Der Höchste Herr der Liebe

von Dr. George Arnsby Jones

Vor der Schöpfung des Universums von Gemüt und Materie war Gott ein Meer allen Bewusstseins. Sein Wesen war All-Liebe und All-Seligkeit, und Er genügte Sich Selbst. Seine Grundform war Liebe. Kein anderes Wesen existierte, und alles war Liebe. Die gesamte Schöpfung war das Ergebnis von Liebe. Die Seele des Menschen stieg hinab in die Bereiche des Gemüts und der Materie als ein Ergebnis der Liebe, und der Weg der Rückkehr zu seiner Wahren Spirituellen Heimat ist der mystische Weg der Liebe. Jedes Elektron, jedes Atom, jedes Staubteilchen der Schöpfung ist von Liebe durchtränkt. Es gibt keine Lücke, keinen Ort, der ohne Liebe ist, keinen Ort, an dem Liebe nicht existiert.

Die Bedeutung der Höchsten Liebe, die von Gott ist, wird nur erfasst, wenn der Liebende selbst mit dem Gegenstand seiner Liebe verschmilzt. Es ist ein Aufgehen des Selbst im Geliebten.

Ich bin Du geworden und Du bist ich,

war die freudige Bestätigung von Shamas-i-Tabrez.

Ich bin ein Körper geworden, und Du bist meine Seele geworden, mein eigentliches Leben: So sehr, dass niemand sagen kann, wir wären eine getrennte Wesenheit.

Kabir berichtet auch über dieses Verschmelzen mit der Göttlichen Liebe:

Jetzt bin ich Eins mit Dir und fühle mich gesättigt und gesegnet. Nachdem ich den Höchsten Wohnort erreicht habe, bin ich so vollständig Eins mit Ihm, dass man Kabir nicht mehr von Gott unterscheiden kann.

Und Christus bestätigte:

Ich und der Vater sind Eins. Wer mich sieht, der sieht den Vater.

Wenn der Liebende sein liebendes Herz hingibt, wirft er seinen Blick auf den Geliebten und sendet Wellen liebender Hingabe zu Ihm hin. Er sieht keine Fehler oder Irrtümer im Wesen des Geliebten; er ist ein Diener des Geliebten geworden, und Trennung vom Geliebten erzeugt Verzweiflung und Angst.

Das Heim des Geliebten ist weit entfernt,

klagte Farid du-Din Attar.

Die Straße, die dorthin führt, ist durch den Regen voller Schlamm, aber der Liebende trägt nur den Gedanken an den Geliebten in seinem Herzen. Wenn er auf einer solchen Straße geht, werden seine Kleider nass und er gleitet wegen des Schmutzes bei jedem Schritt aus. Aber er kümmert sich nicht darum und geht irgendwie vorwärts. Er will die Beständigkeit seiner Liebe nicht unterbrechen und ruft. ‚O Gott! Dieser Regen mag ein Wolkenbruch sein, und diese meine Decke durchtränken.‘ Mit diesen Worten geht er weiter, um seinen Geliebten zu treffen, so dass seine Liebe nicht abnehmen möge.

Die Liebe zu dem Höchsten Herrn, Der Selbst alle Liebe ist, benötigt beständiges Erinnern an den Herrn. O Gott, wenn es Dir gefällt, dann nur versucht man wirklich und wahrhaftig zu lieben,

rief Guru Nanak aus,

und die Liebe Deiner Ergebenen ist beständig auf Dich gerichtet.

In solch einem Stadium der Liebe kümmern sie sich nicht um Schlaf. Sie sind nicht anmaßend, weil ihre Gemüter völlig auf das Denken an Ihn konzentriert sind.

Der Liebende vergisst sein eigenes, unbedeutendes Ich und konzentriert seine intensive Liebe zum Herrn am Sitz der Seele hinter den beiden Augen.

Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein, 

sagte Christus; und Guru Arjan bestätigte:

Die gesegnete Form des Meisters ist in meiner Stirn. Wenn immer ich nach Innen schaue, sehe ich Ihn dort.

Wenn die Aufmerksamkeit des Liebenden am Sitz der Seele gesammelt ist, gleicht seine Liebe einem Tropfen Wasser, der plötzlich in ein Meer von Bewusstheit umgeformt wird. Eine solche im Innern, im Allerheiligsten der Seele konzentrierte Liebe wird zur größten Kraft im Kosmos, und ein Wahrer Liebender des Höchsten Herrn wird zum Herrscher der Herrscher. Er verliert sich selbst in der Seligkeit der Verschmelzung mit dem Höchsten Herrn und wird so eine befreite Seele, befreit von dem Rad der Geburten und Tode.

In der Bhagavad-Gita stellt Lord Krishna fest:

Was immer du tust, was immer du isst, was immer du gibst, was immer du anbetest, was für Bußübungen du auch immer ausführst, o Arjuna – übergib dies alles mir! Wenn du das tust, wirst du von den Rückwirkungen der Handlungen frei, und indem du den Pfad der Entsagung durchschreitest, wirst du Befreiung erlangen und mit mir Eins werden.

Diese Befreiung der Seele durch Liebe ist keine bedeutungslose Abstraktion; es ist ein dynamisches und bewusstes Beleben der Energien der Seele, – die vom Wesen Gottes sind – die den Liebenden dazu befähigen, für immer mit dem Bewusstsein des Höchsten Herrn zu verschmelzen.

Gib deinen Körper und dein Gemüt Ihm, Der keinen eigenen Wunsch hat,

sagte Kabir.

Sei ohne jeden Gedanken an dich selbst in Ihm verankert – was bleibt dann nach dem Gemüt? Nicht einmal der Körper […] zusammen mit Körper und Gemüt scheidest du mit dem Saat-Gemüt, o Kabir. Nur wenn man dem Meister gehört, wird man furchtlos. Lege das Saat-Gemüt am Altar der Lotusfüße des Meisters nieder, o Kabir! Nun sieht man nichts mehr, außer der Strahlenden Form des Meisters!

Liebe ist eine Universale Symphonie, deren Melodien und Harmonien niemals angemessen mit Worten beschrieben werden können. Liebe ist eine Agonie von unsagbarer Süße. Wer das Herz der Liebe erlangt hat, ist nie mehr in der Lage, diese Erfahrung zu vergessen, und lebt er auch eine Billion weiterer Leben auf diesem Planeten. Ein Wahrer Heiliger, ein Adept der Mystik, ist einer, der von der Liebe zum Höchsten Herrn berauscht ist; und wenn wir tief in die Augen solch eines Heiligen Menschen blicken, können wir entdecken, welcher Natur die Wahre Liebe ist.

Du erblickst das Antlitz des Geliebten mit dem Auge der Liebe,

sagte Hafiz,

denn der Glanz Seiner Augen breitet sich aus von Pol zu Pol.

Und auch Maulana Rumi hat uns berichtet:

Das Antlitz eines Heiligen ist die Antwort auf jede Frage, denn in Seiner Gegenwart werden all unsere Schwierigkeiten automatisch gelöst, ohne dass wir sie erwähnen müssen.

Liebe übersteigt den Intellekt, die Vernunft, das Wissen und das Gefühl; und der Höchste Heilige ist Einer, Der mit dem Herrn der Liebe verschmolzen ist und so zu einer Verkörperung des Herrn der Liebe wurde.

Wenn du dem Herrn begegnen willst,

stellte Maulana Rumi fest,

so geh hin und sitze zu den Lotusfüßen eines Heiligen; denn Seine Gesellschaft, sei es auch nur für einen Moment, ist besser als hundert Jahre aufrichtigen Gebets.

Hingabe des Selbst an die Liebe fordert, dass das Gemüt erst so klar wie ein polierter Spiegel werden sollte, von allen umherschweifenden Gedanken und Wünschen gereinigt. Wenn wir Gedanken der Gier und des Wunsches in unseren Herzen hegen, können wir niemals das Herz der Liebe erlangen.

Ergebenheit besteht darin, dass man seine Liebe, Ideen und Gedanken von weltlichen Dingen zurückzieht,

stellt Shandyla Rishi fest, und darin,

dass man allein an den Herrn denkend, sich selbst völlig in diesem Gedenken verliert. Es führt zu bleibender Gemeinschaft oder Berührung mit dem Herrn, wenn man die Aufmerksamkeit von den Dingen der Welt zurückzieht.

Nur durch die auf einen Punkt gerichtete Liebe erreichen die Adepten der Mystik die Gemeinschaft mit dem Höchsten Herrn. Die Liebe schwankt nicht zwischen dem Zustand des In-der-Liebe-Seins und dem Zustand des Außerhalb-der-Liebe-Seins. Wahre Liebe ist immerwährend. Wenn sich im Leben eines Menschen ein Zustand der Lieblosigkeit einstellt, dann war vorher keine Wahre Liebe vorhanden.

Die Liebe ist keine Liebe, die sich verändert, wenn sie etwas anderes findet,

schrieb William Shakespeare in einem seiner schönsten Sonnette und drückte so eine Ewige Spirituelle Wahrheit aus. Liebe wird nicht durch die Schwankungen unserer Gefühle bedingt oder verändert, da ein Wahrer Liebender beständig in die Verehrung des Geliebten vertieft ist.

Wer immer geliebt hat, hat Ihn gefunden,

schrieb Tulsi Sahib, ein großer indischer Heiliger, in seinem Ghat Ramayana. Und Er fuhr fort:

Ohne Liebe hat niemand etwas auf diesem Pfade vollbracht.

Gott ist allgegenwärtig und immerwährend, und Liebe, die vom Wesen und der eigentlichen Natur Gottes ist, ist auch allgegenwärtig und immerwährend. Ist die magnetische Kraft der Liebe einmal fest im Herzen des Spirituellen Aspiranten verankert, so kann sie nie mehr aus seinem Bewusstsein verbannt werden. Mira Bai, eine andere Heilige Mystikerin, hat gesagt:

Die Welt ist glücklich mit der Berauschung durch den Wein, aber ich habe tief aus der Quelle der Liebe und Hingabe getrunken. Tag und Nacht bin ich berauscht durch ihre Glückseligkeit.

Verurteilt durch gottlose Frömmler, trank Mira Bai eine Tasse Gift, als sei es das süßeste Elixier des Lebens. Liebe ist ein Zustand in allen Zeiten gewesen, denn es hat nie eine Zeit gegeben, zu der Liebe nicht existierte. Der Mensch jedoch ist der Gipfel von Gottes Schöpfung in dieser Welt und ist deshalb fähig, die Liebe in ihrer ganzen Fülle und Erhabenheit zu erfahren.

Die Liebe eines Gottverwirklichten Adepten der Mystik ist vom Wesen der Liebe Gottes, und wenn die Ergebenen des Adepten der Mystik Diesen auch lieben, werden sie die Erhabenheit und den Glanz des Höchsten Herrn erfahren. Aber solch eine ergebene Liebe muss ohne jeden Gedanken an persönliche Belohnung verströmen, wie es Guru Arjan beschrieben hat:

Wir sollten Gott Tag und Nacht anbeten.

Dabei sollte keine Lethargie und Nachlässigkeit aufkommen. Und der Weg, den Herrn anzubeten, führt über die Anbetung des Meisters mit Liebe und Ergebenheit, nachdem man dem Stolz und der Verstocktheit abgeschworen hat. Und Guru Ram Das hat solch eine Haltung selbstloser Ergebenheit gegenüber dem Adepten der Mystik bestätigt:

Nur ein Dienst, der für den Meister annehmbar ist und Ihm gefällt, wird vergolten. Und wenn Er erfreut ist, werden all unsere schlechten Karmas ausgelöscht. In der Tat, indem wir dem Meister dienen, erlangen wir die Gottverwirklichung. Aber wenn einer dem Meister wegen eines persönlichen Vorteils dient, bleibt dieser Dienst unvergolten.

Und auch Kabir hat gesagt:

Wer immer bereit ist, sich selbst zu opfern, kann vom Becher der Liebe trinken; aber weder ein gieriger, noch ein selbstsüchtiger Mensch kann es tun, auch wenn er bei der Liebe schwören oder von Liebe reden mag.

Eine erwachte Seele, gereinigt in den Lebendigen Wassern der Liebe, ist der wunderbare Freund aller Wesen. Für den spirituell Ergebenen ist solch ein Heiliger die Lebendige Verkörperung aller liebenden Freundschaft. 

Geliebter, ich kann an keinen anderen denken,

sagte Ansari von Herat,

denn in Deiner Liebe kümmere ich mich um keinen anderen. Mein Herz ist Deine Wohnstatt, denn es hat keinen Platz für irgendetwas anderes.

Und Bu Ali Kalander, ein anderer östlicher Weiser, bestätigte:

Es gibt keinen Platz in meinem Herzen, außer für meinen Freund, denn kein anderer kann das Privatgemach des Königs betreten.

Solch eine beständige Liebe hat keinen Platz für Dualität, wie Bu Ali Kalandar weiterhin feststellt:

Als ich zwei Schritte auf dem Pfad der Liebe gegangen war, hatte ich mich völlig von jeder Unterscheidung zwischen Glaube und Unglaube gelöst.

Gott ist jenseits der Dualität, und Liebe ist jenseits der Dualität. Wahre Liebe kann deshalb den Liebenden nicht erniedrigen, denn sie ist gänzlich eine Kraft der Spirituellen Erhebung. Liebe veredelt und stützt den Liebenden, ihr Kern ist Einfachheit und Reinheit der Motive. Sie trägt das Leben im gesamten kosmischen Universum, und selbst in den dunkelsten Tiefen der niedrigsten astralen Hölle ist ein erlösender Funke der Liebe. Und das verdorbenste Wesen könnte gerettet werden, wenn es nur nach dieser befreienden Flamme trachten würde. Liebe ist eine zusammenhaltende und einigende Macht – wir sind durch die Bande der Liebe aneinander gebunden, ob wir dies nun erkennen oder nicht.

Liebe löst alle schlechten Neigungen auf und reinigt die irrende Seele. Unsere Gesichter spiegeln unseren Gemütszustand, unseren Reichtum oder unsere Armut an Liebe. Vergnügen oder Schmerz, Liebe oder Hass, Gesundheit oder Krankheit spiegeln sich in unserem Ausdruck wieder. Ein Liebender des Höchsten Herrn verrät seine Liebe durch die hinreißenden Ströme der Liebe, die von seinen Augen ausgehen.

Gott ist Liebe, und das schöpferische Wort, welches das Spirituelle, kausale, astrale und physische Universum hervorbrachte, ist von der Natur und dem Wesen der Liebe. Liebe ist die Regenbogenbrücke aus himmlischem Licht und überirdischen Tönen, die die pilgernde Seele überquert, um die Wohnstatt der Liebe zu erreichen. Diese Regenbogenbrücke ist jenes schöpferische Prinzip der Liebe, über welches die Großen Mystiker der Vergangenheit als dem abstrakten Spirituellen Ton berichteten. Moses hörte diesen Inneren Ton, als Er allein auf dem Berge Sinai stand. Jesus hörte Ihn, als die Kraft Göttlicher Liebe sich Ihm in der einsamen Wüste offenbarte. Lord Krishna wird in den Hindu-Schriften abgebildet, wie Er die Flöte des Spirituellen Tones spielt. Lord Shiva hörte, während er in tiefer Meditation in seiner Höhle im Himalaya weilte, den gleichen Ton. Er ist die Ewige Symphonie der Liebe, und Er ist der einzige Wahre Weg zurück zur Wohnstatt der Liebe. 

Die Glocken und Gongs in den Tempeln und Kirchen haben die Bedeutung, diesen Inneren Spirituellen Ton zu symbolisieren, um so den Spirituellen Aspiranten und Ergebenen äußerlich daran zu erinnern, sich erneut dem Pfad der Liebe hinzugeben. Unnötig, zu sagen, dass diese Wahrheit von denen, die die Religion berufsmäßig ausüben, vergessen oder ignoriert wird. Das Wort Gottes ist die waltende Liebe; und es ist keine zufällige Übereinstimmung, dass es in den Offenbarungs-Schriften aller größeren Religionen häufige Hinweise auf das Wort gibt. Die Upanishaden bezeichnen diesen schöpferischen Ton mit Udgit, die Veden nennen ihn Sruti oder Akash Bani; im Hinduismus ist er als Nad bekannt; islamische Schriften beziehen sich auf ihn als Kalma; die Sikh-Schriften bezeichnen ihn als Bani oder Shabd; und in der Terminologie der Höchsten Adepten der Mystik ist er als Naam oder Shabd bekannt. In den Schriften der Christenheit wird im Johannesevangelium 1:1 die folgende Feststellung getroffen:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Durch die Gnade eines Kompetenten Adepten der Mystik kann der Aspirant auf dem mystischen Pfad der Liebe mit dem hörbaren Lebensstrom oder Tonstrom, wie Er manchmal genannt wird, in Verbindung kommen. Der Adept der Mystik gibt dem Ergebenen eine Anfangserfahrung des Tonstromes und enthüllt ihm eine Meditationstechnik, die er täglich befolgen muss. Der Ergebene wird angewiesen, in liebendem Gedenken an den Adepten der Mystik zu sitzen, Der eine Verkörperung des Herrn der Liebe ist, und seine Aufmerksamkeit am Sitz der Seele im Körper zu konzentrieren. Dieser Sitz der Seele wird auch als ‚Drittes Auge‘ bezeichnet. Die Adepten der Mystik bezeichnen dieses Dritte Auge mit seinen verschiedenen orientalischen Namen als: Tisra Til, Shiv-netra, Divya-chakshu, Brahm-rendra, Triambaka, Trilochana, Nukta-i-Sweda, Koh-i-toor und so weiter.

Zur Zeit der Initiation gibt der Adept der Mystik dem Aspiranten eine spirituell geladene Wortformel, welche die Innere Reise symbolisiert, die vor ihm liegt, und dazu ein System von ‚schützenden  Passworten‘ für die Spirituellen Ebenen. Diese Formel wird nicht laut, sondern geistig wiederholt. Diese Innere Technik hilft dem Ergebenen auch dabei, seine zerstreuten Gedanken zu sammeln und die Aufmerksamkeit am Sitz der Seele, am Zentrum des Dritten Auges, zu halten. Dieser Prozess der Inneren Konzentration zieht automatisch die Seelenströme zum Spirituellen Zentrum im Menschen hinauf. Diese Ströme sind durch die vorwiegende Beschäftigung des Gemüts mit der äußeren Welt gewöhnlich über den ganzen Körper verteilt. Das Innere Zurückziehen der Seele wird durch die Wiederholung der Wortformel erheblich unterstützt. Diese Wiederholung wird von den Adepten der Mystik ‚Simran‘ genannt.

Wirklicher Simran, einen Augenblick lang ausgeführt, schneidet die Fessel von Geburt und Wiedergeburt entzwei,

stellte Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs, fest. Und Kabir verglich den Simran mit einem Rosenkranz des Gemüts, der weit mächtiger ist als irgendein äußerer Rosenkranz:

Wenn ihr den Rosenkranz des Gemüts aufsagt, könnt ihr in Verbindung mit dem Meister kommen. Wenn die Seele nicht bewegungslos geworden ist, von welchem Nutzen soll dann das Abzählen an euren Fingern sein? Ihr zählt mit eurer Hand an den Fingern, aber euer Gemüt stolziert noch umher. Das ist völlig nutzlos. 

Der Simran ist die einzige angemessene Technik, um Verbindung mit dem Göttlichen Tonstrom der Liebe zu erlangen; und wie es Soami Ji in seinem Schatzhaus Spiritueller Literatur, dem ‚Sar Bachan‘ aufzeichnete, gibt es außer Shabd (dem Tonstrom) keinen anderen Weg, die Befreiung von Geburt und Tod zu bewirken.

Wenn die Innere Aufmerksamkeit des Ergebenen mit liebender Hingabe auf den Sitz der Seele gerichtet ist, beginnt er das Innere Licht wahrzunehmen, und der Prozess Spirituellen Aufstiegs wird beschleunigt. Das Sehen des Inneren Lichts führt wiederum zum Inneren Hören, und der Ergebene findet sich selbst mit den klingenden Weisen des Tonstroms, dem Hörbaren Lebensstrom verbunden. Seine Ohren sind für äußere Töne verschlossen, und er wird rasch von der himmlischen Musik des Geistes absorbiert. Er wird nach oben, in einen anderen Erfahrungsbereich gezogen – in eine Welt, die weit mehr Wirklichkeit besitzt als die grobe physische Welt. Dieses Überschreiten des physischen Bewusstseins wird während des Lebens in der alltäglichen Welt und mit einem Minimum an Anstrengung und Schwierigkeit erlangt.

Sowie der Ergebene bei seiner Inneren Reise fortschreitet, findet er, dass jede Ebene des Aufstiegs wunderbarer und wirklicher ist, als die vorhergehende. Schließlich trifft er den Adepten der Mystik – seinen Spirituellen Lehrer – im Innern und stellt fest, dass Der, Den er als einen erhabenen menschlichen Lehrer auf der physischen Ebene betrachtet hatte, wahrhaftig ein Strahlender Führer auf der Reise nach oben ist. Endlich löst er das letzte Geheimnis und findet, dass sein Spiritueller Führer und Lehrer ein und derselbe wie der Höchste Herr der Liebe ist. Tara Mati, eine indische Königin des 15. Jahrhunderts, war eine Schülerin Kabirs; doch selbst diese Spirituelle Schülerin konnte die Tatsache nicht erfassen, dass der bescheidene Dichter-Heilige die fleischgewordene Gottheit war. Nachdem sie eine Lektion Spiritueller Disziplin gemeistert hatte, stieg Königin Tara Mati in die Spirituellen Höhen auf; und als sie das Reich der reinen Liebe erreichte, gewahrte sie, dass Kabir selbst auf dem Thron des Höchsten Herrn saß. Als sie zum physischen Bewusstsein zurückkehrte, wurde sie bei ihrem Spirituellen Lehrer vorstellig:

Meister! Warum habt Ihr mir nicht vorher gesagt, dass Ihr Selbst der Höchste Herr seid? Ich würde Euch gleich von Anfang als solchen angenommen haben.

Kabir lächelte sanft und sprach:

Wie sonst hätte ich dich überzeugen können als nur durch den Augenschein deines eigenen Spirituellen Bewusstseins?

Die Schriften der Welt können von der Göttlichkeit des Höchsten Herrn berichten, aber der Beweis muss von der Einzelseele erfahren werden. Unter der Führung der Strahlenden Form des Adepten der Mystik wird die emporstrebende Seele durch den hörbaren Lebensstrom – das Göttliche Wort oder Shabd – nach oben gezogen und steigt hinauf von Region zu Region, von  Ebene zu Ebene und streift dabei ihre äußeren Hüllen oder subtilen Körper ab, bis sie sich triumphierend in ihrer Wahren Natur vollendeter Spiritualität offenbart.

Sie betrif                                                        t ein Reich des Bewusstseins, wo sie erkennt, dass sie vom gleichen Wesen wie der Höchste Herr der Liebe ist und dass die emporstrebende Seele, der Adept der Mystik und Gott keine getrennten Wesenheiten, sondern Eins sind. In diesem Reich des Glanzes gibt es nichts als ein unaussprechliches Meer allen Bewusstseins und aller Seligkeit.

So kann der Spirituelle Aspirant nicht der Empfänger der vollen Segnungen der Liebe und des Wissens vom Höchsten Herrn werden, wenn er nicht diese Gaben von Einem erhält, Der Selbst zur lebendigen Verkörperung des Herrn der Liebe geworden ist. 

Im Himmel hat sich ein Meteor erhoben,

erklärte Guru Nanak,

nur wer mit der Gnade des Meisters gesegnet ist, kann Seinen Glanz erblicken. Durch das Wort zeigt der Guru den Weg, und der Suchende erlangt die Erfüllung,

Diese Segnungen werden als besondere Gnade Gottes durch einen Adepten der Mystik, Der ein lebendiger Pol der Spirituellen Kraft der Liebe ist, gewährt. Auch wenn die ganze Welt von Dunkelheit und Zerstörung beherrscht wird, sieht der liebende Ergebene ständig die Strahlende Form des Geliebten vor sich.

Menschen, die für ihre Gebete von Ritualen abhängen, gehören zu jenen, deren Haltung in formelhafter Unfruchtbarkeit versteinert ist; doch die Gebete eines Wahren Liebenden übersteigen die Stadien des Ego oder der Form. Sie werden in der Stille der eigenen Seele gesprochen, wenn er sich über das Bewusstsein der niederen Welt erhoben hat.

Und sein Gebet ist ein einfacher Ausdruck der Liebe für den Geliebten. Lebe innen und außen in Seinem Gedenken, und erinnere dich Seiner sowohl innerlich als auch äußerlich. Bete außer Ihn keinen anderen an, denn Gott ist Einer ohne einen Zeiten.

Und Kabir hat gesagt:

Gedenke des Namens des Herrn mit der gleichen Intensität der Liebe, die der Fisch für das Wasser hat; denn der Fisch kann nicht außerhalb des Wassers sein, sonst stirbt er.

Der Spirituelle Aspirant ist voller Freude in seinem Gedenken an Gott und den Adepten der Mystik, Der eine Manifestation des Höchsten Herrn ist. Wenn solch ein Gottliebender seine weltlichen Besitztümer verliert, so weiß er, dass er nichts verloren hat. Aber wenn immer er die Zeit, die der Meditation und dem liebenden Gedenken an den Höchsten Herrn hätte gewidmet sein sollen, verloren hat, dann erlebt er diesen Verlust als einen betrüblichen Schmerz der Trennung.

Der Wahre Liebende ist nicht länger ein Sklave seiner Gefühle, denn wenn die Gefühle gehorsam der Liebe dienen, durchdringt der Wohlgeruch der Spiritualität des Liebenden alles um ihn herum. Herz spricht zum Herzen, und alle werden durch die heilenden Ströme der Liebe gesegnet. Der Höchste Herr, der Liebe ist, flößt dem Liebenden ein beständiges Gewahrsein Seiner Gnade ein. Dieses Bewusstsein ist transzendental und universal. Menschen, Tiere, Vögel, Insekten, Pflanzen, Bäume und Blumen antworten darauf. Der gesamte Kosmos ist eine Lobeshymne auf die Liebe, und wir, die wir in diese Welt hineingeboren wurden, tragen die Gabe der Liebe in uns.

Der Gott Innen ist der Gott aller – der Moslems, der Hindus, der Christen usw. Alle Menschen sind einander gleich. Wir mögen uns selbst unterschiedlich bezeichnen, aber in erster Linie sind wir Menschen mit der gleichen Seele, der gleichen Kaste wie Gott oben.

Die Religion ist die Höchste, in der mehr Wahre Gottergebene geboren werden, aber in Wahrheit sind wir alle Kinder Gottes. Alle Meister haben das Gleiche in Ihrer eigenen Sprache gesagt. Die Moslem-Weisen sagten in Ihrer Sprache, dass alle Menschen eine so enge Beziehung zueinander bekommen haben wie die verschiedenen Teile eines Körpers und alle auf die gleiche Weise geboren werden.

Wann wird der Mensch erkennen, dass uns dieses menschliche Leben eine goldene Gelegenheit bietet? – Denn nur in dieser und in keiner anderen Form ist es möglich, sich selbst und Gott zu erkennen.