Eine große Täuschung

II

Die menschliche Geburt ist ein seltenes Vorrecht, zu dem man durch sehr großes Glück kommt. Wir sollten das Beste daraus machen. Früher oder später müssen wir dieser sterblichen Welt Lebewohl sagen. Vorher aber können wir, wenn wir in der Lage sind, das Rätsel des Lebens zu lösen, erfahren, was jenseits dieses Körpers ist oder das Leben nach dem Tode kennen lernen. Nur dann werden wir Ewiges Leben oder das Reich Gottes erlangen, wo alle Seligkeit, aller Friede und alle Verzückung ist. Wenn wir das Leben im Jenseits hier und jetzt erfahren könnten, würde alle Furcht vor dem Tod ausgelöscht. Wer durch die Gnade des Meisters lernen kann zu sterben, während er lebt, kann den Göttlichen Willen erkennen. Einer, der ein bewusster Mitarbeiter am Göttlichen Plan wird, sieht die unsichtbare Hand Gottes sichtbar hinter aller Schöpfung wirken. Was empfehlen die Heiligen? O Nanak, ein Tod wie dieser ist das Tor zum Ewigen Leben!

Soami Ji sagt:

Dieses (menschliche Leben) ist eine goldene Gelegenheit, die uns gegeben wurde.

In ihm haben wir die Aufgabe der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis zu erfüllen. Unser einziges Ziel ist nicht, mit dem Körper beschäftigt zu sein und körperliche Beziehungen zu schaffen, sondern etwas Höheres, dem wir keinerlei Beachtung zollen. Stellt euch eine Taube vor, die ihre Augen vor dem Anblick einer Katze verschließt. Das bedeutet aber nicht, dass die Katze verschwunden ist. Die Taube erkennt dies jedoch erst, wenn sie in den Fängen der Katze gefangen ist. Ähnlich ist der Tod für jeden ein Muss. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass wir uns für diese Möglichkeit vorbereiten. Wie kann das geschehen? Wir müssen dazu unser Selbst kennen. Wir sind nicht der Körper, sondern sein Bewohner oder die Kraft, die ihn belebt. Wir können dieses Geheimnis nur erkennen, wenn wir uns über das Körperbewusstsein erheben. Dann ändert sich unser Blickwinkel.

Jetzt sehen wir die Welt von der Ebene des Körpers aus. Aber sowohl die Welt als auch der Körper verändern sich mit derselben Geschwindigkeit. Mathematiker haben ausgerechnet, dass die Körperzellen alle sieben Jahre erneuert werden. Wenn sich zwei Dinge mit derselben Geschwindigkeit bewegen, scheinen sie in Bezug aufeinander stillzustehen. Stellt euch ein Boot vor, das auf einem Fluss in Richtung des Wasserlaufs schwimmt. Wenn die Geschwindigkeit des Bootes und des Wassers dieselbe ist, wird dies den Bootsinsassen als Stillstand erscheinen. Aber jemand, der außerhalb steht, kann sehr wohl sehen, dass das Boot und der Fluss sich gleich schnell bewegen.

Eine erleuchtete Seele sieht, dass alle auf dem mächtigen Meer des Lebens ohne Ruder sind. Sie versucht, die Menschheit aus dem tiefen Schlummer (des Gemüts und der Sinne) zu wecken. Aber o weh, die weltlichen Menschen zollen Ihrem lauten Ruf kaum Beachtung. Dies ist eine große Täuschung, durch die jeder von uns abgelenkt wird. Bevor man sich nicht über die physische Ebene erhebt, kann man nicht zu sich selbst kommen und die Wahrheit erkennen. Rechtes Verstehen kommt nur mit dem Inneren Erwachen. Von der Ebene der Seele aus kann man das wechselnde Panorama der Welt sehen. Wir betrachten unseren Körper und die körperlichen Bindungen als das Ein und Alles unseres Lebens. Aber wenn wir die Innere Schau entwickeln, erscheint das ganze System der Schöpfung in einer anderen Form. Wenn wir das Leben im Jenseits erfahren könnten, während wir leben, würden wir den schmerzhaften Auswirkungen des Auf und Ab des Lebens entgehen. Zum anderen würde uns die Furcht vor dem Tod nicht länger bedrohen. Durch die höhere geistige Verbindung würden alle äußeren Freuden ihre Anziehungskraft verlieren und schal werden. Nur dann werden wir beginnen, die Dinge in ihrer Wahren Perspektive zu sehen. Als Ergebnis würden wir Erfolg auf jedem Lebensweg erlangen. Wenn die Aufmerksamkeit unter Kontrolle ist, können wir sie nach unserem Willen lenken. Alle Großen Seelen machen uns auf die wichtige Tatsache aufmerksam, dass wir in erster Linie Menschen sind. Maulana Rumi sagt:

Ein Tier mit dem nach unten gerichteten Kopf mag wohl dauernd an Essen und Trinken denken, aber Schande über den Menschen, dessen Haupt aufwärts gerichtet ist, wenn er nach unten schaut.

Der Mensch nimmt den höchsten Platz in der Schöpfung ein. Er sollte immer nach oben blicken (zu den höheren Werten des Lebens) und versuchen, seine eigene Größe zu erkennen. Außerdem wurde der Mensch damit gesegnet ‚Nar-Naraini-Deh‘ oder der Wohnsitz des Menschen und Gottes zu sein. Wir sollten Gott erkennen, während wir im Körper sind. Wenn wir diese Aufgabe erfüllen, haben wir vollen Nutzen aus dem menschlichen Dasein gezogen. Wenn ein Tropfen Wasser einmal eine Perle geworden ist, indem er in die Muschel einging (die Seele hat Gott erkannt) kann die Schale jederzeit zerbrechen. Es gibt nichts zu fürchten. Im Gegensatz dazu ist es verhängnisvoll, wenn man die menschliche Umhüllung abschüttelt, bevor man die Gottheit erreicht hat. In den Evangelien wird es der Tod der Seele genannt. Das ist der Grund, warum die Angst vor dem Ableben die ganze Welt heimsucht. Wer aber das Mysterium des Lebens gelöst hat, fürchtet den Tod am wenigsten. Kabir sagt:

Der Tod, vor dem die ganze Welt zurückschreckt, ist mir willkommen, ich freue mich über ihn, denn er ist der Vorbote vollkommenen Friedens und vollkommener Freude.

Schon der Name des Todes macht Ihn (Kabir) glücklich, denn die Materie (des Körpers) wird auseinandergerissen und Er wird ein für alle Mal mit dem Herrn verschmelzen. Von Maulana Rumi heißt es, dass Er in Seinen letzten Tagen ernsthaft krank war. Viele fromme Moslems besuchten Ihn und begannen, für Ihn zu beten. Maulana Rumi, Der Sich in einem Trancezustand befand, wachte auf und sagte:

O Brüder, möge euch dieses Gebet segnen. Wollt ihr nicht, dass dieser Körper, der einen Schleier zwischen meinem Selbst und Gott bildet, für immer vergeht und ich so in Ihm Ruhe finde?

Das ist der Ausspruch eines erwachten Menschen, Der Gott im lebendigen Körper erkannt hat. Der Herr ist nicht von uns getrennt und wir sind nicht getrennt von Ihm. Aber als Folge des Nach-außen-Wendens auf der Sinnesebene haben wir unsere Identität vergessen. Erforderlich ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit von den weltlichen Bestrebungen frei machen und ‚nach innen gehen‘, wie es Emerson nennt. Das ist der Akt des Zurückziehens. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Sinne unterdrücken sollen. Aber sie sollten auf eine solche Art geleitet werden, dass sie den Geist sowohl auf der physischen Ebene als auch auf der Inneren Ebene unterstützen.

Unser physisches Auge kann nur physische Dinge sehen. Wenn wir unsere Augen schließen, sehen wir innen nichts. Sind wir nicht spirituell blind? Genau so sind unsere Ohren nur für äußere Musik geöffnet und können ‚Sat Bani‘ (das Wahre Wort) oder ‚Udgit‘ (die Musik des Jenseits), die in jedem von uns erklingt, nicht hören. Sind wir nicht taub? Wenn nicht, woran liegt es sonst? Während sich das Elixier von Naam im Innern befindet, laufen wir blindlings hinter äußeren Objekten her. Was für ein bedauerlicher Zustand! Deshalb sagen uns erleuchtete Seelen, dass jedes Individuum Göttliches Licht in sich hat. Schaut es mit euren eigenen Augen. Gegenwärtig jedoch können wir es nicht. Der Grund dafür ist, dass unsere Aufmerksamkeit woanders gefangen ist.

Shamas-i-Tabrez sagt:

Ich habe Tausenden, die blind geboren waren, Inneres Sehen verliehen, durch das sie den allgegenwärtigen Herrn sehen können.

Auch jetzt werden so viele (blinde) Menschen initiiert. Sie sind überglücklich und voller Freude, das Licht im Innern zu sehen. Wenn ihr die Innere Schau entwickelt habt, ist euer Zweck erfüllt. Es spielt keine Rolle, ob ihr fleischliche Augen habt oder nicht. Wir wissen nichts über diese Wissenschaft. Sie ist eine uralte Weisheit, die wir vergessen haben. Große Seelen sind immer von Zeit zu Zeit erschienen und haben diese Spirituelle Wissenschaft neu belebt. Nachdem ein Heiliger Seinen irdischen Aufenthalt beendet hat, kommt ein anderer Mahatma (eine Große Seele), um Seine Göttliche Arbeit zu tun. Meisterseelen sind sehr, sehr selten, aber die Welt war nie ohne eine von Ihnen. Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist ewig. Es ist Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen da. Wenn der Schüler bereit ist, erscheint ein Guru.

Diese Welt ist wie ein Traum; begreife, o Herz, nichts hier ist unser eigen.

Gott schuf den Menschen. Er ist ein beseelter Körper. Die Seele ist vom Wesen Gottes. Die gleiche Seele belebt uns alle. Sie ist ein Tropfen aus dem Meer der Allbewusstheit. Aber unglücklicherweise ist unser Geist mit dem Körper auf der Sinnesebene so sehr identifiziert, dass wir unser Wahres Wesen verloren haben. Das Leben, das wir bis jetzt lebten, gleicht einem Traum. Wenn wir sterben, wenn die Seele den Körper verlässt, sind unsere Taten wie ein Schlafgesicht. So sagt Kabir, dass die ganze Welt wie ein Traum ist. Was wir um uns herum sehen, erscheint uns als etwas Wirkliches oder Unwandelbares. Was ist der Grund dafür? Es kommt daher, dass wir im Bereich der Relativität leben, wo sich alles ununterbrochen ändert. Wenn sich zwei Dinge mit der gleichen Geschwindigkeit verändern, scheinen sie in Bezug aufeinander beständig zu sein. Von der Körperebene aus können wir diese Veränderung nicht begreifen. Was für eine große Täuschung! Jedoch einer, der das Innere Sehen entwickelt hat, durch das Überschreiten der Begrenzungen des Körpers, kann klar erkennen, dass die Materie sich jeden Augenblick verändert. Diese Welt ist wie eine Fata Morgana in der Wüste. Was wir in diesem Traum sehen, mag im Moment wahr erscheinen, aber wenn man die Augen aufmacht, ist alles verschwunden. Man fühlt sich genau so, wenn die Stunde des Todes herankommt. Aber dann aufzuwachen, ist von keinerlei Nutzen, weil die Zeit abgelaufen ist. Zum anderen müssen wir erkennen, dass uns von hier nichts begleiten wird. Mit dem Wort ‚uns‘ meinen wir nicht den materiellen Körper, sondern unser Selbst, das eine bewusste Wesenheit ist. Daher lenken erwachte Seelen unsere Aufmerksamkeit immer auf die Tatsache, dass wir getäuscht werden. Wenn es überhaupt etwas Wahres oder Ewiges gibt, dann ist es entweder die Seele oder die Überseele.

O Wahrheitssucher, wisset, dass dieser Körper falsch und vergänglich ist, und erkennet allein Ram (den alles durchdringenden Geist), Der darin wohnt, als wahr!

Kabir rät uns hier, dass wir in dem sich ändernden Panorama des Lebens einen Wahren Begleiter der Seele suchen sollten. Wellen blinder Vernarrtheit verwirren die ganze Welt. Da wir uns mit dem Körper identifizieren, sehen wir die äußere Welt von der Ebene des Körpers aus. Deshalb ist die Bindung das natürliche Ergebnis. Kabir sagt daher, dass sich die ganze Welt in der Umklammerung der Verblendung befindet, ohne Rücksicht auf die Tatsache, ob einer gelehrt oder ungebildet ist. Solange sich der vom Gemüt gelenkte Geist mit dem Körper auf der Sinnesebene gleichsetzt, treiben beide, Gelehrte und Ungebildete, im gleichen Boot. Nur durch das Erheben über das Körperbewusstsein gelangt man zur Wahrheit. Die Wahrheit ist nur eine einzige, aber sie scheint etwas Verschiedenes zu sein. Alle sind in der Knechtschaft der Materie gekettet. Es gibt eine Geschichte von einem großen Ergebenen, der Chhajju hieß. Es bestand der Brauch, dass er, wenn jemand in der Nachbarschaft starb, vor dem Begräbnis tanzte und Loblieder zur Ehre des Herrn sang. Dann starb sein eigener Sohn. Wie gewöhnlich begann Chhajju vor dem Leichnam zu tanzen. Aber die Leute merkten schon nach kurzer Zeit, dass er die frühere Weise nicht fand.

Bevor wir nicht lernen, das Gemüt und die Sinne routinemäßig zu überschreiten, können wir der ständig wiederkehrenden Betörung nicht entgehen. Wir müssen zu uns selbst finden und in der Lage sein, die Welt von einer höheren Ebene aus zu sehen, die verschieden von der physischen ist. Wer das tut, wird vom Auf und Ab des Lebens am wenigsten berührt. Er benimmt sich unter allen Lebensumständen auf die gleiche Weise.

Einmal besuchte mein Meister Baba Sawan Singh Ji Seinen Meister Baba Jaimal Singh. Sein kränkelnder Sohn, dessen Zustand ziemlich ernst war, begleitete ihn. Unglücklicherweise verschied der Sohn, ehe sie die Dera Beas im Punjab erreichten. Hazur sagte immer, dass er auf den toten Körper schaute und dann sein Herz prüfte, um seine Reaktion auf dieses Unglück zu ergründen. Wie Er es beschrieb, hatte dieser Tod praktisch keine Auswirkungen auf Sein Gemüt. Das ist der Zustand vollkommener Wesen.

Wie ein Wasserkrug, der einmal zerbrochen ist, nicht mehr zusammengefügt werden kann, ebenso kann ein Blatt, das vom Baum fiel, nicht wieder mit ihm verbunden werden.

Nun erläuterte der Große Lehrer dieses Gleichnis. Angenommen, ein Krug enthält Wasser: Früher oder später wird er leer werden. Ähnlich enthält unser Körper einen bestimmten Vorrat an Lebenskräften, entsprechend den ‚Pralabdh‘ (Schicksals-) Karmas.

Jeder Atemzug und jede Nahrung sind für jeden festgelegt. Wenn der Vorrat verbraucht ist, müssen wir dieses Haus (den Körper) verlassen. Aber bei eingeschränktem Gebrauch der Lebenskräfte können wir die uns zugemessene Lebensspanne verlängern. Ihr werdet zum Beispiel feststellen, dass wir normalerweise 14 – 15 mal in der Minute atmen. Wenn wir aber ein Leben voll Leidenschaft oder Zügellosigkeit oder Zorn führen, wird unser Atem erhöht auf 28 – 30 mal in der Minute. Dadurch wird das Leben um die Hälfte verkürzt. Ihr habt sicher einmal das allgemeine Sprichwort gehört, dass Laster das Leben eines Menschen verkürzen.

Durch ein Leben der Mäßigung und Meditation atmet man nur drei- oder viermal in der Minute. Mit dem Ergebnis, dass das Leben um das Dreifache verlängert wird. Ein Yogi kann durch rechte Kontrolle und Regulierung der Lebenskräfte zusammen genommen Jahre in einem Trancezustand verbleiben. So kann man seine Lebensspanne um Tausende von Jahren verlängern. 1930 traf ich einen Sikh mit Namen Kishan Singh. Er war damals 125 oder 130 Jahre alt. Er erzählte mir, dass er gewöhnlich zwei Jahre in Trance verweilen würde durch Kumbhak (eine Yoga-Übung, die pranas einschließt). Seine Augen waren so gut, dass er sogar bei Mondlicht lesen konnte. Dann waren auch noch all seine Zähne in Ordnung. Kabir sagt deshalb, dass jeder Tag, jede Stunde, nein, jede Minute unser Vorrat an Lebenskräften kleiner wird. Das bringt uns dem letzten Ende, dem Tod näher.

Jemand kam zu einem Mahatma (einer Großen Seele) und teilte ihm mit, dass ein bestimmter Mann seinen Atem aushauche. Der Mahatma fragte: Wie alt ist er? – Siebzig Jahre, erwiderte der Fremde. Daraufhin sagte der Mahatma:

Der Sterbende hat seinen Vorrat an Lebensenergien während der letzten siebzig Jahre erschöpft. Jetzt handelt es sich nur noch um seinen letzten Atemzug.

Die Zeit und die Flut warten auf niemanden. Das menschliche Leben ist eine goldene Gelegenheit für uns. Wir sollten das Beste daraus machen. Wie können wir das? Dafür sollten wir zur ambrosischen Stunde der frühen Dämmerung aufstehen, uns über das Körperbewusstsein erheben und unser Selbst erkennen. Weiter sagt Kabir, dass, genau wie ein vom Baum gefallenes Blatt nicht wieder an ihn zurück kann, niemand wisse, wann wir wieder eine menschliche Geburt bekommen, wenn wir die Gelegenheit einmal verpasst haben. Nur in diesem Kleid kann man zur Wahrheit kommen und nicht in niedrigeren Geburten. Der Mensch ist ein Verstandeswesen und kann Recht von Unrecht unterscheiden. So kann er an der Wahrheit festhalten und sie durch das Unwahre (den Körper und die dem Körper beigeordneten Dinge) erreichen. Große Seelen haben die Menschheit zu allen Zeiten erweckt, Sie erwecken sie auch jetzt und werden dies in alle Zukunft tun. Sie betonen unablässig die Wichtigkeit der menschlichen Geburt.

Dein menschliches Leben vergeht umsonst, erwache, o stolzer Mensch, aus dem tiefen Schlummer!

Der große Lehrer sagt, dass jeder von uns diese goldene Gelegenheit (des menschlichen Lebens) mit den nutzlosen Beschäftigungen vergeudet. Alle sind in Unwissenheit eingetaucht. Wir haben weder unser Selbst erkannt noch die Gotteskraft in uns. Wir haben die Wirklichkeit der Welt nicht von einer höheren Ebene aus gesehen. Was für eine große Täuschung! Deshalb ermahnen uns erleuchtete Seelen, zur Wahrheit zu erwachen und so von der begrenzten Zeit, die uns zur Verfügung steht, rechten Gebrauch zu machen. Weiterhin sollten wir die wirkliche Führung eines Spirituellen Adepten suchen, der uns bei der Selbsterkenntnis unterstützen kann. Wenn wir auf unsere momentane Notlage schauen, sehen wir, dass wir vom Morgen bis zum Abend entweder mit der Ernährung des Körpers oder anderen körperlichen Angelegenheiten beschäftigt sind. Wir sind jedoch einfach ein Bewohner im Körper und nicht der Körper. Früher oder später müssen wir nach Seinem Willen dieses Haus räumen. Nehmen wir ein weltliches Beispiel. Wenn vom Gericht ein Räumungsbefehl ausgestellt wird, werden alle Besitztümer des Hauses umgehend hinausgeworfen. Genauso haben wir keine Wahl und müssen den Göttlichen Befehl ausführen und das fleischliche Tabernakel verlassen. Nun ist die Frage: Sind wir für diese Möglichkeit, die als Tod bekannt ist, vorbereitet? Schaut nach innen und seht, worauf wir wirklich ausgerichtet sind. Die Seele ist die treibende Kraft hinter dem Körper. Deshalb heißt es:

Der Körper lebt so lange wie die Gotteskraft in ihm ist. Sobald ihn die Gotteskraft verlässt, wird der Körper zu einem Haufen Staub.

Dieses Haus (der Körper) bleibt so lange schön, wie diese Kraft (die Seele) in ihm ist. Wer kümmert sich noch um den Körper, wenn Sie sich daraus zurückzieht?

Keiner will den toten Leib behalten, nicht einmal für eine kurze Zeit. Jeder beeilt sich, ihn so bald wie möglich loszuwerden.

Das ist also der Wert dieser sterblichen Hülle. O weh, wir kennen alle das Lebensprinzip oder die Kraft, die den Körper belebt, nicht! Wenn wir überhaupt ein wenig wissen, ist unser Wissen rein theoretisch und auf das beschränkt, was in den Schriften steht. Praktisch haben wir diese Kraft weder gesehen noch sie erfahren. Wenn wir nicht in der Lage sind, unseren Geist willentlich vom Körper zurückzuziehen, was ist dann unsere Hoffnung? Das bedeutet, dass wir das Einzelauge, mit dem wir die Wahrheit sehen können, noch nicht entwickelt haben. Als Folge erscheint diese Ebene der Relativität als etwas Ewiges und Unveränderliches.

O Mensch, lass dich nicht durch die schönen Gesichter täuschen, dein Aufenthalt in dieser Welt ist sehr kurz.

Der Große Lehrer sagt, dass wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf den Glanz und die Schönheit der äußeren Welt beschränken sollten. Ganz gleich, ob einer ein gutes oder finsteres Aussehen hat, alle sind Tod und Verfall unterworfen. Mann kann es mit einer Aufstellung von Feuerwerkskörpern vergleichen, in der es verschiedene Arten von Leuchtraketen gibt, die die Form von Pferden mit deformierten Nasen und von Häusern mit krummen Wänden haben können. Aber sobald ein brennender Span an die Raketen gehalten wird, werden alle nach einer sehr kurzen Vorstellung zu Asche. Genau das ist der Fall mit unserer Hülle aus Erde. Der Tod ist ein großer Gleichmacher. Er unterscheidet nicht zwischen arm und reich, weiß und schwarz, hoch und niedrig. Alle weltlichen Dinge sind mit dem physischen Körper verbunden. Alles auf der materiellen Ebene, einschließlich unserem Körper, ist der Zerstörung und Auflösung unterworfen. Was ist dann beständig oder ewig? Es ist unser eigenes Selbst oder unsere individuelle Seele. Wir sollten sie erkennen und erfahren. Einer, der Selbsterkenntnis erreicht hat, wird dem Kreislauf der Geburten und Tode für immer entkommen. In diesem Zusammenhang sagt Soamiji:

O Seele, der Himmel ist dein Aufenthaltsort,aber o weh, du bist in der Knechtschaft der Materie gefangen.

Die Wahre Heimat der Seele ist dort, wo es überhaupt keine Materie gibt. Aber, so seltsam es scheinen mag, sie ist im Schmutz der Welt verfangen – dem mächtigen Irrgarten von Gemüt und Materie. Solange wir nicht zu uns selbst kommen, kann unser Geist das Haus des Herrn nicht betreten. Nur durch Erreichen des Reiches Gottes können wir das Ewige Leben erlangen.

Dein Gemüt ist an das Haus (den Körper) gebunden, das schließlich verlassen werden muss. Du kümmerst dich am wenigsten um deine Wahre Heimat, wo du ewig weilen wirst.

Man betrachtet den Körper und die weltlichen Dinge, die zurückgelassen werden müssen, als das Ein und Alles des menschlichen Daseins. Aber am wenigsten Gedanken machen wir uns über den Ort (das Reich Gottes), wo wir für immer leben müssen. Wie können wir so jemanden als weise betrachten? Die Veden sagen: Erhebe dich, erwache und ruhe nicht, bevor das Ziel erreicht ist. Das bedeutet offensichtlich, dass unsere Aufmerksamkeit woanders beschäftigt ist. In anderen Worten, wir haben unser Selbst in der Bindung und Täuschung der Welt verloren. Das kommt daher, weil wir unseren Geist so behandeln, als sei er dem materiellen Körper gleich.

Guru Arjan sagt:

Erwache, o Reisender auf dem Weg, du hast dich für deinen Bestimmungsort verspätet.

Die Pilgerseele muss, nachdem sie das Physische überschritten hat, die Regionen von ‚And‘ (astral), ‚Brahmand‘ (kausal) und ‚Par Brahm‘ durchqueren. Hinter all diesen liegt unsere Wahre Heimat ‚Sach Khand‘ oder ‚Sat Lok‘. Die Reise ist lang und beschwerlich. Aber o weh, wir schlafen im Schmutz der Sinnesfreuden. Der Wahre Lehrer macht uns deshalb darauf aufmerksam, dass die Welt nicht unser ständiger Aufenthaltsort ist. Während man hier ist, sollte man sich mit solchen Bestrebungen beschäftigen, die unserer Seele zum Nutzen gereichen können. Daher heißt es:

Durch großes Glück hat du eine menschliche Geburt erhalten,dies ist die einzige Gelegenheit für dich, dich mit dem Herrn zu verbinden; alles andere in der Welt ist von keinem Nutzen; suche die Gesellschaft der Heiligen und lerne, dich mit dem Heiligen Wort zu verbinden.

Die menschliche Geburt ist ein seltener Vorzug, zu dem man durch die Fülle der Karmas kommt. Hier können wir die Aufgabe der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis erfüllen.

Die Evangelien sagen:

Deine Zeit ist gekommen, Gott zu finden.

Wir sollten diese Gelegenheit zu unserem äußersten Vorteil nutzen. Aber es ist erschütternd zu sehen, dass wir nur mit unnützen Bestrebungen (der Welt) beschäftigt sind. Sie haben am wenigsten mit unserer Seele zu tun. Unsere ganze Zeit wird mit den Angelegenheiten des Körpers verbraucht. Der Mensch ist eine dreifache Wesenheit und umschließt Körper, Intellekt und Seele. Wir haben auf den verschiedenen Lebensgebieten, physisch, sozial, politisch und intellektuell, ausgezeichnete Erfolge errungen. Wir haben wunderbare Erfindungen gemacht. Der Mensch kann über die mächtigen Meere schwimmen und in den Lüften fliegen. Wir haben auch zerstörerische Waffen wie die Atombombe hergestellt. Eine Atombombe kann Millionen kostbarer Menschenleben zerstören. Obwohl wir all dies und noch viel mehr erreicht haben, haben wir den wichtigsten Teil unseres Lebens arg vernachlässigt – den Spirituellen. Körper und Intellekt erhalten ihre Kraft von der Seele, von der wir nichts wissen. Der Mensch sollte sich in jeder Richtung entwickeln. Nur einer, der Vollkommenheit auf dem Gebiet des Körpers, des Intellekts und der Seele erreicht, könnte ein Vollkommenes Wesen genannt werden.

Weil wir mit dem menschlichen Leben gesegnet wurden, sollten wir uns in den Angelegenheiten der Welt so verhalten, dass wir zum Kronjuwel unseres Lebens kommen können. Wie können wir das erreichen? Wir sollten zu einer erwachten Seele gehen und uns in ihrer Gesellschaft aufhalten, einer Seele, die ihren Geist von den Fesseln des Gemüts und der Sinne befreit hat und durch das Überschreiten des Körperbewusstseins sich selbst analysiert hat. Außerdem sollte sie die Erfahrung der Gotteskraft im Innern aus erster Hand besitzen und in der Lage sein, diese Erfahrung anderen zu vermitteln. Allein in der Gemeinschaft solcher Menschen können wir Selbstbewusstsein erlangen und dann in das kosmische Bewusstsein aufsteigen. Was empfehlen die entwickelten Seelen? Wir sollten uns mit Naam oder dem Heiligen Wort verbinden. Diese Kraft erhält die ganze Schöpfung. Naam hat zwei Aspekte: Der eine ist nur eine Silbe. Der andere ist die Kraft, welche diese Silbe benennt. Eines ist der Name, das andere das Benannte. Bloßes Kennen des Namens ist von wenig Bedeutung, bevor wir nicht seine Eigenschaft kennen. Naam ist die Kraft, mit der wir eine Verbindung herstellen müssen. Lediglich Namen oder Heilige Worte zu wiederholen, stellt nur eine Anfangsstudie dar. Von hier ausgehend, werden wir uns mit der Naamkraft vereinen. In anderen Worten, wenn unsere Seele den Körper überschreitet, nachdem sie sich von der Einwirkung des Gemüts und der Sinne befreit hat, wird sie sich mit dem Wort verbinden und dann ihre wirkliche Urquelle erreichen. Die Naamkraft hat ihren Ursprung im Namenlosen.

So sind zwei Dinge sehr wesentlich. Erstens die Gemeinschaft erleuchteter Seelen und liebevolle Ergebenheit Ihnen gegenüber. Zweitens die Verbindung mit Naam. Es ist auch als Shabd bekannt. Die Veden nennen Es Shruti. Die Upanischaden beziehen sich darauf als Udgit (die Musik des Jenseits). Die Moslem-Heiligen nennen es Kalma und erklären, dass vierzehn ‚Tabaqs‘ oder Regionen durch Es geschaffen wurden. Die Hindus benennen Es Nad und schreiben ihm die Offenbarung von vierzehn ‚Bhavans‘ oder Regionen zu. Beide sprechen von derselben Sache. Dieses Kalma oder Nad ist wortlos.

An einer Stelle hat Maulana Rumi erwähnt:

O Gott, zeige mir den Ort, von dem ‚Kalma‘ ausgeht ohne Worte.

Der Gurbani sagt in diesem Zusammenhang: Naam oder das Heilige Wort erhält die verschiedenen Ebenen und Unterebenen in der Schöpfung.

Wieder heißt es:

Die ganze Schöpfung entsprang aus dem Naam.

Es ist die allererste Offenbarung Gottes und für die gesamte Schöpfung verantwortlich. Naam ist die kontrollierende Kraft, die hinter allem steht, was existiert. Wir sollten uns mit ihr verbinden. Alle anderen Bestrebungen, mit denen wir zurzeit beschäftigt sind, sind von keinem Nutzen auf dem Weg gottwärts. Wir müssen die Dinge, die uns zur Verfügung stehen, recht benutzen und uns nicht in der Freude über sie verlieren. Das höchste Ideal des menschlichen Lebens ist, unser Selbst mit dem Wort in Einklang zu bringen durch die wirksame Führung eines Heiligen, der das personifizierte Wort ist. Wie können wir das erreichen?

Lass Egoismus, Habgier und List und lebe wie ein freier und furchtloser Mensch in der Welt.

Wer kann die Wirklichkeit erfassen? Kabir sagt, dass einer, der sich selbst von den drei oben genannten Lastern befreit hat, dann alles in seiner Wahren Farbe sieht. Zuerst der Egoismus. Einige werden vom Rausch der Macht beeinflusst. Andere sind stolz auf ihre Gelehrsamkeit und ihr Wissen. Wieder andere sind stolz auf ihren Reichtum und denken, sie können alles erreichen. Deshalb sagt der große Lehrer, dass solche Leute um keinen Preis zur Wahrheit gelangen können. Außerdem suchen sie wegen ihrer Eitelkeit nie die Nähe eines Menschen der Intuition oder Erkenntnis. Aus diesem Grund ist das Austilgen des Egoismus unerlässlich. Nur dann werdet ihr rechtes Verstehen und richtige Einsicht entwickeln. Zweitens, wenn immer ihr etwas tut, seid frei von Habsucht. Ein habgieriger Mensch betrachtet alles von einem selbstischen Standpunkt aus. Am wenigsten ist er auf die Wahrheit einer Sache bedacht. Nimm einen Diener. Zahle ihm fünfzig Rupien und du bekommst jede Art von Aussage zu deinen Gunsten von ihm. Wenn jemand anderes dem selben Mann hundert Rupien bezahlt, wird dieser bereitwillig gegen den ersten sprechen. Wie kann ein solcher Mensch die Wahrheit erkennen? Drittens unterlasse List. Obwohl man weiß, dass eine Sache falsch ist, tut man sein Bestes, um diese Tatsache durch listige Reden und Heuchelei zu verbergen. Wenn ihr einmal lügt, müsst ihr noch weitere fünfzig Male lügen, um die Wahrheit zu verbergen. Das machen die meisten Menschen. Das Ergebnis ist, dass wir von der Wahrheit weit entfernt sind. Nur indem man diese drei Laster – Egoismus, Habgier und List – aufgibt, kann man Zeuge der Göttlichen Glorie werden und die Dinge in ihrer Wahren Perspektive sehen. So jemand hat in der Welt nichts zu fürchten.

Alle Freunde, alle Verwandten, Frau und Kinder müssen uns eines Tages verlassen.

sagt, dass all die weltlichen Verbindungen von vergänglicher Natur sind und zur Zeit des Todes zerrissen werden. Unsere irdische Verwandtschaft entspricht genau den Pralabdh (Schicksals-) Karmas. Wir kommen nur hierher, um unsere Rechnungen aus der Vergangenheit miteinander zu begleichen. Wenn das erledigt ist, müssen wir alle gehen. Wir sollten deshalb einen Wahren Gefährten suchen, der uns bis zum Ende nicht verlässt noch versäumt. Wer aber kann solch ein Freund sein?

O Nanak, hör auf mit all den vergänglichen Banden der weltlichen Beziehungen und suche die Gemeinschaft eines Wahren Heiligen;die ersteren werden noch in diesem Leben zerbrechen, während letzterer sogar nach dem Tode bei dir bleiben wird.

Nanak ermahnt uns, alle Verbindungen mit den Menschen der Welt aufzugeben und die Ewige Freundschaft eines in Gott ruhenden Heiligen zu suchen. Der Begriff ‚Heiliger‘ wird hier für eine wirkliche erwachte Seele gebraucht, die in der Theorie und Praxis der Spiritualität bewandert ist und nicht auf irgendeiner bestimmten äußeren Erscheinung oder einem bestimmten Etikett besteht. So nah und lieb einem die Freunde und Verbindungen in der Welt auch sein mögen, sie bleiben nicht durch dick und dünn bei uns. Alle haben selbstische Ziele. Einige verlassen uns, wenn wir in Armut sind, andere bei langer Krankheit und langem Leiden und einige in widrigen Umständen und Unglück. Wenn es hoch kommt, bringen euch ein paar zur Verbrennungsstätte und das ist alles. Selbst die Ergebensten stehen hilflos dabei, wenn man an der Tür des Todes steht und nach Atem ringt. Keiner kann uns in diesem Augenblick zu Hilfe kommen – mit Ausnahme der Meisterseele. Sie ist immer bei uns und beschützt uns, wo wir auch sind, im Wald, auf schneebedeckten Berggipfeln, in brennender Wüste oder in der Wildnis. Und wiederum erscheint Sie am Jüngsten Tag, wenn alle weltlichen Verbindungen zerbrochen sind, in der strahlenden Form des Meisters, um die verschiedene Seele ins Jenseits zu geleiten.

Deshalb heißt es:

Dient dem Wahren Meister und entwickelt das Heilige Wort; der Meister empfängt diejenigen beim Tod, die ihr Bestes getan haben, Ihm zu folgen.

Der Meister bleibt unerschütterlich beim Initiierten bis zum Letzten. Wenn wir über das Körperbewusstsein steigen, führt Er unseren Geist als ein Wahrer Führer allmählich von Ebene zu Ebene. Er hält bei uns für immer und ewig aus und bleibt auch, um uns vor dem Richterthron Gottes zu helfen. Mein geliebter Meister Baba Sawan Singh Ji Maharaj pflegte zu sagen:

Wenn man nach dem Tod dem Engel des Todes folgen muss, sollte man einem solchen Meister und Seinem Wort Lebewohl sagen.