Erinnerungen von Daniela K.

Seitdem ich mich zurückerinnern kann, war die Gewissheit in mir verankert, dass eine höhere Kraft existiert, die der Ursprung und gleichzeitig die Essenz von allem Erschaffenen wie Nichterschaffenen ist.

Als Kind lebte ich wie selbstverständlich in dieser Gewissheit, jedoch als Jugendliche begann eine Sehnsucht in mir aufzusteigen. Ich wollte ergründen, was diese Kraft ist und wie Sie zu erkennen sei. Ich spürte, dass all mein Tun ohne Sinn sein würde, sollte ich nicht das Prinzip, das hinter allem steht, erkennen.

Dann, eines Abends im Sommer – ich war dabei, für die Schule zu lernen – blickte ich aus dem Fenster. Draußen schwirrten tausende Eintagsfliegen herum und genossen ihr physisches Dasein. Wie kurz es doch war! In diesem Moment wurde mir etwas bewusst, und ich erschrak darüber zutiefst: Wenn ein Mensch nicht den höheren Sinn seines Seins erkennt und auch lebt – geht es ihm dann nicht genauso? Er wird sonst geboren, lebt, eingewebt in sein Schicksal, nach seinem Gusto so gut er es kann, nur um schließlich wieder zu sterben1.

Drei Jahre vergingen nach dieser Erkenntnis, als ich eines Nachts ein einschneidendes Erlebnis hatte, das ich zu dieser Zeit noch nicht recht einzuordnen wusste. Doch eins war mir damals voll und ganz bewusst: es war kein Traum, sondern etwas Reales. Inmitten eines feuerroten Gebirges, das in das unbeschreiblich rötlich-leuchtende Licht der Abendsonne eingehüllt war, erschien mir in Übergröße ein Mann, mit gekreuzten Beinen sitzend, Der mich mit unendlicher Liebe ansah und Seine Hand nach mir ausstreckte. Er sagte Komm!, ohne es auszusprechen und ein noch nie empfundenes Glücksgefühl überkam mich. Ohne eine Sekunde der Verzögerung packte ich im Innern meinen Koffer, denn mein Flug würde in einer halben Stunde gehen, ich hatte zehn Minuten Zeit. Als ich dann fragte, ob ich noch jemanden mitnehmen könne, der mir sehr nahe stand, wurde mir gesagt, dass dafür keine Zeit mehr bestünde2. So trat ich meine Innere Reise an.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich noch durch und durch von dem mich nachts durchströmten Glück gefesselt. Genauso wie es unbeschreiblich war, war es auch unerklärbar für mich. Doch ich wusste, wenn der Innere Mensch bereit ist, erscheint ihm Gott, denn der Allmächtige sucht nach dem, der nach Ihm ruft. Damals wusste ich noch nicht, dass ähnliche Erfahrungen hundertfach, ja sogar tausendfach auch von anderen Menschen erlebt werden.

Zu meinem Kummer wusste ich nicht, wer der mir Erschienene war, noch wusste ich Seinen Namen, doch war mir intuitiv klar, dass es sich um Indien handeln musste. Noch in dieser Annahme, glaubend, dass ich meinen Meister im Äußeren finden könne, begab ich mich in das indologische Institut der Universität Leipzig.

Dort beschrieb ich einer Professorin die Gebirgslandschaft aus meiner Vision, hoffend, sie, die schon durch ganz Indien gereist war, könne mir sagen, wo dieser Ort liegt. Leider kannte sie kein solches Gebirge und lieh mir Bücher von allen möglichen Weisen und Sehern Indiens3. Doch in keinem der Abbildungen der Bücher erkannte ich meinen Meister. Also malte ich mir aus, in Indien zu studieren und damit die Möglichkeit zu haben, Ihn zu suchen. Ich hatte keinen Zweifel, dass ich Ihn irgendwie schon finden würde.

Ich organisierte mir ein Visum nach Indien und benötigte nur noch eine geeignete Universität, um mein geplantes Studium in Indien beginnen zu können. Während dieser Recherche wurde mir empfohlen, eine Heilpraktikerin in Leipzig um Rat zu fragen, die selbst viele Jahre in Indien gelebt hatte und dort karitativ tätig gewesen war. Auf diesem Wege lernte ich sie kennen. Bei einem zweiten Besuch in privater Atmosphäre besprach ich bei einem indischen Chai, Tee, mit ihrem Ehemann dieses und jenes, auch unterhielten wir uns über Spiritualität und was sie ist. Als ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ, blieb dieser plötzlich an einem Foto an der Wand hängen, das Kirpal Singh zeigte ohne Turban und Ihn genau so wiedergab, wie Er mir Wochen zuvor erstmalig in der mir zuteil werdenden Vision erschienen war. An jenem Tag erfuhr ich, dass mein geliebter Vater aller Kirpal war und wie ich feststellte, Seine Kraft wirkte, obwohl Er physisch nicht mehr lebte. Wie ich später erfuhr, sagte Kirpal Selbst, dass Fotos der Erinnerung und der Wiedererkennung dienen und an jenem Tage durfte ich mich erinnern4.

Nun musste ich nicht mehr weiter im Äußeren nach Kirpal suchen, ich bekam die Garantie, Ihn in meinem Inneren zu finden.

Die Reise der Seele findet tatsächlich im Innern statt. Die Frage, die sich jeder stellen muss, ist, was man im Leben möchte. Selbst wenn man von der Wahrheit erfährt, muss man sich doch bewusst für sie entscheiden, so wie man in einen Zug einsteigen muss, wenn man die Reise antreten möchte.

Jeder kann zum Meister gehen. Das führt aber nicht zur Lösung, wenn man den Shabd nicht übt.

Adi Granth

Kirpal ist mein Reisebegleiter sowie auch mein Ziel, denn es besteht kein Unterschied zwischen der Kraft, die man Kirpal nennt und dem Allmächtigen Selbst. Ich hatte mich für den Allmächtigen entschieden und alles, was ich über den Aufbau der Welt und das Leben zu wissen glaubte, fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen, es war wie ein dichter Schleier, der von mir abfiel. Das Geschenk, das mir Kirpal bei meiner Initiation machte, waren das Innere Licht und der Innere Ton oder Shabd oder das Wort.

Je länger und intensiver ich auf den Tonstrom lausche, desto mehr berauscht Er mich, lässt mich Raum und Zeit vergessen und zieht die Seele zum Augenbrennpunkt und von dort nach oben aus dem Körper, um die Inneren Bereiche zu betreten und in Begleitung der Meisterkraft zu durchwandern. Kirpal hat einmal den Tonstrom als süßes Elixier beschrieben und so ist es tatsächlich, wenn man sich praktisch diesen Inneren Klängen hingibt. Worte lassen das, was sie beschreiben sollen, nur erahnen, solange man nicht die praktische Erfahrung hat.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich dankbar bestätigen, dass die verschiedenen Lichter, wie unter anderem Gelb, Weiß oder Gold, im Innern sichtbar sind, ebenso die Inneren Töne wie die Glocke oder die Flöte von rechts zu hören sind und die Seele weiter nach oben geleiten, um nach Hause zu gehen. Es gibt in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen den Menschen.

Ein Teil meiner Familie gehört der katholischen Kirche an. Wenn ich als Kind sonntags mit meiner Großmutter in die Kirche ging, konnte ich eine Gemeinsamkeit der Menschen dort erkennen: Sie erinnerten sich daran, dass es eine höhere Kraft gab. Allerdings hatte niemand direkt Kontakt mit dieser Kraft, aus den unterschiedlichsten Gründen, sei es, dass der Wunsch danach nicht im Herzen flammte, das Vertrauen in die Versprechungen nach dem Tode gelegt wurde oder Rituale als Ersatz akzeptiert wurden. Heute weiß ich, dass dort die Wahre Freiheit des Menschen beginnt, wenn nichts mehr zwischen ihm und dem Allmächtigen steht. Diese Freiheit kann nur durch die Praxis des Heiligen Wortes – Licht und Ton, das Geburtsrecht eines jeden Menschen – erlangt werden.

Daniela K.

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Erläuterung: 1) Jahre später, nachdem ich die Initiation empfangen hatte, zeigte mir Kirpal, dass die ganze Schöpfung eine Prozession Gottes ist, die man auch als Wahre Evolution bezeichnen könnte; denn nachdem die Seele im Menschen zu Beginn durch ihr Fehlverhalten in niedere Formen wie der Pflanzen- oder Tierwelt abgefallen war, vollzieht sich die Entwicklung eines jeden Lebewesens schrittweise wieder zurück zum Menschen. Und die Entwicklung des Menschen wieder zurück zu Gott. Darin liegt der Segen und die Chance unseres menschlichen Daseins. 2) Später zeigte mir Kirpal, dass jeder allein gehen muss, dass Gott nur die Seele allein will, ohne Körper, ohne Gemüt, Intellekt und Ego, ohne Familie, ohne Freunde, ohne Besitz, nur die Seele allein und dass selbst keine Zeit mehr ist, sich umzudrehen oder zu verweilen. 3) Wie ich später nach meiner Initiation erfahren sollte, war das feuerrote Gebirge aus meiner Vision ein Teil der Inneren Bereiche, welche die Seele durchwandern muss. 4) Im Nachhinein entsann ich mich weiterhin, dass ich nach meinem ersten Treffen in den Räumlichkeiten jener Heilpraktikerin vor Freude die Straße entlang hüpfte, ohne mir im geringsten den Grund dafür erklären zu können. Später las ich wiederum in Schriften Kirpals, wie Er sinngemäß sagte, wir würden vor Freude wie die Kinder hüpfen, wüssten wir, wie viel Liebe Er für uns hat.