gefahren, von denen die Menschheit in diesem Atomzeitalter bedroht ist.

Die einzige Vorbedingung zur Erlangung dieses Spirituellen Schatzes in unserer eigenen Seele ist Selbsterkenntnis. Darum haben die Weisen und Seher zu allen Zeiten und in allen Himmelsgegenden in unmissverständlichen Worten Nachdruck auf die Selbstanalyse gelegt. Ihr lauter Ruf an die Menschheit war immer: Mensch, erkenne dich selbst! Die arischen Denker in der eisgrauen Vorzeit nannten es Atam Gian oder das Wissen vom Atman oder der Seele. Die alten Griechen und Römer gaben ihm ihrerseits den Namen Gnothi Seauton und Nosce te ipsum. Die Moslem-Geistlichen nannten es Khud-Shanasi, und Guru Nanak, Kabir und andere betonten die Notwendigkeit des Apo Cheena oder der Selbstanalyse und erklärten, dass, solange der Mensch nicht seine Seele von Körper und Gemüt trennt, er nur ein oberflächliches Leben der Täuschung auf der physischen Daseinsebene führt.

Wahres Wissen ist unzweifelhaft eine Tätigkeit der Seele und ohne die Sinne vollkommen. Dies ist dann der Gipfel aller Nachforschungen, die der Mensch durchgeführt hat, seit das erste Aufflackern des Selbsterwachens in ihm dämmerte.

Diese ist die eine Wahrheit, die ich in meinem leben theoretisch und praktisch von meinem Meister Baba Sawan Singh Ji Maharaj gelernt und den Menschen im Westen und Osten während meiner ausgedehnten Reisen überall hin dargelegt habe, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie überall bereits Aufnahme fand wie eine gültige Münze, denn sie ist das einzige Heilmittel gegen alles Übel der Welt, wie auch für die Übel des Fleisches, die der Mensch natürlicherweise durch das Wirken des unerbittlichen Gesetzes von Ursache und Wirkung ererbt – was ihr sät, das werdet ihr ernten.

Alle unsere Religionen sind demnach ein Ausdruck des inneren Drängens, das der Mensch von Zeit zu Zeit spürt, um einen Weg aus der Disharmonie im Äußeren zum stillen Frieden der Seele im Innern zu finden. Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis begreift es nicht. Aber wir sind von Natur so geschaffen, dass wir ruhelos sind, bis wir Ruhe in dem grundlosen Urgrund finden. Wenn wir nach unseren Schriften lebten und das Licht und Leben Gottes in uns verwirklichten, dann würde, so sicher wie der Tag der Nacht folgt, die Liebe als Höchstes im Universum regieren, und wir würden allerorts nichts anderes wirken sehen als die unsichtbare Hand Gottes.

Wir müssen also zusammensitzen als Glieder der einen großen Menschenfamilie, damit wir einander verstehen können. Wir sind vor allem anderen  Eins von der Ebene Gottes als unserem Vater, von der Ebene des Menschen als Seine Kinder und von der Ebene der Anbeter derselben Wahrheit oder Kraft Gottes aus, die mit so vielen Namen benannt wird. In dieser erhabenen Versammlung von Spirituell Erwachten können wir die Große Wahrheit der Einheit des Lebens lernen, das im Universum vibriert. Wenn wir das tun, wird sicherlich diese Welt mit ihren vielen Formen und Farben als wahrhaftige Schöpfung Gottes erscheinen, und wir werden wahrlich spüren, dass der gleiche Lebensimpuls uns alle belebt. Als Seine eigenen lieben Kinder, die in Ihn eingebettet sind wie viele Rosen in Seinem Rosenbeet, wollen wir uns vereinen im liebevollen Gedenken Gottes und zu Ihm in dieser Stunde drohender Gefahr der Vernichtung, die uns ins Gesicht starrt, für das Wohlergehen der Welt beten. Möge Gott in Seiner unendlichen Barmherzigkeit uns alle erretten, ob wir es verdienen oder nicht.