III

Der ideale Mensch

Der Mensch ist im Grunde genommen ein Gemeinschaftswesen. Er ist in der Gemeinschaft geboren und kann ohne die Gemeinschaft nicht leben. Darum mischen Sich die Meister-Seelen nicht in ihre soziale Lebensführung oder in ihr religiöses Leben ein. Sie raten uns, innerhalb des Rahmens der sozialen Ordnung, in der wir geboren sind und zu der wir gehören, ein Leben der Reinheit und Keuschheit zu führen und nicht unsere menschliche Natur, die wir als heiliges Gut von Gott bekommen haben, zu entmenschlichen. Die äußeren Unterschiede in der Erscheinung und Lebensweise, ob sozial oder religiös, sollten das innere Leben im Menschen nicht berühren oder stören, da es in den Tiefen des menschlichen Herzens dasselbe ist. Sie befassen sich nachdrücklich mit dem Menschen als Menschen (dem Einzelwesen im Gegensatz zum Gemeinschaftswesen) und suchen ihm die Wichtigkeit einzuprägen, Eigenschaften zu bilden, die ihn zu einem idealen Menschen machen, der voll der Liebe zu Gott als dem Vater und zu Seinen Geschöpfen als seinen Brüdern ist. Sie sagen, der Mensch sollte einer ehrenhaften Arbeit nachgehen, um sich selbst und seiner Familie ein ehrbares Leben zu sichern, und er soll alle empfindenden Wesen lieben und sie in liebevollem Mitgefühl behandeln.

Der Mensch ist das Höchste und die Krone der ganzen Schöpfung. Er ist eine verkörperte Seele. Vom Standpunkt des Körpers aus muss er so leben und handeln, wie es ein idealer Mensch tun würde, wie auch vom Gesichtspunkt des Geistes aus, der im Wesen dasselbe ist wie Gott.

Kabir sagt:

Die Seele ist vom selben Wesen wie Gott.

Er muss die Gottheit oder Gottes Licht offenbaren.

Deshalb erklärte Christus:

Und das Licht (des Geistes) scheinet in der Finsternis (Körper), und die Finsternis hat's nicht begriffen.

Johannes 1:5

So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Lukas 11:35

Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Matthäus 5:48

Der Mensch und Gott sind völlig ineinander eingebettet. Deshalb ist es die Pflicht des Menschen, Gottes Licht um sich her auszustrahlen. Gott ist die Seele seiner Seele, und sein Körper ist wahrhaft der Tempel Gottes. Ohne das Licht seines Lebens ist der Mensch nur eine Schale ohne Kern, ohne Nutzen und wertlos, gerade recht, um eingeäschert oder ins Grab gelegt zu werden.

Der Mensch ist verkörperte Wahrheit, denn die Wahrheit ist tatsächlich sein Leben. Wie kann der Mensch ohne das Licht der Wahrheit leben?

Wieder:

Gott spricht durch einen Menschlichen Pol, wie könnte Er ohne einen solchen Pol sprechen?

Hazrat Attaar, ein großer islamischer Gottergebener, sagt:

O Mensch! Du bist der Mittelpunkt der Schöpfung. Der Makrokosmos ist in der Tat im Mikrokosmos deines Körpers. Du bist das lebendige Buch Gottes, denn in dir und durch dich allein spricht Gott und enthüllt Sich Selbst.

Würde sich der Mensch um die verborgene Gottheit kümmern und sie offenbar und zu einem wirklich praktischen Alltagsprinzip machen, dann würde diese irdische Welt, die voller Übel ist, ein wahrhafter Garten Eden, Mukam-i-Haq oder Sach Khand werden. Dann würde Sein Reich auf Erden kommen, so wie es im Himmel ist, um das die Christen und andere täglich so inbrünstig beten.

Es liegt deshalb an uns, diese Welt in ein wahrhaftiges Land der Frommen zu verwandeln, das von Menschen bevölkert wird, die ausschließlich menschliche Instinkte in sich tragen, ungetrübt durch Gefühle des Hasses und der Feindseligkeit, Stolz und Vorurteil, unzugänglich für satanische Einflüsse und tierische Leidenschaften, welche die Menschen zur Stufe des Tieres erniedrigen. Es würde dann ein Land freier und liebender Menschen werden, in dem jeder die Rechte des anderen respektiert, wo es keine Gerichte gibt, die Streitigkeiten entscheiden, noch Polizei, um den Frieden zu wahren, oder Armeen, die vor Angriffen zu schützen hätten. Die Bewohner der Welt würden dann lebendige Verkörperungen des Lebens und der Liebe Gottes sein, die frei und furchtlos und in reine Frömmigkeit gekleidet in himmlischem Licht im Land der Gottesfürchtigen und Reinen (Pakistan) und der wirklich Rechtschaffenen (Khalistan) wandelten. Das Ideal der Heiligen ist es nicht, die Welt zu entvölkern, sondern sie zu zivilisieren.

Einziges Ideal für den Menschen ist es, vollkommen und vollendet zu sein. Dies würde ihn unterscheiden vom abgeschnittenen, verstümmelten und verkümmerten Menschen, der überhaupt nichts von der ihm innewohnenden Gottheit weiß, zerrissen wie er ist durch kleinliche Eifersüchteleien, Habsucht, Gier, Unaufrichtigkeit, Feindschaft, Gegenbeschuldigungen und alle Arten von Lastern, tatsächlich eine Wohnstatt des Satans, wie es gegenwärtig ist.

Der Heilige Paulus sagt:

Ihr seid vollkommen in der Gottheit.

Jede Religion empfiehlt die Verehrung vollendeter Wesen, die Eins mit Gott sind. In der Bhagavad-Gita wird gesagt, dass die Wurzeln der Schöpfung im Himmel liegen, ihre Zweige aber genauso weit wie die Erde reichen. So liegt der Fall beim Menschen. Seine Wurzeln sind in die Gottheit eingepflanzt, doch er selbst bewegt sich auf Erden. Hinter diesem offenbaren Bewusstsein, das in der Welt wirkt, liegt das ganze Geheimnis der motorischen Kraft – des großen Dynamo, ohne den dieses äußere Bewusstsein nicht wirksam sein kann. Dieses äußeren Meeres des Bewusstseins werden wir nur insoweit inne, als es auf der Ebene der Sinne wirkt, aber der größere Teil davon liegt an der Wurzel oder dem Zentrum der Seele im Augenbrennpunkt innen verborgen, über das wir nicht das Geringste wissen. So ist es kein Wunder, dass die Meister auf die Selbsterkenntnis besonderen Nachdruck legten und einschärften, dass man vor allem anderen etwas über sein bewusstes Selbst wissen sollte.

Von Zeit zu Zeit kommen Meister-Seelen in die Welt und legen ihr die fundamentale Wahrheit vom idealen Menschsein dar, (die besagt) dass man allumfassende Perfektion erlangen muss.

Erkenne dich selbst,

war immer ihr Slogan und ein fester Aufruf an die Gesellschaft, die gänzlich durchdrungen ist von Unwissenheit und tot für die höheren spirituellen Kräfte, die ungenutzt in ihr schlummern. Gnothi seauton war ebenso ein Teil des Glaubensgrundsatzes bei den alten Griechen wie Nosce te ipsum bei den alten Lateinern.

Ihr Ruf war stets:

Erwache, erhebe dich und ruhe nicht, bis das Ziel erreicht ist.

Alle zehn Sikh-Gurus, von Guru Nanak bis hin zu Guru Gobind Singh, legten vor der indischen Gesellschaft das Ideal eines Sikh (ein wahrer Schüler) und eines Khalsa (der Reine) dar, welche selbstlosen Dienst an der Menschlichkeit leisten, geboren aus aufrichtiger Liebe für die Menschheit.

Jene bilden den Grundfels des geistigen Lebens und beleben die latente spirituelle Sehnsucht im Menschen, indem sie ihn allmählich befreien von der Engstirnigkeit und dem Sinn für falschen Stolz.

Die Moslems gaben der Welt den idealen Menschen in Gestalt eines Momin und die Christen in Form des Puritaners. Alle Meister-Seelen haben die Notwendigkeit der Entwicklung des höchsten Ideals im Menschen betont, das ihn weit über die Ebene der Sinne, auf die Stufe eines Übermenschen erheben sollte.

Iqbal, ein großer Urdu- Dichter des Punjab, sagte:

Moses ging zum Berg Sinai, um Zeuge der Glorie Gottes zu werden, denn er war sich des großen Mysteriums im Innern nicht bewusst. O du Sucher nach Wahrheit, suche einen Vollendeten Menschen – weil auch Gott einen sucht, der Ihn wahrhaftig in der Welt offenbaren kann.

Alle Schriften und alle Weltlehrer haben die Größe des Menschen hervorgehoben, da er ungeheure Entwicklungs- möglichkeiten in sich hat, die er, so er will, in jedem beliebigen Ausmaß entfalten kann und die zur Gottheit führen. Macht und Reichtum der Welt sind nichts im Vergleich zu den spirituellen Schätzen, die in seinem Innern liegen, während er in Unwissenheit wie ein Bettler umherstreift, um nach Kieselsteinen zu suchen, und am Ende für diesen Plunder sein kostbares Leben verschleudert.

Ruskin sagte ebenfalls:

Es gibt keinen Reichtum außer dem Leben, es schließt alle Kräfte der Liebe, Freude und Bewunderung ein. Das Land ist das reichste, welches die größte Anzahl edler und glücklicher Menschen nährt. Der Mensch ist der reichste, der die Obliegenheiten seines Lebens bis zum äußersten erfüllt hat und darüber hinaus den weitreichendsten wohltätigen Einfluss auf das Leben anderer hat – sowohl durch seine Person als auch durch das, was er besitzt.