Der natürlichste Weg

III

Wir beschränken uns die ganze Zeit über auf den physischen Körper und befassen uns nur mit ihm. Aber wir müssen die Wahre Heimat erreichen, die Heimat unseres Vaters. Wir müssen zuerst über das physische Bewusstsein gelangen. Von dort aus beginnt die lange Heimreise.

Der Weg ist schmal,

aber wenn ihr einmal auf ihn gestellt seid, müsst ihr ihn immer weiter gehen.

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Es gibt viele Ebenen und Unterebenen im Reich Gottes, die ihr eine nach der anderen zu durchqueren habt, ehe ihr eure Heimat erreicht. Das ist in der Tat das Letzte Ziel des menschlichen Lebens, und all unser Streben muss auf dieses gerichtet sein. Es bedeutet nicht, dass wir unsere Alltagspflichten vernachlässigen sollten. Es heißt nur, dass wir aus unserer Selbstgefälligkeit erwachen und nach und nach versuchen müssen, uns zur Wirklichkeit der Dinge zu erheben und dem Erkennen des Selbst in uns Zeit zu widmen. Dies kann unabhängig davon getan werden, wo wir sind, was wir sind, zu welcher Religion wir uns bekennen; vorausgesetzt natürlich, dass wir von einem Wirklichen Adepten auf diesem Gebiet die rechte Anleitung und geeignete Führung bekommen.

Das ist der Punkt, den Kabir in Seinem Gespräch mit den Pandits aufgriff:

Meine Freunde, ihr denkt, dass ihr Gott erreichen werdet, nur weil ihr Hindus seid. Aber das ist nicht genug.

Zweifellos ist Treue zu einer bestimmten Religion kein Hindernis, um ins Reich Gottes zu kommen. Alle Religionsgemeinschaften sind an und für sich gut und dienen auf ihre Weise einem sinnvollen Zweck. Doch jeder muss seine Erlösung selbst erarbeiten, kein anderer kann dies stellvertretend für ihn tun. Das Höchste Ziel, das alle Religionen anstreben, ist die Erlösung; aber die Mittel zur Erlösung liegen im Innern. Wir müssen den Weg zurück zu Gott beschreiten, und dieser Weg ist ein und derselbe für die ganze Menschheit – der Weg des Todes im Leben.

Alle Meister der Vergangenheit sprachen von diesem Weg, dem Weg sich einwärts zu wenden und nach Innen zu gehen. Wenn wir auf ihm fortschreiten und lernen, willentlich zu sterben – hundertmal am Tag wie es Kabir ausdrückt, oder mit den Worten eines christlichen Heiligen: Ich sterbe täglich, kann uns der Tod nicht schrecken, und wir werden nicht überrascht, wenn er kommt, und nicht im letzten Augenblick verloren gehen, sondern lächelnd die sterbliche Hülle ablegen und wie gewohnt weitergehen.

Sant Kabir erklärte dem Pandit außerdem:

Ich sage den Leuten, dass sie in der Welt bleiben und sich in die Einöde begeben sollen. Ich sage ihnen nur, dass sie dem Leben mutig ins Auge sehen und den Kampf auf sich nehmen müssen. Darum rate ich: Erhaltet euren Körper gesund, denn er ist der Wahre Tempel Gottes. Sorgt für eure Familie, denn sie ist euch durch Gottes Gnade gegeben worden. Kümmert euch um sie. Gott wohnt in jedem Herzen. Liebt eure Familie, alle Religionsgemeinschaften, ja die ganze Menschheit. Dies meine ich, wenn ich sage: ,Bleibt in der Welt, und seid doch nicht von ihr.‘

Von wo gehen unsere Bindungen aus? Sie haben ihren Ursprung im Körper. Wir sind so sehr an ihn gefesselt, dass wir unser Wahres Selbst nicht unterscheiden können. Wenn wir ihn ganz plötzlich verlassen müssen, fühlen wir uns verloren.

Daher sagt Kabir:

Bleibt in der Welt; aber geht ein ins Reich Gottes, seht das Licht Gottes, indem ihr das Dritte Auge oder Einzelauge im Innern öffnet. Wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt, erkennt ihr, dass dieser physische Körper nichts als Erde ist, ein Klumpen Lehm.

Denn du bist Staub und sollst wieder zu Staub werden. Ihr seid dann Innen vom Körper abgeschnitten und folglich von der äußeren Umwelt. Ihr werdet in der Welt und doch nicht von ihr sein.

Der Heilige Kabir vergleicht ein solches Leben mit dem des majestätischen Schwans, der im Wasser lebt, zum Flug ansetzt und sich völlig trocken in die Lüfte erhebt.

Nanak spricht davon wie folgt:

So sollten wir in der Welt leben und doch außerhalb von ihr.

Aber wir sind ganz und gar an den Körper gebunden. Wir kennen nichts, was über dieses Leben hinausgeht. Wir sagen: 'Jetzt und fortan, esst, trinkt und seid fröhlich, denn dieses Leben ist alles in allem.'

Manchmal müssen die Meister die Wahrheit, so bitter sie auch klingen mag, in einer sehr deutlichen Sprache sagen, denn Sie haben Liebe für die Menschheit und möchten, dass alle das Ziel erreichen.

Erinnert ihr euch, was Christus zu den Geldwechslern sagte, als Er den Tempel betrat?

Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.

Ähnlich sagte Kabir zu dem Pandit:

O gelehrter Mann! Du bist wie ein Mädchen, das keinen Ehegemahl hat und dennoch umherläuft und anderen Leuten erzählt, dass sie ihnen etwas mitteilen kann, was sie jedoch ihr ganzes Leben lang nicht kennengelernt hat. Du versuchst nur, durch hochtönende Worte und Heuchelei auf ihre Gefühle einzuwirken. Aber wie kannst du ihnen die Wirklichkeit zeigen, wenn du sie nicht selbst gesehen hast? Wenn du Gott sehen willst, dann komm und folge mir.

Tatsache ist, dass jene, die Gott nicht selbst gesehen haben, andere nicht sehend machen können. Wenn ihr eigenes Inneres Auge noch nicht geöffnet ist und sie das Licht Gottes nicht im Innern wahrnehmen, wie können sie die Augen anderer öffnen oder das Licht Gottes offenbaren?

Kabir sagte dem gelehrten Mann weiter:

Du hast dein Leben vergeudet und den Zweck des Lebens verfehlt. Der menschliche Körper nimmt den höchsten Rang in der ganzen Schöpfung ein. Er wurde dir gegeben, um dich selbst zu erkennen und Gott zu erkennen. Diese günstige Gelegenheit hast du versäumt. Du täuscht nicht nur dich selber, sondern auch all jene, die zu dir kommen. Hättest du dich auf dich selbst beschränkt, wäre es viel besser gewesen; denn dann hättest nur du das Spiel des Lebens verloren und nicht andere dahin gebracht, das ihre gleichfalls zu verlieren. Du hast niemals geheiratet – wie kannst du anderen sagen, was Ehe ist? Du hast deine Möglichkeiten verspielt; warum sie auch den anderen nehmen? Weshalb lässt du sie ihre goldene Gelegenheit vertun?

In den Upanishaden wird von König Janaka, einem Wahrheitssucher, Folgendes erzählt.

Er ließ alle Weisen seiner Zeit zusammenkommen und sagte: Meine lieben Freunde, ich möchte den Weg zurück zu Gott kennenlernen. Könnt ihr mich seine Theorie lehren, da die Theorie der Praxis vorausgeht?

Es wird berichtet, dass ein gewisser Yagyavalkya, ein Rishi, den König in dieser Hinsicht zufrieden stellte. Er erhielt den Preis, der für diesen Zweck ausgesetzt worden war. Aber dann fragte ein anderer Weiser, Gargi, der die Wahrheit erkannt hatte, Yagyavalkya: Höre, o Rishi hast du die Wahrheit, von der du gesprochen und die du so trefflich erläutert hast, mit eigenen Augen gesehen, genauso, wie du das Vieh auf der Weide grasen siehst? Und was antwortete dieser? Yagyavalkya, wahr zu sich selbst, gab ohne Zögern zu: Nein, ich habe nur die Theorie verstanden; ich selbst bin kein Mensch der Verwirklichung. Natürlich musste Janaka woanders nach der praktischen Lösung der Frage suchen.