Kirpal Singh

Der Tempel Gottes

Deutsche Übersetzung eines Vortrags in Hindi, den der Meister Kirpal Singh während eines Satsangs in Indien hielt.

Menschen, deren Augen durch die Verwirklichung der Wahrheit geöffnet wurden, sehen die Welt von einem anderen Gesichtspunkt. Verwirklichte Menschen stellen oft die Frage: Was ist diese Welt? Gott sprach: Aus einem will ich vieles werden. So ist alles, von der trägen Materie bis zum Bewusstsein, Seine Offenbarung. Ihr mögt Wasser aus dem Fluss nehmen, es gefrieren und zu Eis werden lassen, dennoch ist beides dasselbe Element desselben Flusses. So ist – von der trägen Materie bis zum reinen Bewusstsein – alles Seine Offenbarung. Die ganze Welt ist der Tempel Gottes und es gibt keinen Ort, wo Er nicht ist. So wird die Schöpfung von allen verwirklichten Seelen gesehen. Woran liegt es, dass wir die Welt nicht so sehen können wie Sie? Es ist der Schleier der Unwissenheit, der uns von diesem Wissen trennt. Jemand hat geschrieben, dass der Fisch, obwohl er im Fluss oder Meer lebt und sein Leben spendendes Element das Wasser ist, er dennoch ständig fragt: Wo ist Wasser? Im Wasser zu leben und dennoch zu verdursten – das ist widersinnig.

Es heißt, dass die ganze Welt durch einen einzigen Lichtstrahl geschaffen wurde. Als Gott sprach: Ich möchte mich offenbaren, da wurde Licht. Es kann mit einem Töpfer verglichen werden, der kleine und große Töpfe macht, vielleicht sogar ein Pferd oder einen Elefanten modelliert oder einen Becher oder Krug herstellt – immer ist es doch derselbe Töpfer, der alle diese Gegenstände formt und dazu stets denselben Ton verwendet. Dies ist unsere Lage in der Welt. Da die Menschen die Wirklichkeit nicht kennen und keine Verbindung mit ihr haben, ist die Welt voller Unrast und Sorgen.

Die Meister sagen, dass die ganze Welt durch dasselbe Licht geschaffen wurde. Wer ist gut und wer ist schlecht? Der physische Körper ist Brahmand (es besteht aus den drei Schöpfungsebenen – der physischen, astralen und kausalen) im kleinen oder, wie man sagen kann, eine kleine Welt für sich. Wer in diesem kleinen Brahmand sucht, heißt es, wird die Wahrheit finden. Der Körper und die Welt, die Brahmand im großen ist, sind beide aus Materie geschaffen. Jedes Einzelwesen ist Bewusstsein oder hat sein eigenes persönliches Bewusstsein. Die äußeren Tempel, Moscheen und Kirchen entstanden nach dem Bilde des Menschen: kuppelförmig wie der Kopf, gewölbt wie die Stirn (die Moscheen) oder nasenförmig (wie die Kirchen); und an allen religiösen Stätten wird das Heilige Licht auf die eine oder andere Weise dargestellt. Was für ein Unterschied besteht dann zwischen den verschiedenen Formen der Verehrung, wenn dasselbe Licht an allen Heiligen Orten entzündet wird?

Alle äußeren Bilder sollten den Menschen die Wahrheit verdeutlichen, dass das Licht im Innern des Menschen leuchtet. Dieses Licht ist das Leben der Seele. Der Körper, den wir tragen, ist der Tempel Gottes. Beide Brüder wohnen vereint im selben Haus; aber sie sprechen nicht miteinander. Diese beiden Brüder leben zusammen, aber sprechen nicht miteinander. Warum tun sie es nicht? Der den anderen erkennen sollte, streift in der äußeren Welt umher, von einem Ort zum anderen. Er weiß nicht, dass er sich zurückziehen und über die Sinne erheben muss, um zu erkennen, wer er ist. Wenn er es tun würde, sähe er, wer neben ihm sitzt. Alle Menschen, die Verwirklichung erlangten, haben gesagt, dass der Körper ein lebender Tempel Gottes ist. Die äußeren Tempel sind von Menschenhand geschaffen.

Als ich während meiner Weltreise in London war, wies ich in einer Rede darauf hin, dass alle Meister gesagt haben, Gott wohne nicht in Tempeln, die aus Stein errichtet sind. Ein christlicher Pfarrer, Stubbs mit Namen, stand auf und sagte: Sie haben eine Atombombe auf all unsere Kirchlichkeit geworfen! Wir haben die Kirchen, Moscheen und Tempel mit unseren Händen erbaut, aber der Wahre Tempel Gottes, die physische Form, wurde von Gott Selbst geschaffen. Der Bewohner dieses Wahren Tempels besucht die von Menschen geschaffenen Tempel. Ist das nicht ein beklagenswerter Zustand? Wir selbst haben die Abbilder geschaffen und das Licht dorthin gesetzt. Sie sind Abbilder unseres eigenen Tempels, in dem das Licht Tag und Nacht scheint. Manchmal werden Tausende der Wahren Tempel geopfert um einer Nachbildung willen. Ist es nicht so? Wenn nur ein einziges heiliges Gebäude von einer anderen Religion beschimpft und verleumdet wird, müssen Tausende dafür sterben.

Alle äußeren Stätten der Verehrung sind für jene, deren Auge nicht geöffnet ist. Dennoch sollten wir in unserem Herzen Achtung für sie haben. Warum? Weil wir dort im Gedenken an Gott zusammensitzen, zu welchem Zweck sie geschaffen wurden. Was ist es, das einem Kind im Mutterleib Augen, Nase, Ohren, Hände und Füße verleiht? Es ist eine unsichtbare Kraft, von Der der Mensch nichts weiß. Diese Kraft ist der Eine, Der in dem Tempel wohnt, den Er Selbst geschaffen hat. Dieser menschliche Tempel wird dem Menschen durch ein großes Glück und gutes Schicksal zuteil, dessen Wert er aber nicht gebührend zu schätzen weiß. Verzeiht mir, wenn ich solche Worte gebrauche, aber wir betrachten ihn lediglich als einen Sack voll unnützer Materie. Aber selbst schöne Plätze haben Latrinen. So hat auch der Körper seinen Mülldienst, der jeden Morgen den Unrat entfernt. Aber wir leben in ihm, und Gott, Der uns das Leben gibt, wohnt auch darin. Wir sollten diesen Körper sogar aus Ehrfurcht küssen, indem wir anerkennen, dass er wahrhaft der Tempel Gottes ist. Deshalb haben uns die Meister aufgefordert ‚nach Innen zu gehen‘. Wenn wir die menschliche Form betrachten, scheint sie nur 1,50 m oder 1,80 m zu messen, in ihr aber befindet sich eine sehr große Welt. Brahmand ist ganz darin. Geht nach Innen und seht selbst.

Maulana Rumi Sahib sagt:

O Mensch, schließe die Türen deines Geschäfts. Öffne das Innere Geschäft, dann ist die rechte Arbeit getan.

Alle Meister drücken Sich in Ihren verschiedenen Sprachen ähnlich aus.

Ich suchte nach dem verborgenen Inneren Pfad, aber nur durch den Meister wurde das Geheimnis offenbart.

Was ist ein Gurumukh? Es ist einer, Der im Innern der menschlichen Form geforscht hat. So steht es im ‚Gurbani‘ (den Worten der Gurus) geschrieben. Selbst wenn man äußerlich das Wissen der ganzen Welt mental und intellektuell mit Hilfe der Sinne durchstudiert hat, jedoch die Innere Suche unterblieben ist, kann die Wahrheit nicht erlangt werden. Die Meister haben, nachdem Sie Sich von außen zurückzogen, die Innere Reise unternommen, indem Sie den Körper verlassen und Sich über ihn erhoben haben – über die physische, die astrale und die kausale Ebene. Wer all dies überschritt, hat seine Wahre Heimat erreicht. Was immer Sie sahen und hörten, ist in den Heiligen Schriften überliefert worden. Was immer Sie im Innern sahen, solltet auch ihr sehen, indem ihr nach Innen geht. Es wird euch dann möglich sein, eure Erfahrungen zu beschreiben. Alle, die solche Wunder sahen, haben das gleiche gesagt. Versteht ihr dies jetzt?

Wer sieht, beschreibt es in genau der gleichen Weise. In Indien haben sich die verwirklichten Seelen in Sanskrit mitgeteilt. Sie haben die gleiche Beschreibung gegeben: Eine große Sonne ist inwendig in Brahmand, und der Ton erklingt dort. Rishi Ingris gab die verborgene Lehre hiervon an Lord Krishna, den Sohn Devkis, weiter. Die Meister, Die in Persien wirkten, haben dasselbe Wissen in Persisch vermittelt. Im Punjab haben die Gurus das nämliche in ihrer Sprache gesagt.

Eine Innere Verbindung mit dem tönenden Licht Gottes wird die Liebe zu Gott in dir entwickeln.

Als Paltu Sahib kam, sagte Er:

Es ist ein Innerer Quell im ‚Gaggan‘ (dem Sitz der Seele), wo die Lampe ohne Öl und Docht brennt; und in dem Licht der Lampe schwingt ein Ton. Nur wer sich in den ‚Gyan Samadhi‘ begibt (sich über das Körperbewusstsein erhebt), kann Ihn hören.

Diese Lampe brennt jeden Tag vierundzwanzig Stunden lang, und ein Ton geht von ihr aus. Wer kann diesen Ton hören? Versenke dich in tiefe Meditation und dann höre Ihn. Wer sieht, weiß darum. Die Wahrheit ist, dass dieser Körper ein Tempel Gottes ist – und die ganze Welt ist ein Tempel Gottes. Dies ist eine Feststellung all derer, die in den Inneren Bereichen geforscht haben.

Wisst ihr, dass hier im Sawan Ashram kein Tempel errichtet worden ist? Könnt ihr hier einen Tempel, eine Moschee, eine Kirche oder irgendein anderes heiliges Gebäude sehen? Es ist keines da – und warum nicht? Weil dies ein Ort ist, der Ruhani Satsang (Spirituelle Gemeinschaft) genannt wird. Unter uns ist die Erde und über uns der Himmel; dies ist unser Tempel Gottes. Das ist alles. Und an diesem Körper, den wir bekommen haben, haftet kein ‚Ismus‘. Ich beglückwünsche alle Ismen oder Religionen, die dem Menschen dazu verholfen haben, die wirkliche Wahrheit, die im Körper verborgen liegt, zu entdecken. Aber was tut die Welt heute? Anstatt uns zu bemühen, die Wahrheit im Innern ausfindig zu machen, so wie es uns geheißen wurde, haben wir begonnen, im Namen der Religion einander zu bekämpfen – uns gegenseitig zu töten!

Selbstverwirklichte Menschen befürworten es daher immer, nach Innen zu gehen und sich selbst zu verwirklichen. Um dies tun zu können, muss nur der Schleier der Finsternis beseitigt werden. Wie ist das möglich? Der ihn bei sich schon entfernt hat, kann es auch für andere tun. Wie kann einer, der es nicht getan hat, anderen helfen? Solange der Zweifel im Herzen nicht ausgeräumt ist, wird man immer einen Unterschied machen zwischen Hindu, Moslem, Christ, Buddhist, Jain oder Türke. Dies sind alles Etiketten, die wir uns angesteckt haben. Vollständige Erkenntnis zu erlangen ist sehr wichtig. Hier im Ashram gibt es keine Ismen, aber das Leben aller Ismen ist hier! Was auch immer vorgetragen wird, die Tatsachen werden im rechten Licht gezeigt.

Bleibt also in eurer jeweiligen Religion und werdet Wahre Hindus, Wahre Moslems, Wahre Sikhs, Wahre Christen. Und wie soll das geschehen? Indem ihr Es in euch verwirklicht. Ein Haus ohne Licht im Innern zieht uns nicht an. Eine Kirche oder Moschee, in der kein Licht entzündet ist, gleicht einem verlassenen Ort. Ebenso kann die Wahre Schönheit dieses Körpers nur dann offenbar werden, wenn das Licht in seinem Innern leuchtet. Schön ist der menschliche Körper, in welchem der Herr offenbart ist. Sehr schön ist die physische Form der Seele, in welcher Gott erschienen ist. Das Antlitz einer verheirateten Frau strahlt, wenn sie neben ihrem Gatten sitzt. Dies ist ein weltliches Beispiel.

Die Schönheit des Körpers währt nur wenige Tage, denn er ist nur solange anziehend, wie wir, die Seele, in ihm sind. Doch diese Schönheit wird nicht offenbar, wenn das Licht im Innern nicht entzündet wurde. Ein Haus hätte keine Anziehungskraft, wenn es nicht erleuchtet wäre. Würde es nicht verlassen wirken?

Wir tragen Etiketten an uns, aber sind wir nicht einfach Menschen? Zieht euch von außen zurück, denn die äußeren Dinge ziehen uns nur so lange an, wie wir uns an sie binden. Unsere Seele ist ‚sat‘, ‚chit‘ und ‚anand mai‘: ewig seiend, allwissend und fortwährende Wonne. Solange sie an etwas gebunden ist, hört sie nicht auf, Freude und Befriedigung zu empfinden, doch wenn sie sich freiwillig zurückzieht oder der Gegenstand ihrer Bindung entfernt wird, ist sie unglücklich. Wenn sie sich nur sammeln würde! Wogen der Wonne brächen dann aus ihr hervor. Was geschieht nun, wenn sie Eins mit Gott wird?

Meere des Glücks ertönen schon in uns, doch gegenwärtig streifen wir umher, suchen unser Glück im Äußeren, in den Heiligen Büchern, in Tempeln und an Pilgerorten oder in verschiedenem äußeren Streben. Wir schaffen äußere Abbilder, läuten Glocken, entzünden Kerzen – doch zu welchem Zweck? Der Zweck ist, dass Er Sich in uns offenbaren möge. Künstliche Tempel und Moscheen zu besuchen ist nichts anderes als eine Tragödie, die auf den Bewohner des Wahren Tempels unsägliches Leid häufen wird. Wir stellen im Tempel ein Abbild Gottes auf und beginnen, es zu verehren. Es ist ein Versuch, Gott in Stein zu hauen. In Mekka befindet sich zum Gedenken an Hazrat Ibrahim das ‚Hajurool Asved‘. Dies sind Abbilder oder Symbole zur Erinnerung geschaffen, und wir sollten Achtung vor ihnen haben. Aber was ist besser?

Verwirklichte Seelen sagen:

Behaupte niemals, die Moschee sei besser als der Tempel; besser ist die Stätte, worin das Licht Gottes leuchtet.

Sie raten uns nicht, die Kaaba höher einzuschätzen als die physische Form oder die Moschee dem Tempel vorzuziehen oder umgekehrt. Wo das Licht des Herrn scheint, da ist der beste Ort, mag diese Form nun eine schwarze, weiße, blaue oder gelbe Etikette tragen. Er mach Hindu, Sikh oder Moslem sein, denn Meister aller Glaubensrichtungen haben unter uns gewirkt. Die Frage ist, wie und wann wir es sehen können. Nur dann, wenn wir uns von den äußeren Bindungen lösen. Mag man auch sein ganzes Leben im Äußeren suchen, man wird es nicht erlangen. Guru Amar Das Ji war siebzig Jahre auf der Suche nach Gott, indem Er voller Aufmerksamkeit und Hingabe zu den Heiligen Orten reiste. Was geschah am Ende?

Er sagte es uns selbst:

Ich wurde müde auf meiner Suche durch das Verrichten äußerer Rituale usw.

Verzeiht, aber diese Tempel sind wie Puppen oder Spielzeug. Kleine Mädchen lernen etwas über den Haushalt, die Ehe und viele andere Dinge, indem sie spielen. Doch wenn sie aufwachsen und heiraten, spielen sie dann immer noch mit Puppen? So sagen die Meister in klaren Worten, dass wir müde geworden sind, uns mit Spielzeug abzugeben. Wir wollen jetzt das Wahre Antlitz unseres Geliebten sehen. Das ist alles.

Kabir sagt:

Alle meine Zweifel wichen, als ich die Wahrheit selbst sah. Nanak sagt: Nanaks Gebieter ist klar zu sehen.

Sie alle sagen, dass man Es wirklich sehen kann. Christus sagte: Schauet den Herrn. Wie kann man zum Beispiel voll erkennen, was Stärke ist? Es kann uns von einem Ringkämpfer gezeigt werden, der seine Übungen vorführt. Ähnlich wird man, wenn man in der Nähe einer verwirklichten Seele mit voll konzentrierter Aufmerksamkeit sitzt, Gewissheit darüber erlangen, dass eine Kraft da ist. Andernfalls bliebe man unsicher, hätte man auch Tausende oder gar Millionen Heiliger Bücher gelesen.

Ein Swami, Ram Tirtha mit Namen, besuchte Amerika. Einmal saß er im ‚Samadhi‘ (einem Zustand kontrollierten Bewusstseins). Er praktizierte eine eigene Art von Yoga. Eine Atheistin saß ruhig bei ihm. Sie sollte ihn sprechen, aber Ram Tirtha erhob sich lange Zeit nicht. Von erleuchteten Seelen geht eine Ausstrahlung aus, und als der Swami die Augen öffnete, erklärte ihm die Dame voll Freude: Ich bin kein Atheist mehr. Wenn man also der physischen Form eines Meisters nahe ist, bekommt man eine gewisse Sicherheit, dass es Gott gibt. Man kann dieselbe Gewissheit haben, wenn man nach Innen sieht. Aber denkt daran, dass ein Ringkämpfer seine Stärke nicht an einem Tag erlangt. Ein Mensch voller Kraft erfreut sich seiner Stärke, und ein Schwächerer wundert sich, woher sie jener hat.

Als ich in Lahore war, ging ich des Abends an den Ravi-Fluss. In jenen Tagen lebte ein gewisser Mann namens Gunga, der in ganz Indien als Ringkämpfer berühmt wurde. Gunga heißt ‚taub‘ und er war taub, daher sein Name; aber er war ein großer Ringkämpfer. Es war Winter und deshalb am Tage und in der Nacht sehr kalt. Sein Vater ließ ihn, mit Ausnahme eines kurzen Lendenschurzes, nackt gehen, schickte ihn außer Haus und verschloss die Tür hinter ihm. Jede Nacht machte der Junge seine Übungen. Niemand hatte ihn je üben sehen, aber als er berühmt wurde, kannte ihn jeder als den Ringkämpfer. Wohin immer er kam, sagten die Leute: Da geht Gunga, der Ringkämpfer. Ebenso, meine Brüder, wird man nicht von heute auf morgen zu einem Mahatma. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Der Mensch ist in der Entwicklung. Wenn einer Ringkämpfer werden will, wird ihm nach zwei, drei Tagen Übung der ganze Körper schmerzen. Wenn er nun anfängt, viel Aufhebens um seine Schmerzen zu machen, wie kann er da Erfolg haben? Für den Erfolg ist Beharrlichkeit nötig.

Im Gurbani steht, dass Reinheit der Gedanken und Ausdauer notwendig sind. Möchtet ihr es zu etwas bringen, was sich lohnt, oder möchtet ihr es nicht? Durch das Hören solcher Worte wird ein Interesse erweckt, aber die Arbeit daran kann nicht an einem Tag vollendet werden. Ein Kind, das zu lesen beginnt, liest ein paar Zeilen und vergisst sie sofort wieder. Es muss sie immer wieder lesen. Doch nach langen Mühen des Lernens mag es eines Tages fähig sein, ein Buch zu schreiben. Jeder Heilige hat Seine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft. Die Menschen, die heute so wie wir sind, können morgen etwas werden. Zu diesem Zweck ist rechte Führung von einem notwendig, der selbst gesehen hat, nicht von einem anderen. Das zweite Erfordernis ist unbedingter Gehorsam gegenüber dem Guru. Die Worte des Meisters sind keine bloßen Worte, sie sind der Meister Selbst! Außerdem ist Beharrlichkeit notwendig.

Bereits einen Vortrag über Gott zu hören, kann den Mund wässrig machen. Wenn ein Mahatma die Welt mit ihren Bergen, der Erde und dem Himmel sieht, wird Er berauscht. Wie ist Er das geworden, was Er ist, und wie können wir es werden? Es gibt Hoffnung für jedermann. Wir sollten einen Gottverwirklichten Menschen finden, der Selbst gesehen hat und uns auch sehend machen kann. Danach können wir jeden Tag unsere Innere Erfahrung vergrößern. Heute denkt jeder, wenn er nur eine kleine Berauschung erfahren hat, er sei ein sehr großer Mahatma (eine große Seele) geworden. Denkt daran, das Ziel liegt sehr fern – sehr, sehr fern. Viele große Rishis und Munis (Entsagende, die auf Dornen sitzen usw.) haben den Gottespfad betreten. Sie haben immer gesagt: Neti, netidies ist es nicht, das ist es nicht, es muss noch etwas anderes geben. Die Philosophie, so heißt es, ist Generationen hindurch erprobt und erforscht worden, doch Gottes Wort bleibt, wo immer Es war. Es bleibt ungesprochen, wie Es immer ungesprochen war. Guru Nanak hat geschrieben, dass sich die Menschen der Welt darin erschöpft haben, Gott zu erklären, ohne aber je das Ziel erreicht zu haben! Es ist dem Wissen vergleichbar, was ein Sonnenstrahl ist; und der Verstand lässt nicht zu, dass es darüber hinaus noch etwas anderes gibt. Zuerst sollten wir die physische Form, diesen unseren kleinen Tempel erkennen. Dies wird uns von selbst eine Ahnung davon geben, was Brahmand, die größere Form, ist.

Ich werde jetzt eine Hymne von Guru Amar Das erklären. Doch zuvor sei darauf hingewiesen, dass wenn ich eine Hymne vornehme und sie während des Satsang erläutere, die Leute große Augen machen und sich im Geiste fragen: Was für eine Hymne ist dies? Selbst wenn eine Hymne aus dem Guru Granth Sahib erklärt wird, scheint es für sie etwas Neues zu sein. Vor einigen Jahren ging ich in meinen Heimatort Sayyad Kasran. Es lebten einige Akalis dort (ein Zweig der Sikh-Religion), und sie waren ein wenig fanatisch. Ich hielt einen Satsang und nahm eine Hymne aus dem Gurbani: Ich bin den Dingen, die ich sehe, verhaftet. Wie kann ich Dich finden, o Herr? Alle miteinander schauten sie mich an und wunderten sich, wo die Hymne herkomme. Die Hymnen selbst sind sehr klar, aber wir forschen nie nach der Wahren Bedeutung in ihnen. Diese Heiligen Worte enthalten kostbare Juwelen. Habt ihr jemals einen gründlichen Gedanken darauf verwendet? Wir lesen wie Papageien, ohne etwas zu verstehen. Eines Tages begegnete mir ein Christ, und er sagte:

Christus ist das Licht der Welt.

Ich fragte ihn:

Haben Sie die Bibel gründlich studiert? Denn es steht darin: ‚Dieweil ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt.‘

Ein wenig Wissen ist gefährlich. Seht zuerst, was in eurem eigenen Haus ist, dem physischen Haus. Studiert die Heiligen Bücher gründlich und seht, was dort geschrieben steht. Dasselbe Wissen, das ich euch gebe, ist auch dort enthalten, aber aus Mangel an einem selbstverwirklichten Menschen verstehen wir nicht, was geschrieben steht.

Guru Amar Das Ji sagt:

Sieh nur mit der Gnade des Gurus, dass dieser Körper, den du trägst, der Tempel Gottes ist.

Er sagt, dass dieser Körper, den ihr umherbewegt, wahrhaft der Tempel Gottes ist. Und wann werdet ihr imstande sein zu sehen, dass es so ist? Wenn euch der Guru mit dieser Erkenntnis segnet. Diesen Tempel hat Gott mit eigener Hand geschaffen. Er wohnt darin genau wie wir. Er verlässt diesen Körper nie, und wenn Er ihn am Ende verlässt, müssen auch wir den Körper verlassen. Der Körper wird dann zum Verbrennungsplatz gebracht.

Dieser Körper ist ein Tempel Gottes, der aus großer Gnade gegeben wurde. Wir verehren seine äußeren Abbilder. Dies ist in Ordnung, und wir sollten den Orten Achtung erweisen, wo Menschen im Gedenken an Gott zusammensitzen. Aber Er, Gott, wohnt in diesem Körper und nicht in den von Menschen erbauten Tempeln. Diese wurden zur Erinnerung geschaffen. Das Wahre Licht leuchtet in der menschlichen Form. Ist ein Abbild besser als die Wahre Form? Ich würde sagen, dass die Wahre Form unvergleichlich besser ist. Mit großer Liebe hat Guru Amar Das geschrieben, dass ihr mit der Gnade des Gurus Ihn in euch sehen könnt. Was ist ein Guru? Verzeiht mir, aber heutzutage könnt ihr einen Stein umwenden und einen Guru darunter finden. Man findet so viele Gurus (Lehrer), dass es wirklich schwer ist, irgendwo auch nur einen einzigen Schüler zu finden! Wenn heutzutage jemand irgendeine äußere Fertigkeit erlernt, meint er, dass derjenige, der ihn darin ausgebildet hat, ein Guru ist. Brüder, ein Wahrer Guru ist einer, Der den Schleier der Unwissenheit entfernen und das Licht im Innern offenbaren kann. Die Wahre Bedeutung des Wortes ist: Einer, Der die Dunkelheit zerstreut.

Worin besteht die Arbeit des Gurus?

Der Guru hat den Balsam des Wissens auf meine Augen gelegt, Er hat die Finsternis der Unwissenheit zerstreut und mein ganzes Sein mit Licht erfüllt.

Er sagt, dass der Guru den Balsam des Wissens auf unsere Augen legt. Das ist ein bildlicher Ausdruck. Unser Inneres Auge kann nicht geöffnet werden, wenn wir uns nicht von den äußeren Dingen zurückziehen, uns über die Sinne erheben und hinter den Augen konzentrieren, wohin die Seele zur Zeit des Todes geht. Der Gottverwirklichte Mensch nimmt unser zerstreutes Bewusstsein von außen zurück und erhebt es zu dem Punkt hinter den Augen. Dann wird das strahlende Licht hervorbrechen.

Dann kennzeichnet Er den Guru:

Wer mir dazu verhilft, den Ton, die Musik der Sphären, zu hören, der ist mein Gurudev (Wahrer Meister).

Der ist ein Guru, Welcher uns die Melodien der ewigen himmlischen Musik hörbar macht. Geht nun und sucht einen solchen Guru.

Weiter sagt Er:

Wiederhole das Wort, durch welches das Licht von Millionen Sonnen erscheint und das Lied vom Namen des Herrn hörbar wird.

Dies bedeutet, dass durch die Wiederholung von Naam in euch das Licht von Millionen Sonnen erstrahlt. Den Gesang vom Namen des Herrn vernimmt man durch das Tonprinzip. Es ist ein Pfad des Lichts, des ‚Sruti Marg‘, des Licht- und Tonprinzips, von ‚Noor‘ und ‚Kalam-i-Kadim‘. Alle Begriffe bedeuten dasselbe. Ihr könnt es die in Licht gehüllte Wahrheit, die Musik aller Harmonie, nennen. Dies sind nur verschiedene Bezeichnungen für die eine Sache, die schon da ist.

Der offenbarte Gott hat zwei Aspekte: das Licht und den Ton. Wer die Kraft besitzt, euch von den äußeren Dingen zurückzuziehen, und wer euch einen kleinen Beweis von der Inneren Wahrheit geben kann, Der ist der Guru. Sucht in der ganzen Welt und schaut, wie viele Gurus dieser Art ihr finden könnt. Guru Amar Das Ji konnte während der siebzig Jahre Seines Suchens keinen solchen Guru finden. Alle äußeren Praktiken haben ihren eigenen Wert. Wenn ihr Gutes tut, werdet ihr belohnt werden. Dies bereitet den Boden. Aber Geburt und Wiedergeburt werden so nicht beendet. Es heißt: Der Heilige hat mir ein Kapital gegeben. Der Guru gibt ein Anfangskapital, das täglich durch Meditation vermehrt werden muss. Wie ist Guru Amar Das nach langer Suche Seinem Guru begegnet?

Er sagt Selbst darüber:

Ich bin meinem Satguru ohne eigenes Zutun begegnet.

Ein Kind, das Wahre Sehnsucht hat, wird die Gnade Gottes erlangen, Der in jedem Wesen wohnt. Wenn Gott sieht, dass ein Kind voll schmerzlichen Verlangens ist und danach dürstet, Ihm zu begegnen, trifft Er Vorkehrungen, dass das Kind die richtige Quelle auf die eine oder andere Weise erreicht. Guru Amar Das verrichtete äußere Übungen, bevor Er Seinem Guru begegnete. Barfüßig unternahm Er, von Freunden begleitet, viele Pilgerreisen. Als Er Seinem Meister begegnet war, wusste Er, was mehr Segen einbrachte. Er beendete Seine Reisen in der Gewissheit, Sein Ziel erreicht zu haben. Als Seine Freunde wieder auf Pilgerfahrt gingen, sann Er darüber nach, wie Er ihnen die Wahrheit begreiflich machen könnte. Als sie schließlich aufbrachen, sagte Er zu ihnen:

Brüder, seid so freundlich und tut mir einen Gefallen. Nehmt diese ‚Tumbi‘-Frucht (eine wilde Frucht, die äußerlich süß, im Innern aber sehr bitter ist) mit, und wo immer ihr ein heiliges Bad nehmt, taucht auch sie ins Wasser.

Sie willigten ein und ließen ihn zurück. Wenn ein Mensch am Ende bekommt, wonach er gesucht hat, geht er nicht länger auf Wanderschaft. Als seine Freunde zurückkehrten, fragte Er sie, ob sie die ‚Tumbi‘-Frucht in heiliges Wasser getaucht hätte, und sie erwiderten, es vielmals getan zu haben. Da schnitt Guru Amar Das die Frucht auf, füllte beide Hälften mit Wasser und forderte Seine Freunde auf zu trinken. Sie tranken und bemerkten, dass es sehr bitter sei.

Er fragte sie:

Wie ist es möglich, dass die Frucht nach so vielen heiligen Bädern noch immer bitter ist?

Damit sie noch besser verstanden, fügte Er hinzu, dass das Gemüt, wenn es voller Unrat ist, nicht durch bloßes Waschen der physischen Form gereinigt werden könne: dass die Welt eine Täuschung sei und nur wenige ihr Mysterium enthüllen könnten.