Kirpal Singh

Das Höchste Ideal

Die Ansprache Kirpal Singhs an den Gouverneur

Statt Sie als Eure Exzellenz anzusprechen, würde ich Sie lieber älterer Bruder nennen, denn dies ist das Zentrum für den Menschen. Wie begann das alles?

Als Student habe ich sehr gerne Bücher gelesen, und ich las viele – vorwiegend Biographien. Ich habe die Lebensläufe von mehr als 300 großen Menschen aus Ost und West studiert, sowie eine große Anzahl von Schriften über aktuelle Ereignisse. Als Ergebnis meiner Studien kam ich zu dem Schluss, dass die Heranbildung zum Menschen das Höchste aller Ideale ist. Alle Schriften der Meister sagen das gleiche – die ganze Menschheit ist Eins.

Die Menschen stehen zueinander in Beziehung wie die verschiedenen Teile des Körpers. Wenn ein Teil des Körpers schmerzt, scheint der ganze Körper zu leiden. Der Mensch ist das Wahre Ebenbild der Liebe; und ein wirklicher Mensch ist der, welcher für andere lebt. Für sich selbst leben kann auch ein Tier.

Durch dieses vergleichende Studium der Schriften konnte ich erkennen, dass die Form des Menschen die Höchste ist. Der persische Dichter Iqbal sagt:

Moses ging zum Berge Sinai, um Gott zu begegnen; wusste Er nicht, dass Gott selbst auf der Suche nach dem Menschen war?

Die Stellung des Menschen ist Gott am nächsten. Alle Meister, Die kamen, sagten:

O Mensch, werde ein Mensch.

Der Mensch repräsentiert Gott auf dieser Erde. Und was ist er? Er hat einen Körper, er hat den Verstand, aber er ist Bewusstheit – die Seele, die vom selben Wesen ist wie Gott. Wie wir sehen können, haben wir physisch und intellektuell großen Fortschritt gemacht: Der Mensch hat den Mond erreicht, und er denkt nun daran, seine Hand nach anderen Planeten auszustrecken. Es ist nun eine Sache von Stunden, um um den Erdball zu reisen. Wir können mit Radio und Fernsehen über Tausende von Kilometern hinweg hören und sehen. Bei all diesem Fortschritt sind wir noch nicht glücklich. Der Grund dafür liegt darin, dass wir den dritten Aspekt des Menschen außer acht gelassen haben.

Ein Sufi-Heiliger sagt:

O Mensch, du hast von allem so viel erkannt, aber wenn du dich nicht selbst erkannt hast, bist du ein Tor.

So ist das wichtigste Ziel des Menschen, ein Mensch zu werden.

Prophet Mohammed sagte:

Ich bin Sein Botschafter – Sein Sohn.

Andere Meister sagten Ähnliches.

Kabir Sahib sagte:

O Kabir, wir kennen jenen weit entfernten Ort, und wir bringen Weisungen vom Allerhöchsten.

Sie sagen immer:

Wir sind Seine Kinder.

Was ist Ihre Arbeit? Sie verkünden:

Die Menschen haben Gott vergessen, und wir kommen, um die Erinnerung zu bringen. So kommen diese Meister immer wieder in die Welt – nämlich dann, wenn Sie gebraucht werden.

Zur Zeit Kabir Sahibs war Feindschaft zwischen Hindus und Moslems. Guru Nanak war Sein Zeitgenosse, und beider Ruf erhob sich.

Kabir sagte:

Ich bin weder Hindu noch Moslem; betrachtet uns beide als eins.

Nanak sagte es ähnlich:

Weder Hindus noch Moslems sind wir; Allah und Ram sind der Odem des Körpers.

Man sagte Guru Nanak, dass Er das Merkmal eines Hindu trüge; wie Er also behaupten könne, dass Er kein Hindu sei? Er erwiderte ihnen, dass Er eine Puppe sei, die aus fünf Elementen erschaffen wurde, in welcher der Unsichtbare spiele – und das sei Er. So geschaffen ist der Mensch.

Alle Menschen werden auf die gleiche Weise geboren. Sie haben den gleichen äußeren und inneren Aufbau. Die Verwaltung des Körpers reinigt ihn täglich, indem sie den Unrat hinauswirft. Aber wir sind der Bewohner und nicht der Körper. Die Seele, die vom Wesen des Herrn ist, wohnt in ihm. So muss der Mensch zuerst sich selbst erkennen – erst dann kann er Gott erkennen.

So wurde vor 25 Jahren mit der Gnade meines Meisters Hazur Baba Sawan Singh Ji Maharaj der Ruhani Satsang mit dem Ziel, den Menschen heranzubilden, gegründet. Es war Sein Wunsch, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, auf der Menschen aller Religionen sitzen sollten. Ich war von 1957 an ohne Unterbrechung zum Präsidenten der Weltgemeinschaft der Religionen gewählt worden. Vier Konferenzen wurden in Indien abgehalten, weitere in Persien, Frankreich und Deutschland, deren Ergebnis es war, dass die Engstirnigkeit und Bigotterie sich erheblich verminderten. Davor pflegte ein religiöses Oberhaupt nicht mit einem anderen zusammenzutreffen. Manchmal mochten sie nicht einmal einander ins Gesicht sehen. Nun kommen sie zusammen und sitzen beieinander, und ein jeder hört auf den Standpunkt des anderen. Es erhebt sich jedoch eine neue Gefahr – dass die führenden Persönlichkeiten der WGR danach trachten, ihre eigenen Reihen zu stärken trotz der Tatsache, dass der Innere Weg der gleiche für alle ist. Der Mensch ist zuerst Mensch, und es gibt einen Geliebten – Gott. Als die Engstirnigkeit nachgelassen hatte, kamen andere Bestrebungen auf: Alle Hindus sollten eins werden, alle Moslems sollten sich vereinen usw. – und auf diese Weise werden riesige Pfeiler gegeneinander errichtet. Wo liegt darin die Wahre Vereinigung?