Kirpal Singh

Gurubhakti: Eine Lektion in Liebe

I

An diesem Tage haben wir uns in der liebevollen Erinnerung an den Gottmenschen, Hazur Sawan Singh Ji Maharaj, zusammengefunden, Der die uralte, Ewige Wissenschaft wiederbelebte, die wir vergessen hatten. Der Zweck, den Geburtstag einer Meister-Seele zu begehen, ist, Seine Lehren aufzufrischen; und indem wir in Seine Fußstapfen treten, halten wir die Erinnerung an Ihn wach. An sich sollten wir täglich, ja stündlich in der liebenden Gegenwart des Meisters leben und Ihm für die unauslöschlichen Spuren, die Er der Zeit aufgeprägt hat, stets dankbar sein. Das ist natürlich eine ganz persönliche Sache. Aber wir müssen wenigstens einmal im Jahr eine Gedenkfeier halten anlässlich Seines Kommens in die Welt zur Spirituellen Erhebung der Menschheit. Welche Zeit wir bei diesem Gottesdienst im Gedenken an den Gottmenschen auch immer zusammen sind, sie wird reichlich belohnt und sollte deshalb als Großer Segen betrachtet werden.

Welches sind nun die Lehren, die wir aus einem solchen hingebungsvollen Leben selbstlosen Dienstes wie dem von Hazur entnehmen können? Denn dadurch, dass wir sie kennen, können wir danach streben, ihnen so gut wie nur irgend möglich zu folgen, und auf dem Pfad der Selbstverwirklichung und der Gottverwirklichung fortschreiten. Es ist sein großes Verdienst, dass Er die uralte Wissenschaft des Para Vidya – das Wissen vom Jenseits, dem großen unbekannten Urgrund, der über den Sinnen, dem Gemüt und dem Verstand liegt – wiederbelebt hat. In der Neuzeit haben die Lehren von Kabir und Nanak ihren Ausgang genommen, und die Fackel des Lichts wurde von den neun nachfolgenden Gurus, dann von Tulsi Sahib, Soami Ji Maharaj, später von Baba Jaimal Singh und schließlich von Hazur Sawan Singh Ji Maharaj weitergetragen, durch Dessen Gnade die Heiligen Lehren auch jetzt den spirituell hungernden Seelen übermittelt werden. In der Tat begünstigt sind jene gesegneten Seelen, die den Vorzug hatten, von Ihm initiiert zu werden. Wir müssen deshalb den besten Nutzen aus der kurzen Lebensspanne ziehen, die uns zugemessen wurde. Der höchste Zweck der menschlichen Geburt ist, dass sie uns Gelegenheit gibt – wie selten sie auch sein mag – unser eigenes Selbst und Gott zu erfahren. Niemand kann dabei helfen, uns mit Gott zu verbinden, außer Einem, Der bereits mit Ihm verbunden ist.

Im Gurbani heißt es:

Ein Gottmensch kann uns mit der Kraft Gottes verbinden.

Die Göttliche Kraft ist natürlich in jedem von uns, denn wir leben, bewegen uns und haben wahrlich unser Sein in Ihm.

Weiter ist im Gurbani gesagt:

Der Herr, mein Gefährte, durchdringt alle Wesen, aber gesegnet ist Einer, in dem Er Sich offenbart.

Es ist dieses Wesen, in Dem Sich Gott offenbart hat, oder der Gottmensch, Der uns zu Gott führen kann. Hier erhebt sich die Frage, warum wir uns nicht ohne Hilfe, durch eigene Anstrengung, mit Gott verbinden können? Deshalb nicht, weil die Seele unter dem mächtigen Einfluss des Gemüts steht, das wiederum von den Sinnen beherrscht wird, und diese durch die Sinnesobjekte umherschweifen. Auf die Weise haben wir uns völlig mit dem Gemüt und der Materie identifiziert und keine eigene, unabhängige Existenz. Es ist also Gott im Menschen, Der uns mit Gott verbinden kann. Mit anderen Worten: Einer, Der eine Verbindung mit Gott hergestellt hat, kann uns den Weg zeigen, damit wir diesen Kontakt für uns selbst zustande bringen. Infolgedessen ist Gott im Gewand des Menschen der Guru aller.

Als Guru Nanak über dieses Thema befragt wurde, antwortete Er:

Wahrlich, das Heilige Wort, Shabd oder der Ton, ist der Meister, und die Seele im Menschen, die sich überall im physischen Körper verbreitet, ist der Schüler.

Nun, was ist mit Shabd gemeint? Der Absolute Gott ist Ashabd – wortlos –, aber wenn Er Sich zum Ausdruck bringt, ist Er als Shabd, Wort, bekannt.

Der Gurbani erklärt:

Durch ein einziges Wort kam die ganze Schöpfung ins Sein.

Wiederum sagt der Gurbani:

Durch Shabd kommt die ganze Schöpfung ins Sein und wird letztlich von Ihm wieder in sich aufgenommen und durch Shabd erneut ins Leben gerufen.

Diese offenbar gewordene Kraft Gottes, die der gesamten Schöpfung zugrunde liegt, wird Shabd genannt. Dieser Shabd ist alsdann der Jagat Guru oder die Meister-Kraft.

Genau danach wurde Kabir gefragt:

O Kabir, wer ist der Meister, und wo weilt der Schüler? Wie kamen diese beiden in einer unlösbaren Einheit zusammen?

Er entgegnete:

Mein Meister ist im Jenseits, während sich der Schüler im Körper befindet. Beide wurden durch Shabd zusammengeführt, und nun gibt es bei ihnen keine Furcht vor einer Trennung.

So ist der Meister für die ganze Welt die Shabd-Kraft oder das Heilige Wort.

Guru Gobind Singh hat es kurz so ausgedrückt:

Er, der am Anfang und am Ende Ein und Derselbe ist, ist die offenbarte Gotteskraft, der Shabd, und das ist der wirkliche Meister.

Also ist der physische Körper, in Dem sich die Shabd-Kraft offenbart und wirkt, unserer ganzen Verehrung würdig, denn diese Kraft allein kann die Seele zu Ihm ziehen. Der Meister ist nicht der physische Körper, sondern die Göttliche Kraft, Welche Seinen Körper belebt.

Und der Gurbani macht deutlich:

Gott spricht durch eine menschliche Gestalt, denn wie könnte Er ohne diese zu uns sprechen?

Der physische Körper ist nicht der Meister; doch gesegnet ist der Körper, in welchem sich die Kraft zur Spirituellen Führung manifestiert. Diese Gotteskraft auf der menschlichen Ebene hilft dabei, alle menschlichen Seelen, die in der Falle von Gemüt und Materie begraben sind, zu befreien.

Soami Ji sagt:

Die Große Gotteskraft im Guru hilft, die Seele aus den Fesseln des Körpers zu lösen und sie zu erheben.

Der Lebende Meister ist dafür zuständig, solche Seelen mit Gott zu verbinden, die Seine Führung suchen. Die erste Aufgabe einer Meister-Seele besteht darin, alle Kinder Gottes unter Seinem erlösenden Schutz zu vereinen.

Der Gurbani sagt:

Frei von Geburt und Tod unter der zwingenden Macht des Karmas, kommt der Erretter der Seele. Mit einem Hauch Seines Lebensodems verwandelt Er die menschliche Seele und verbindet sie mit dem Heiligen Wort.

Solche Großen Seelen kommen für das Spirituelle Wohl der Menschheit in die Welt. Sie sind für diese Aufgabe von oben auserwählt. Nun mögt ihr verstehen, was mit einem Lebenden Meister gemeint ist. Er ist tatsächlich die Offenbarung Gottes auf Erden oder das Fleisch gewordene Wort, das unter uns wohnt, wie es in der Bibel heißt.

Wieder sagt der Gurbani:

Er wohnt im Guru und teilt das Heilige Wort aus.

Allein der Mensch kann Lehrer des Menschen sein. Mit Hilfe eines menschlichen Werkzeugs wirkt Gott für die Menschheit. Gott kommt von Zeit zu Zeit im menschlichen Kleid zur Erhebung der Menschen, die im Schlamm der Welt und allem Weltlichen feststecken. Ein Heiliger hat eine zweifache Mission: die Menschen aus einem lange währenden Traum der materiellen Welt zu erwecken und ihnen die Innere Rettungsschnur zu enthüllen. Wie ein strahlender Polarstern leitet Er die irrende Menschheit. Wenn es regnet, wird jedem Ort, ob niedrig oder hoch gelegen, gleicherweise der Segen der lebensspendenden Schauer zuteil. Hazurs Name war Sawan, und bezeichnenderweise segnete Er gleich dem Sawanregen die Menschheit mit Spirituellen Schauern, und jeder, Hindu, Moslem, Sikh oder Christ, hatte Vorteil von Seinen Lehren.

Nun kommen wir auf unsere ursprüngliche Frage zurück, nämlich, wen man in der Welt lieben soll. Wenn wir genau hinsehen, finden wir, dass Liebe eine dem Menschen angeborene Eigenschaft ist und jeder sich der einen oder anderen Sache gewidmet hat, sei es dem Dienst an der eigenen Familie, Gemeinschaft, Nation oder Religion oder der Förderung einer Kunst, eines Handwerks oder Ähnlichem. Und doch gibt es welche, die sich selbst über alles lieben und für die ihre eigene Befriedigung das ein und alles im Leben ist.

Einmal lebte in unserem Land ein Herrscher namens Mohammed Shah Rangila. Er gab sich Trinkgelagen hin. Als in Delhi heftige Kämpfe tobten, baten die Leute den König, einzugreifen. Dieser war aber so sehr dem Trunk ergeben, dass er weder die Zeit noch das Herz hatte, sich diesem Gnadengesuch zuzuwenden. Er rief aus:

Lasst uns diese bedeutungslosen Papiere im Wein ertränken!

Ähnliches wird von dem römischen Kaiser Nero berichtet, der geigte, während Rom brannte. An solchen Leuten mangelt es nicht auf der Welt. Wer seiner Familie dient, ist weit besser als einer, der sich selbst verehrt und nur der eigenen Befriedigung lebt. So ist der, welcher seine Gemeinschaft, seine Religion oder sein Land liebt und ihnen dient, zunehmend besser. Aber alle diese verschiedenen Arten der Liebe und Ergebenheit sind mehr oder weniger von selbstischen Interessen bestimmt und haben einen Beigeschmack von Stolz; daraus ergibt sich nur allzu oft Zwietracht zwischen Familien, Klassen und Ländern.

Wir hatten das, was man beschönigend Kreuzzüge oder heilige Kriege nannte, die im heiligen Namen der Religion geführt wurden, aber geboren aus einem fehlgeleiteten religiösen Eifer und, offen gesagt, völliger religiöser Unwissenheit, Bigotterie und Intoleranz. Im Gegensatz dazu aber geht die Liebe zu Gott über alle diese unbedeutenden Ziele der Verehrung weit hinaus, da sie in völliger Selbstverleugnung und selbstlosem Aufopfern besteht, aus dem Wissen heraus, dass Gott im Herzen aller wohnt und die Grundlage der ganzen Schöpfung ist – Unwandelbares Sein, das ewig währt. Aber wir haben Ihn noch nicht gesehen; wie können wir Ihn lieben, ohne Ihn geschaut zu haben, und wie uns die Ergebenheit für Ihn einschärfen? So müssen wir notwendigerweise unsere liebende Hingabe auf den Menschlichen Pol lenken, Wo die Gotteskraft offenbart ist.

Guru Amar Das Ji sagt:

Wenn ihr Gott verehren wollt, verehrt den Satguru, den Personifizierten Gott oder das Fleisch gewordene Wort.

Er gewährt uns dann die Verbindung mit dem Heiligen Naam und hilft uns, ins Jenseits zu gelangen. Den Satguru verehren, bedeutet in Wirklichkeit Gott verehren. Der leichteste Weg, Hingabe an Gott zu entwickeln, ist der, Gurubhakti – Liebe zum Meister – zu pflegen.

Im Gurbani lesen wir:

Die liebende Ergebung in den Meister steht über allem, und ich liebe Seine Heiligen Füße mit meiner ganzen Kraft.

Was ist nun Bhakti – liebende Hingabe? Es ist die Liebe zu Gott. Der Weg zurück zu Gott führt auch über die Liebe. Liebe kennt nichts als Dienen und Opfern. Was zeichnet diese Liebe aus? Wer liebt, möchte alles, was er hat, für den Geliebten opfern, und nachdem er alles hingegeben hat, schaut er nicht nach einer Belohnung als Gegengabe aus.

Gott Selbst erläutert im Gurbani:

Wenn du am Spiel der Liebe mit Mir teilhaben willst, so komm zu Mir mit dem Kopf auf deinen Händen als Opfergabe; wenn du den Pfad der Liebe gehen möchtest, dann zögere keinen Augenblick, dein Leben hinzugeben.

Das ist die Art des Opfers, welches die Liebe fordert, und wenn ihr so handelt, dürft ihr nie denken, dass ihr irgendetwas Besonderes getan habt. Ihr solltet vielmehr dankbar dafür sein, dass ihr die Liebe so leicht erlangt habt.

Amir Kushro war seinem Meister sehr ergeben. Eines Tages rief er voller Freude, dass er eine glückliche Nachricht von seinem Geliebten erhalten habe. Was ist es?, fragten die Leute. Mein Geliebter hat Anweisung gegeben, wonach ich morgen auf dem Marktplatz vor aller Augen enthauptet werde, sagte er. Hat dir dein Geliebter irgendeine Zusage gemacht, dass er dich sehen und seinen liebevollen Blick auf dich werfen wird?, erkundigten sich die Leute. Nichts dergleichen, war die Antwort.

Das fordert die Liebe vom Liebenden und völlige Unterwerfung unter den Willen des Geliebten, ohne Sinn und Verstand. Die Liebe kennt nur den Einbahnverkehr, soweit es den Liebenden angeht. Sie kennt kein Verhandeln. Alles, was sie umschließt, ist unbedingter Gehorsam.

Nicht mein Wille, sondern der Deine,

ruft der Wahre Liebende.

Ein persischer Dichter hat die Liebe so erklärt:

Was ist Liebe? Der Leibeigene des Geliebten zu sein; umherzuwandeln und sein Herz zu opfern.

Liebe bedeutet demnach, sich selbst – Leib und Seele – Einem hinzugeben und überall auf der Welt nach Ihm zu suchen.

Ein Wahrer Ergebener weiht sein ganzes Leben dem Dienst seines Meisters und löst seinen eigenen Willen in dem Seinen auf. Es ist ein Leben der völligen Übergabe ohne irgendwelche Vorbehalte.

Sarmad, ein Großer Gurubhakta, sagt:

Ich habe mein Herz, mein Leben und in der Tat meine Seele weggegeben; da ich mich all meiner Bürde entledigt habe, kenne ich keinen größeren Gewinn als diesen.

Alles Übel der Welt rührt von der mentalen Aktivität her. Wir hängen am Brennpunkt des Herzens fest, wo die Strahlen des Gemüts beginnen, über die Sinnesorgane weitergehen und die Sinnesobjekte einbeziehen. So sind wir der Welt um uns verhaftet. Wie wenig erkennen wir die große bewegende Kraft der Seele im Hintergrund, die Gemüt und Verstand belebt? Könnten wir uns von diesem Beiwerk freimachen und unser Leben dem Dienst eines Gottmenschen weihen, würden wir auf der Stelle befreite Seelen und könnten den Weg zu Gott gehen. Kann es einen größeren Gewinn einbringen als den, allen Anfechtungen und Wirren des irdischen Lebens zu entfliehen? Das ist es, was wir erwerben, wenn wir uns darin üben, den Personifizierten Gott in unserer Mitte gegenwärtig werden zu lassen. Er ist eine lebendige Verkörperung Der Sich zum Ausdruck bringenden Gotteskraft und hilft uns dabei, Sie auf dieselbe Weise, wie Er es getan hat, zu finden und zu entwickeln.

Soami Ji sagt:

Meditiere über die Form des Meisters; es gibt keinen anderen Weg als diesen, um der Bindung zu entrinnen.

Der Begriff Dhyan, Betrachtung, kommt von der Wurzel dhi und bedeutet, die Aufmerksamkeit auf den Lebenden Meister zu richten. Ich möchte zur Veranschaulichung das Beispiel eines frisch verheirateten Mädchens heranziehen, das in ihr Elternhaus zurückkehrt. Wie sehr sie auch immer mit den Hausarbeiten beschäftigt zu sein scheint, denkt sie doch ständig an ihren Gatten. Auf genau die gleiche Weise sollte die Aufmerksamkeit eines Schülers immer im Meister – dem Fleisch gewordenen Wort – verankert sein. Der Guru ist ein Gottmensch, das bedeutet Mensch und Gott. Solche, die sich nur an den Menschen binden, bleiben im Körperlichen verstrickt, während dem Schüler, der den Gott im Menschen offenbart sieht, das Bindeglied zu Ihm enthüllt wird. Er lernt schnell, sich über den Körper zu erheben. Wie man denkt, so wird man. Er ist es, Der uns zuerst liebt, unsere Liebe ist lediglich die Erwiderung. Die Mutter liebt bereits das neugeborene Kind, und das Kind beantwortet die Liebe der Mutter. Unsere Liebe ist nur eine Art Reaktion auf die Liebe des Meisters, Der uns zu Sich gezogen hat.

Der Gurbani sagt:

Der Meister liebt den Schüler mit Seinem ganzen Leben.

Dies ist als Gurubhakti bekannt. Wenn ihr des Meisters von ganzem Herzen und aus ganzer Seele gedenkt, könnt ihr nicht anders als Ihm unbedingt gehorchen.

Christus sagte:

Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote.

Liebe fordert direkten und unverzüglichen Gehorsam, nicht bloßes Lippenbekenntnis. In dieser Hinsicht sind wir allgemein schwach und versagen kläglich. Wir müssen lernen, Ihn zu verstehen und zu tun, was Er uns zu tun heißt, auch wenn uns das, was Er sagt, gelegentlich nicht sinnvoll erscheinen mag. Er spricht von einer höheren Warte aus und überblickt die Dinge von einer Ebene, zu der wir noch keinen Zugang haben. Wenn wir also die ganze Zeit an Ihn denken, auch dann, wenn wir weltlichen Beschäftigungen nachgehen, werden wir allmählich Seinen Geist aufnehmen; unsere äußeren Verwicklungen können uns dann nicht binden. Auf diese Weise werden wir von den irdischen Fesseln abgeschnitten, je mehr Seine Göttliche Kraft in uns eindringt und uns formt.

Christus hat gesagt:

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

Johannes 15:1-5

Dies alles kann mit einem Verpflanzungsprozess verglichen werden. Wenn wir den Zweig eines Baumes in den Stamm eines anderen einsetzen, wird die Frucht des zweiten Baumes von der Qualität und dem Geschmack des ersten sein, von dem er das Pfropfreis erhielt. Ebenso wird der Schüler, der seine Aufnahmefähigkeit durch beständige Ergebenheit, liebevollen Glauben und unbedingten Gehorsam angemessen entwickelt hat, euch auf eine Frage die gleiche Antwort geben, die ihr von dem Meister Selbst erhalten würdet. Wenn zwei Herzen in Einklang sind, bedienen sie sich der gleichen Schwingungen wie bei der Telepathie. Ein solcher Schüler erhält natürlich des Meisters eigene Impulse. So ist Gurubhakti die unumgängliche Bedingung auf dem Pfad der Meister.

Soami Ji hat richtig gesagt:

Jene, die ohne Gurubhakti oder Ergebenheit für den Meister das Hören auf den Tonstrom üben, sind Toren.

Das Wesen von Gurubhakti besteht darin, dass unsere Gedanken und Gefühle, von allem anderen gelöst, auf den einen Punkt, den Augenbrennpunkt, konzentriert sind.

Unser Hazur pflegte diese erhabene Wahrheit so zu verdeutlichen:

Stellt euch eine Röhre mit vielen Öffnungen oder kleinen Löchern vor, aus denen das Wasser tropfenweise rinnt. Wenn wir alle diese Löcher bis auf eines schließen würden, strömte das Wasser aus dem einen Loch, das offen gelassen wurde, mit einem kräftigen Strahl heraus und hoch empor. Ebenso wird sich, wenn wir alle weltlichen Beziehungen abbrechen, der Sinnesstrom an einem Punkt sammeln und dann von der zehnten Öffnung am Augenbrennpunkt vorwärtsschnellen.

Hazur sagte immer, dass der Guru unsere Ergebenheit nicht braucht; aber wenn wir Ihn verehren und Ihm unsere uneingeschränkte Liebe darbringen, dient es unserem Inneren Spirituellen Fortschritt. Hier wirkt das Prinzip: Wie du denkst, so wirst du.

Soami Ji sagt:

Das Heilige Wort oder Shabd wird nur durch die Gnade des Gurus enthüllt, und dann zieht der lange und starke Arm des Meisters die Geistesströme aus dem Körper.

Nun werdet ihr die grundlegende Notwendigkeit von Gurubhakti verstehen. Es bedeutet nicht, dass man um den Guru herumtanzen oder in der einen oder anderen Weise großes Aufhebens machen solle. Wenn ihr euch nicht darum bemüht, auf das, was der Guru sagt, zu hören oder Seine Anweisungen zu verstehen und zu befolgen, so ist das kein Gurubhakti. Solche Menschen können keinen Spirituellen Gewinn haben, selbst wenn sie für lange Zeiten beim Meister lebten. Andererseits werden jene, die der Welt den Rücken kehren und ganz in die Liebe zum Meister vertieft sind und liebende Hingabe zur vorherrschenden Leidenschaft machen, leicht und schnell in das Ebenbild des Meisters umgeformt. Nehmt als weltliches Beispiel jemanden, der voller Lust ist, und seht, wie verliebt er die Gestalt seiner Geliebten betrachtet und von ihrer Gegenwart ganz berauscht ist.

Guru Ram Das sagt:

Ich bin vor Freude in hoher Stimmung, wenn ich auf die physische Gestalt meines geliebten Satgurus blicke.

Wenn man nur von Ferne einen Schimmer von Hazurs prächtigem Turban wahrnahm, während man inmitten Tausender von Menschen stand, empfand man einen Freudenschauer vom Kopf bis zu den Füßen.

Maulana Rumi sagt:

Selbst wenn es mir gegeben wäre, das Antlitz meines Geliebten hunderte Male mit Hunderten von Augen zu schauen, möchte ich Ihn dennoch immer wieder sehen, denn jedesmal erhält man eine neue Erfahrung durch solch einen gesegneten Anblick.

Er fährt fort:

Ähnlich wie ein Trunkenbold unruhig und erregt ist, wenn der Wein in einen Becher fließt, so erheben sich die Seelen der Ergebenen in Göttlicher Trunkenheit, wenn sie in die tief liegenden Augen des Meisters blicken.

Jene, deren Liebe für den Meister einen solchen Höhepunkt erreicht hat, fühlen das Wogen der Gottheit in allen Fasern ihres Seins. Es gehörte zu den allgemeinen Erfahrungen, Menschen stundenlang wie eine Statue stehen zu sehen, den Blick gespannt auf das strahlende Antlitz Hazurs gerichtet. Das von Herzen kommende, liebende Gedenken an den Meister, sich in Seine Gestalt zu versenken und ganz aufmerksam Seinen Reden zu lauschen sind die bewährten Methoden für die Reinigung des Gemüts. Wenn der Meister von Frömmigkeit erfüllt ist, werdet ihr von selbst fromm. Was zieht uns denn an Ihm so an? Er ist geladen mit Spiritueller Glut und Göttlicher Glorie, die alle gleichermaßen fesselt.

Ein Urdu-Dichter sagt:

Wo keine Schönheit ist, kann sich Liebe nicht entfalten, und eine Nachtigall findet keine Freude an Blumen, die an die Wand gemalt sind.

Es ist die Herrlichkeit des Lebendigen Gottes in Ihm, die andere anzieht. Die von Seiner Person ausgehenden, radioaktiven Strahlen sinken tief in die Herzen der Ergebenen. Solange jemand keinen Inneren Zauber besitzt, kann er nicht die Leute um sich herum gefangen nehmen.

Soami Ji warnt:

Eine Seele, die im Körper begraben ist, kann unmöglich Gurubhakti üben; wie kann man den unbegreiflichen Satguru erfassen, wenn selbst die Götter nichts von Seiner Größe wissen? Er kann nur soweit erkannt werden, als Er Sich in Seiner Gnade Selbst offenbart.

Guru Nanak wurde von den weltlichen Menschen als Jemand angesehen, Der den Verstand anderer verdreht. Man erlaubte Ihm nicht, die Stadt Qasur – heute in Pakistan – zu betreten, damit Er nicht das Volk irreführe. Aber es gab andere, die in Ihm den Lebendigen Gott im Gewand des Menschen erkannten. So hängt alles davon ab, wie weit Er Sich Selbst jedem Einzelnen enthüllt. Ähnlich wurde auch Hazur von vielen als ein sehr frommer alter Mann angesehen, wohingegen solche, die das Glück hatten, Ihm näher zu kommen, etwas Höheres in Ihm erblickten. Und eine noch geringere Zahl, die Innere Empfänglichkeit und Ergebenheit entwickelt hatten, erkannten Ihn als einen wahrhaftigen Gottmenschen.

Hazur pflegte es so zu erklären:

Ein hochqualifizierter Lehrer, der sich an Knaben einer ersten Klasse wendet, wird nur so viel von seinem Wissen preisgeben, wie es den Anfängern aufzunehmen möglich ist. Aber derselbe Lehrer würde, wenn er eine Mittelklasse unterrichtete, seinen Schülern gemäß ihrer Lernfähigkeit mehr Wissen zukommen lassen; und käme er in eine höhere Klasse, gäbe er noch mehr von seinem Wissen an sie, bis er auf der Hochschule sein Bestes zeigte.

Mit anderen Worten wird der Schüler, der von Klasse zu Klasse aufsteigt und dessen Verständnis im Laufe der Zeit und mit der Erfahrung reift, immer mehr von den Unterweisungen des Lehrers aufnehmen; und auch dieser versucht, den Schülern mehr Wissen zu vermitteln, freilich im rechten Verhältnis zu ihrer Auffassungsgabe und dem, was sie verarbeiten können. Auch der Zeitfaktor spielt bei jeder Art der Entwicklung eine bedeutende Rolle.

Je mehr sich jemand dem Guru zuwendet und gewissenhaft Seinen Anweisungen folgt, desto mehr wird er Empfänglichkeit entwickeln; und im entsprechenden Maße enthüllt Ihm der Guru immer mehr der Spirituellen Erfahrung. Alles hängt von Upasna ab, was bedeutet, dem Spirituellen Lehrer nahe zu sein. Wenn man beim Meister sitzt, Herz und Seele auf Ihn abgestimmt, zieht man bestimmt viel Nutzen aus Seiner Göttlichen Ausstrahlung, und dies wiederum fördert die Innere Empfänglichkeit oder das Vermögen, sich anzugleichen. Der leichteste, kürzeste und einfachste Weg, zu größerem Segen zu gelangen, besteht darin, sich völlig in die Heilige Gegenwart eines Sant Satgurus zu verlieren.

Soami Ji sagt:

O Seele, sei wenigstens am heutigen Tag völlig in den Satsang versunken.

Es erhebt sich die Frage, was vollständige oder gänzliche Versenkung ist. Es bedeutet, dass man in der Gegenwart eines Heiligen Ihm lauscht und nicht nur den Ort vergessen sollte, an dem man sich befindet, sondern selbst die Umgebung, in der man ist, und wahrlich sein ganzes Wesen auflöst und das Bewusstsein für alles andere verliert, ausgenommen für die Heilige Anwesenheit des Meisters. Dieses Leermachen von sich selbst wird Versenkung genannt. Je mehr sich einer von seiner weltlichen Gesinnung und seiner Kleinlichkeit freimacht, desto mehr erfüllt ihn die Göttliche Gnade, die von der Heiligen Gegenwart vor ihm ausströmt. Dies ist das Geheimnis eines erfolgreichen Satsang.

Lasst mich bitte sagen, dass man selten einen Satsang oder die Gemeinschaft eines Wahrhaft Vollendeten Meisters haben kann, denn solche hochentwickelten Seelen – Seelen, die Eins sind mit dem Herrn – findet man tatsächlich kaum. Man kann Ihnen nicht so leicht begegnen und Sie erkennen; und wenn wir durch ein gewaltiges Glück doch auf einen Gottmenschen stoßen, wissen wir nicht, wie wir den größten Vorteil aus Seiner Gemeinschaft oder dem Satsang ziehen können. Den besten Gebrauch und höchsten Gewinn aus einer so seltenen Gelegenheit macht man dadurch, dass man so früh wie möglich zum Satsang zu kommen versucht, um in andächtiger Stimmung still in der erhabenen Nähe des Meisters zu sein, frei von allen weltlichen Gedanken, und Seine Worte der Weisheit aufzunehmen. Wenn wir nahe am Feuer sitzen, spüren wir die Wärme, und ein Gletscher lässt uns vor Kälte erschauern; so gibt es keinen Grund, warum man nicht von der Göttlichen Aura eines Meister-Heiligen beeinflusst werden sollte, Dessen Ausstrahlung eine unvorstellbar große Reichweite hat.