II / (iii)

Gedenken an Gott

An Gott zu denken ist das Wichtigste, um den Weg zurück zu Gott zu finden. Der Zweck aller hingebungsvollen Übungen, der Andachtsstätten und Pilgerfahrten ist der gleiche. Der menschliche Körper ist der wahre Tempel Gottes.

Es gibt ein und nur ein einziges allgemeines Ziel bei den verschiedenen Formen der Hingabe, wie sie in den einzelnen Schriften vorgeschrieben werden, nämlich: wie man Gott lieben und Ihn verwirklichen soll. Die vielen Verfasser der Schriften in den verschiedenen Himmelsgegenden und zu unterschiedlichen Zeiten, haben alle auf ihre eigene Weise auf den Pfad, der zu Gott führt, hingewiesen. Man kann es mit dem Bogenschießen vergleichen, an welchem viele Bogenschützen teilnehmen und ihre Pfeile auf das gemeinsame Ziel abschießen.

Ein indischer Heiliger sagt:

Jeder spricht auf seine eigene Art von seinem eigenen Geliebten. O Rajab, das Ziel ist eins, doch der Bogenschützen gibt es unzählige.

Im Koran (Surat Nahal – 5. Raku) heißt es, dass von Zeit zu Zeit verschiedene Arten der Verehrung durch von Gott gesandte Meister-Seelen eingeführt wurden, Die den Bedürfnissen des jeweiligen Zeitalters, in dem Sie lebten, angepasst waren.

Omar Khayyam, ein großer Sufi-Dichter sagte:

Tempel und Moscheen oder Kirchen und Synagogen dienen alle der Anbetung Gottes. Der Gong und das Muschelhorn bringen darin fortwährend hinreißende Töne der Musik des Lebens hervor. Die Bogen in den Moscheen, das Kreuz in den Kirchen, der Altar in den Tempeln und die Gebetsschnur in den Synagogen sind nur verschiedene Symbole für die Verehrung des Göttlichen Geliebten.

Gott kann aber selbst in den heiligen Stätten der Verehrung nicht erkannt werden, und es hat dabei nichts zu sagen, welches ihre Bezeichnung ist. Um Ihn zu erkennen, muss man in das Laboratorium des menschlichen Körpers eintreten, der im wahrsten Sinne des Wortes der Tempel Gottes ist. Wirkliche Verehrung und Hingabe ist ein rein innerlicher und geistiger Vorgang, ohne eine Beziehung zu und unabhängig von irgend etwas, das außerhalb des menschlichen Körpers liegt. Reinheit des Herzens ist alles, was dazu gebraucht wird. Mit einer ethischen Grundhaltung kann man Gott überall unter dem blauen Himmel anbeten, denn die ganze Welt ist ein gewaltiger Tempel Gottes, und es gibt tatsächlich keinen Ort ohne Ihn, einschließlich der besonderen Orte der Anbetung, wie oben beschrieben. Wo immer man in Demut und Hingabe kniet, dieser Ort wird geheiligt.

Im heiligen Koran (Albakar) heißt es ferner:

Das ganze Universum ist Sein eigen. Man wende sich hin, wo immer man will, sei es Osten oder Westen, stets sieht man sich Gott gegenüber, denn Er ist allgegenwärtig und allwissend.

Wieder ist gesagt:

Für die Unwissenden lebt Gott nur in Tempeln, Kirchen und Moscheen, die von Menschen erbaut sind; aber die wirklich Erwachten finden Ihn nur in ihrem Innern – in dem von Gott geschaffenen Tempel, dem menschlichen Körper.

Al-Nisaee Sahib sagt:

Für mich ist die ganze Welt eine heilige Moschee; wo immer die für das Gebet festgesetzte Zeit naht, können meine Anhänger ihre Gebete verrichten.

Und weiter:

Alles ist heilig, wo man in Hingabe kniet.

H.O. Wendell

Maghrabi Sahib erklärt:

Dein Geliebter ist in dir, doch du weißt nichts davon und gehst von einem Ort zum anderen, um Ihn zu finden. In eine Moschee zu gehen, um den zu suchen, der die Seele deiner Seele ist, ist nur traurige Zeitvergeudung. Der Unwissende verbeugt sich vor der Moschee, während der Weise sein Herz reinigt, das der Thron Gottes ist.

Das Erstere ist nur trügerischer Schein und das Letztere tatsächlich die Wahrheit.

Die wahre Kaaba oder der Altar zur Verehrung ist deshalb der Satguru – eine Persönlichkeit, in der das Licht Gottes leuchtet.

Tulsi Sahib sagt:

Wehe dir, o Bewohner der von Gott geschaffenen Moschee, denn du gehst in den von Menschen gebauten Tempel, um anzubeten.

Und auch Kabir Sahib kündet:

Als Kabir auf Pilgerfahrt nach Mekka ging, begegnete Ihm Gott auf Seinem Weg, tadelte Ihn und fragte streng, wer Ihm gesagt habe, dass Er dort sei und nicht hier.

Guru Amar Das sagte:

Dieser Körper ist der wahrhaftige Tempel Gottes; und in ihm allein scheint Gottes Licht.

Guru Amar Das, Parbhati M3

Christus legte ebenso dar:

Wisset ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?

1. Korinther 3:16

Und nochmals:

Ihr aber seid der Tempel des Lebendigen Gottes.

2. Korinther 6:16

Mit ähnlichen Worten sagt Hafiz von Shiraz:

Der Grund, dass ich in den Tempel oder die Moschee gehe, ist, mich mit Dir, o Gott, zu vereinen. Außer diesem ist kein anderer Gedanke dabei.

Und wieder tut er kund:

Sagt nicht, die Kaaba sei besser als ein Tempel. In der Tat ist der Ort allein der beste, an dem man die Glorie seines Geliebten bezeugen kann.

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs legt dar:

Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Dera und einer Moschee, Puja (eine Art der Verehrung bei den Hindus) und Namaz (mohammedanische Form des Gebets), da beide demselben Zweck dienen. Die ganze Menschheit ist ein und dasselbe, und der Gedanke einer Verschiedenheit ist nur ein Märchen. Derselbe Gott hat Engel und Geister erschaffen, wie auch Türken und Hindus, und in der Tat Menschen aller Arten. Der äußere Unterschied bei den Menschen ist die Folge von physiologischen Bedingungen, die in den verschiedenen Teilen der Welt vorherrschen. Doch sie alle sind nach demselben Vorbild geschaffen und haben gleiche Ohren, Augen, Körper; ihr physisches Kleid besteht aus fünf Elementen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Der Allah der Moslems und der Alekh der Hindus sind Namen der gleichen Wesenheit. Die Puranas und der Koran sprechen allein von Ihm.

Alle auf der Erde existierenden Religionen weisen auf dieselbe Realität hin. In allen Schriften ist gesagt, dass die Suche nach Ihm in der äußeren Welt nutzlos sei und es nur durch die Gnade eines Meisters oder des Gurus geschieht, dass Gott Sich im Innern offenbart. Alle Orte der Verehrung, welche es auch immer sind, bestehen aus Erde und Wasser. Wenn Gott allgegenwärtig ist, warum sollte man Ihn dann nur in Tempeln und Moscheen suchen? Er ist wirklich in uns; ja, Er ist die Seele unserer Seele, und wir leben und haben unser Sein in Ihm. Diese Wahrheit beginnt jedoch nur zu dämmern, wenn ein Sant Satguru (eine Meister-Seele) uns eine wirkliche Erfahrung davon vermittelt.

Wohin soll ich gehen, wenn ich Seine Glorie im Innern sehe? Das in Ihm gesättigte Gemüt ist nicht zerstreut. Weil ich eines Tages sehr gequält wurde, bereitete ich Sandelpaste und ging zu Brahmas Stätte, als der Meister mich wissen ließ, dass Er im Innersten meines Herzens wohne.

Wohin ich auch immer gehe, sehe ich Häuser aus Wasser und Lehm. Und doch erkenne ich Dich in allem in Fülle. Ich suchte Dich in den Veden und in den Puranas, doch alle Schriften wiederholen das gleiche. Warum soll ich anderswo suchen, da Du doch hier bist?

O Satguru! Ich möchte mich Dir zu Deinen Füßen opfern, denn Du hast mich von allen Täuschungen errettet und alle Bande zerbrochen. Ramanand lebt und ruht nun in Brahma; des Meisters Wort brennt Myriaden Karmas zu Asche.

Basant Ramanand

Guru Arjan sagte:

Manche nennen Ihn Rama und andere Khuda; wieder andere Gossain oder Allah. Er ist der Karan und Karim oder auch der Kirpa Dhar Rahim. Er ist der Schöpfer, Der voller Barmherzigkeit auf die ganze Welt blickt. Manche baden in heiligen Flüssen, während andere eine Pilgerfahrt nach Mekka machen. Die einen beten Ihn an, und die anderen beugen ihr Haupt in schweigender Verehrung. Manche vertiefen sich in das Studium der Veden, und weitere lesen die heiligen Bücher anderer Religionen. Die einen tragen weiße Kleidung und die anderen blaue. Die einen nennt man Hindus und die anderen Türken. Doch, o Nanak, einer, der Seinen Willen erkannt hat (indem er Sein bewusster Mitarbeiter wurde), der allein kennt das Mysterium Gottes.

Guru Arjan, Ramkali M5

Die heilige Lehre der Hindus ist in Sanskrit oder Hindi geschrieben, und die der Moslems in Arabisch oder Persisch. Der Guru Granth Sahib der Sikhs wurde in Punjabi und die Bibel der Christen in Hebräisch, Griechisch, Lateinisch und Englisch verfasst. Die verschiedenen Auslegungen, Kommentare und Anmerkungen sind in den jeweiligen Sprachen wiedergegeben, die zu der einen oder anderen Zeit gesprochen wurden. Alle diese Schriften, ganz gleich in welcher Sprache sie geschrieben sind (denn Sprachen zählen nicht bei Gott), dienen nur dem Zweck, in uns einen Wunsch, ein Verlangen, Sehnen und Liebe zu Gott zu erzeugen. Sie sind nur Mittel und nicht das Ziel, denn Gott ist ein ungeschriebenes Gesetz, und Ihm ist eine ungesprochene Sprache eigen. Sie trotzt allen Zungen, denn keine einzige kann Ihn erreichen. Es gibt keine Sprache, die von besonderem Wert wäre, denn sie ist immer nur ein Ausdrucksmittel, damit man die liebevollen Schilderungen von Gott weitergeben und ihnen lauschen kann, und nichts sonst.

Hafiz sagt so schön:

O Hafiz! In der Liebe gibt es keinen Unterschied zwischen der türkischen, arabischen oder irgendeiner anderen Sprache. Geschichten der Liebe können in jeder Sprache erzählt werden, wie dir bekannt sein dürfte.

Die zahllosen Menschen der verschiedenen Länder sind den vielen Söhnen desselben Vaters vergleichbar oder Blumen aus demselben Garten, wenn auch mit unterschiedlichen Farben und Düften ausgestattet. Wir alle leben im Schoß der gleichen Mutter Natur und unter dem gleichen blauen Himmelsgewölbe; wir haben uns selbst durch kleinliche Vorurteile und Kurzsichtigkeit in so viele religiöse Gliederungen und Gemeinschaften eingeengt. Religion ist, wie das Wort buchstäblich besagt, ein Weg zurück oder eine Rückverbindung mit der Quelle. Statt Befreiung zu bringen, hat sie uns wie der sprichwörtliche Decken-Bär in ihren ehernen Griffen festgehalten, aus denen man sich nicht befreien kann.

Um die sprichwörtliche Redewendung Decken-Bär zu verstehen:

Ein Bär schwamm den Fluss hinunter, als ein Mann, der es vom Ufer aus beobachtete, ihn irrtümlicherweise für eine Decke hielt, ins Wasser sprang, um sie herauszuholen. Als er sie erreichte, entdeckte er seinen Irrtum und wollte zurückschwimmen, doch er konnte es nicht, weil ihn der Bär fest in seinem Griff hielt und ihn nicht losließ. Die Menschen am Ufer riefen ihn zurück, doch er entgegnete, dass ihn der Bär nicht freilasse.

In genau derselben Lage befinden sich die Menschen heutzutage. Die Erwachten lehnen sich gegen diesen traurigen Zustand auf. Wenn die Moschee wie auch der Tempel das Haus Gottes darstellen und durch Gottes Licht erleuchtet werden, warum und wozu dann all der Streit um sie?

Der Zweck der Verehrung im Tempel oder in einer Moschee oder an irgendeinem anderen religiösen Ort ist, den gleichen Geliebten zu finden. Wenn trotz scheinbarer Unterschiede, in Form, Gestalt und Farbe zwei Steine, die man zusammenschlägt, dieselben Funken erzeugen, ist es befremdend, dass zwei verschiedene Verehrer Gottes nicht in der Lage sind, das gleiche Resultat hervorzubringen. Es kommt einfach daher, weil keiner von ihnen die wahre Verehrung verstanden hat.

Alle Religionen haben Selbsterkenntnis und Gottverwirklichung zu ihrem Ideal gemacht, dennoch predigen die Brahmanen und die Sheikhs (die religiösen Häupter der Hindus, Moslems, wie auch die Häupter anderer Glaubensrichtungen) im Namen ihrer Religion Hass und Übelwollen gegeneinander.

Die Einrichtung bezahlter Prediger hat die religiösen Zentren heutzutage in Handelsmärkte verwandelt, die Falschheit, Heuchelei und Betrug auf Lager haben. Wahrheit, Glauben und Hingabe sind sozusagen aus ihnen verbannt. Die wahren Gottliebenden distanzieren sich von solchen Missständen und wollen nichts damit zu tun haben.

Bulleh Shah schildert diese traurige Lage seiner Zeit mit ergreifenden Worten:

Dharamshalas (Orte der Verehrung) dienen als Lagerhäuser für Schwindler und Thakur-Dwaras (Gotteshäuser) als Häuser für Strolche und Betrüger. Moscheen beherbergen erbarmungslose Schlächter, während die wahren Gottliebenden abseits stehen.

Die Saat der Feindschaft und des Hasses zwischen den Menschen werden von solchen gesät, die selbst Opfer großer Unwissenheit sind. Gleich Pandora wissen sie nicht, welchen Schaden sie durch ihre gedankenlosen Äußerungen in der Welt anrichten. Menschen dieser Art werden in den Schriften als Manmukh oder als Sprachrohr des Gemüts bezeichnet, denn sie tun diese Dinge gedankenlos, und ihre Handlungen sind durchdrungen und gesättigt von selbstischer Gier. Ihre Zungen ruhen nicht, sie schneiden tatsächlich überall tiefe Wunden in die edlen Teile der Menschen und spritzen Gift in die Tiefen ihres Gemütes. Wer mit ihnen in Verbindung kommt und ihre Worte aufnimmt, wird nicht nur von ihrer Uneinigkeit und Disharmonie angesteckt, sondern wird, wie ein Jagdhund, blutdürstig nach seinen eigenen Freunden und Verwandten. Die Moslems nennen solche Menschen Kafirs (Ketzer).

Das einzige Ziel solcher Manmukhs (Sklaven des Gemüts) oder Kafirs (Ketzer) ist, sich mit allen Mitteln beliebt zu machen, um zu einem guten Namen zu kommen, und die legitimen Rechte anderer zu untergraben in der Absicht, ihr zu Unrecht erworbenes Gut zu vermehren und Reichtum und Macht zu gewinnen, was ihnen in Wirklichkeit gar nicht zukommt.

Im Gegensatz zum Manmukh oder Kafir gibt es die Gurumukhs (das Sprachrohr des Guru). Sie sind das Urbild der Menschenliebe und ein Kraftquell der Liebe, die das wohltuende Licht der Liebe unter ihren Mitmenschen ausstrahlen. Sie erkennen die wesentliche Einheit der ganzen Menschheit, die in den Urgrund Gottes eingebettet ist. Der Islam nennt solche Menschen Momins.

Sie zollen nicht nur den Propheten des Islam Achtung und Ehrerbietung, sondern den Propheten aller Religionen, deren Namen im Koran erwähnt sind, und auch jenen, die nicht darin genannt werden.

Sie sehen das eigentliche verbindende Glied, das alle durchdringt und richten ihren Blick nicht auf die scheinbaren Unterschiede in unwesentlichen Dingen.