Die höheren Werte des Lebens

II

Bis der Schüler nicht sein eigenes Bewusstsein öffnet, kann der Lehrer nichts vermitteln. Er kann nur leiten, beraten und erklären. Aber das Verstehen kann nicht übermittelt werden. Das muss von innen her kommen und durch die eigene Entwicklung. Er gibt euch natürlich eine Erfahrung, wie ihr euch selbst erkennen und vom Körper analysieren könnt. Damit müsst ihr zweifellos beginnen. Wenn ihr aber auf diese Weise in Übereinstimmung mit der Führung und Hilfe, die der Meister gibt, arbeitet, werdet ihr eines Tages erkennen, dass die Wirklichkeit in euch ist.

Die Seelen sind ihrer ganzen Natur nach Göttlich. Sie sind so viele Tropfen des Meeres der Göttlichkeit, doch von Gemüt und Materie eingeengt. Sie können sich, so wie sie jetzt sind, nicht erkennen, nicht unterscheiden, wer sie sind.

Welches ist das größte Studium des Menschen? Ist es die Theologie? Ich würde sagen, nein. Ist es die Kenntnis des Gesetzes von Blackstone und anderer großer Menschen, die in der Vergangenheit kamen? Auch hier ist die Antwort: Nein. Ist es das Studium der Werke von Männern wie Shakespeare, Milton, Dickens, Burns? Nein. Ist es der Okkultismus oder der Buddhismus, das Christentum, der Sikhismus oder irgendeine andere Religionsgemeinschaft, die wir studieren mögen? Sind solche Werke das Höchste Ziel menschlichen Studiums? Wieder würde ich sagen, dass die Antwort nein ist. Warum?

Wenn ihr mit all den Schriften, die von den Meistern hinterlassen wurden, vertraut werdet – wovon sprechen sie? Sie sprechen vom Menschen.

Mensch, erkenne dich selbst!

Darum ist das Erkennen des Menschen, sowohl seiner äußeren als auch seiner Inneren Aspekte, unser wichtigstes Studium. Das höchste Studium des Menschen ist der Mensch.

Pope, der englische Dichter, sagte:

So erkenne denn dich selber, und wähne nicht, Gott zu ergründen; das wahre Studium des Menschen ist der Mensch.

Solange man nicht den Menschen kennt, ist alles Übrige bare Unwissenheit und Aberglaube. Je mehr man die Schriften äußerlich studiert, desto mehr stellt man fest, dass alles nichts als eine Ansammlung ist, eine Anhäufung von Gedanken und Meinungen, die andere zum Ausdruck brachten.

Nehmen wir an, dass ihr mit all den Schriften, die wir heute haben, völlig vertraut werdet. Was spielt das für eine Rolle? Wie ich sagte, sind wir im 20. Jahrhundert in all dem begünstigt. Meister, Die in der Vergangenheit kamen, hinterließen für uns Ihre Erfahrungen mit Sich Selbst und mit Gott. Welche besonderen Dinge halfen Ihnen auf dem Weg, und was stand Ihnen bei der Verwirklichung im Wege? Das ist das Thema aller Schriften. Selbst wenn ihr all das wisst, seid ihr damit zufrieden? Es bedeutet lediglich etwas zu haben, Waren, die lediglich in eurem Gehirn angehäuft werden – der und der Meister sagte dieses, das eine oder andere Buch berichtet jenes, die und die Schriften sagen es so. Das ist nicht das Göttliche. Es heißt nur, gewisse Tatsachen über das Göttliche zu wissen, über unsere Göttliche Natur, welche die Meister Selbst und mit Gott erfahren haben. Auch wenn ihr alle Bücher studiert, werdet ihr nicht in der Lage sein, euch selbst zu erkennen. Ihr werdet natürlich ein paar Informationen erhalten, ihr werdet in der Lage sein, so vieles aus verschiedenen Büchern zu zitieren. Aber werdet ihr imstande sein, euch selbst zu erkennen? Nein.

Eliot, der Dichter, sagt:

Wo ist die Weisheit, die wir im Wissen verloren haben? Wo ist das Wissen, das wir in der Information verloren haben?

Das Selbst zu erkennen ist eine Folge der Selbstanalyse – in der Praxis, nicht in der Theorie. Wir sehen viele Menschen, die nachdrücklich behaupten:

Ich bin nicht der Körper. Ich bin nicht der Verstand. Ich bin nicht die Lebensenergien oder Pranas. Ich bin nicht die Sinnesorgane.

Das ist in Ordnung. Aber haben wir uns jemals praktisch analysiert, indem wir das Körperbewusstsein überstiegen und selbst sahen, dass wir etwas anderes als der physische Körper, der Verstand, die Lebensenergien und die Sinnesorgane sind, die alle den äußeren Menschen, getrennt vom Inneren Selbst, ausmachen? Habt ihr euch je über das Körperbewusstsein erhoben, eine Ersthand-Erfahrung von eurem Selbst gehabt? Ihr werdet sehr wenige Menschen finden, die dies wirklich erreicht haben.

So besteht also euer Studium des Menschen einzig darin, gewisse Informationen in eurem Gehirn anzuhäufen. Manchmal lest ihr die Schriften. Der Zweck ist, dass ihr durch das Lesen der Schriften genügend Informationen über das Studium erhaltet, welches die Meister mit Sich Selbst und mit Gott machten, um euch zu helfen, einfach euer eigenes Selbst zu finden, und nicht mehr. Das Lesen dieser Schriften wird etwas Interesse in euch erwecken, um euch selbst zu erkennen und Gott zu erkennen.

Ich meine nicht, dass man die Schriften nicht lesen sollte. Sie sollten gelesen werden, und zwar mit Verstand. Das Studium der Schriften ist der erste, grundlegende Schritt, der in uns ein Interesse dafür wecken wird, dass dieser oder jener Meister Göttliches Licht in Sich sah. Können wir das auch sehen? Ja, wir können es gleichfalls sehen, denn was ein Mensch getan hat, kann auch ein anderer tun, natürlich mit der rechten Ausbildung und Führung.

Ich zitierte euch auch, dass die Meister das Licht Gottes gesehen haben. Die Ihnen folgten und nach dem lebten, was Sie sagten, hatten während ihres eigenen Lebens genau die gleiche Erfahrung in unterschiedlichen Graden. Ihr solltet, während ihr über das menschliche Leben verfügt, in der Lage sein, das Licht Gottes zu sehen. Wenn ihr dieses Licht geschaut habt, wird euer ganzes Leben verändert sein. Und ihr könnt es erst wahrnehmen, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt. Es ist eine praktische Frage.

Was gibt es nun zu tun? Was kann getan werden, wenn man die Wahrheit versteht, das heißt, sein eigenes Selbst erkennt und eine Ersthand-Erfahrung des Selbst und des Überselbst hat? Das allein wird uns frei machen. Diese Dinge können wir nur erlangen, wenn wir uns wirklich erhoben haben, wenn wir von Neuem geboren wurden.

Christus sagt:

Es sei denn, dass jemand von Neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Zur Erläuterung fährt Er fort:

Es sei denn, das jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Im 1. Korintherbrief lesen wir:

[…] dass Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben.

Petrus erklärt:

[…] als die da wiedergeboren sind, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, aus dem Wort Gottes, das da ewiglich lebt und fortbesteht.

Es ist klar: wenn wir nicht von Neuem geboren werden, können wir das Reich Gottes weder sehen noch es betreten, noch können wir es ererben. Mit anderen Worten, wir können weder eine Ersthand-Erfahrung von uns selbst noch von Gott erlangen. Wir können unser Inneres Auge – das Dritte Auge oder Einzelauge genannt – nicht geöffnet haben, welches uns befähigt, das Licht Gottes zu sehen.

Das Lesen der Schriften allein wird nicht helfen. Aber studiert die Schriften sorgfältig, denn sie sprechen von den praktischen Erfahrungen, welche die Meister mit Sich Selbst und mit Gott hatten. Solange wir nicht diese Schriften unter der Führung von Einem studieren, Der die wirklichen Erfahrungen Selbst hatte, wie sie dort niedergeschrieben sind, werden wir nicht in der Lage sein, ihrer wahren Bedeutung zu folgen.

Was sagt Plutarch? Er sagt:

Die gleichen Erfahrungen, die die Seele beim Verlassen des Körpers hat, werden von jenen gemacht, die in die Geheimnisse des Jenseits eingeweiht wurden.

Eines Tages müsst ihr natürlich den Körper verlassen. Das ist, denke ich, ein sehr klarer Beweis oder ein Zeugnis dafür, dass ihr nicht diese Körper seid, über die ihr so viel wisst. Mit das Selbst zu erkennen ist gemeint, das Innere Selbst zu erkennen, das Spirituelle Selbst, das Spirituelle Wesen, das den Körper zum Zeitpunkt des Todes verlässt. Man kann sagen, dass dieser physische Körper durch den Tod – die große, endgültige Umwandlung – niedergeschlagen werden kann. Aber ihr sterbt nicht. Ihr müsst eines Tages, ob ihr es wollt oder nicht, den Körper und alle Dinge, die mit dem Körper zusammenhängen, verlassen.

Worin liegt sodann die größte Weisheit? Im Erkennen eures Selbst; zu wissen, wer ihr seid und was ihr seid. Ehe ihr nicht euer Selbst erkennt, könnt ihr nicht Gott erkennen. Wer sich selbst erkennt, wird auch Gott erkennen, denn es ist allein die unbegrenzte Seele, die Gott erkennen kann, nicht der begrenzte Verstand. Man kann Ihn nicht mit dem begrenzten Verstand erfassen.

Wie kann das Geringere das Größere begreifen? Oder der begrenzte Verstand die Unendlichkeit erreichen?

John Dryden

Wir können Ihn nicht sehen. Er ist für unseren Intellekt, unsere Sinnesorgane, unsere nach außen gehenden Kräfte unerforschlich. Mit allem Vorstellungsvermögen, der größten Ausdehnung des Vorstellungsvermögens, kann Er nicht erfasst werden. Es ist allein die Seele, der sich Gott zu erkennen gibt. Wenn wir uns nicht selbst analysieren, unser eigenes Selbst sehen – uns erkennen –, können wir Gott nicht sehen.

Selbsterkenntnis geht der Gotterkenntnis voraus. Lasst uns überlegen, welche Hilfe wir für hierfür bekommen können.