Das Königreich Gottes

VII

Wieder und wieder erhebt sich die Frage:

Wie können wir das Selbst erkennen?

Ihr habt den Unterschied gesehen zwischen dem Glauben, der sich auf eine Ersthand-Erfahrung gründet, und dem, der vom Hörensagen kommt. Sehen heißt glauben. Direkte Wahrnehmung ist weit besser als abgeleitetes Wissen.

Deshalb sagen die Schriften:

Selig sind, die sehen. Ihr habt Augen, und sehet nicht.

Alle Schriften sagen, dass es ein Reich Gottes gibt und dass es in euch liegt. Ihr könnt es betreten und das Licht Gottes sehen, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt.

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man kann es nur erreichen, wenn man sich einwärts wendet und Innen anklopft,

wie Emerson sagt.

Aber wie gelangt man nach Innen? Diese Erfahrung werdet ihr, wie ich des Öfteren gesagt habe, zu den Füßen eines Meisters haben – eines Adepten dieser Wissenschaft. Er gibt euch bei der Initiation eine Erfahrung, die ihr durch tägliche Übung entwickeln könnt. Ihr lernt dann, wie man den Körper verlässt. Bis nicht euer Inneres Auge geöffnet ist, könnt ihr nicht sehen und überzeugt sein.

Wahrlich, wir haben Augen und sehen nicht.

Guru Nanak sagt:

Nicht der ist blind, der keine Augen im Kopf hat, sondern der, dessen Inneres Auge nicht geöffnet ist, um das Licht Gottes im Innern zu sehen.

Wie viele von uns gibt es, die nicht blind sind? Wir haben vom Licht Gottes gehört. Haben wir Es jemals gesehen? Können wir das Licht Gottes sehen, und wenn ja, wie?

Ich beziehe mich abermals auf die Schriften. Die meisten Zitate sind der Bibel entnommen, da ihr mit ihr am besten vertraut seid. Lasst mich aber sagen, dass Christus zum Osten gehörte, wo die Menschen in geistigen Dingen mehr bewandert sind. Wenn ihr die Schriften mit den Augen eines östlichen Menschen sehen lernt, kommt ihr der Wahrheit näher. Ich meine damit nicht, dass der Westen in irgendeiner Weise anders geartet ist als der Osten oder sich von ihm unterscheidet. Was ich sagen will ist, dass die Ausdrucksweise der Heiligen Schrift eine östliche ist.

Wir lesen darin:

Es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehest.

Einäugig? Wir haben doch zwei Augen. Was meint Christus? Er sagt weiter:

[…] denn dass du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen.

Als ich auf dem Weg von Chicago nach Washington war, kamen im Flugzeug einige Kinder zu mir und wollten Autogramme haben, die ich ihnen gab. Auch eine alte Dame kam und sagte:

Würden Sie bitte etwas für mich niederschreiben und mir Ihr Autogramm geben?

Ich schrieb einfach diese Worte:

Es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehest,

und unterzeichnete es.

Sie las es und fragte sich, was es bedeuten könnte. Ihr Sohn war ein Bischof. Er reiste im selben Flugzeug. Sie brachte es ihm und fragte, ob er es erklären könne.

Er las es mit der Bemerkung:

Es ist natürlich aus der Bibel.

Aber auch er konnte den Sinn nicht verstehen. Praktisches Wissen ist etwas anderes. Von den Leuten zu verlangen, gewisse Regeln und Vorschriften, Rituale und Zeremonien einzuhalten, ist nicht das Gleiche. Der Bischof fragte einen meiner Begleiter, ob er mich sprechen könne. Er war selbstverständlich willkommen und kam zu mir.

Die Worte, die ich zitiert habe, sind aus den Heiligen Schriften. So sage ich damit nichts Neues. Sie stehen nicht nur in der Bibel, sondern in allen anderen Schriften, von denen ihr wahrscheinlich nur sehr wenige kennt. Wenn ihr aufgeschlossen und an diesem Thema interessiert seid, würde ich euch vorschlagen, dass ihr ein vergleichendes Studium der verschiedenen Religionen aufnehmt, um die Wahrheit, nicht aber Fehler in ihnen zu finden; denn dann habt ihr keinen Nutzen davon. Der Geier kreist zwar hoch am Himmel, aber sein Blick ist doch auf das Aas gerichtet. Wenn ihr beginnt, nach Mängeln zu suchen, werdet ihr sie überall finden können, dabei aber die Wahrheit verfehlen.

Kabir, ein Großer Heiliger des Ostens, sagt:

Nicht die Schriften sind fehlerhaft, sondern jene, die sie nicht verstehen.

Christus tut kund:

Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib Licht sein.

Das Einfältige oder Einzelauge – im Osten wird es das Dritte Auge oder das verborgene Auge genannt – ist in jedem von uns, auch im Blinden, der das äußere Sehvermögen nicht hat Aber das einfältige Auge ist geschlossen. Wir müssen es öffnen. Wenn es geöffnet wurde, seht ihr das Licht Gottes, das bereits in euch ist. Ihr müsst Es nicht erst hervorbringen.

Manche Menschen machen sich einfach Vorstellungen. Sie zünden eine Kerze an, betrachten sie und stellen sie sich im Innern vor. Ihr braucht euch keine solchen Vorstellungen machen, wenn ihr diesen Tempel Gottes betretet – den menschlichen Körper. Ihr werdet das Licht des Himmels Innen sehen. Es ist bereits dort. Ihr sollt euch keine Bilder machen, nichts vorwegnehmen oder vortäuschen.

Dies sind konkrete Tatsachen, die von denen erlebt werden, die in den Körpertempel, wie ihr ihn habt, eintreten. Der Unterschied ist, dass ihr ein äußerliches Leben führt und nie erfahren habt, wie man sich nach Innen wendet und Innen anklopft.

Es ist, wie Jesus sagt:

Ist aber dein Auge ein Schalk, so wird dein ganzer Leib finster sein.

Das Licht ist da. Es war immer da. Aber sehen wir Es? Haben wir je die ernste Warnung beachtet:

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Das bedeutet nicht, dass ihr das Licht hervorbringen müsst. Es existiert bereits, ihr müsst dafür sorgen, dass Es sich nicht verdunkelt. Wie kann sich das Licht verdunkeln? Schon dadurch, dass man Es nicht beachtet, ständig mit äußeren Dingen beschäftigt ist, das Innere Leben vernachlässigt. Wenn ihr euch von der äußeren Welt abwenden könntet, würdet ihr das Licht Gottes hier und jetzt sehen.

Gott ist überall. Das Licht Gottes ist überall. Die ganze Welt ist aus Licht geschaffen, aber nur für jene, deren Inneres Auge geöffnet ist.

Wie öffnet man dieses Auge? Das ist eine praktische Frage. Diese Dinge werden außer von Christus auch von anderen erklärt. Tulsi Das und Guru Nanak sagen, dass uns nur ein Wahrer Meister auf den Weg zu Gott stellen kann. Was kann Er uns geben? Er öffnet unser Inneres Auge. Er befähigt uns, das Licht Gottes zu sehen.

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Das lesen wir im Lukas-Evangelium. Aber wie findet man dieses Licht?