Keuschheit und Vergebung

I

Das Höchste Ideal des menschlichen Lebens ist die Gottverwirklichung. Religionen wurden geschaffen, um die Lehren großer Seelen, die Erleuchtung erlangt hatten, der Vergessenheit zu entreißen. Sie hinterließen einen Bericht ihrer persönlichen Erfahrungen, um der Nachwelt Führung zu geben. Übereinstimmend haben sie gesagt, dass Gott allmächtig ist. Was immer wir um uns herum wahrnehmen, ist zweifellos Seine Offenbarung. Es stellt sich jedoch die Frage, wie man Ihn sehen kann.

Im Jap Ji finden wir:

Das Wort des Herrn durchdringt alles, es gibt keinen Ort, wo es nicht ist.

Der Gurbani sagt uns:

Wir haben einen Schimmer von Gott gesehen.

Man kann Gott nur erfahren, wenn man sich zu Seiner überbewussten Höhe erhebt. Obwohl die Atmosphäre voller Mikroben ist, sieht sie das bloße Auge nicht. Bedeutet dies, dass nichts in der Luft ist? Wir können durch ein Mikroskop Tausende winziger Objekte sehen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder muss man alles, was sich in der Luft befindet, vergrößern, damit es sichtbar wird, oder unser Sehvermögen sollte so fein werden, dass wir diese winzigen Keime klar erkennen. Folglich ist es uns unmöglich, den so sehr Subtilen und Unbeschreiblichen Herrn mit unseren physischen Augen wahrzunehmen. Wenn wir fähig sind, das Überbewusstsein und die Subtilität Seiner Ebene zu erlangen, können wir eine Erfahrung von Ihm haben. Es kommt darauf an, das Dritte Auge zu entwickeln. Wer kann das Innere Auge öffnen? Nur die Gnade des Meisters vermag es.

Im Gurbani finden wir:

Durch die Gnade eines Gottmenschen wird man den Tempel des Herrn im Innern schauen.

Der menschliche Körper ist der Tempel Gottes. Um das Überbewusstsein zu erreichen, muss man sich von allen physischen Bindungen freimachen. Solange wir mit äußeren Dingen identifiziert bleiben, können wir keine feinstoffliche Form annehmen.

Tulsi Sahib sagt:

Der Herr wohnt in uns, aber wir bleiben unwissend. Verflucht ist ein solches Leben.

Auch wenn man das menschliche Leben erhalten hat, doch Er im Innern nicht offenbart wird, ist es ein großes Unglück, weil wir diese Aufgabe nur im menschlichen Leben erfüllen können.

O Tulsi, die ganze Welt leidet am grauen Star.

Die Ärzte geben den Patienten, die an grauem Star leiden, nicht das Sehvermögen wieder. Sie entfernen nur das dünne Häutchen, welches die Pupille des Auges bedeckt. Ähnlich ist der Herr in uns. Er ist die uns überwachende Kraft. Das ganze Universum ist Seine Manifestation. Er kann Innerlich erkannt werden, nicht jedoch, ehe unser feinstoffliches Auge imstande ist, die Innere Dunkelheit zu durchdringen.

Tulsi Sahib und Shamas-i-Tabrez haben beide dasselbe gesagt:

Seht den Herrn mit eigenen Augen, und hört Seine Ewige Musik mit eigenen Ohren.

Wenn wir die Dunkelheit Innen durchbrechen, können wir das Göttliche Licht erfahren. Tulsi Sahib erklärt, dass es ohne die Hilfe eines Vollendeten Meisters nicht gelingt, das Dunkel zu durchdringen. Darin liegt die Größe einer Meister-Seele, dass Sie dieses zerstreuen und uns die Innere Erfahrung des Göttlichen Lichts geben kann. Es ist möglich, wenn unsere Aufmerksamkeit von außen zurückgezogen ist und wir uns über das Körperbewusstsein erheben. Dies ist nicht leicht. Trotz jahrelanger Meditation konnten frühere Weise und Seher nicht immer die Erfahrung (des Göttlichen Lichts) erhalten. Sie praktizierten für gewöhnlich „Kumbhak“ (Hatha-Yoga-Übung), und wenn sie durch die sechs Körperzentren gegangen waren, hatten sie eine kleine Innere Erfahrung zwischen den beiden Augenbrauen. Diese Übung erfordert Hunderte von Jahren.

Soami Ji hat deutlich gemacht:

Nur der Allmächtige Meister kann die Seele emporziehen. Er allein kann uns aus dem Gefängnis des Vergessens befreien.

Wer kann sich über das Körperbewusstsein erheben? Einer, der ungebunden und nicht durch Sinnesfreuden gefesselt ist. Ein solcher Mensch allein hat keine Mühe, nach Innen zu gehen. Ethisch und rein zu leben ist darum sehr wesentlich. Selbst wenn der Meister durch Seine Gnade jemanden, dessen Leben nicht rein ist, über das Körperbewusstsein erhebt, wird dieser nicht in der Lage sein, dem standzuhalten. Es ist sonnenklar, dass zwei Hindernisse am meisten im Wege stehen: leidenschaftliche Wünsche und Ärger. Keusch zu leben ist nicht genug. Wir müssen alle Wünsche überwinden. Im Ärger fließt die Seele hinaus. Sich gehen lassen und Ärger führen zu verschiedenen anderen Lastern. Solange diese zwei Feinde nicht als Erstes diszipliniert sind, lassen sich die anderen, wie Gier, Verhaftetsein und Selbstsucht, nicht unter Kontrolle bringen. Wer all diese fünf Feinde erfolgreich besiegt, ist frei von Leiden. Die Sinne nehmen ihre Kraft aus dem Gemüt und das Gemüt aus der Seele. Wenn unsere Aufmerksamkeit am Sitz der Seele gesammelt ist, werden die Sinne machtlos.

Heilige zeigen uns den Weg zurück zu Gott durch den Surat Shabd Yoga. Wo ist der Sitz der Seele im Körper? Beim Tod, nachdem sie die niederen Regionen verlassen hat, zieht sich die Seele hinter die beiden Augenbrauen zurück. Jeder, dem es gelingt, während des Lebens die Sinnesströme an diesem Punkt zu sammeln, kann sein Inneres Auge öffnen. Aber dies ist nur durch die Gnade eines Vollendeten Lebenden Meisters möglich. Zuerst hilft Er uns, die Aufmerksamkeit von äußeren weltlichen Dingen, mit denen sie identifiziert ist, wegzubringen. In diesem Körper, dem Tempel Gottes, wohnen sowohl wir als auch die uns kontrollierende Kraft. Der Meister hat alle Macht, die Seele über die Sinnesebene zu ihrem Sitz zu heben. Er öffnet das Innere Auge. Dadurch erhält der Spirituell Strebende eine Ersthand-Erfahrung und braucht keinen weiteren Beweis.

Ehe ich nicht die Wahrheit mit eigenen Augen sehe, kann ich nicht völlig von dem überzeugt sein, was der Meister sagt,

sagt uns der Gurbani sehr deutlich.

Ehe nicht die Sinne kontrolliert, das Gemüt beruhigt und auch der Verstand ausgeglichen ist, kann sich die Seele nicht selbst erkennen. Der Gyan-Yoga wird nicht viel helfen. Wir ziehen lediglich Schlussfolgerungen, um Wissen zu erwerben. Aber das Wahre Wissen muss erfahren werden. Nur ein Adept, Der eine Ersthand-Erfahrung hatte, kann euch eine Kostprobe davon geben. Desgleichen kann euch nur Jemand, in Dem das Göttliche Licht offenbart ist, Licht zeigen. Intellektuelle und religiöse Prediger können diese Arbeit nicht tun. Eine echte Innere Erfahrung erhält man nur durch die Gnade eines wahrhaft Kompetenten Meisters. Indem Er Seinen eigenen Lebensimpuls überträgt, stellt Er uns auf den Spirituellen Pfad und verbindet uns dann mit der Gotteskraft. Wer die Sinne bezwungen hat, macht sich der Göttlichen Gnade würdig.