Der Einfluss eines Heiligen

von Russell Perkins

Eine persönliche Erinnerung über den Besuch des Meisters in Neu-England im Oktober 1963

So lange scheinen sie zurückzuliegen, jene wunderbaren Tage im Oktober, als der Meister nach Neu-England kam und mein Leben umformte.

Meine Frau Judith und ich waren 1958 initiiert worden, aber trotz einer starken Bereitschaft während und nach der Initiation verließen wir nach eineinhalb Jahren ständig lustloser werdender Übung den Pfad und führten für zwei Jahre wieder ein weltliches Leben. Dann entdeckten wir, nachdem wir durch das unerbittliche, lange Seil des Meisters zurückgezogen worden waren, dass die Frucht ausgedehnter Absage an Meditation und reines Leben absolute Stille und Dunkelheit bedeutete.

Ich kann mich noch des Schocks erinnern, der mich überfiel, als ich mich das erste Mal nach zwei Jahren Versäumnis zum Bhajan niedersetzte und nichts hörte – gar nichts. Im Augenblick erkannte ich, wie töricht ich gewesen war und was ich fortgeworfen hatte. Aber es war zu spät. Was mir gegeben worden war, hatte ich verloren; und da ich mich nicht länger in der Vorstellung täuschen konnte, dass ein weltliches Leben ausreichend wäre, blieb mir keine andere Wahl, als sitzen zu bleiben und auf den Meister zu warten, damit Er den Schleier lüfte. Endlich wurde mir der Ton zurückgegeben, aber zwei lange Jahre saß ich in Dunkelheit mit gerade einer oder zwei Ausnahmen.

Der Meister kam am 1. September 1963, einem Sonntag, in den Vereinigten Staaten an; und obgleich wir verfehlten, Ihn schon am Flughafen zu sehen, sahen wir Ihn später am selben Tage. Ich glaube, jeder kann sich die Erregung und Erwartung vorstellen, gemischt mit ein wenig Furcht (in der Annahme, dass Er nicht das war, was wir uns vorstellten), die uns alle während der langen Fahrt von New Hampshire nach Washington beherrschte. Als wird dort eintrafen, war es 3.30 Uhr nachmittags, und Herr Khanna teilte uns mit, dass der Meister Sich gerade zum Versammlungshaus der Freunde begeben hätte, um Satsang zu halten, und wir Ihm dorthin folgen könnten. Wir stürzten in den Wagen, fuhren zurück auf eine gegenüberliegende Fahrbahn, so dass wir direkt auf das Haus zukamen. In diesem Augenblick trat der Meister hinaus. Wir erhielten einen wunderbaren Darshan für ungefähr eine halbe Minute. Selbst jetzt, nachdem ich ihn viele hundert Male gesehen habe, kann ich jenen ersten, unglaublichen Anblick nicht vergessen, als Er aus dem Haus trat und in den Wagen stieg. Besonders die Art, wie Er Sein prächtiges Haupt trug und heraustrat, war nicht im Worten zu beschreiben. Bei Seinem Anblick brach Judith in Tränen aus, und ich war überwältigt von der Erkenntnis meiner eigenen Unzulänglichkeit. Bei Seinem Anblick erfasste ich sofort, warum die Bücher eine solche Betonung auf die Gemeinschaft von Heiligen legen.

Der Meister blieb 27 Tage in Washington, aber wir waren nur drei Tage dort. Er hatte uns versprochen, einen Tag und eine Nacht in unserem Hause in New Hampshire (damals Sant Bani Farm) zu verbringen, und das Haus benötigte dringend eine Menge Arbeit, bevor es Seiner würdig war. An dem Abend, an dem wir abfahren mussten, gewährte Er uns einen liebevollen Darshan in Seinem Zimmer, gab uns Parshad und sprach sehr freundlich über Seinen bevorstehenden Besuch auf unserer Farm. Er forderte uns nachdrücklich auf, zu bleiben und an der Meditation am nächsten Morgen teilzunehmen. Wir blieben.

Ich hatte noch nie zuvor einer vom Meister abgehaltenen Gruppenmeditation beigewohnt und war auf diese völlig unvorbereitet (die erste auf der Reise 1963). Nachdem Er uns ausgezeichnete Anweisungen gegeben hatte, verließ Er für eine Stunde den Raum, während wir dort saßen. Nach Seiner Rückkehr fragte Er jeden einzelnen nach dem, was Er gesehen hatte. Das Problem war, dass auch ich wie gewöhnlich nichts gesehen hatte. Ich hatte wirklich nichts anderes erwartet, es regte mich nicht auf, da es mir immer so erging. Ich stellte jedoch ahnungsvoll fest, dass ich aus einer Gruppe von etwas hundert Leuten im Raum zu ungefähr Vieren zählte, die überhaupt kein Licht gesehen hatten. Einer nach dem anderen berichtete von seinen Erfahrungen, während ich ungläubig lauschte. Selbst meine Frau hatte eine Erfahrung, aber nicht ich.

Mittlerweile erreichte der Meister mich. Ich hatte mich unvernünftigerweise in eine seltsame Depression hineingesteigert, in der ich den Meister dafür tadelte, dass Er mir nichts gegeben hatte. Er sah mich an.

Nun? 

Nichts, Herr. (ungehalten) 

Nichts?

Nichts!

Er sah mich mit dem durchdringendsten Blick an, den ich je gesehen hatte. 

Warum nicht?

Ich weiß nicht, Herr. 

Warst du dir deines Atems bewusst?

Nein, Herr,

Hattest du Kopfschmerzen? 

Nein, Herr. 

Dann also, warum nicht?

Ich weiß nicht, Herr. (In meinem Herzen dachte ich: ,Solltest Du das nicht wissen? Ist es nicht Deine Schuld?') Der Meister sah mich wieder an. O Gott, dieser Blick! 

Jeder hatte eine Wahrnehmung, warum nicht du?

Ich war geschlagen, ich sagte schwach: 

Ich weiß nicht, Herr. 

Er sah mich wieder an:

Bist du initiiert?

(O Gott, dachte ich, o Gott! Weiß Er nicht, ob ich initiiert bin oder nicht? O Gott, o Gott!)

Ja, Herr. 

Wenn du damals eine hattest, warum nicht jetzt?

Ich weiß nicht, Herr.

Er sah mich wieder an mit einem langen, langen Blick. 

Nun gut, geh und setz' dich dort drüben hin. Ich will dir später nochmals eine Sitzung gewähren.

Ich ging hinüber und setzte mich zu den anderen, aber mir wurde keine weitere Sitzung gewährt – wir mussten zu früh wieder abreisen. Im Wagen auf dem Nachhauseweg brauch der ganze angestaute Zorn, die Verbitterung und Erniedrigung hervor, und ich fürchte, ich verfluchte minutenlang den Namen des Sohnes Gottes. Ich kann das jetzt sagen, weil ich weiß, dass Er mir schon lange vergeben hat.

(Später wurde mir völlig klar, was der Meister in jenen Minuten mit mir vorgenommen hatte. Er hatte mir eine niederschmetternde Lehre über demütiges Verhalten und die Vernichtung des Ego erteilt, die ich dringend benötigte, wenn man meinetwegen nicht alle Hoffnung aufgeben sollte. Er wusste natürlich ganz genau, wer ich war und ob ich initiiert war oder nicht. Hatte Er mir doch am Abend zuvor versichert, dass Er auf unsere Farm kommen würde. Aber jede Seiner Fragen war auf den Zusammenbruch meiner überaus starken Überheblichkeit abgezielt, die tatsächlich jede weitere Entwicklung verhinderte. Genau zwei Abende vorher war ich als Gruppenbeauftragter vorgestellt worden – sehr zur Befriedigung meines Ego: Dann aber von dem Meister selbst angesichts derselben Leute gefragt zu werden, ob ich initiiert worden sei oder nicht, war so demütigend, dass ich es kaum ertragen konnte. Aber die Meister pflegen sich nicht zu irren. Sie schauen in das Herz des Schülers und geben ihm, was erforderlich ist, um die größten Entwicklungsmöglichkeiten herauszuholen.

Mit der Zeit beruhigte ich mich, und selbst das Alpdrücken jener Minuten ging vorüber. Zurück blieben allein die zu Herzen gehenden Gedanken und Erinnerungen an die Art und Weise, mit der der Meister umherblickte und sich bewegte, den liebevollen Darshan, den Er uns gegeben hatte, und das Gefühl der Zeitlosigkeit, welches die Dauer des Aufenthaltes durchdrungen hatte, so, als ob wir für einige Tage aus der modernen Welt herausgetreten wären. Jedenfalls hatten wir eine Menge Arbeit zu verrichten mit der Vorbereitung auf Seinen Besuch, (so viel Arbeit, dass ich buchstäblich mit zwei Stunden Schlaf nachts auskam). Jeder Sinn für eine Zukunft war uns abhanden gekommen, für unsere Vorstellung endete die Welt am 11. Oktober (an dem Tage, an dem der Meister kommen sollte.) In vielerlei Hinsicht waren jene Tage schwierig, aber ich finde, es waren die glücklichsten Tage meines Lebens bis zu diesem Zeitpunkt, trotz der Tatsache, dass uns die Reparaturen an dem Hause in Schulden stürzten, und vollständige Ungewissheit bestand, ob wir je wieder in die Lage kommen würden, sie zurückzahlen zu können. Doch wir hatten nur eines vor Augen: der Meister kommt! Das nächste Mal sahen wir Ihn in Boston in Mildred Prendergasts Haus, in dem Er Sich gerade aufhielt.

Er saß mit gekreuzten Beinen auf Millies Bett. Sein Gesichtsausdruck schien traurig zu sein, und die Gesamtwirkung Seiner Gegenwart war die, dass Er für den Raum zu groß zu sein schien. Er blickte auf mich und fragte geradewegs:

Wie sind deine Meditationen? 

(O nein!) Nicht so gut.

Warum nicht? 

Ich wollte gerade sagen: 

Weil ich zu Deinem Empfang an dem Haus gearbeitet habe

aber ich sagte es nicht. Irgendwie wusste irgendetwas in mir es besser. 

Er sah mich an: 

Bist du initiiert? 

Diesmal verlor ich fast völlig die Fassung; alles um mich drehte sich, und ich hörte meine Stimme wie aus großer Entfernung sagen:

Ja, Meister. 

Wann wurdest du initiiert?

Im Mai 1958, Meister.

Er sah gedankenvoll aus. 

Fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit.

Plötzlich stellte ich fest, dass, während Seine Worte hart klangen, Sein Ton sehr freundlich war und ich sah die Liebe in Seinem Blick. Er fragte mich sehr sanft: 

Welchen Nutzen hat es, eine Initiation zu nehmen, wenn du von ihr keinen Gebrauch machst?

Plötzlich erhielt ich mein halb geschwundenes Bewusstsein zurück, und ich empfand bei jener Frage: 

Es wird alles wieder gut werden. 

Ich sah Ihn an:

Mein Herz war in zwei Stücke gebrochen, aber da war jene große Hoffnung. Keinen Nutzen, Meister.

Aber ich fing an, zu verstehen.

An diesem Abend hielt der Meister den zweiten von drei Vorträgen in der ‚Zweiten Kirche‘ von Boston. Es war schwierig, Seiner Rede zu folgen: Die Akustik war schlecht, und es gab ein gewisses Echo. Aber wenn je ein biblischer Prophet in einer christlichen Kirche stand, dann war es an jenem Abend.

Zwei Tage später, am Donnerstag, den 10. Oktober (Seinem letzten Tag in Boston, der Tag, bevor Er nach Sant Bani kam), gab Er eine Initiation. Etwas drängte mich stark, der Initiation beizuwohnen, und so tat ich es. ich stand früh an einem frostigen Morgen auf und fuhr nach Boston mit jubelndem Herzen: Der Meister hatte mir Frieden gegeben, obgleich ich keinen Grund dafür fand. Bei dieser Initiation, der ersten, der ich unter des Meisters persönlicher Führung beigewohnt habe, gab Er mir alles wieder, was ich verloren hatte und mehr dazu. Nie in meinem Leben hatte ich mich so in einem Meer von Licht befunden wie an jenem gesegneten, goldenen Morgen in Boston. 

O Gott, ich danke Dir. O Gott, ich danke Dir,

sagte ich immer wieder mit Tränen in den Augen. Nach der Sitzung ging der Meister umher und fragte die neuen Initiierten, was sie gesehen hätten. Er wandte sich nach hinten, wo wir Älteren saßen und fragte heiter: Ist hier alles in Ordnung? Ich konnte nichts sagen: Ich sah zu Ihm hin und fing Seinen Blick auf, und Er blinzelte mir zu. Oh, Gott sei Dank! Gott sei Dank! Und es war alles Er! Er wusste alles über alles und hatte es stets gewusst.

Am folgenden Tag kam Er nach Sant Bani; und unser neues Leben in Ihm begann. Es ist mir nicht möglich, über die beiden nächsten Tage zu schreiben. Sein Besuch in Sant Bani machte es zu einem Ashram. In der Tat war Er es, Der es so benannte. Und welcher Segen auch immer von dem Ort ausging, es kam nur von der ungeheuren Kraft und dem Impuls, die der Meister Ihm im Oktober 1963 verlieh. Bevor Er abreiste, fragte man Ihn, wann Er wiederkommen würde, und Er antwortete:

Ich werde diesen Ort niemals verlassen.