Der natürlichste Weg

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Ich nehme meinen Vortrag vom gestrigen Abend wieder auf. Es wurde gesagt, dass wir hier sind, um die Lehren Christi und anderer Meister, Die in der Vergangenheit gekommen waren, zu verstehen und eine umfassendere und angemessenere Kenntnis über sie zu erlangen. Sie lehrten die Wahrheit in einfacher, ungeschminkter Weise, die jeder verstehen kann.

Dieses Thema bezieht sich auf die praktische Wissenschaft der Seele, die alle ausüben und erfahren sollen. Auch wenn ein Kind auf den Weg gestellt wird, kann es die Dinge selbst sehen. Es ist kein Gegenstand verstandesmäßiger Erörterungen, es erfordert eine Ersthand-Erfahrung; denn Sehen heißt glauben, und selig sind, die da sehen. Wahre Religion beginnt mit dem Öffnen des Inneren Auges, um das Licht Gottes zu sehen, und des Inneren Ohres, um die Stimme Gottes zu hören. Zu diesem Ergebnis kamen wir am gestrigen Abend. Darüber, wie das Innere Auge und das Innere Ohr geöffnet werden können, wurden Stellen aus der Bibel und anderen Heiligen Schriften angeführt. Die Wahrheit ist Eine, und der Weg zu ihr ist auch Einer. Ihr werdet diese übereinstimmenden Gedanken in fast allen Schriften finden, die uns heute zugänglich sind.

Zum Öffnen des Inneren Auges und Inneren Ohres ist eine moralische Veredelung von höchster Bedeutung. Ethisches Leben ist ein Sprungbrett zur Spiritualität. Die rechte Lebensführung ermöglicht erst den Spirituellen Fortschritt.

Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Reinheit des Herzens ist für einen Pilger auf dem Pfad sehr notwendig, denn ohne sie kann man nicht das Licht Gottes sehen und die Stimme Gottes hören. Davon sprechen alle Schriften. Die Bergpredigt ist sehr deutlich in diesem Punkt. In ihr befasst Sich Jesus mit den Lebenswahrheiten. Hinweise auf das Einfältige Auge, das inwendige Reich Gottes usw. beziehen sich auf das Innere Leben. Das Innere und das Äußere hängen eng zusammen. Jesus hat Sich mit beiden Aspekten des Lebens befasst: mit dem äußeren wie mit dem Inneren. Wir müssen darum Schritt für Schritt vorgehen.

Auch Buddha legte großen Nachdruck auf die rechte Lebensweise und verkündete Seinen Anhängern den Achtfältigen Pfad der Rechtschaffenheit. In der Tat äußerte Er niemals ein Wort über Gott, da Er wusste, dass die Gotterfahrung unausbleiblich ist, wenn einmal der Boden bereitet war. Dasselbe tun auch die Hinduschriften kund.

Kürzlich kam mir ein Buch in die Hände, das mir ein buddhistischer Gelehrter brachte. Der Autor suchte aufzuzeigen, dass Jesus Christus die Lehren Buddhas nicht unbekannt waren. Dies ist eine Sache für die Forschung, nicht zur Diskussion. Jedenfalls stimmen die christlichen Lehren mit denen Buddhas weitgehend überein, und dies so sehr, dass sie gewissermaßen gleich zu sein scheinen.

Wie vorher gesagt, geht ein ethisches Leben dem Spirituellen voraus. Es besteht in einer rechtschaffenen Lebensweise, die den höchsten Idealen geweiht ist, nämlich:

  1. Keuschheit oder Reinheit in Gedanken, Worten und Taten, denn Keuschheit ist Leben, und Sich-gehen-lassen der Tod;

  2. Universale Liebe oder Liebe für alle lebenden Geschöpfe, wodurch sich das Selbst ausdehnt und die Gesamtheit des Seins voll und ganz zu umfassen sucht.

  3. Selbstloser Dienst oder Dienen vor Eigennutz, das aus dem großen Reservoir der Gottesliebe kommt, die fürwahr die Quelle und der Ursprung des Lebens ist;

  4. Liebe und Dienen führen natürlich zu Ahimsa oder Nichtschädigen, auch in Gedanken und Worten, von Taten ganz zu schweigen;

  5. Wahrhaftigkeit, die sich als ein natürlicher Höhepunkt aus dem bereits Gesagten ergibt, denn dann beginnt man, zu sich selbst wahr zu sein. Über die Wahrhaftigkeit oder Wahre Lebensweise sagt Guru Nanak: Die Wahrheit ist höher als alles andere, aber noch höher ist die Wahre Lebensweise.

Dies sind also die fünf Haupttugenden oder fünf Aspekte ethischen Lebens, und sie bahnen vor allem anderen den Weg zu Gott. In Seinen Seligpreisungen spricht Christus nachdrücklich von ihnen, denn Er Selbst war eine Verkörperung der Reinheit, Liebe und Wahrheit.

Nehmen wir an, ihr würdet sagen, dass ihr die höheren Spirituellen Ebenen erreicht habt, dass ihr das Sprachrohr Gottes seid, besitzt aber die Eigenschaften eines gewöhnlichen Menschen – wie könnte euch dann irgendjemand glauben?

Darum erklärt Nanak:

Die Wahre Lebensweise steht noch höher.

Wahre Lebensweise ist die Grundlage, um Spirituelle Erfahrungen zu haben, wie sie in den Schriften aufgezeichnet sind.

Alle früheren Meister waren die Kinder des Lichts. Wenn immer Sie kamen, brachten Sie das Licht der ganzen Welt. Sie waren nicht für eine Nation, für ein Land, für die eine oder andere Religionsgemeinschaft gekommen, sondern für die ganze Menschheit, um sie in die Heimat Ihres Vaters zurückzuführen. Alles, was Sie auf dem Gottesweg als hilfreich erkannten, zeichneten Sie in Ihren Schriften auf.

Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben,

sagte Jesus.

Wir haben all diese Schriften. Sie sind wahr und enthalten die Erfahrungen von der Wahrheit, die diese Meister in Ihrem Leben hatten. Wenn ihr sie genau untersucht, werdet ihr feststellen, dass sich Ihre Gedanken gleichen und stellenweise sogar die Worte ähnlich sind. Natürlich gebrauchten Sie verschiedene Sprachen, aber der Sinn war derselbe.

Wir müssen diese Schriften oder Heiligen Bücher verstehen. Aber wie? Das können wir nur zu den Füßen Derer, Die dieselben Erfahrungen hatten, wie sie in den Schriften beschrieben werden. Nehmt an, einige Leute kommen aus dem Ausland, um Philadelphia zu besuchen. In ihre verschiedenen Länder zurückgekehrt, berichten sie in ihrer jeweiligen Sprache, was sie gesehen haben. Wenn ihr nun die Berichte lest, wird euch auffallen, dass sie in den Grundzügen übereinstimmen; aber in gewissen Dingen können hinsichtlich der Einzelheiten Unterschiede bestehen – der eine gibt die vollständige Beschreibung einer bestimmten Sache, der andere lässt die Einzelheiten völlig weg. Wenn ihr Philadelphia selbst gesehen habt, werdet ihr in den verschiedenen Angaben keinerlei Widersprüche finden. Ist das nicht der Fall, werdet ihr vielleicht verwirrt, bestürzt und außer Stande sein, die Abweichungen der verschiedenen Berichte miteinander in Einklang zu bringen.

Ähnlich sind die uns verfügbaren Schriften Schilderungen der Reisen Jener, Welche den Inneren Weg gegangen sind, und Die berichten, wie Sie Sich über das Körperbewusstsein erhoben haben, was Sie auf dem Weg erfuhren, was Ihnen dabei half und was Ihren Fortschritt verzögerte. Die Beschreibung all dessen findet sich in den Heiligen Schriften. So weiß der Mensch, Der Selbst den Gottespfad beschritten hat, wovon diese sprechen, und Er kann sie uns erklären, indem Er in logische Übereinstimmung bringt, was den Neulingen auf dem Weg, die noch nicht gelernt haben, tiefer in den Sinn der Dinge einzudringen, als widersprüchlich erscheinen mag.