Kirpal Singh

Die Entwicklung des Menschen

Diese Kommentare des Meisters über verschiedene praktische Aspekte des Pfades sind Briefen entnommen, die ursprünglich vom New Yorker Satsang veröffentlicht worden sind.

Es gibt grundsätzlich zwei Stadien, die durchschritten werden müssen, bevor der ringende Schüler das Körperbewusstsein übersteigt und beginnt, sich an den Spirituellen Disziplinen zu erfreuen und den Pfad der Spiritualität standhaft zu beschreiten.

  • Im ersten Stadium hat der Schüler wenig oder gar keine Kenntnis der Selbstprüfung und befindet sich in einem Zustand bodenloser Unwissenheit.


  • Im zweiten Stadium beginnt der Schüler zu erkennen, dass er unzählige Fehler und Schwächen hat, die erst gebessert werden müssen, bevor er hoffen kann, das Körperbewusstsein zu überschreiten; an jenem Stadium beginnt dieser Pfad wirklich.

Dieses zweite Stadium, das für die meisten ein langgezogener Kampf mit den niederen Neigungen des Gemüts ist, ist als Menschwerdung bekannt. Spiritualität oder das Aufsteigen von den niederen Bereichen der Existenz in höhere Bereiche von unaussprechlicher Glückseligkeit und Harmonie ist nicht schwer. Es ist die Menschwerdung, die schwierig ist.

Es gibt keine bestimmte Zeitbegrenzung für dieses zweite Stadium. Alles hängt von der Befähigung des Schülers zur Selbstdisziplin, zum Gehorsam gegenüber den Geboten des Meisters und zum Entwickeln von Liebe für Ihn ab.

Es ist das selbst-bestimmende Ego, welches das letzte Hindernis ist, das überwunden werden muss, und das kann erst geschehen, wenn die Seele beginnt, zu sich zu kommen; wenn sie Schimmer ihrer Wahren Natur erblickt, was zum Resultat hat, dass sich im Schüler eine natürliche Demut entwickelt. Diese darf nicht verwechselt werden mit einer Haltung der Unterwürfigkeit, bedenkt das. Wahre Demut hat Kraft, aber ist dennoch nicht selbst-bestimmend.

Obwohl die gnädige Meister-Kraft immer zur Hand ist, um dem Schüler in diesem Kampf zu helfen, ist es etwas, was der Schüler selbst durchmachen muss. Kein anderer kann es für ihn tun. Du bist auf den Weg gestellt worden, und es wurde dir ein Anfangskapital gegeben, das weiterhin bei dir ist.

Ein Samen wurde in dich gepflanzt, welcher eines Tages sicherlich Frucht tragen muss, und du hast als deinen ständigen Begleiter den Meister in Seiner subtilen Form von Licht und Ton. Er ist auch wirklich im Stande, dir Seine liebreizende, Strahlende Form zu offenbaren, wenn du gelernt hast, dich über das Körperbewusstsein zu erheben. Es ist nicht vernünftig zu erwarten, in die höheren Ebenen zu gelangen, ohne dich zuerst zu einem hohen Grad vervollkommnet zu haben.

So wie bei weltlichen Studien, bei denen es nicht ungewöhnlich ist, dass man zwanzig Jahre oder mehr ansetzt, um die nötigen Befähigungen zu erwerben, um sich für eine Karriere bereit zu machen, so und noch größer ist die Zeitspanne und die Anstrengung, die vom Schüler eingesetzt werden muss, bevor er zu einem geeigneten Gefäß gemacht werden kann, um die Wahrheiten seiner eigenen Seele und von Gott zu empfangen.

Es ist eine sehr eigenartige Auffassung, die manche haben; sie erwarten Selbst- und Gottverwirklichung in einer kurzen Zeit und mit wenig Mühe, während dieselben Menschen bereit sind, sich viele Jahre zu plagen, um den Topf voll Haferbrei zu erhalten, welcher alles ist, was diese Welt zu bieten hat.

Der Pfad umfasst alle Yogaarten

Du hast recht mit deiner Auffassung, dass der Pfad der Meister der Pfad des reinen Bhakti ist. Die Perle Göttlichen Wissens kann sicher in dem Schmuckkästchen von Bhakti – oder der liebenden Hingabe – aufbewahrt werden. Bhakti in seiner reinen und ursprünglichen Form ist Göttliche Liebe.

Aber man muss die Elemente aller Yogaarten praktizieren (wenn auch nicht im extremen Ausmaß), um die Früchte dieses Pfades zu erhalten. Zum Beispiel: Im Hatha-Yoga ist die Notwendigkeit enthalten, ein reines, keusches Leben zu führen, indem wir in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leben. Wir sollten Satvik-Nahrung zu uns nehmen und achtgeben, dass der Körper ein vernünftiges Maß an Übung hat, und wir sollten von allen schädlichen Gewohnheiten, die unsere physische Gesundheit angreifen, ablassen. Gleicherweise sind die Künste des Jnana-Yoga und Raja-Yoga im Tagebuchformular enthalten, das du jeden Monat ausfüllen sollst. Das Einhalten von Gewaltlosigkeit (Kontrolle über den Zorn), Wahrhaftigkeit und Keuschheit muss in unsere mentalen Gewohnheiten des Gemüts eingebaut werden. Diese Eigenschaften müssen unsere zweite Natur werden, bevor das Gemüt von seinem gegenwärtigen Schmutz und seinen Schlacken gereinigt ist. Die richtige Praxis dieser veredelnden Tugenden garantiert dir den Erfolg im Jnana-Yoga, was Selbsterkenntnis ist.

Die Form des Bhakti, die du entwickeln sollst, hat nichts mit Gefühlen zu tun. Du sollst Liebe und Glauben zum Meister entwickeln und sollst Seine Gebote befolgen. Wenn du das kannst (und es ist bestimmt nicht leicht, den Geboten des Meisters zu gehorchen), dann wirst du jenes Bhakti erreichen, welches deiner Seele viel schneller Freiheit gibt, als es die genaueste Übung von Raja- oder Jnana-Yoga dir geben kann.

Das Annehmen von Geschenken

Es ist schwer, ohne Geben und Nehmen durch das Leben zu gehen. Dieses Geben und Nehmen muss von der Pilgerseele gelassen werden, da es uns in diese Welt zurückbringt. Es macht nichts, kleine Gaben von jenen zu empfangen, mit denen du während deiner Arbeit oder in deiner Familie zusammen bist, vorausgesetzt, dass du in der Lage warst oder noch bist, ihnen direkten Dienst zu erweisen. Zum Beispiel mag dein Chef dir als Zeichen seiner Anerkennung etwas zu Weihnachten geben. Auf ähnliche Weise können in der Familie kleine Geschenke zu dieser Zeit des Wohlwollens ausgetauscht werden. Jedoch ist es nicht richtig, von Bekannten, seien sie geschäftlicher oder anderer Art, Geschenke anzunehmen, von Menschen, die außerhalb deiner Sphäre direkten Kontaktes stehen und mit denen dich sonst kein Nehmen oder Geben verbindet.

Reden

Zuviel Reden zerstreut die Spirituelle Energie. Versuche deine Worte zu kontrollieren, indem du schweigend zum Simran Zuflucht nimmst. Du wirst über die Schwierigkeiten hinwegkommen und zu gegebener Zeit Fortschritte machen. Überlege zweimal, bevor du sprichst. Überlege gut, dass du das sprichst, was wahr, freundlich und nötig ist.

Die Kontrolle über das Gemüt

Das Gemüt ist, wie das Feuer, ein sehr guter Diener, aber ein schlechter Herr. Es hat eine der besten Eigenschaften, welche für den Spirituellen Vorteil eingesetzt werden kann. Es bewegt sich gern in seinen gewohnten Geleisen. Tust du etwas regelmäßig zu einer bestimmten Zeit, ein paar Tage nacheinander, dann findet das Gemüt Freude daran, wenn es immer wieder das Gleiche tun kann. Wenn das Gemüt auf Spirituelle Übungen gelenkt wird, indem es regelmäßig eine Zeitlang zu bestimmten Stunden meditiert, dann wirst du merken, dass dasselbe Gemüt, welches das Nachinnengehen sonst übelnimmt, Freude daran hat mit der Gnade des Meisters. Die Göttlichen Offenbarungen, die der Meister gewährt, sind im höchsten Maße bezaubernd; sie bestricken das Gemüt und es wird alle verderblichen Eigenschaften beiseite lassen.

Das Führen des Tagebuches

Leider wissen nur wenige, wenn überhaupt jemand, was das Führen eines Tagebuches bedeutet. Mit der Zeit werden die Eintragungen zur reinen Formsache und der ganze Sinn des Tagebuches ist verloren. Wir sollen das Tagebuch zur Kontrolle unserer Gedanken, Worte und Taten führen. Die meisten reagieren in Gedanken, Worten und Taten gerade wie es der Augenblick eingibt, das heißt instinktiv. In Wahrheit aber müssen wir uns jedes Gedankens, der in unserem Gemüt auftaucht, bewusst werden; wir müssen unsere Worte wägen, bevor wir sprechen. Wir sollten nicht müßige Worte äußern als bloße Reaktion auf die Situation, der wir gegenüber stehen. Wenn wir in dieser Hinsicht einigen Fortschritt erzielen, dann sind wir schon weit auf dem Wege der Selbstkontrolle. Das ist wirklich die Praxis des Raja-Yoga. Nur wenn wir in der Lebensführung, wie sie von uns verlangt wird, vorankommen (angedeutet in der Führung eines Tagebuches), dann sind wir geeignet, die Früchte des Surat Shabd-Yoga zu ernten.

Keuschheit

Leider verstehen nur wenige die Bedeutung eines keuschen Verhaltens im Leben. Gerade wegen seiner Unkeuschheit wird der Mensch von den Übeln des Zorns, der Gier und des Verhaftetseins regiert. Wenn er seine sinnlichen Wünsche kontrollieren könnte, würden die anderen Übel allmählich nachlassen. So ist Keuschheit nicht nur der Schlüssel zum Spirituellen Leben, sondern auch für den Erfolg bei jeder anderen Bemühung. Leider befinden sich gerade die Menschen, die ihren Mitmenschen am ehesten helfen könnten, wie Ärzte und Geistliche, selbst in den Fängen der Sexualität und sind kaum geeignet, von etwas abzuraten, dem sie selbst zum Opfer fallen.

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Bitte lies sorgfältig die Schrift ‚Die sieben Wege zur Vollendung‘ (Rundschreiben Nummer 23). Es soll dir helfen, alle Unvollkommenheiten auszumerzen und an ihre Stelle veredelnde Tugenden zu setzen. Lüsterne Träume, die Samenverlust zur Folge haben, können überwunden werden, wenn du den Tag über Selbstbeherrschung in Form von Gedankenreinheit pflegst. Den Taten gehen Gedanken voraus und deswegen sollte der Initiierte seine Gedankenbildung beobachten. Auch sollst du, bevor du zur Ruhe gehst, beten und liebevoll die Heiligen, geladenen Namen wiederholen und dich an den Meister erinnern. Wenn du in dieser entspannten Stimmung schläfst, dann wirst du mit Seiner Gnade und mit Seinem Schutz keine Störung in dieser Hinsicht erfahren.

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Der Verlust von Lebensflüssigkeit im Schlaf kann vermieden werden, wenn du abends ein leichtes Mahl einnimmst und wenn du auch deine Gedanken während des Tages und Abends überwachst. Gedanken erzeugen Eindrücke im Gemüt, die im Schlaf nach einer Auslösung suchen, dann, wenn die Aufmerksamkeit in den Körper hinuntergleitet. Diese Gedanken sollten im Tagebuch niedergeschrieben werden.