Das Königreich Gottes

VI

Doch kehren wir zu unserem heutigen Thema zurück. Alles, was ich sage, stimmt mit dem überein, was die Schriften erklären.

Rumi verkündet:

Fürchtet euch nicht, denn ihr habt noch einen anderen Körper, um darin zu leben.

Und wieder hebt Er mit großem Nachdruck hervor:

Sieh, armer Freund, stirb, während du lebst, wenn du den wahren Vorteil des menschlichen Lebens haben willst.

Auch das finden wir in den Heiligen Schriften.

Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Ich meine nicht, dass ihr die Welt verlassen sollt und in die Wildnis gehen und das Leben eines Einsiedlers führen sollt.

Gott hat euch physische Körper gegeben. Erhaltet sie. Diese sind die Tempel Gottes. Sorgt für den Unterhalt eurer Familie. Erfüllt eure Pflichten. Gott wohnt in jedermanns Herz. Andere, als Mitglieder eurer Familie, sind mit euch in Verbindung gekommen als ein Resultat eurer vergangenen Karmas, über die ihr euch nicht bewusst seid. Gott brachte euch zusammen. Haltet eure Beziehungen aufrecht. Dient einander in Liebe. Tut alles, was ihr könnt in dieser Hinsicht. Das ist ein grundlegender Schritt.

Verdient euren Lebensunterhalt durch ehrliche Mittel, im Schweiße eures Angesichts. Dies ist ebenfalls ein Teil der Schau. Ihr müsst euren physischen Körper erhalten. Er ist der Tempel Gottes, in dem ihr Ihn entdecken könnt – in der Tat ein seltener Vorzug.

Die Meister sagen:

Ihr habt den Verstand. Entwickelt ihn, werdet intellektuelle Riesen. Aber ihr seid Seele. Ihr müsst auch über euer Selbst Bescheid wissen.

Sie sagen lediglich, dass ihr einen Teil von den 24 Stunden des Tages der Suche nach eurem eigenen Selbst widmen solltet. Die größte Suche des Menschen ist der Mensch. Forscht nach euch selbst. Erst wenn ihr euch selbst erkennt, könnt ihr das Überselbst erkennen.

Gibt es außer Gott eine andere Wirklichkeit, die wir verstehen können, die mit dem Namen Gott und so vielen anderen Namen bezeichnet wird? Genau genommen sind wir keine echten Theisten. Weshalb?

Wenn wir über Gott sprechen, tun wir es vom Hörensagen oder aus unserer Kenntnis der Schriften. Wir haben keine Ersthand-Erfahrung davon.

Solange wir nicht selbst sehen und erfahren; ehe wir nicht eine Erfahrung aus erster Hand von uns selbst haben und mit der Wahrheit in Verbindung kommen, bevor nicht unser Inneres Auge geöffnet ist und wir das Licht Gottes in uns sehen, können wir nicht überzeugt sein. Wir mögen die Schriften lesen. Wir mögen einem Meister begegnen und Seine weisen Worte zu diesem Thema hören, doch werden wir nicht tatsächlich überzeugt sein. Wir akzeptieren vielleicht, was gesagt wird, und machen es zur Grundlage unserer Gottsuche. Aber bis wir nicht Gott in uns selbst sehen und erfahren, können wir nie völlig sicher sein und somit Wahre Theisten werden.

Aber wer kann Gott erkennen? Unser wirkliches Selbst kann es. Selbsterkenntnis geht der Gotterkenntnis voraus. Wie können wir Gott sehen, wenn wir uns selbst nicht erkennen?

Das ist der Grund, warum so viel Wert auf Selbsterkenntnis gelegt wird. Seit Anbeginn der Welt haben die Meister in allen Schriften immer wieder eingeschärft: Erkenne dich selbst. Bis wir nicht den Wassertropfen kennen, können wir das Meer nicht erkennen. Mag sein, wir erlangen nicht das volle Wissen, aber wir werden eine Vorstellung davon bekommen, was das Meer ist.

Es ist die Seele, die Gott erkennen kann, nicht der Verstand, nicht der physische Körper oder die Sinnesorgane. Gott ist ein Meer, ein endloses Meer aller Bewusstheit. Unsere Seele ist ein Tropfen aus diesem Meer. Wir sind bewusste Wesen, bewusste Geschöpfe. Ehe wir nicht uns selbst erkennen, können wir Gott nicht erkennen. Gott wird nur erkannt, wenn wir uns durch einen Prozess der Selbstanalyse erkennen, wenn wir wissen, wer wir sind und was wir sind.

Kabir sagt:

Lerne hundertmal am Tag willentlich zu sterben. Überschreite das Körperbewusstsein, und trete in das Reich Gottes ein.

Das ist ein rechter Weg.

Alle Meister haben diesen Punkt hervorgehoben, aber wir haben ihn gänzlich ignoriert. Wir glauben, durch das Beachten der äußeren Bräuche, Rituale und Zeremonien Gott erreichen zu können. Das sind zweifellos hilfreiche Faktoren, aber der Wahre Weg, der zu Gott führt, ist Selbsterkenntnis. Nur dann werden wir Ihn erkennen.

Ich will euch ein konkretes Beispiel geben. In Lahore lebte ein Mann, der Gott immer laut im Munde führte, er lobte Seine Großmut, Seine Liebe und Seine Unendlichkeit. Aber er hatte keine praktische Erfahrung von Gott, und was er lehrte, beruhte auf bloßem Hörensagen aus den Schriften. Dann kam die Teilung des Landes in Indien und Pakistan, die für das Volk großes Leid mit sich brachte.

Er verlor seinen gesamten Besitz, und viele seiner Verwandten kamen um. Als er mir in Delhi wieder begegnete, fragte er mich, ob es nach alledem wirklich einen Gott gebe. Und wie viele von uns sind wie er?

Wenn uns das Unglück trifft, beginnen wir die Existenz Gottes in Frage zu stellen.

Hatten wir aber eine Ersthand-Erfahrung von Gott, wie können wir dann an Seiner Existenz zweifeln? Ihr seht, wie wichtig es ist, eine praktische Erfahrung der Wirklichkeit zu haben, und diese könnt ihr nur durch Selbstanalyse erhalten, indem ihr euer wirkliches Selbst erkennt. Solange das nicht der Fall ist, könnt ihr das Reich Gottes weder sehen noch es betreten.