Wie kann man dem Meister vollkommen ergeben sein

Frage: Meister, was hindert uns am meisten daran, Dir vollkommen ergeben zu sein?

Kirpal Singh: Es fehlt die tiefe Leidenschaft. Es fehlt das vorherrschende Verlangen.

Frage: Es fehlt das vorherrschende Verlangen?

Kirpal Singh: Das ist alles. Wenn ihr ein leidenschaftliches Verlangen hegt, dann kann euer Gemüt nirgendwo anders hingehen. Dann werdet ihr euch bemühen, euch von außen zurückzuziehen und eure ganze Aufmerksamkeit auf etwas Höheres zu richten. Jetzt seid ihr mit der Welt eins, wie ich es euch gerade sagte, mit der Welt fest verbunden, wie Bilder, die sich nicht von der Wand lösen können. Gemälde an einer Wand können nicht abgehängt werden. Ähnlich fühlt ihr euch mit dem Körper und der Umgebung so sehr eins, dass ihr euch nicht vorstellen könnt, euch von ihnen zu lösen. Diese Aufgabe wird durch die regelmäßige Konzentration in der Meditation bewältigt.

Von Geburt an haben wir durch unsere Augen, unsere Ohren und alle anderen nach außen gerichteten Sinne Eindrücke aufgenommen. Achtzig Prozent dieser Eindrücke kommen durch die Augen und vierzehn Prozent durch die Ohren. Wir identifizieren uns also mit diesen Eindrücken so stark, dass wir uns nicht von außen zurückziehen können. Sie sind in uns eingepflanzt. Wenn ihr ganz und gar im Äußeren, in der Welt aufgeht, könnt ihr euch nicht loslösen. Der Meister vermittelt euch die Erfahrung, wie man sich eine Zeitlang über den Körper erhebt. Bemüht euch, diesen Zustand durch regelmäßiges Üben wiederzuerlangen, dann könnt ihr euch eines Tages willentlich zurückziehen. Gegenwärtig ist es schwierig, denn wir sind mit den äußeren Dingen verhaftet und identifizieren uns mit ihnen. Wir wissen, dass wir nicht der Körper sind, sondern den Körper „haben“. Vom Zustand her wisst ihr, dass ihr nicht der Körper seid, aber könnt ihr euch von ihm zurückziehen? Das ist es, was man in der Meditation lernen muss.

Stellt euch vor, dass ein Seidentuch über einen Dornenbusch ausgebreitet ist. Wenn ihr es wegzieht, wird es zerreißen. Wenn ihr euch aber in täglicher Übung bemüht, das Tuch langsam von den Dornen zu lösen, mag das am ersten Tag längere Zeit in Anspruch nehmen, aber nach einer Woche oder zehn Tagen kann es schneller abgenommen werden, und schließlich geht es ganz einfach.

Das ist es, was Konzentration bedeutet. Sie ist für denjenigen, der Übung darin hat, keine Zauberei. Er hat es erreicht. Der andere aber wundert sich, wie das möglich war. Durch regelmäßige Übung! Deshalb heißt es: „Jeder Heilige hat seine Vergangenheit, und jeder Sünder hat eine Zukunft.“ Dem Meistern sind diese Dinge klar. Als Guru Amar Das zu Seinem Meister kam, erhielt Er die bewusste Verbindung zu Gott in Seinem Inneren. – Wisst ihr, wie man mit der Gotteskraft im Inneren in Verbindung kommt? Zieht eure Aufmerksamkeit vollständig von außen zurück, von den Sinnen, vom Gemüt, vom Intellekt und vom Körper! – Guru Amar Das also sagte: „Ich war einst wie ihr, ertrunken im Abgrund der Sinne, im giftigen Wasser der nach außen gerichteten Kräfte. Seit die Gnade Gottes durch einen menschlichen Pol zu uns herabstieg, haben wir uns darüber erhoben. Nun haben wir diesen Zustand überschritten, aber einst waren wir wie ihr, das ist alles.“ Es besteht also für jeden Hoffnung.

Für einen Menschen, der nur mit den weltlichen Dingen verbunden ist, ist es schwierig, sich zu konzentrieren. Schließt euch in das Kämmerlein eures Körpers ein! Schritt für Schritt. Dann zieht euch auch vom Körper zurück. Das bedeutet, regelmäßig zu üben. Wenn ihr euch vollständig vom Körper zurückziehen könnt, werdet ihr es nicht spüren, wenn ihr euch wehtut. Man erreicht das durch regelmäßige Praxis. Wenn ihr den Körper täglich willentlich und nach Belieben verlasst, dann ist der Stachel des Todes nicht mehr vorhanden. Wird ein Seidentuch, das über einem Dornenbusch liegt, auf einmal weggezogen, zerreißt es. Deshalb ist es angesichts des Todes schwierig, den Körper zu verlassen. Wir identifizieren uns mit ihm. Wir müssen es soweit bringen, dass wir nicht mehr an das Äußere denken und uns einen Weg nach oben freilegen. Weil sich der Mensch eine Gewohnheit geschaffen hat und diese Gewohnheit zu seiner Natur geworden ist, kann er sich nicht zurückziehen. Daher ist regelmäßige Übung erforderlich.

Ihr habt dies sicher in eurem täglichen Leben bereits praktisch erfahren: Wenn euch jemand ruft, und ihr seid gerade in Gedanken versunken, dann hört ihr ihn nicht. Warum? Weil eure Aufmerksamkeit nicht in euren Ohren ist. Durch regelmäßige Übung könnt ihr euch vollständig vom Körper zurückziehen. Sollt ihr dann eine Spritze bekommen, sagt ihr: „In Ordnung.“ Ihr zieht eure Aufmerksamkeit zurück. „In Ordnung, geben sie mit die Spritze!“ Ihr spürt zwar den Schmerz, aber natürlich weniger. Könnt ihr euch vollständig zurückziehen, gibt es keinen Schmerz. Dafür ist Übung erforderlich. Einige haben einen entsprechenden Hintergrund, schön und gut; andere müssen sich anstrengen. Sich selbst für den Körper zu halten, ist das schlimmste Verbrechen. Täglich lassen wir unsere Identifizierung mit der Welt und dem Körper stärker werden. In euch befindet sich eine neue Welt! Die äußere Welt besteht nur aus unserer ganz und gar oberflächlichen Art zu leben.

Gott ist vollkommene Aufmerksamkeit, versteht ihr? Aufmerksamkeit ist die Kraft, Die die gesamte Maschinerie des menschlichen Körpers in Gang hält. Was geschieht, wenn ihr eure ganze Aufmerksamkeit vom Körper außen zurückzieht? Die gesamte Maschinerie steht still. Das ABC der Spiritualität beginnt, wenn ihr euch über den Körper erhebt. Wo die Philosophien der Welt enden, dort beginnt die Religion. Worauf stützen sich die Philosophien? Auf die Sinne, das Gemüt oder den Intellekt, das ist alles. Bis zu einer gewissen Ebene hat der Verstand bestimmte Dinge zu begreifen, aber nicht darüber hinaus. Ihr müsst wiedergeboren werden. Alle Meister lehren das. Eines Tages müsst ihr den Körper verlassen. Warum nicht versuchen, ihn jetzt zu verlassen? Lernt zu sterben, damit ihr zu leben beginnen könnt und ein Ewiges Leben habt! Spiritualität beginnt also, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt. Dort beginnt das ABC. Eure äußeren Merkmale lassen erkennen, ob ihr Hindu oder Christ seid, ob ihr aus dem Osten oder dem Westen stammt. Es geht aber um euch als Bewusstes Wesen, nicht um den Körper. Zwischen den Hindus und den Moslems herrschte in den Zeiten von Kabir und Guru Nanak großer Fanatismus. Es war ein Kampf bis aufs Schwert. Dann kam der Augenblick, wo ein Meister (Guru Nanak) die Erde besuchte. Auf der Stelle sagte Er zu ihnen: „Schaut, ich bin weder Hindu noch Moslem, denn Gott oder Allah – ganz gleich wen ihr anbetet – ist Derselbe.“

Wir werden alle auf dieselbe Weise geboren. Keiner ist höher oder niedriger. Unsere Seelen sind alle Tropfen aus dem Meer des Allbewusstseins. Alle sind Brüder und Schwestern in Gott. Guru Nanak wurde aber gefragt: „Du trägst die äußeren Merkmale eines Hindus. Sag uns, wer du bist, sprich!“ Er antwortete: „Wenn ich sagen würde, ich trage das Etikett eines Hindus, würdet ihr mich schlagen, mich töten, selbst wenn ich ein Moslem wäre, wie ihr.“ Dann fügte er hinzu: „Um euch die Wahrheit zu sagen: Ich bin ein Bewusstes Wesen, das durch diesen Menschenkörper wirkt. Der Körper besteht aus fünf Elementen. Ich bin das Bewusstsein, das diesen Körper bewegt. Diese Kraft ist weder Hindu noch Moslem; diese Kraft ist die Gottheit.“ Wahre Einheit beginnt dort. Sie besteht bereits, aber wir haben sie vergessen. Als Menschen sind wir eins. Wir wurden mit denselben Privilegien Gottes geboren. Als Seelen sind wir alle Bewusste Wesen, Tropfen aus dem Ozean der Allbewusstheit, Brüder und Schwestern in Gott. Die Kraft, Die uns lenkt, wird mit verschiedenen Namen angerufen. Wir haben diese Einheit vergessen. Überlegt einmal, dass wir alle auf die gleiche Weise geboren werden, dass wir alle Geschwister in der Familie Gottes sind, dass wir dieselbe Kraft verehren! Wenn ihr keinen Unterschied feststellen könnt, glaubt ihr dann, dass ihr imstande wärt, irgend jemanden zu verletzen?

Die erste Voraussetzung auf dem Weg zurück zu Gott ist niemanden zu quälen, die Gefühle anderer nicht zu verletzen. Die Meister sagen: „Wenn ihr Gott finden wollt, dann verletzt niemandes Gefühle!“ Gedanken sind sehr mächtig, versteht ihr! Wenn ihr euch auf diese Weise auf den Pfad begebt, wird alles andere nachfolgen. Wir vergeuden aber unser Leben. Es ist doch alles nur ein Traum, eine Rolle, die wir zu spielen haben! Im letzten Augenblick erkennt der Mensch dies und sagt: „O mein Gott! Was habe ich nur getan?“ Was kann man darauf erwidern? Es hat keinen Sinn zu klagen, wenn die Milch bereits verschüttet ist. Was kann man dann noch tun? Erst dann, in diesem Augenblick wird der Mensch ein Bewusster Mitarbeiter jenes Göttlichen Planes, dem wir alle unterliegen. Wir können diese Kraft jetzt kennen lernen, wenn wir uns über den physischen Körper erheben. Wozu seid ihr hier im Ashram? Nur zu diesem Zweck! Je mehr Nutzen ihr aus eurem Aufenthalt zieht, desto besser. Deshalb schärfe ich euch allen ein, keine Zeit mit müßigem Gerede, mit Geschwätz und diesem und jenem zu vergeuden. Setzt für eure Meditationen so viel Zeit ein, wie ihr nur könnt, oder für etwas, das sie fördert! Schon durch Ausstrahlung werdet ihr von denen beeinflusst, in deren Gesellschaft ihr seid. Es ist besser, in gar keiner Gesellschaft zu sein, wenn nicht in Gesellschaft von jemandem, der sich auch auf dem Weg befindet oder von jemandem, der weiter entwickelt ist.

Die allerwichtigste Aufgabe, die vor uns liegt, ist uns zu erkennen. Der Meister gibt euch einen Vorgeschmack davon, indem Er euer Selbst eine Weile vom Körper zurückzieht, euch zeigt, dass ihr nicht der Körper seid, und euch einen kurzen Blick in das Jenseits werfen lässt. Er öffnet euer Inneres Auge, damit ihr das Licht Gottes sehen könnt, und öffnet euer Inneres Ohr, mit dem ihr die Stimme Gottes, die Musik der Sphären hört. Durch regelmäßiges Üben, bei dem ihr täglich kommt und geht, genießt ihr die ganze Herrlichkeit und Schönheit, die in euch liegt. Dann werdet ihr schließlich freudig heimkehren.

Die Welt hat Angst davor, aber ihr werdet sehr vergnügt sein, wenn ihr geht. Deshalb dränge ich euch, mehr Zeit einzusetzen. Nützt eure Zeit auf beste Weise, solange ihr hier (im Ashram) seid! Zuhause habt ihr nicht so viel Zeit zu eurer freien Vergnügung. Dort habt ihr hundert und noch eine Sache zu erledigen, sowohl körperlich als auch gesellschaftlich. Dort sind im Umgang mit euren Kindern und anderen, mit denen ihr zusammenkommt, Handeln und Reaktion karmisch.

Dies also ist eine ganz persönliche Aufgabe, die privateste Pflicht, die wir zu erfüllen haben; und wir sagen, wir hätten keine Zeit dafür! Wir schieben sie immer auf. Heute kam eine alte Frau zu mir – im allerletzten Augenblick. (Siehe Anfang) Sie sagte: „Ich sehe, ich habe mein Leben vergeudet.“ Sie hat recht. Es ist höchste Zeit, versteht ihr! Im menschlichen Körper haben wir so viel freie Zeit zur Verfügung.

Wenn ihr nach Hause zurückkehrt, werden alle hinter euch her sein, beim Satsang und vielen anderen Angelegenheiten dies oder jenes zu tun. Jetzt aber seid ihr völlig frei. Aber was macht ihr? Ihr setzt euch zwar hin, aber ihr denkt an die Vergangenheit, denkt an die Zukunft und macht Pläne. Vergangenheit und Zukunft rauben uns die meiste Zeit, den größten Teil unserer Zeit. Diese beiden Gespenster fressen sich in euren Lebensnerv. Vergesst die Vergangenheit, denkt nicht an die Zukunft, lebt in der lebendigen Gegenwart! Wenn der nächste Tag kommt, werdet ihr sehen, was er bringt. Wenn ihr hier seid, dann widmet euch voll und ganz dem Zweck, zu dem ihr hier seid. Mehr ist nicht erforderlich, damit ihr, wenn ihr zurückfahrt, wisst, dass ihr Fortschritte gemacht habt. Brecht die Verbindung mit allem Äußeren vollständig ab, um euch über das Körperbewusstsein zu erheben! Das ist der Wahre Weg zurück zu Gott, und er liegt in euch.

Wir müssen es lernen – ob wir dazu einen Tag, einen Monat, ein Jahr oder ein Leben brauchen. Das ist alles. Wer es gelernt hat, ist der weiseste Mensch, selbst wenn er in den Augen der anderen ein absoluter Durchschnittsmensch ist. Entwickelt euer eigenes Selbst! Dazu braucht ihr niemand anderen. Habt Mitleid mit eurem eigenen Selbst; das wird euch vom Kommen und Gehen erlösen. Das sind selbstverständliche Wahrheiten, die euch dargelegt werden. Wir besitzen einen Körper, und wir müssen ihn verlassen. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Der Körper des Menschen ist der höchste in der gesamten Schöpfung. Er ist die goldene Gelegenheit für euch Gott zu erkennen. Um Gott zu erkennen, müssen wir zuerst unser Selbst erkennen. Solange unsere Selbsterkenntnis auf der Ebene von Gefühlen, Emotionen oder Schlussfolgerungen erfolgt, unterliegt sie dem Irrtum. Sehen steht über allem. Es bedeutet, durch das Loslösen des Selbst sich selbst zu erkennen, indem wir uns über das Körperbewusstsein erheben. Zu Füßen eines Meisters kann man einen Einblick in dieses Selbst erhalten. Er zeigt euch für eine Weile den Weg nach oben. Das ist unsere Aufgabe im menschlichen Körper. Nur in diesem Körper, den ihr bereits habt, könnt ihr das tun, in keinem anderen. Wie weit euch das gelungen ist, könnt nur ihr selbst beurteilen. Deshalb betone ich immer: Lasst euch nicht ziellos umhertreiben!

Wenn wir eine Zeitlang unsere Bemühungen für ein und dieselbe Sache einsetzen, bleibt der Erfolg nicht aus. Graben wir aber auf der Suche nach Wasser hier ein Loch zwei Fuß, dort vier Fuß, wieder eins sechs und andere fünf und sieben Fuß tief, haben wir eine Menge Gruben, aber kein Wasser. Grabt ihr aber an einem Loch immer weiter, stoßt ihr auch auf Wasser, das ist alles. Und dann noch etwas: Was ihr heute erledigen könnt, solltet ihr nie auf morgen verschieben! Aufschub ist der Dieb der Zeit. Das sage ich, weil wir bis jetzt soviel Zeit verloren haben und immer noch mehr hinausschieben. Jetzt habt ihr erfahren, was eure Wahre Arbeit, eure persönliche Pflicht, eure private Aufgabe ist, nämlich das Selbst zu erkennen und Gott zu erkennen! Zu diesem Zweck seid ihr hier. Bemüht euch also, für diese Arbeit mehr Zeit einzusetzen, das ist alles, was ich sagen kann. Diese Arbeit müssen wir selbst tun – für unser Selbst. Niemand kann das für jemanden anderen tun. Andere geben euch einen Anstoß, das ist in Ordnung. Kommt aus eurer Täuschung heraus! Ihr befindet euch in einer großen Täuschung und arbeitet auf der Ebene der Sinne. Nun gut, Gott segne euch!