Das Mystische Wesen der Liebe

von Dr. George Arnsby Jones

Das Wahre Wesen der Liebe kann mit menschlicher Sprache nicht angemessen ausdrückt werden, denn ihre verborgenen Tiefen liegen weit jenseits der Reichweite von Worten. In den Schriften wird Liebe häufig als ein bedeutungsgleicher Begriff für Gott gebraucht. Und Shamas-i-Tabrez hat erklärt, dass Gott und die Liebe etwas Ewiges sind:

Mohammedaner und Ungläubige sind erst jüngst entstanden, aber die Liebe und Gott existierten sogar schon vor der Erschaffung dieser Welt. Wenn irgend jemand sich der Liebe aufopfert, so sollte man ihn nicht als Ungläubigen bezeichnen.

Desgleichen ist es unmöglich, den Begriff Liebe nur auf die menschliche und vergängliche Ebene zu beschränken. Viele sogenannte Ketzer und Gottliebende wurden als Ungläubige verurteilt auf  Grund ihrer universalen und umfassenden Annäherung an den Höchsten Herrn der Liebe. Shamas-i-Tabrez selbst wurde bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen, weil Er sich weigerte, die Gültigkeit
äußerlicher Formen der Verehrung anzuerkennen.

Genauso wie es unmöglich ist, die Liebe auf die weltlichen Ebenen zu beschränken, so ist es unmöglich, die Vorstellung von Gott als Liebe auf die vergänglichen Bereiche einzuschränken. Maulana Rumi, der persische Dichter-Heilige und Schüler von Shamas-i-Tabrez, hat geschrieben:

Ganz anders als die übrigen Krankheiten ist die Krankheit des Liebenden: denn Liebe ist der Schlüssel zu den Geheimnissen Gottes.

Die Menschen missverstehen das innere Wesen der Liebe, denn nur wenige haben die ekstatische Freude mystischer Liebe erfahren. Aber jene, die Gott und Seine Schöpfung wahrhaft lieben, haben die Spirituellen Höhen der Liebe erklommen. Christus nahm das Kreuz auf Sich, mit Liebe im Herzen für die ganzen Menschheit; Shamas-i-Tabrez segnete Seine Peiniger, und Guru Arjan, der fünfte Guru der Sikhs, sagte, als man Ihn zwang, Sich auf eine glühend rote Eisenplatte zu setzen:

Der Wille Gottes ist angenehm.

Diese Dinge können nur jene verstehen, die im tiefsten Sinn des Wortes “lieben“. Wahre Liebe umfasst in sich den Begriff der Ergebenheit, der Hingabe seines Lebens auf dem Weg der Liebe. Viel ist schon über die Liebe geschrieben worden, aber ihre Höchste Form muss gelebt werden, um sie zu erfahren und zu erkennen.

Lord Krishna ermahnt Arjuna in der Bhagavadgita:

Gib Mir dein ganzes Herz; liebe und verehre Mich; bete Mich immerzu an; verbeuge dich nur vor Mir, dann wirst du Mich finden, das ist Mein Versprechen, der ich dich sehr liebe.

Und an anderer Stelle wiederholt Lord Krishna:

Mich lieben bedeutet Mich kennen, Mein innerstes Wesen, die Wahrheit, die ich bin; durch dieses Wissen betritt einer sofort Mein Inneres Sein.

Und weiter:

Wer Mir sein ganzes Herz ausliefert und Mich mit Glauben und Liebe verehrt, diesen Yogi nenne ich vor allen anderen mein eigen.

Liebe ist die erhabene Erfahrung des Herzens, denn wo Wahre Liebe wohnt, da ist es heilig, und der Liebende hat Mitgefühl für alles Leben. Tulsi Sahib, ein bedeutender Dichter-Heiliger des 19. Jahrhunderts, schreibt in Seinem Werk Ghat Ramayana:

Erweise allen Lebewesen Liebe und du wirst glücklich sein; denn wenn du alle Dinge liebst, liebst du den Herrn, denn Er wohnt in allen.

Eine derartige Liebe kann durch die Wechselfälle des Lebens nicht beeinträchtigt werden, denn sie erhebt den Liebenden zu einer Ebene Ewigen Friedens und Ewiger Freude.

In der Bibel steht geschrieben (1. Johannes 2:10):

Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht, und in ihm ist kein Ärgernis.

Liebe ist die erneuernde Kraft der Menschheit, und sogar Tiere, Vögel, Pflanzen und Blumen können durch die umformende Kraft der Liebe beeinflusst werden.

Liebe ist das Heilmittel für alle Leiden der menschlichen Seele, und zweifellos wird auch der Heilungsvorgang der meisten körperlichen Leiden durch Liebe beschleunigt.

Maulana Rumi sagte:

O, die Berauschung meiner Liebe; sei glücklich, gesund  und stark; denn du bist der einzige Arzt und die Linderung all meiner Leiden.

Der Schmerz, der infolge der Trennung der Seele von der bewussten Erkenntnis ihrer Göttlichen Herkunft entsteht, kann durch liebevolle Hingabe an den Höchsten Herrn gemildert werden. Auf diese Art wird sich die Seele ihrer Wahren Göttlichen Sohnschaft bewusst, wie es im 1. Johannesbrief 3:1 verkündet ist:

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen!

Das Leben ist eine öde Wüste ohne die Erfahrung der erlösenden Kraft der Liebe, denn die Liebe ist des Lebens größte Gabe in dem Schatzhaus des kosmischen Universums. Tatsächlich existiert nichts im Leben ohne Liebe, denn die Liebe kann den ärmsten Bauern in einen Spirituellen Milliardär verwandeln.

Hafiz, ein anderer bedeutender persischer Dichter-Heiliger, hat geschrieben:

Auf dem Pfad der Liebe gibt es keinen Unterschied zwischen reich und arm. O seliger König! Sprich ein Wort zu mir armen Bettler. Ich bin ein großer Sünder, aber sieh nicht auf meine Sünden. In königlicher Großzügigkeit sprich zu mir sündigem Bettler.

Liebe ist die Krone aller menschlichen Erfahrung, und wer nicht liebt, ist der Bezeichnung Menschenwesen unwürdig.

Kabir, Indiens größter Dichter und einer der bedeutendsten Mystiker, sagte:

[…] einen Menschen, in dem kein Liebe ist, sollte man als wandelnde Statue anschauen. Er ist gleich dem Blasebalg eines Schmiedes, der atmet, und doch ist kein Leben in ihm.

Guru Arjan gab ähnlichen Gefühlen Ausdruck:

Ein Mensch mag ungewöhnlich schön, gescheit, gelehrt und begütert sein und noch viele andere gute Vorzüge haben, aber wenn er die Liebe zu Gott nicht in sich entwickelt hat, sollte man ihn für einen Leichnam halten.

Das Universum ist von Ehrfurcht einflößender Schönheit, und der Geist des Menschen neigt natürlich dazu, die Wunder der Schöpfung zu erforschen; aber dieses äußere Universum ist das physische Kleid des Höchsten, der gänzlich Liebe ist. Gott erhält seine Schöpfung mit der Kraft der Liebe, und das innerste Wesen des Menschen ist mit der gleichen Kraft durchtränkt. Liebe erlöst den Sünder, wie es die Bhagavadgita bezeugt:

Auch wenn ein Mensch mit den Sünden einer Lebensspanne beschmutzt ist, so soll er mich doch lieben mit rechter Entschlossenheit und tiefer Demut; so ein Mensch ist heilig, ich sehe keinen Sünder!

1. Johannes 4:8 bekräftigt:

Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe.

Das Geheimnis von Gottes Mysterium ist die Liebe, sagte Maulana Rumi. Alle hervorragenden Schriften der Welt berichten uns, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Aber dieses Bild ist nicht das physische Abbild, sondern es ist jene subtile Kraft der Liebe, die das Wahre Wesen Gottes ausmacht. Und wenn ein Mensch das Bewusstsein seines eigenen, Wahren Bildes als eines Wesens der Liebe verliert, so verliert er sicherlich sein eingeborenes Menschsein.

Wo Wahre Liebe ist, dort ist das Leben in Fülle,

wovon Christus sprach. Und dieses überquellende Leben ist die im menschlichen Herzen hervorgerufene Kraft der Liebe. Das verborgene Abbild Gottes als der Geist der Liebe wohnt einem jeden Menschenwesen inne. Wenn unser Inneres Auge geöffnet ist, können wir alle Lebewesen als die Offenbarungen der Göttlichen Liebe erkennen.

Der Strom der Liebe, ausgehend von dem Einen Gott, fließt durch das gesamte Universum,

stellte Maulana Rumi fest.

Was denkst du, wenn du auf ein menschliches Gesicht schaust? Schau es sorgfältig an. Er ist kein Mensch, sondern ein Strom des Wesens Gottes, das ihn durchdringt.

Wahre Liebe umfasst die ganze Schöpfung, Ausnahmen kann es nicht geben. Christus sagte:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.‘ Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.

Matthäus 5:43-44

Gleiches steht geschrieben in 1. Johannes 4:20:

So jemand spricht: ‚Ich liebe Gott‘, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?

Desgleichen haben Unterschiede der Rasse, der Hautfarbe, der Gesellschaftsklasse, des Glaubens und der Herkunft keine Bedeutung für jene, die von Liebe erfüllt sind. Wenn wir die Einheit der Schöpfung von Gottes Liebe durchdrungen erkennen, wie können wir dann irgendjemanden oder irgendetwas hassen?

Der Weg der Liebe beruht nicht auf der Ausübung äußerer Gebote und Rituale. Religiöser Streit und sektiererisches Leben werden durch menschliche Intoleranz und Bigotterie verursacht und sind nicht die Widerspiegelung eines bestimmten Wissens über Gott von Seiten der einen oder anderen religiösen Bewegung. Es ist nicht Kennzeichen eines wahrhaft Liebenden seine Art der Verehrung auf ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Gemeinschaft, auf ein begrenztes Ideal oder eine begrenzte Ethik zu beschränken.

Kabir fragte:

Was ist der Wert des Rezitierens, von  Bußübungen, Enthaltsamkeit, Selbstdisziplin, Fasten und von Baden in heiligen Gewässern, solange wir nicht den Weg liebevoller Ergebenheit zum Herrn kennen?

Alles ist heilig, wo man voll Demut kniet, schrieb Oliver Wendell Holmes. Wer das Ideal Universaler Liebe über alles andere stellt, der erfolgt wirklich dem Hauptgebot des Höchsten Herrn. Diese Tatsache wird von allen Schriften bestätigt.

Christus predigte:

Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte.

Matthäus 22:37

Und der Heilige Paulus ermahnte:

Lasset uns Gutes tun an jedermann.

Galater 6:10

Wer sich nicht an dieses Gesetz der Liebe hält, wird von den Leiden dieser Welt gefangen gehalten. Er kann andere nicht zu größerer Liebe und zu größerem Dienst anfeuern, da er selbst durch die Ketten der Verzweiflung gebunden ist, auch wenn er großen weltlichen Reichtum besitzt.

Im 1. Johannesbrief 2:15 steht geschrieben:

Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.

Die Menschheit sucht verzweifelt nach Wahrer Freude und Glückseligkeit, und sie sind das Spirituelle Geburtsrecht des Menschen. Wenn das menschliche Gemüt jedoch dauernd damit beschäftigt ist, Befriedigung in den vergänglichen Reizen der Welt zu suchen, so wird der Mensch an sich doch keine dauerhafte Freude finden. Freude ist die ‚Frucht‘, die aus der Konzentration des Gemütes auf die höheren Eigenschaften der Liebe entsteht, sie ist die Frucht der Seele.

Kabir sprach:

Liebe kann nicht verborgen bleiben, sobald sie eines Menschen Herz betreten hat. Er braucht nicht davon zu sprechen, aber seine Augen offenbaren sie. Wenn die Liebe ein menschliches Herz erfüllt hat, so lasst sie ihn für alle Zeiten glücklich sein, denn er wird dann frei von Sorgen sein, und Ströme der Liebe quellen aus ihm ganz spontan und ohne Unterbrechung.

Ohne die Liebe ist alles auf Erden wertlos, und Kriege und Blutvergießen entstehen aus Mangel an der Liebe Kraft. Liebe ist vollkommen in sich selbst und eine Kraftquelle an innerer Stärke, Glauben und Tapferkeit. Die Liebe ist für das menschliche Gemüt und für alles Leben wie ein  Sender von Heiterkeit und Frieden, sie ist aber zugleich auch eine Antenne, die Liebesströme von anderen empfängt.

Shamas-i-Tabrez sagte einmal:

In mir ist solch eine Überfülle an Liebesberauschung: Würde man mit meiner Asche ein Feld düngen und aus dem daraus gewachsenen Weizen ein Brot backen, so würde der Bäcker sich an der Liebe zu Gott berauschen. Aber ich kann den Zustand eines solchen Menschen nicht beschreiben, der von so einem Brot äße. Selbst derjenige, der solch ein Brot serviert, würde sich berauschen, und der Ofen, in dem das Brot gebacken wird, würde vor Ekstase tanzen.

Die Ausstrahlung der Liebe ist das Licht Gottes. Liebe erzeugt wieder Liebe und lädt die psychische Atmosphäre der Welt mit Schwingungen der Freude und des Glückes auf. Dem ersten Guru der Sikhs, Guru Nanak, wurde einst von König Babar Rauschgift angeboten.

O König, sagte Nanak, wobei Er die Gabe ablehnte, die Berauschung dieses Mittels wird gegen Abend verschwinden, wenn man es am Morgen nimmt. Aber die Berauschung durch den Höchsten Herrn bleibt für immer.

Die Seele steigt also auf dem nach oben führenden Pfad der Liebe bis zu ihrer Wahren Spirituellen Heimat, und dann wird der Sucher einen Punkt erreichen, wo er nicht länger eine Beute ausschweifender Begierden sein wird. Er wird all seine Tätigkeit an einem Brennpunkt festhalten, der die Wahre Gelöstheit bedeutet, ohne irgendwelchen Besitz zu beanspruchen. Aber durch die Liebe besitzt er alles.

Eine solche Gelöstheit auf dem Pfad der Liebe bedeutet nicht ein asketisches Leben oder Gleichgültigkeit zur übrigen Schöpfung. Die Einheit allen Lebens zu verwirklichen heißt, ein neues Band zwischen sich selbst und allen Wesen der Schöpfung knüpfen. Das Wesen dieses Bandes ist Liebe. Wer so die gesamte Schöpfung liebt, wird automatisch die Menschheit spirituell bereichern, in gleichem Maße, wie er eigene Innere Erfahrungen sammelt, ohne die Rechte von Einzelnen oder Gruppen auszunützen. Auf dem Pfad der Liebe gibt es kein Monopol – jedes Lebewesen kann seinen gerechten Anteil an den Spirituellen Reichtümern beanspruchen, die vom Höchsten gegeben sind. Die Pilgerschaft auf dem Pfad der Liebe ist kein äußerliches Ausweichen oder sich entziehen, sondern ein Weg der inneren Freiheit.

Guru Nanak hat geschrieben:

Möge Genügsamkeit euer Ohrring sein und Streben nach dem Göttlichen und Achtung für das Höhere Selbst euer Beutel; ständige Meditation über Ihn sei eure Asche; Bereitschaft für den Tod soll euer Umhang sein, und euer Körper sei wie eine reine Jungfrau; eures Meisters Lehren mögen der Stab sein, der euch stützt. Höchste Religion ist, sich zur Universalen Bruderschaft zu erheben, ja, alle Geschöpfe als euresgleichen zu betrachten.

Jap Ji

In seinem großartigen Werk ‚Das verlorene Paradies‘ (Buch 3) hat John Milton geschrieben:

[…] Liebe: verfeinert die Gedanken und weitet das Herz – sie hat den Sitz im Verstand und dient als urteilender Maßstab, wie weit du zur himmlischen Liebe aufsteigen darfst, falls du nicht in fleischliches Vergnügen versunken bist. Dabei würde kein Gefährte bei den Tieren für dich gefunden.

Und später im gleichen Gedicht heißt es:

[…] denn du sagst, die Liebe führt hinauf zum Himmel, sie ist zugleich der Weg und der Führer […]

In dem Roman ‚Krieg und Frieden‘, 2. Teil, stellt der bemerkenswerte russische Dichter Leo Tolstoi seine eigenen Gedanken über die Göttliche Liebe mit Hilfe des Charakters des Prinzen Andreas dar:

Wenn die menschliche Liebe auch einmal zu Hass umschlagen kann, so kann die Göttliche Liebe sich nicht ändern. Weder der Tod noch irgendetwas anderes kann sie zerstören. Sie ist der Wahre Wesenskern der Seele.

Wenn Liebe allein auf irdische Dinge ausgerichtet ist, so erzeugt sie Spirituelle Dunkelheit, wenn sie allein auf Gott ausgerichtet ist, bringt sie die Spirituelle Erleuchtung.

Dante hat in seiner ‚Göttlichen Komödie‘ geschrieben (Gesang 15 des Abschnittes über das Fegefeuer):

Weil du deinen Geist nur auf irdische Dinge heftest, sammelst du sogar Dunkelheit inmitten des Lichtes. Dieser unendliche und unaussprechliche Gott, Der in der Höhe wohnt, eilt herbei, um Seine Liebe zu geben, gleichwie ein Sonnenstrahl zu einem leuchtenden Wesen kommt. So viele Hingabe Er vorfindet, so viel gibt Er selbst; so weit die Nächstenliebe sich ausdehnt, so weit breitet sich darüber die Ewige Macht aus; und je mehr Menschen es sind, die ihre Herzen nach dem Höchsten Herrn hin ausrichten, um so mehr sind es, die in rechter Weise lieben, und wie ein Spiegel reflektiert einer dem anderen die Liebe.

Der wahrhaft Liebende ist stets bereit, sein Leben zu Füßen des Geliebten zu legen, denn Liebe kennt nur Dienen und Opfern. Der Liebende weiß gewiss, dass es keinen wirklichen Tod gibt für den, der den emporführenden Pfad der Liebe beschreitet.

Maulana Rumi erklärte:

O Mensch, du bist schon viele Male gestorben, aber du bist noch mit vielen Hüllen bedeckt geblieben, denn du hast es versäumt, das Geheimnis des Wahren Todes zu entdecken.

Und Kabir bestätigte:

Alle Welt stirbt auch nach dem Tode noch weiter, denn keiner stirbt den Wahren Tode. Ich bin einen solchen Tod gestorben, der mich nie wieder sterben lässt. So lange wie du nicht verstehst, während des Lebens zu sterben, wirst du keine Befreiung vom Kreislauf der Geburten und Tode erlangen.

Sterben während der Lebenszeit heißt, den Innerlichen Pfad der Liebe mit Hilfe der täglichen Meditation zu beschreiten. Dieser Tod ist die Voraussetzung für die Spirituelle Wiedergeburt, denn in Johannes 3:3 steht geschrieben:

Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Der wahrhaft Liebende kennt keinen intellektuellen Streit oder Wortklauberei, ob er nun dieses oder jenes tun sollte. Sein Leben ist ein ununterbrochener Gesang der Liebe; sein tägliches Tun ist eine endlose Geschichte der Liebe, und Gott wohnt in seinem Herzen als die Urform der Liebe; Die Besitztümer der Welt sind für ihn relativ bedeutungslos. Wenn er Reichtum, Wissen, Macht, Erfindergeist und Stärke hat, so nutzt der diese Gaben wie ein Sachverwalter und verwendet sie, um Gott und den Mitmenschen zu dienen. Ohne Liebe können sich irdische Besitztümer als eine Fallgrube für den Schüler des mystischen Pfades erweisen. Reichtum kann den Weg zu Spirituellem Stolz bahnen; Hingabe an schöne Dinge kann Spirituelle Blindheit erzeugen, weltliche Macht kann zu Grausamkeit und Arroganz hinfuhren. Wissen verleitet leicht zu Egoismus; Liebe zu äußeren Geboten und erhebenden Ritualen kann religiöse Unduldsamkeit und Bigotterie erzeugen. Aber die Gabe der höheren Liebe kann all diese niederen Gaben in Instrumente des Göttlichen Willens umwandeln, und sie werden sodann zur Wohltat für alle Wesen, da sie dann durch die Spirituelle Freude und Sanftheit gemildert werden.

Gott ist Liebe, und Er allein ist der Geber von Leben und Liebe. Der Höchste Herr verlangt nichts für Seine Gaben, und der wahrhaft Liebende verrichtet ebenfalls seinen liebevollen Dienst umsonst. In wahrer Liebe kann es keine Selbstsucht geben, denn der Liebende gibt freiwillig seine Liebe, ohne durch andere Beweggründe veranlasst zu sein. Die Gesetze der Menschheit entstanden aus einem Mangel an Liebe. Wenn die gesamte Menschheit in Übereinstimmung mit dem Höchsten Gesetz der Liebe lebte, bestünde keine Notwendigkeit für weltliche Gesetze. Infolge dieses Mangels an Liebe hat sich der Mensch in dieses grausame Netz von Kriegen und Zerstörung verwickelt. Bei weltweiter Anwendung des Gesetzes der Liebe würde jener Zustand eintreten, von dem Christus sagte:

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

Matthäus 6:10

Das bedeutet einfach, dass die Liebe, die im Herzen der Menschheit aufgeblüht ist, zur äußeren Geltung auf der Erde gelangt. In solch einem Reich der Liebe würde kein äußeres Gesetz notwendig sein; aber wir sind ja von Gedanken des Hasses gegeneinander in  Anspruch genommen, und wenn wir uns umschauen, sehen wir, dass die Liebe in der gegenwärtigen Welt nicht vorherrscht. Einzig Ungerechtigkeit und Zerstörung regieren.

Wo Liebe herrscht, kann es keine Ungerechtigkeit oder Unmenschlichkeit geben. Wenn wir eine neue Gesellschaftsordnung auf den Grundsätzen der Liebe planen, die die reichen Segnungen der Liebe erklärte, würden wir sicherlich dem Reich der Liebe zur äußeren Geltung verhelfen.

Der betagte und kränkelnde Johannes wurde auf einer Tragbahre vor eine Versammlung von Erwachsenen und Kindern getragen. Mit schwacher Stimme sagte Er: Liebet einander und wiederholte diese Aufforderung noch zweimal. Dann schwieg Er. Hast du diesen Kindern nicht mehr zu sagen? Beklagten sich die Erwachsenen, die in der Nähe des Mystikers standen. Liebe ist die größte Notwendigkeit für die Menschen, erwiderte Er, und darum gebe ich diesen Rat immer wieder: 

Liebt, und alle Dinge werden euch zufallen.

Liebe ist der Anfang und das Ziel aller Weisheit. Ohne Güte im Herzen kann niemand wahrhaft lieben. Liebe vertreibt die negativen Eigenschaften wie Ärger, Hass, Habsucht, Verleumdung und so weiter aus dem Gemüt Guru Ram Das, der vierte Guru der Sikhs, bekräftige:

Diejenigen, die in dieser Welt Liebe für den Herrn haben, besitzen das Wahre Wissen. Und wenn sie zufällig einmal strenge Worte äußern, verletzen sie niemanden, da sie nicht den Geist der Liebe vergessen und somit alle lieben. Sie sind die Auserwählten Gottes.

Wo die Liebe herrscht, da kann nichts anderes herrschen, denn Liebe ist das Wesen der Seele und wohnt allen Menschen inne. Aber wir sind so an äußere Dinge und Vergnügungen gebunden, dass wir uns dieser innewohnenden Spirituellen Kraft der Liebe nicht mehr bewusst sind. Wenn wir uns über den Schmutz und die Finsternis irdischer Verhaftungen erheben, tritt die Wahre Liebe leuchtend in Erscheinung.

Hafiz spricht:

Der Weinhandlung, wo man diese Berauschung der Liebe erlangen kann, können sich nur jene nähern, die einen Beweggrund in ihrem Herzen tragen, nämlich jene, die ihr Fühlen, Wollen und Sprechen ganz in der Farbe des Geliebten gefärbt haben. Selbstsüchtigen oder weltlich gesinnten Menschen ist es nicht möglich, jenen Pfad zu betreten, der zu dem ‚Weinvorrat der Gottesliebe‘ führt.

Liebe ist umfassende Schönheit, und ihr Ausdruck spiegelt sich im Antlitz des Liebenden wider Farid-du-Din Attar, ein Sufi-Heiliger und einer der bedeutendsten Dichter der Mystik Persiens, schrieb: 

Ich sorge mich nicht, meine Jugend zu verlieren, vorausgesetzt, meine Liebe zu Gott vermindert sich nicht; denn mancher junge Mann ist aus Mangel an Liebe zu Gott dahingewelkt.

Und Kabir sagte:

Mein Geliebter befindet sich in meinen Augen wie eine dünne Schicht Augenbalsam. Wie kann es da meinen Augen möglich sein, zu schlafen, wenn Er dort die ganzen vierundzwanzig Stunden verweilt und wenn es keine andere Tätigkeit gibt, außer an Ihn zu denken?

Das wahre und treue Weib lässt ihren Ehemann keinen einzigen Augenblick aus den Augen und schaut nicht auf andere. Sie schließt ihre Augen und ist tief versunken in das Denken an ihn. Und durch das liebevolle sich Vergegenwärtigen erblüht sie wie eine Rose und spricht einzig von der Schönheit der Liebe.

Jeder Meister der Mystik eines jeden Zeitalters hat verkündet, dass das Reich der Liebe das höchste aller Reiche ist. Und dieses Reich übersteigt die Ebenen des Gemütes und der Materie bei weitem. Baha Ullah, der Begründer der Religion des Bahaismus ermahnte Seine Ergebenen:

Entfache das Feuer der Liebe und verbrenne alles übrige. Dann setze deinen Fuß auf das Land der Liebenden.

Soami Ji (Radha Soami Dayal), ein erhabener Meister der Mystik des 19. Jahrhunderts, wurde gebeten, den Höchsten Spirituellen Bereich zu beschreiben. Er ist ganz Liebe, erwiderte Er einfach.

Die den Höchsten Herrn wahrhaft Liebenden kennen diesen Bereich, und das ist des Lebens größter Segen, in den inneren Schülerkreis solch eines Gottliebenden aufgenommen zu werden.

Hafiz flehte:

O Meister! Nimm mich auf in den Kreis der Dich Liebenden, denn diese Tollheit der Liebe zu Dir ist weit besser als alle Gescheitheit der äußeren Welt. Das Leben von tausend intelligenten Menschen ist nicht einen Augenblick dieser Leidenschaft wert. Wenn die Sinne nur erkennen würden, welche Glückseligkeit für jenes Herz bereit liegt, das jenen Zustand des Außersichseins erreicht, dann würden die Menschen, die nun der Verlockung der Sinne folgen, versessen auf diese Göttliche Liebe werden.

Ein wahrhaft Liebender wird niemals jemanden durch seinen Beruf oder seine Tätigkeit betrügen oder berauben. Er wird ehrlich und bescheiden leben. Er wird Liebe bei seiner Alltagsarbeit ausstrahlen, da er weiß, dass auch ganz weltliche Menschen durch die Liebe berührt werden, denn die Liebe wohnt allen inne. Das Leben eines Heiligen Menschen klingt wie eine leidenschaftliche Botschaft der Liebe.

Ein Adept der Mystik, Der die verkörperte Liebe ist, gehört vielleicht zu der Art, die keine Bücher schreibt, keine Tempel erbaut, keine Kulte oder Religionen begründet, da Er aber umfassende Liebe ausstrahlt, wird schließlich die gesamte Menschheit Seiner Spirituellen Botschaft zuhören.

Der 1. Johannesbrief 3:3 bestätigt:

Jetzt sind wir Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar, was wir sein werden. Wir wissen, wenn Er erscheint, werden wir Ihm ähnlich sein, weil wir Ihn sehen, wie Er ist. Und jeder, der solche Hoffnung auf Ihn hat, heiligt sich, wie er denn heilig ist.

Wir müssen lernen, zu lieben, sonst verkennen wir unsere Grundnatur als Spirituelle Wesen. Liebe erfüllt das Gesetz des Lebens. Wenn wir auch nur eine selbstlose Tat der Liebe begehen, begehen wir in Wahrheit viele derartige Taten, ohne dass wir uns bewusst werden, wie sich die Güte weiter fortpflanzt. Es gibt viele religiös gebundene Menschen, die Liebe zu Gott verkünden und doch bereit sind, Hass untereinander zu nähren. Solche Menschen, die andere hassen, können nicht als Ergebene des Höchsten Herrn angesehen werden, denn sie haben es noch nicht einmal gelernt, Menschen zu sein.

Es heißt, dass Liebe blind macht. Aber ein den Höchsten Herrn Liebender ist nicht blind, denn innerlich schaut er die unmittelbare Wahrheit der gesamten Schöpfung.

Es ist unmöglich, den allumfassenden Glanz der Liebe zu beschreiben. In dieser Hinsicht verschleiert die menschliche Sprache mehr, als sie offenbart. Der wahrhaft Liebende empfindet die Entzückung der Liebe als so überragend, dass er von ihrer Macht für alle Zeiten bezaubert ist.

Solch eine Liebe zieht alle Wesen in den Bereich ihrer allumfassenden Harmonie und gütigen Kraft.