Das Königreich Gottes

I

Wann immer wir religiöse Bücher lesen oder irgendein Thema studieren, gibt es eine bestimmte Terminologie, die dem jeweiligen Gebiet eigen ist. In Gesetzbüchern zum Beispiel haben verschiedene Ausdrücke eine fachkundige Bedeutung oder Konnotation. Wenn wir mit der Definition der verwendeten Ausdrücke vertraut sind, sind wir in der Lage, das Gesetz richtig zu verstehen, und wir werden es anwenden können. Wenn ein Laie den Text desselben Gesetzes liest, wird er nicht in der Lage sein, die eigentliche Bedeutung des Gesetzes zu verstehen, oder es anzuwenden.

Uns liegen Schriften vor, Heilige Schriften. Darin finden wir eine bestimmte fachkundige Terminologie. Solange wir mit dieser nicht vertraut sind, sind wir nicht in der Lage, den wahren Gehalt der Schriften zu verstehen. In den Schriften werden bestimmte Wörter gebraucht, wie zum Beispiel das Königreich Gottes, das in euch ist. Es kommt das Licht Gottes vor.

Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib Licht sein;

Dies sind Redewendungen, die der deutschsprachigen Bibel eigen sind.

Aufgrund des speziellen Gebrauchs von Wörtern wie diesen, können Personen, die nicht mit ihnen vertraut sind, die Schriften nicht korrekt verstehen. Sie interpretieren sie lediglich vom intellektuellen Level aus; und viele Formulierungen wie Licht in euch oder Gott ist Licht werden von den intellektuellen Menschen interpretiert, als sei das Licht der Vernunft gemeint. Aber die Schriften sagen uns:

Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib Licht sein.

Worin besteht der Unterschied?

Immer wenn die Meister kamen, legten Sie die Wahrheit in einer sehr einfachen Weise dar, so dass auch die einfachen Menschen sie verstehen konnten. Aber leider haben Menschen ohne praktische Innere Erfahrung sie auf eine Art interpretiert, die es anderen schwer macht, sie zu verstehen. Wenn wir die Schriften selbst zur Hand nehmen und sie lesen, werden wir finden, dass ihre Sprache immer sehr einfach ist. Aber die Aufgabe wird schwierig, wenn wir sie angesichts der Kontroversen betrachten, die von verschiedenen intellektuellen Interpreten hervorgerufen wurden, die kein Wissen von der praktischen Seite der Dinge haben. Indem sie von der intellektuellen Ebene ausgehen, verkomplizieren sie die Dinge. Jene, die die widersprüchlichen Kommentare zu den Schriften lesen, werden verwirrt und bleiben spirituell unbelohnt.

So, die Sache würde leichter werden, wenn ihr die Schriften direkt selbst lest. Ich denke, der beste Weg, eine Schrift zu verstehen, ist immer, sie in der Originalsprache zu lesen, in der sie geschrieben wurde. Wenn ihr die Sprache versteht, werdet ihr die Schrift wahrscheinlich besser verstehen können, als wenn ihr lest, wie ein anderer sie in die Sprache übersetzt hat, die ihr kennt. Ein einziger Fehler in der Interpretation kann sehr viel von der Essenz verändern.

Der größte Teil unserer Schriften wurde in einer anderen Sprache als der geschrieben, in welcher wir sie heute lesen. Als ich auf der Suche nach der Wahrheit war, wollte ich die persische Literatur von Maulana Rumi, Shamas-i-Tabrez und anderen Heiligen des Mittleren Ostens lesen. Ich las die Kommentare sehr renommierter Interpreten, und jeder vermittelte eine andere Version derselben Sache. Ein Kommentator neigt dazu, den Standpunkt wiederzugeben, an dem er festhält, nicht das, was die Schriften – die tatsächlichen Texte der Schriften – vermitteln. Und so unterliegen die Personen, welche auf solche Kommentare angewiesen sind, der Tatsache, in die Irre geführt zu werden. Aus diesem Grund musste ich die persische Sprache gründlich studieren, um in der Lage zu sein, jene Schriften in ihrer Originalfassung lesen zu können. Und ich stellte fest, dass sie sich von dem unterschieden, was die Kommentatoren sagten.

Die Bibel war ursprünglich in Hebräisch geschrieben. Später wurde sie in verschiedene Sprachen übersetzt. Die Übersetzer fanden hier und dort etwas, das sie nicht richtig erklären konnten; und so laufen jene, die nur diese Übersetzungen lesen, Gefahr, sich zu verirren.

Ich hatte Gelegenheit, intellektuell sehr weit fortgeschrittene Personen zu treffen, welche die Führer von Tausenden von Menschen waren. Wenn ich sie über etwas aus den Schriften fragte, nur um der Interpretation willen, schwiegen sie oder gaben ihre eigene kuriose Interpretation auf einem intellektuellen Level. Ihre Vorstellung von Gott, der Seele und den Schriften entsprach der Ebene ihres Intellekts und ihrer Interessen.

Wo immer ich spreche, frage ich die Oberhäupter der verschiedenen Gemeinschaften immer, was sie unter biblischen Zitaten wie Gott ist Licht und Ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes usw. verstehen. Aber weil sie nicht nach Innen gegangen sind, interpretieren sie das Licht Gottes als das Licht der Vernunft und des Verstandes.

Neulich begegnete ich dem Oberhaupt einer großen Religionsgemeinschaft und fragte ihn nach dem Sinn von Worten wie: Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib Licht sein; und Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; das Reich Gottes ist inwendig in euch. – ‚Nun, besagt das irgendetwas?‘ Es kam keine Antwort auf diese Frage.

Der Punkt ist, dass in den Heiligen Schriften Wahrheiten enthalten sind. Leider können wir sie nicht korrekt interpretieren, wenn wir nicht mit dem vertraut sind, was Innen liegt.

Ich hielt eine Reihe von Ansprachen in der Kirche von Louisville. Der zuständige Geistliche war sehr aufgeschlossen und gab zu, dass obwohl das, was ich sagte, aus der Bibel und anderen Schriften stammte, er kein praktisches Wissen von den darin erwähnten Wahrheiten habe.

Was ich euch sage, ist nichts Neues. Es steht alles in den Schriften. Ich hatte lediglich das gute Schicksal, zu den Füßen eines Meisters in Indien zu sitzen, Der ein in der Praxis erfahrener und Vollkommener Heiliger war. Zu Seinen Füßen lernte ich nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis – die Wahrheit selbst zu sehen.

Wenn ihr die Dinge mit eigenen Augen seht, seid ihr voll überzeugt. Was kann man für gewöhnlich beobachten? Wir halten Gott für etwas im Bereich der Gefühle oder für etwas Emotionales oder ansonsten für eine Sache von Schlussfolgerungen, zu denen man durch intellektuelles Ringen gelangt. All dies unterliegt der Täuschung. Die Schriften sagen uns jedoch, dass wir Augen haben, zu sehen, und doch nicht sehen.

Selig sind eure Augen, dass sie sehen […] Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr seht, und haben’s nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört.

So sagen unsere Schriften.

Aber was haben sie gesehen, und was haben sie gehört? Das ist der Punkt. Die Schriften sagen uns, Gott ist Licht. Sie sahen das Licht Gottes. Aber wo und wie?

Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, und der Mensch schuf Stätten der Verehrung nach dem Bild des Menschen. Kirchen haben die Form der Nase. Alle Tempel anderer Religionsgemeinschaften sind kuppelförmig wie der Kopf, und die Stätten zur Verehrung in mohammedanischen Moscheen haben die Form der Stirn. All diese sind nach dem Bild des Menschen geschaffen. Was bewahren wir in ihnen? Erstens das Symbol des Lichts und zweitens das Symbol des Tonprinzips. Dies ist nur, um die Wahrheitssucher darauf hinweisen, dass sie in diesem Tempel des Körpers, den sie tragen, das Licht Gottes finden werden. Dieses Licht könnt ihr sehen, wenn euer Inneres Auge geöffnet ist. Ihr werdet auch die liebliche Symphonie der Musik der Sphären hören, wie Plato Sie nennt, welche durch die ganze Schöpfung hindurch widerhallt.