Kirpal Singh

Eine große Täuschung

I

Die ganze Welt ist blind; sage mir, wie ich den Menschen die höheren Werte des Lebens verständlich machen kann.

Kabir

Gewöhnliche Leute sehen die Welt nicht in ihren Wahren Farben. Aber Einer, Der Seine Seele aus den Klauen des Gemüts und der Sinne befreit hat, Der Sein Selbst erkannt und Gott verwirklicht hat, sieht dieselbe Welt aus einem anderen Blickwinkel. Solche Personen erkennen, dass der Geist weltlich gesinnter Menschen unter dem Einfluss des Gemüts vollkommen mit dem Körper auf der Ebene der Sinne identifiziert ist; und das sogar so sehr, dass die Seele kaum in der Lage ist, zwischen dem materiellen Körper und seinem Beherrscher – dem Bewohner des Hauses (des Körpers) – zu unterscheiden. Bevor das Innere Auge geöffnet ist, betrachtet man die äußere Welt von der Ebene der physischen Sinne aus. Alles äußere Wissen ist unwirklich und oberflächlich, rein auf die Sinnesorgane bezogen.

Wenn wir nicht und bevor wir nicht lernen, wie man die Sinnesebene übersteigt und über den physischen Körper hinausgeht, öffnet sich das Innere Auge nicht. Daraus ergibt sich, dass wir nicht in der Lage sind, unser Selbst vom Zauber der äußeren Welt zurückzuziehen. Wenn wir die Innere Welt erschließen, findet sich dort der feinstoffliche Körper mit subtilen, bisher noch schlummernden ‚Indriyas‘ (Wahrnehmungsorganen). Nun erwächst die Frage, was wir in einer solch misslichen Lage tun sollen.

Maulana Rumi sagt:

Lerne, die äußeren Tore deines Hauses zu schließen und öffne das Innere.

Wer fähig ist, das Innere zu erschließen, kann daraufhin kosmisches Bewusstsein entwickeln. Er sieht die Welt von einer feinstofflichen Ebene aus und in den Wahren Farben. So sagt Kabir, dass, soweit er blicken kann, die gesamte Welt blind ist. Alle, die das Innere Auge nicht entwickelt haben, gelten in den Augen von erwachten Menschen als blind. Obwohl die Atmosphäre voller Mikroben ist, ist dem bloßen Auge nichts davon sichtbar. Bedeutet das aber, dass nichts in der Luft ist? Nein, dort ist etwas. Entweder wird alles, was sich in der Luft befindet, vergrößert, um der visuellen Fähigkeit unserer Augen zu entsprechen, oder unser Sehvermögen wird so verfeinert, dass es die winzigen Dinge klar sehen kann. Nanak definiert die Blindheit folgendermaßen:

Nicht die sind blind, die keine Augen aus Fleisch haben, ein Blinder ist einer, o Nanak, der den Herrn nicht sieht.

Alle Schriften erklären, dass die Kraft Gottes alles in ihrer Fülle durchdringt. Der Herr wohnt in jedes Menschen Herz. Es gibt keinen Ort, wo Sein Wort nicht ist. Aber Er ist in höchstem Maße subtil und unbeschreiblich. So kann unser physisches Auge Ihn nicht sehen. Wer aber kann Ihn dann sehen?

Nanak sagt:

Bevor man nicht zur Ebene Gottes aufsteigt, kann man Ihn nicht erkennen.

Nur wenn wir soweit kommen, das Überbewusstsein und die Feinheit Seiner Ebene zu entwickeln, können wir eine Erfahrung von Ihm haben. Kabir sieht die ganze Welt in Finsternis gehüllt und sagt:

Auf welche Weise kann man versuchen, irgendeinem erhabene Wahrheiten zu enthüllen?

Die Tatsache bleibt bestehen, dass alle im selben Boot sitzen – ob einer gebildet oder ungebildet, reich oder arm, Herr oder Knecht ist. Wie kann dann ein Blinder einen Blinden führen? Dabei fallen beide in den Graben.

Ein Heiliger kam einst in ein Dorf. Von Mitleid ergriffen, warnte Er die Dorfbewohner und sagte zu ihnen: Morgen zu der und der Zeit wird ein heimtückischer Wind wehen. Wer von seinem Hauch berührt wird, wird irrwerden. Einige der Leute, die klug genug waren, glaubten den Worten des Weisen. Am anderen Tag zur entsprechenden Zeit versteckten sie sich, um geschützt zu sein. Alle anderen, die sich entgegen der Warnung des weisen Mannes dem Sturm aussetzten, wurden verrückt. Die Wenigen, die Schutz gesucht hatten, wurden gerettet. Als der Sturm vorüber war, kamen sie aus ihrem Versteck hervor. Erstaunlicherweise wurden sie von der Mehrheit als verrückt erklärt, die es in Wirklichkeit selbst war.

Bei den weltlichen Menschen liegt der Fall ähnlich. Eine verwirklichte Seele, die sich über das Körperbewusstsein erhoben und das Innere Auge entwickelt hat, nachdem sie das Selbst von der engen Verbindung mit dem Gemüt und den Sinnen befreit hat, ist sehr, sehr selten. Nur solche Menschen sehen, dass Gott allgegenwärtig ist. Alle übrigen treiben auf der Ebene des Gemüts und der Sinne. In solch beklagenswertem Zustand der Welt fühlt sich Kabir verwirrt und fährt fort:

Wenn es einen oder zwei gäbe, könnte ich sie verstehen machen, aber ach, alle sind nur mit dem Problem des Lebensunterhalts beschäftigt.

Überall findet man die Leute äußerst beschäftigt, auf gerade oder ungerade Weise Geld zu machen. Man hält das materielle Leben für das Ein und Alles der menschlichen Existenz. Sogar jene, die behaupten, den Spirituellen Weg zu gehen, machen indirekt Geschäfte. Ihre Aufgabe wäre es, Menschen zu machen, aber sie sind darin gefangen Geld zu machen. Aber wenn die Todesstunde naht, kommt man zur Besinnung.

sagt:

Ein Mensch erwacht erst, wenn die Todesengel den Kopf berühren.

Aber dann ist es zu spät. Es hat keinen Sinn, der verschütteten Milch nachzuweinen. Das ist der Grund, warum erwachte Menschen immer, wenn Sie in die Welt kommen, von den gelehrten und weltklugen Leuten als Menschen bezeichnet werden, die den Verstand anderer verdrehen. Guru Nanak wurde auf diese Weise von den weltlichen Menschen verurteilt. Es wurde Ihm nicht gestattet, die Stadt Qasur (heute in Pakistan) zu betreten, damit Er die Leute dort nicht irreführe.

Die Menschen halten sich an die epikuräische Lebensweise – iss, trink und sei fröhlich. Sie erfassen nichts, was jenseits der materiellen Freuden liegt. Für diese leben und sterben sie. Daher findet es Kabir schwierig, solchen Menschen die höheren Werte des Lebens nahe zu bringen.

Was ist die Wirklichkeit des menschlichen Lebens? Kabir sagt, dass unser Körper einem Pferd gleicht, auf dem die Seele reitet. Er kann mit einem Tautropfen verglichen werden, der innen Luft enthält, die außen von einem Wassermantel umgeben ist. Wie lange besteht ein Tropfen Tau? Er vergeht, sobald der Wind weht oder die Sonne scheint. Gerade so ist es mit dem Menschen. Der Körper lebt so lange, wie sein Bewohner, die Seele, darin weilt und die Lebensströme zirkulieren. In dem Moment, wo der Geist scheidet, wird der Körper ein Leichnam, der von den Nahestehenden und Lieben zum Verbrennungsplatz gebracht wird. Jeder von uns hat schon erlebt, wie Tote zur Verbrennungs- oder Begräbnisstätte getragen wurden. Wir haben vielleicht auch den Scheiterhaufen mit eigener Hand entzündet. Obwohl wir all das sehen, glauben wir doch nicht, dass auch wir eines Tages scheiden müssen. Wir betrachten die materielle Welt als etwas Wirkliches und Dauerhaftes. Keiner kann der eisernen Hand des Todes entgehen. Wenn er kommt, geht das ganze Spiel des Lebens zu Ende. Daher heißt es:

Könige, Krieger, Untertanen, Propheten, Inkarnation – alle kamen und gingen; genau so muss jeder von uns gehen, wenn er an der Reihe ist.

Große Persönlichkeiten kamen in die Welt, lebten eine Weile und gingen dann zu der himmlischen Wohnstatt. Die Geschichte gibt Zeugnis von dieser Tatsache. Unsere eigenen Augen sind Zeugen hierfür. Wenn wir das Innere Auge entwickeln, können wir nach Wunsch vor dem physischen Tod in höhere Regionen gehen. Daraus wird uns doppelter Vorteil erwachsen. Als erstes können wir unsere Lebensströme aus dem lebenden Körper zurückziehen und sind so fähig, der schrecklichen Agonie, die den Todesprozess begleitet, zu entgehen. Zweitens kann unsere Seele dann nach Wunsch in höhere Spirituelle Ebenen aufsteigen oder auf der physischen Ebene wirken. Das versteht man unter Ewigem Leben. Von seiner Wirklichkeit wird man erst dann überzeugt, wenn man sie erfahren hat. Wer jenseits des Lebens im Fleische nichts sieht, muss am Jüngsten Tag Tränen vergießen.

In dieser Hinsicht haben alle Großen Seelen betont, dass, solange man nach dem Leben des Fleisches strebt, man das Leben des Geistes entbehren müsse.

In der Bibel heißt es:

Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren.

Christus sagte:

Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Wiederum sagt Er:

Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung?

Der Tod hält sich an keinen Kalender. Die Silberschnur kann jederzeit zerreißen. Daher sollten wir keine Zeit verlieren, Erfahrungen außerhalb des Körpers zu sammeln, um so die Angst vor dem Tod zu bannen.

Wir treiben steuerlos auf der stürmischen See des Lebens und könnten in ihren Strudeln verloren gehen.

sagt, dass wir, auf die Meere der Sinnesfreuden hinausgestoßen, unsere Verankerung verloren haben und steuerlos auf dem Meer des Lebens umhertreiben. Jeder von uns versucht, einen treibenden Strohhalm zu ergreifen, um sich zu retten. Das natürliche Ergebnis ist, dass wir nach kurzem Kampf mit Schicksalswinden und -wellen in das große Vergessen sinken, ohne das Rätsel des Lebens gelöst zu haben.

Das Gemüt ist das unbezähmbare Meer, in dem sich endlose Gezeiten erheben.

Das Gemüt ist wie ein Ozean, aus dem die nimmer endenden Wogen tierischer Leidenschaften, Zorn, Gier, Verhaftetsein und Egoismus beständig hervorgehen. Jeder wird von den Stößen dieser Wogen hin- und hergeworfen. Bevor das Gemüt nicht beruhigt ist, kann man das Ziel nicht erreichen. Ohne Kompetenten Meister, wer könnte uns über die mächtige See des Gemüts übersetzen? Nur der Anschluss an einen Adepten, Der Sein Gemüt unter Kontrolle gebracht und dessen Grenzen überschritten hat, kann dem Aspiranten helfen, das Gleiche zu tun. Sonst gibt es keinen Ausweg.

Die Wahrheit liegt innen, aber die Blinden suchen sie in der Welt draußen.

Kabir sagt, dass sich das, was wir suchen, in unserem Körper befindet. Aber leider suchen wir nach der Wahrheit in den Schriften oder an den Ufern von Flüssen oder auf Bergesgipfeln. Unsere ganzen Bemühungen in dieser Richtung liegen im Bereich der Sinne. Wie können wir Ihn da finden? Das Gemüt wird von den mächtigen Streitrossen der Sinne unterjocht und somit hilflos in den Sumpf der Sinnesbefriedigung getrieben. Bislang haben wir nicht gelernt, wie man sich nach innen kehrt. Das Ergebnis davon ist, dass wir weit von der Wahrheit entfernt sind, die in jedes Menschen Herzen wohnt und die Seele unserer Seele ist.

In Kanpur traf ich einen Herrn, der mir erzählte, dass er zu Fuß von Gangotri (der Quelle des Ganges) nach Kanya Kumari (dem Kap Comorin) gewandert sei, und doch hätte er die Wahrheit, die er suchte, nicht finden können. Wie könnte er auch?

Wenn die Wahrheit woanders liegt und wir suchen sie am falschen Ort, wie können wir sie dort finden? Kabir sagt, wir können sie nur finden, wenn einer, der das Geheimnis kennt, uns dabei hilft.

Sobald wir den Kenner des Geheimnisses mit uns nehmen, offenbart Er die Wahrheit im Innern. So wird uns die Erfahrung – die wir in Myriaden von Leben nicht erwerben hätten können – binnen kurzem gewährt.

Tulsi Sahib sagt:

Der Herr wohnt in unserem Innern, aber wir bleiben unwissend. Verflucht ist solch ein Leben. Selbst wenn wir ein menschliches Leben erhalten haben und Er nicht im Innern offenbart wird, ist das ein großer Fluch. O Tulsi, die ganze Welt leidet am grauen Star.

Der graue Star ist eine Krankheit, bei der ein dünnes Häutchen die Pupille des Auges überzieht und das Sehvermögen beeinträchtigt. Ein Augenarzt kann diese Membran entfernen, um die Sicht wieder herzustellen, die zwar vorhanden ist, aber von einer Wasserschicht bedeckt wird. Ähnlich strahlt die Gotteskraft in jedem von uns in vollem Glanz, aber wegen unserer Bindung an die äußere Welt können wir Sie nicht schauen. Alle Heiligen verkünden, dass Gott in jedem menschlichen Herzen wohnt. Wenn Er drinnen wohnt, wie können wir Ihn da in der Welt draußen finden? Einst sah Swami Ram Tirtha, der in Lahore lebte, eine alte Frau, die mit einer irdenen Lampe etwas auf der Straße suchte. Die alte Frau erwiderte, sie habe eine Nadel verloren. Und Swami Ram Tirtha half ihr, aber die Nadel ließ sich nicht finden. Endlich fragte er sie: Mutter, wo habt ihr sie denn verloren? - Im Haus, war die Antwort. Auf das hin sagte Swamiji: Meine liebe Mutter, was Ihr daheim verloren habt, kann nicht draußen gefunden werden. Das mag lächerlich erscheinen, aber es ist genau das, was wir tun. Die Seele bleibt im Körper, solange die Gotteskraft sie kontrolliert. Ein Göttliches Bindeglied ist in jedem von uns gegenwärtig. Aber wir suchen Ihn außen, auf der Ebene der Sinne. Wie ist das möglich?

So fragt Kabir:

Ist die Welt nicht blind? Die ganze Welt ist entflammt vom Feuer der Lüste, ohne den Guru Gyan (die praktische Innere Erfahrung durch den Vollendeten Meister) bleibt die Menschheit in Unwissenheit eingetaucht.

Kabir sagt, dass alle von den leidenschaftlichen Wünschen nach irdischen Dingen verzehrt werden. Jedes Haus, jede Religionsgemeinschaft, jede Stadt, jedes Land ist von dieser Krankheit befallen. Da gehören wir auch dazu. Einen Menschen erkennen wir an seinem Umgang. Wenn ihr zufällig mit jemandem zusammen seid, der ganz in weltlichen Angelegenheiten aufgeht, so werdet ihr merken, dass er ohne Ausnahme nur weltbezogen spricht. Dementsprechend würdet ihr in derselben Farbe gefärbt werden. Wer kann den Inneren Zustand der Menschen lesen? Nur jemand, dessen Inneres Auge offen ist. Er betrachtet die Welt von einer subtilen Ebene aus. Andere können das nicht. Durch einen Blick nach innen kann jeder fühlen, dass er von Wünschen heimgesucht wird. Dies ist ein geheimes Feuer, das die ganze Welt verschlingt. Gibt es irgendeine Möglichkeit, dem zu entkommen? Ja, durch einen bewussten Kontakt von einem Vollendeten Meister. Darin liegt unsere Rettung.

Der Gurbani sagt:

Das wilde Feuer (der Lüste) hat alle Bäume niedergebrannt. Nur ganz wenig Grün ist unberührt geblieben.

Ein wahnwitziges Rennen um weltlichen Besitz ist im Gange. Nur eine vereinzelte erwachte Seele oder ein Mensch der Intuition ist immun dagegen.

Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

O Herz, suche die Nähe von Einem, Der mit der Beschaffenheit des Herzens völlig vertraut ist.

Damit meint Er, wir sollten die Gemeinschaft mit einer verwirklichten Seele, die Innere Bewusstheit besitzt, suchen. Allein die Nähe eines solchen Menschen könnte uns von den inneren Trieben und Begierden erretten. Leute, die zu den Füßen eines spirituell Erfahrenen gehen, fühlen bei konzentrierter Aufmerksamkeit eine beruhigende Wirkung, wegen der hoch geladenen Atmosphäre um ihn. So ist die Gemeinschaft mit einem Satguru das einzige Heilmittel für alle Leiden der Welt. Nun, wer ist ein Satguru? Einer, Der in der Wahrheit gründet. Der Satguru ist Fleischgewordene Wahrheit. Er hat Sein Selbst verwirklicht, indem Er es vom Einfluss des Gemüts und der Sinne befreite und eins mit der absoluten Wahrheit geworden ist. Die Nähe eines solchen Meisters gibt uns eine beruhigende Seligkeit. Er gibt uns auch eine praktische Einführung in die Mysterien des Jenseits, was Wahres ‚Jnana‘ ist. In den Augen des Laien machen das Lesen der Schriften oder gelehrte Erörterungen ‚Jnana‘ aus. Aber in der Terminologie der Meister wird dies nicht als Wahres Wissen angesehen. Sie definieren es so:

Wisse, die Wahre Weisheit und Meditation ist Göttliches Dhuni (Ton), denn Es ist unbeschreiblich.

Der Tonstrom, ‚Shruti‘ oder ‚Udgit‘, wie man Ihn nennen mag, ist das Wahre ‚Jnana‘, das alles durchdringend ist und die gesamte Schöpfung erhält. Sich mit Ihm zu verbinden, Ihn zu erfahren, heißt ‚Naam‘ (das Wort), das man durch die Gnade eines Vollendeten Meisters erhält. Auch jetzt ist Es (Naam) in uns, aber wir wissen nicht um Seine Gegenwart. Der Grund dafür ist, dass unsere Aufmerksamkeit unter dem Einfluss des Gemüts auf die Ebene der Sinne gerichtet ist und nach außen fließt.

Kabir sagt in diesem Zusammenhang:

Die Seele, die sich in den neun Toren des Körpers verliert, kann nie die Ewige Seligkeit erfahren.

Die Seele, die sich durch die neun Kanäle des Körpers verströmt, ist folglich der einzigartigen Inneren Erhebung beraubt. Welches sind die neun Kanäle? Die zwei Augen, zwei Ohren, zwei Nasenöffnungen, Mund, Rektum und Fortpflanzungsorgan. Wer nicht durch Selbstanalyse und Wendung nach innen die Sinne überstiegen hat und eine Verbindung mit der Wahrheit hatte, kann dem mächtigen Irrgarten von Gemüt und Materie nicht entrinnen. Alles Lernen, Wissen, Studieren der Schriften und andere solche Methoden auf der Ebene des Intellekts nützen in dieser Hinsicht nicht viel. Man mag fähig sein, das Gemüt für eine Weile unter Kontrolle zu haben, aber letztlich wird man ihm wohl erliegen. Die Täuschung der Welt beeinflusst uns durch die nach außen gehenden Sinneskräfte. Wenn ihr den Bereich der Sinne zu übersteigen beginnt, werdet ihr höhere Seligkeit auf Inneren Ebenen erfahren. Dann werden die fleischlichen Lüste euch nicht mehr plagen und ihr werdet wie ein wohltemperierter Raum sein, der trotz der äußeren Temperatur kühl bleibt. Wenn ihr fähig seid, eure Sinnesströme zwischen und hinter euren beiden Augenbrauen zu sammeln, werdet ihr die Auswirkungen der atmosphärischen Hitze nicht fühlen. Ihr könnt es ausprobieren, wegen unserer Unwissenheit über diese natürliche (esoterische) Wissenschaft leiden wir in der Welt.

Wenn wir einen Vollendeten Meister treffen, segnet Er uns mit der Gabe von Naam oder dem Wahren Jnana. Wer kann die Krankheit sehen, die den Durchschnittsmenschen befällt? Nur eine erwachte Seele. Als Guru Nanak Sein Heim für eine Göttliche Mission verlassen wollte, stellten Seine Verwandten Seine beiden Söhne vor Ihn hin. Dann sagte seine Schwiegermutter, die Molo Ji hieß:

Sieh Nanak, wenn Du so handeln musst, warum hast Du diese Kinder gezeugt?

Manchmal sind weltliche Menschen sehr grob zu Meisterseelen. Aber Nanak erwiderte mit höflichem Ton:

Mutter, ich bin gekommen, mich von der Knechtschaft zu befreien, in der du mich fesseln möchtest. Die Welt steht in hellen Flammen durch das Feuer der Leidenschaften und ich möchte sie erretten.

Dann betet Er:

O Herr, rette diese Welt aus der großen Wirrnis des Gemüts und der Materie.

Aber wie? Nanak bat den Herrn dann, Barmherzigkeit und Mitleid zu zeigen:

O Herr, Gott, benütze alle Mittel, die Dir einfallen, um die leidende Menschheit zu erlösen.

Aus den aufgezeichneten Erfahrungen der erleuchteten Seelen geht klar hervor, dass das Leben auf der Ebene der Sinne, das nur auf den materiellen Körper bezogen ist, die Grundursache für all unser Unglück und unsere Leiden ist.

Kabir sagt:

Er hatte keinen Menschen gesehen, der glücklich war, denn jeder, dem Er zufällig begegnete, war im Unglück.

Wenn ihr die Ebene der Sinne verlasst und über das Körperbewusstsein steigt, werdet ihr ein Leben voll Seligkeit erfahren. Wenn ihr den astralen Körper überschreitet und in die Kausalebene eintretet, werdet ihr noch etwas mehr Freude empfinden. Aber das Leben verläuft auf allen drei Ebenen – der physischen, der astralen und der kausalen – keinesfalls glatt. Bevor ihr nicht alle drei Ebenen überschreitet, könnt ihr keine Ewige Seligkeit erlangen. Diese kann nur durch die Gnade und Verbindung mit einer Meisterseele erreicht werden.

Wenn man eine praktische Innere Erfahrung von einem Vollendeten Meister erhalten hat, sollte man sie durch regelmäßige Spirituelle Übungen vermehren. Wenn ihr das tut, werdet ihr Innere Wahrnehmung entwickeln. Als Folge davon werden alle sinnlichen Genüsse aufhören, das Gemüt in ihrem Griff zu haben. Große Seelen führen Ihre Mission, die Aspiranten zu initiieren, trotz aller Arten von Gefahren fort. Sie hassen die Sünde, lieben aber die Sünder. Sie sagen, dass Hoffnung für jeden besteht, ob er ein Sünder oder tugendhaft ist. Wer Ihre Anweisungen befolgt, dessen Leben wird umgeformt. Es ist unsere Pflicht, den erleuchteten Seelen gegenüber liebevolle Hingabe zu entwickeln und alles übrige Ihnen zu überlassen.

Deshalb heißt es:

Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe.

Unsere Seele ist auch ein Teilchen Göttlicher Liebe. Wenn sie von den äußeren Umhüllungen befreit werden könnte, würde die Liebe zu Gott im Innern von selbst hervorsprießen. Nur dann wird man fähig sein, Ihn zu erkennen.

Hört, ihr Wahrheitssucher, spricht Kabir, der Mensch muss eines Tages mit leeren Händen weggehen.

Kabir gibt zuletzt der Welt ausführlich die Warnung, es als ganz sicher zu betrachten, dass jeder einmal scheiden muss. Aller weltlicher Besitz wird dann zurückgelassen. Es lohnt sich nicht, über diesen Besitz zu sprechen, sogar der Körper, den wir bei der Geburt annehmen, wird uns nicht begleiten. Der Tod lässt niemanden aus und hält keinen Kalender ein. Von dieser Regel gibt es absolut keine Ausnahme. Wenn wir das nur verstehen wollten, würde sich unser Blickwinkel bestimmt ändern. Guru Arjan sagt deshalb:

Wenn wir einmal von der obersten Sprosse der Leiter abgerutscht sind, können wir nicht mehr zu ihr hinaufkommen und die menschliche Geburt war umsonst.

Von der obersten Stufe der Schöpfung herunterzufallen ist in der Tat ein sehr trauriger Fall. Wenn wir diese Gelegenheit einmal verpassen, haben wir unser gegenwärtiges Leben vergeudet. Wer weiß, wann wir wieder zu einem Leben kommen? Nur dann sind wir in der Lage, unsere Seele aus den Fängen des Gemüts und der Sinne zu befreien und Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis zu erlangen. Was ist das Ergebnis, wenn wir in den Sinnesfreuden gefangen bleiben und diese Aufgabe nicht erfüllen, solange wir im Körper sind? Wie du denkst, so wirst du. Wir werden immer wieder in die Welt kommen müssen. Die Seele geht dahin, wohin das Gemüt geht. Daher ermahnen uns die Großen Seelen, den Tag des Gerichts nicht zu vergessen. Der Tod ist nichts Furchtbares. Das einzige ist, dass wir mit Klugheit handeln sollten. Wir sollten diese Aufgabe (Kosmisches Bewusstsein zu entwickeln) hier und jetzt erledigen, sodass wir uns erleichtert fühlen, wenn wir die Welt verlassen. In diesem Zusammenhang gibt es eine Geschichte von einem weisen König:

Es war einmal ein Land, in dem die Leute entsprechend der herrschenden Tradition einen König für fünf Jahre zu wählen pflegten. Während dieser Zeitspanne war er mit aller Macht ausgestattet. Nach Vollendung seiner Amtszeit versammelten sich die Leute und brachten den König in einen nahe gelegenen Wald, der von wilden Tieren, wie Tiger, Panther und Giftschlangen, bewohnt war. Wenn ein König den Thron bestieg, war er immer sehr glücklich. Aber zur Zeit des Scheidens weinte er bitterlich wegen der schlimmen Lage, in der er sich bald befinden würde. Viele Könige kamen und alle ereilte dasselbe Schicksal. Zuletzt gab es einen König, der mit Voraussicht und Weisheit handelte. Sobald er den Thron eingenommen hatte, begann er über das Leben nachzudenken, das folgen würde, nachdem er die fünf Jahre als König beendet haben würde. Endlich fiel ihm ein wunderbarer Plan ein. Insgeheim stellte er eine Gruppe von Arbeitern zusammen und in gutem Glauben ordnete er ihnen an, den Dschungel zu säubern. Dort ließ er schöne Paläste und Gärten anlegen, ausgestattet mit allen Arten von Annehmlichkeiten. Innerhalb von fünf Jahren kann man Wunder erarbeiten. Nach Beendigung seiner Amtszeit war er sehr glücklich und folgte seinen Untertanen dankbar zum Dschungel. Die Leute waren erstaunt, den König in dieser Verfassung zu sehen, denn bis dahin waren all seine Vorgänger in Tränen geschieden. Sie wollten den Grund dafür wissen. Der König antwortete, dass er die notwendigen Vorbereitungen für seinen Aufenthalt getroffen und im Dschungel nichts zu fürchten habe. Im Gegenteil, er würde dort ein friedvolles und ruhiges Leben, frei von aller Verantwortung, führen.