Zu Ehren von Guru Nanak

Der Autor (N.K. Bondzie), der Repräsentant des Meisters in Ghana und Generalsekretär des Guru Nanak-Zentrums in Accra, hielt diesen Vortrag anlässlich der Eröffnung dieses Zentrums am 20. November 1972. Das Zentrum bringt ein vierteljährliches Rundschreiben heraus, das man im Jahresabonnement von zwei Dollar vom Sant Bani Ashram beziehen kann.

Ich möchte beginnen, wie ich es am 25. November 1969 zur Feier des fünfhundertjährigen Geburtstages von Guru Nanak Sahib tat, indem ich einen Ausspruch des großen Orientkenners Max Müller zitiere, der folgendes verspätete Eingeständnis machte:

Würde man mich fragen, unter welchem Himmel der menschliche Verstand einige seiner erlesensten Gaben am besten entwickelt, am tiefsten über die größten Probleme des Lebens nachgedacht und auf einige von ihnen Lösungen gefunden hat, die die Aufmerksamkeit auch derer verdienen, die Plato und Kant studiert haben, ich würde nach Indien weisen.

Und fragte man mich, welche Literatur uns hier in Europa jenen Ausgleich bringen könnte, den wir, die wir fast ausschließlich mit dem Gedankengut der Griechen, Römer und dem einer semitischen Rasse, der Juden, erzogen worden sind, dringend benötigen, um unser inneres Leben vollkommener, umfassender, universeller und wirklich menschlich zu gestalten, ein Leben nicht nur für dieses Leben, sondern für ein verklärtes und ewiges Leben – ich würde wieder auf Indien weisen.

Meine Bewunderung und mein Respekt für diese kostbare Gabe Indiens an die Menschheit veranlasste mich erneut, zuzustimmen, als ich aufgefordert wurde, einige Worte zu Ehren Guru Nanaks zu sagen. Und ich stelle wieder einmal fest, dass es viel einfacher ist, eine solche Verpflichtung auf sich zu nehmen, als sie zu erfüllen. Heilige können sich augenblicklich in die Unsterblichkeit versenken, auch wenn sie sonst wie gewöhnliche Menschen unter uns wandeln. Woher sollte da ich, ein bloßes Stäubchen, den Mut nehmen, der Mittagssonne Ehre zu erweisen? Das große Paradoxon ist, dass der Heilige bei all seiner Erhabenheit zu demütig ist, seinen Wahren Reichtum zur Schau zu tragen, während sein Diener, der ihn offenbaren möchte, nicht genug darüber weiß.

Indien hat der Menschheit Männer von großer Frömmigkeit geschenkt wie Buddha, Ashoka, Ravidas. Mahavira, Krishna, Vivekananda und Gandhi, aber keiner von ihnen war wohl größer als Nanak (1469 – 1539) und Kabir (1398 – 1518), denn diesen beiden verdanken wir die Entwicklung der Wissenschaft der Spiritualität – die Entstehung eines höheren Bewusstseins im Menschen. Diese beiden Zeitgenossen, ein Hindu und ein Moslem, erhoben Sich über Ihre Religionsgemeinschaften und bewiesen, wie wenig bedeutungsvoll, wenn nicht gar bedeutungslos die Ausübung von Ritualen für den inneren spirituellen Fortschritt ist.

Während die beiden Hauptreligionen Indiens zu jener Zeit, der Hinduismus und der Islam, einander spinnefeind waren, trug die Universalität der Lehren jener beiden Heiligen beträchtlich dazu bei, die nationale Integration herbeizuführen. Als schließlich Nanak seine sterbliche Hülle verlassen hatte, beanspruchten die Moslems diese zur Bestattung, während die Hindus sie zur Verbrennung haben wollten. Sie sahen einen Gottesmenschen in ihm, der alle in Bruderschaft und Harmonie vereinte.

Wie Kabir war Nanak nicht nur ein großer göttlicher Dichter, sondern schrieb auch umfangreichere Werke. Die Zusammenfassung seiner Lehren ist im 'Jap Ji', seinem Hauptwerk, enthalten, das die Einleitung des Adi Granth Sahib, der verehrungswürdigen heiligen Schrift der Sikhs, bildet. Nanak zeigt, dass die Realität des Allerhöchsten, den wir Gott nennen, nicht auf abstrakten Argumentationen oder scholastischen Beweisen begründet ist, sondern nur auf der echten religiösen Erfahrung, durch welche die Bezeichnung 'Gott' erst ihre besondere Bedeutung erhält. Der Mensch wird Gottes nur durch Erfahrung gewahr. Verstandesmäßige Beweisführungen bauen religiösen Glauben nur dann auf, wenn sie im Licht der religiösen Erfahrung betrachtet werden. Argumente können uns Gott nicht enthüllen, helfen uns aber, Hindernisse auszuräumen, die dem Verstand das Annehmen von Offenbarungen vereiteln würden, welche wir, vermittelt durch die dem Menschen angeborene Wahrnehmungsmöglichkeit des Göttlichen, empfangen. Gott kann uns nur durch Kennenlernen und nicht durch Hörensagen bewusst werden.

In den 38 Versen des Jap Ji schildert Nanak die Grundprinzipien des Lebens und wie man bei vollem Bewusstsein vom Bekannten ins Unbekannte hinübergehen kann mit der Hilfe der himmlischen Musik und unter der kompetenten Führung eines vollendeten lebenden Meisters. Er sieht die Gleichheit aller Menschen aus der Sicht Gottes und wie ihre Gottnähe oder ihr Getrenntsein von Gott von ihrem eigenen guten oder bösen Tun abhängt. Er sieht, dass ihre endgültige Befreiung aus dem Netzwerk von Gemüt und Materie durch die Verbindung mit dem göttlichen WORT, dem ewigen Ton, geschieht, der durch die ganze Schöpfung widerhallt. Es bedarf der Kompetenz einer Meisterseele, des Gurus, um dieses Aufsteigen vom Bewusstsein zum Überbewusstsein zu bewirken, und es bedarf einer guten ethischen Grundlage, um diesen Pfad gottwärts zu beschreiten.

Schon der Prolog zeigt dies wie folgt:

Es gibt eine Wirklichkeit, den Unoffenbarten offenbart; immer seiend ist Er Naam (der bewusste Geist). Der Schöpfer, Der alles durchdringt, ohne Furcht, ohne Feindschaft; der Zeitlose, der Ungeborene und aus Sich Selbst Bestehende, vollkommen in Sich Selbst. Durch die Gnade Seines Wahren Dieners, des Meisters, kann Er erkannt werden. Er war, als da nichts war, Er war vor dem Beginn aller Zeiten. Er ist jetzt, o Nanak, und Er wird in alle Ewigkeit sein.

Ferner gibt Nanak zu verstehen, dass der zeitlose Eine, Der vor aller Zeit war, in der Zeit ist und über die Zeit hinaus sein wird, das einzige Ziel ewigen Friedens und ewiger Harmonie ist und dass Er nur durch die Gnade Seines Heiligen Wortes im Menschen erreicht werden kann. Den Nachdruck, den er auf das Heiliges Wort oder die himmlische Musik legt, lässt Nanak als Vater der Spirituellen Wissenschaft hervortreten; und sollte irgendjemand daran zweifeln, dass etwas, das man sonst als subjektiv bezeichnen würde, wie eine Wissenschaft verfolgt werden kann, so mag er in aller Bescheidenheit darauf hingewiesen werden, dass die Spiritualität ebenso sehr eine Wissenschaft ist wie die Mathematik, nur älter und genauer als diese. Die himmlische Musik, von welcher Nanak spricht, ist allen bestehenden Religionen bekannt. In den Veden (den ältesten bekannten Schriften) heißt diese himmlische Musik 'Nad' oder Sphärenmusik; in den Schriften des Zoroaster heißt sie 'Sraosha', die Evangelien bezeichnen sie als 'Wort' und die Moslems als 'Bang-i-Asmani' oder die Stimme aus den Himmeln. Nanak lehrte, dass die himmlische Musik der Schöpfer und Erhalter von allem Bestehenden ist und versicherte: Die allein leben, die mit dem WORT in Einklang sind, alle anderen sind tot.

Die wahre Religion besteht somit darin, sich wieder mit der ewigen Musik in Einklang zu bringen, und das kann man nicht durch intellektuelle Erörterungen erreichen, durch erzwungene Zeremonien, Rituale, Fasten oder Nachtwachen. Nanak erinnert uns daran, dass wir als Gemeinschaftswesen nicht umhin können, der einen oder anderen Religionsgemeinschaft anzugehören, aber er sagt, dass das nur der erste Schritt sei. Unser Glaube an die Religion muss beizeiten durch Selbstanalyse Wahrheit werden. Die Menschen sind so anspruchslos, dass sie vergessen, dass die wertvollen Aufzeichnungen in den verschiedenen biblischen Texten und Erfahrungen disziplinierter Seelen sind, welche uns nur zu inspirieren vermögen. Uns selbst aber können jene Erfahrungen ohne unser eigenes Zutun nicht zuteil werden.

Den Frieden der Vollkommenheit, die Freude höherer Bewusstseinsebenen kann man auf Erden erfahren. Die Vollkommenheit ist das Vorrecht eines jeden Menschen aufgrund seines Menschseins. Vor dem göttlichen Gericht gibt es keine Christen oder Mohammedaner, weder Gläubige noch Ungläubige, sondern nur Menschen, und jeder wird gerichtet nach seinen Taten. Wir alle sind Mitglieder der himmlischen Gemeinschaft der göttlichen Familie. Selbst wenn wir am Rande des Abgrundes stehen, stützen uns Seine ewigen Arme, denn es gibt nichts, nicht einmal ein Atom der Wirklichkeit, worin nicht Gott ist.

Gottmenschen wie Guru Nanak nehmen von Zeit zu Zeit das Kreuz der Menschheit auf sich. Sie krönen Sich Selbst mit Dornen, damit andere mit dem ewigen Leben gekrönt werden. Sie gehen durch die Welt wie Wanderer und verachten die weltlichen Reichtümer, um uns zum Glauben an die Schätze ihrer Welt zu bewegen. Wenn Sie in die Augen der Menschen schauen, sehen Sie mehr darin als den Menschen, ganz gleich, in welchen Lebensumständen er sich befindet. Sie sehen unsere Gesichter nicht nur im gewöhnlichen Licht der Welt, sondern im verklärten Licht unserer Göttlichen Möglichkeiten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Sie unsere Freuden und Leiden teilen. Wurde nicht Jesus, der Christus, gekreuzigt und Kabir gesteinigt, und wurde nicht selbst Guru Nanak eingekerkert? Unsere eigenen Taten bringen uns ihre Früchte. Gott gewährt seine Gnade nicht nach Laune. Wie man sät, so wird man ernten.

So geartet war die Botschaft, die Guru Nanak der Menschheit vor etwa fünfhundert Jahren brachte; eine Botschaft der Hoffnung und Erlösung. Guru Nanak schenkte der Menschheit die Wissenschaft der Spiritualität, denn er wies einen wissenschaftlichen Weg, auf welchem der Mensch, jeder Mensch, der nach höherem, bewusstem Leben strebt, diese große Gnade erreichen kann mittels der beiden Faktoren von Licht und Ton unter einem kompetenten lebenden Meister. Guru Nanaks Vermächtnis an die Menschheit war nicht unter den Scheffel gestellt worden. Nach Guru Gobind Singh, dem zehnten Guru der Sikhs, übernahm Tulsi Sahib den Mantel (der Spiritualität), der über Soami Ji Maharaj, Baba Jaimal Singh und Hazur Baba Sawan Singh Ji weitergereicht wurde. Nun trägt ihn der gegenwärtig lebende Meister Kirpal Singh Ji Maharaj und ich freue mich sagen zu können, dass der lebende Meister in naher Zukunft dieses Land besuchen wird, um Guru Nanaks Werk in derselben wissenschaftlichen Weise fortzuführen. Ghana trägt seinen Teil zu der großen geistigen Erneuerung bei, denn die Menschheit ist wahrhaftig erwachsen geworden, reif für Spirituelles Erblühen.

Wie einige von euch wissen, ist das Guru Nanak-Zentrum bereits Wirklichkeit. Ein zehn Morgen großes Stück Land für die dauernde Unterbringung des Zentrums wurde bei Meile 9 auf der Accra-Nsawam-Straße erworben. Der Förderer des Zentrums ist seine Heiligkeit Param Sant Kirpal Singh Ji Maharaj; der Schutzherr des Zentrums ist unser gegenwärtiger Staatschef, wie wir Ihnen voll Freude berichten können, und wir sind seinem Vorgänger für seine Unterstützung dankbar.

Wir sind überzeugt, dass Guru Nanaks Lehren heute ebenso bedeutungsvoll sind wie damals, wenn nicht sogar mehr als damals, als Er vor etwa fünfhundert Jahren auf Erden wanderte. Die Grundlagen für eine wahre Religion, für eine gerechte soziale Ordnung, eine große Bewegung brüderlicher Gefühle in den menschlichen Beziehungen, in Wirtschaft und Industrie, in nationaler und internationaler Politik finden sich in den Grundwahrheiten des Lebens, die Guru Nanak in bewundernswerter und wirksamer Weise vor Augen führt. Das ist es, was unsere Zeit braucht. War dies genug der Ehrenbezeugung für jene große geistige Leuchte, genannt Guru Nanak? Sie mögen es besser beurteilen. Danke.