Das Königreich Gottes

IV

Gestern habe ich euch von Plutarch zitiert:

Die gleichen Erfahrungen, welche die Seele beim Verlassen des Körpers zur Zeit des Todes macht, hat einer, der in die Mysterien des Jenseits eingeweiht wurde.

Das ist die Bedeutung von Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst. Aber leider haben wir das noch nicht verstanden.

Wiederum heißt es:

Entsagt dem Fleisch um des Geistes willen.

Beachtet das Wort entsagen. Wir leben die ganzen 24 Stunden des Tages im physischen Körper. Wir haben den physischen Körper, den Intellekt und die Seele. Wir wissen viel über den physischen Körper und seine Umwelt, unsere Familien, unsere gesellschaftlichen Beziehungen, politischen Zugehörigkeiten und ähnliches. Auch auf intellektuellem Gebiet sind wir sehr fortgeschritten. Aber wir wissen wenig oder nichts über unsere Seele – das Wahre, Innere Selbst in uns. Es gibt Werte und höhere Werte des Lebens. Jede Sache hat ihren eigenen Wert.

Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung?

Ich sagte euch neulich, dass wir in unserem täglichen Leben unbeabsichtigt klug handeln. Wenn ein Mensch einen Unfall hat und seine sehr teure Kleidung beschädigt und zerrissen wurde, sagt er: ‚Das macht nichts, ich bin gerettet.‘ Und was tut er, wenn er von einer tödlichen Krankheit befallen ist und die Ärzte seine Lage für hoffnungslos erklären? Er sagt: ‚In Ordnung, gebt all das Geld, das ich habe, aus, damit ich gerettet werden möge.‘ Wenn kein Geld im Haus ist, sagt er: ‚Nun, verkauft all meine Besitztümer, damit ich gerettet werden möge.‘ Somit gilt uns der Körper mehr als alle Besitztümer, die wir haben. Wenn er sich nun sein Bein oder seinen Arm bricht, schreit er auf: ‚Das macht nichts, ich bin ja gerettet.‘ Dies zeigt, dass es etwas noch Wertvolleres gibt als den physischen Körper. Dieses Etwas ist das eigentliche Leben in ihm – das aktive Lebensprinzip, dessen er sich noch nicht wirklich bewusst ist, obwohl er dessen Gegenwärtigkeit in sich spürt.

In weltlichen Angelegenheiten handeln wir auf diese Weise. Aber in Spirituellen Dingen handeln wir ganz anders. Wir handeln wie kleine Kinder, mit all unserer Sorge für den physischen Körper und seine Umgebung, um intellektuellen Fortschritt zu erlangen. Wir achten in keiner Weise auf unser Inneres Selbst – das Wahre Selbst in uns. Ist das nicht sehr seltsam? Das ist die große Täuschung, in der wir unser ganzes Leben lang leben.

Der wichtigste Aspekt im Leben eines Menschen ist sein eigenes Selbst, und er tut in dieser Richtung wenig oder gar nichts. Wem ihr auch begegnet, könnt ihr sagen:

Mein lieber Freund, hast du dies jemals in Betracht gezogen? Du musst den Körper eines Tages verlassen.

Aber das ist kein Schrecken. Es heißt nur, diesen Körper zu verlassen und ins Jenseits einzutreten, über das wir bis jetzt nichts wissen. Und wer ist es, der geht? Das ist, was ich euch in meiner vorhergehenden Ansprache erklärte. ‚Erkenne dich selbst‘ war immer das Thema aller Schriften. Schon die alten Griechen und Ägypter gravierten in ihre Tempel: Erkenne dich selbst.

Ihr geht in Tempel, damit ihr euch selbst erkennen mögt – nicht andere; nicht Bücher, Religionen, soziale Bräuche, Rituale. Sondern sie sagten: Erkenne dich selbst. Nur zu diesem einen Zweck geht ihr in die Kirche – um euch selbst zu erkennen und Gott zu erkennen.

Das menschliche Leben ist die goldene Gelegenheit, welche ihr habt. Die Höchste Mission im Leben des Menschen ist, sich selbst zu erkennen und Gott zu erkennen. Wenn er dies nicht getan hat, hat er nicht das Ziel erreicht, für welches das Leben des Menschen bestimmt war. Ihr mögt ein exzellenter Ingenieur sein, ihr mögt ein großer Astronom sein, ihr mögt ein berühmter Arzt sein, ihr mögt irgendetwas sein, doch solange ihr nicht etwas über euer eigenes Selbst wisst, habt ihr herzlich wenig getan. Warum? Weil ihr schließlich doch den Körper verlassen müsst. All eure intellektuellen Errungenschaften und all eure äußeren Besitztümer können euch nicht zur Selbsterkenntnis verhelfen, welche allein den Übergang von dieser Welt ins Jenseits leicht machen wird.

Das ist das Desideratum aller Religionen. Kabir sagt uns, dass dies die einzig Wahre Ergebung, die einzig Wahre Religion ist, zu wissen, wie man während des Lebens stirbt. Und das werdet ihr zu den Füßen des Lebenden Meisters lernen, Der ein praktischer Adept in diesem Fach ist. Er wird in der Lage sein, euch eine Ersthand-Erfahrung davon zu geben, wie man über das Körperbewusstsein gelangt – wie man während des Lebens stirbt. Wenn Er euch einmal eine Erfahrung gegeben hat, könnt ihr diese von Tag zu Tag durch regelmäßige Übung entwickeln, mit der rechten Führung und Hilfe, die ohne weiteres gegeben werden wird.

Das ist das wichtigste Thema, doch leider haben wir es zu lange ignoriert.

Trachtet daher zuerst nach dem Königreich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, und all diese Dinge werden euch dazugegeben werden.

All diese Dinge, denen wir den größten Teil unseres täglichen Lebens widmen, werden uns dazugegeben, wenn wir an erster Stelle unser eigenes Selbst suchen.

Wir müssen den Körper auf jeden Fall zurücklassen. Wann, das weiß niemand. Es liegt kein Zeitpunkt fest, den wir kennen. Je früher wir das Rätsel des Lebens lösen, desto besser; denn wer weiß, wann die Zeit für uns kommt, den Körper zu verlassen? Jeder von uns muss ihn verlassen. Ich versichere euch, das ist kein Schreckgespenst. Gewiss ist es eine Veränderung, aber es ist kein großes Unglück. Lasst euch sagen, dass es nur zum Besseren ist, wenn wir wissen, wie man den Körper verlässt.

Über diese Dinge lesen wir in der religiösen Literatur unser ganzes Leben lang, haben uns aber nicht darum gekümmert, weil wir bis jetzt nichts über ihre tiefere Bedeutung wussten. Unsere Religionsgemeinschaften lehren uns lediglich, bestimmte Rituale, Zeremonien zu beachten, täglich Loblieder zu singen, Gebete darzubringen und gewisse Lebensformen anzunehmen. Das sind zweifellos die Anfangsschritte. Wir können sie nicht unberücksichtigt lassen. Aber sie sind nur dazu gedacht, der Spiritualität den Weg zu bahnen, und sind nicht die Spiritualität im eigentlichen Sinne.

Was ist dann Spiritualität? – Sich selbst zu erkennen, zu wissen, wer man ist und was man ist. Seid ihr die 1,60 m oder 1,80 m große physische Gestalt aus Fleisch und Knochen oder etwas anderes? Gewiss seid ihr nicht der Körper noch die Sinne oder die Lebensenergien, die alle zusammen den äußeren Menschen ausmachen. Ihr seid der Bewohner des Körpers. Ihr habt die Sinne und Lebensenergien als Hilfen für euer physisches Dasein. Die Zeit kommt, wo ihr den Körper und alles Übrige aufgeben müsst. Ihr müsst den Inneren Menschen erkennen, der ihr in Wirklichkeit seid. Wenn ihr nicht den Inneren Menschen erkennt, seid ihr verloren.

Deshalb wurde immer betont:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.

und

– Als letzter Feind wird der Tod vernichtet.

Wie können wir den allmächtigen Tod besiegen? Dadurch, dass wir während des Lebens lernen, willentlich über den Körper hinauszugelangen. Alle Meister bekräftigen das.

Was ist der Tod? Er ist lediglich das Verlassen des Körpers. Wenn ihr wisst, wie man sich über das Körperbewusstsein erhebt, ist natürlich der Stachel des Todes genommen, und alle Furcht vor dem Tod hat ein Ende.

Die Heiligen Bücher der Sikhs sagen:

Wenn ihr Angst vor dem Tod habt, begebt euch zu den Füßen eines Meisters. Er wird euch sagen, wie man während des Lebens stirbt. Er wird euch eine Erfahrung vom Tod im Leben geben.

Jeder möchte weiterleben. Guru Amar Das, der dritte Meister der Sikhs, sagt uns:

Jeder hat Angst, den Namen des Todes zu hören. Warum? Erstens wissen wir nicht, wie man stirbt; zweitens wissen wir nicht, wohin wir nach dem Tod gehen sollen; und drittens wissen wir nicht, dass wir selbst den Körper verlassen müssen. Diese drei Dinge schrecken uns und sind die Ursache dafür, dass wir vor dem Sterben Angst haben.