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Die Orte der Riten und Rituale in der Religion

Ihre verschiedenen Formen und ihr Wert

Riten und Rituale wie auch Formalitäten und Formeln spielen in jeder Religion eine wesentliche Rolle. Die Unterschiede in den Riten und Ritualen wie in den Formalitäten und Formeln der einzelnen Religionen werden durch mannigfache Gesichtspunkte bestimmt, wie die klimatischen Gegebenheiten, die in den einzelnen Ländern vorherrschen, und die Lebensweise der Menschen. Nehmen wir zum Beispiel Arabien. Es ist ein Wüstenland. Infolge der Wasserknappheit wird es für den Araber als ausreichend angesehen, nur Gesicht, Hände und Füße zu waschen, bevor er betet und wo gar kein Wasser zur Verfügung steht, reinigt er sich statt dessen mit Sand; das Ritual ist als Tayamun bekannt. Ähnlich wird in Bikaner, einem anderen Wüstenland, im Nordwesten Indiens, in dem Wassermangel herrscht, angenommen, dass sich einer, der mehr als zehn Liter Wasser am Tag verbraucht, seiner Verschwendung wegen vor Gott zu verantworten habe.

Im übrigen Indien und andernorts, wo Wasser in Fülle zu haben ist, würde sich keiner zur Meditation setzen, ohne vorher nach Herzenslust gebadet zu haben. Im Westen betreten die Menschen die Kirchen mit Schuhen an den Füßen und wohnen dem Gottesdienst barhäuptig bei. Dagegen ist es im Osten genau umgekehrt. Der Orientale würde niemals einen Tempel oder Gurdawara (Sikh Tempel) betreten und dem Gottesdienst beiwohnen, ohne seinen Kopf bedeckt und seine Schuhe ausgezogen zu haben. In beiden Fällen ist natürlich das gleiche beabsichtigt, nämlich, am heiligen Ort eine respektvolle und ehrfürchtige Haltung einzunehmen. Infolge der klimatischen Bedingungen, wie das kalte Klima im Westen und das heiße Klima im Osten, wurden in den verschiedenen Teilen der Welt auch verschiedene Formen der Gottesverehrung angenommen.

Alle Riten und Rituale stehen in Wechselbeziehung mit dem menschlichen Körper und sind mehr oder weniger ein Teil der sozialen Gepflogenheiten. Das letzte Ziel ist, in jedem Fall die Sauberkeit und Aufmerksamkeit einerseits sowie die ehrerbietige Haltung andererseits, zu sichern, bevor man in die Gegenwart Gottes kommt. Alle äußeren Formen, die einer annimmt, um das Ziel zu erreichen, sind für Gott unwesentlich. Er liebt Seine Geschöpfe, ungeachtet dessen, wie und auf welche Weise sie zu Ihm kommen, so wie auch ein irdischer Vater seine Kinder liebt, ob sie nun im Prachtkleid oder in Lumpen sind.

Hier erhebt sich natürlicherweise die Frage: Wenn Liebe die universale Religion für die gesamte Menschheit ist, wie konnten sich die Menschen dann in so viele sektiererische und abgetrennte Gruppen aufspalten, trotz der grundlegenden Übereinstimmungen in allen Religionen? Diese Aufspaltung ist auf die Verschiedenheit der Glaubensanschauungen zurückzu-führen, die im Laufe der Zeit starr und unelastisch werden.

Als Guru Nanak nach Mekka reiste und die Anbetung des Höchsten Gottes predigte, bekannten die Moslems, dass zwischen Seinen Lehren und denen des Islam kein Unterschied sei. Darauf erklärte ihnen Guru Nanak, dass Seine Lehren die Absolute Einheit zum Mittelpunkt hätten, während die ihren von Grenzen umgeben seien und deshalb nur eine Relative Einheit darstellten. Er sagte, dass Gott zahllose Propheten und Meister-Seelen in die Welt gesandt habe, um von Zeit zu Zeit die Menschen zu leiten, und dass Er dies auch weiterhin tun werde. Das Gesetz von Bedarf und Versorgung war in der Natur wie auch beim Menschen, immer am Werk und so können der Gotteskraft keine Grenzen gesetzt werden, Mittler und Versöhner in die Welt zu senden.

Auf ähnliche Weise entstanden von Zeit zu Zeit in den verschiedenen Ländern und Himmelsgegenden heilige Lehren und Schriften wie die Veden, der Koran und die Bibel, und es werden immer neue entstehen.

Gott ist unendlich, und der Mensch als endliches Wesen kann unmöglich Seine Absicht und das Wirken Seines Willens erkennen, noch Seine grenzenlosen Eigenschaften hinreichend rühmen. Je näher man Ihm kommt, desto größer erscheint Er in Seiner Glorie und Herrlichkeit, zu tief für das menschliche Fassungsvermögen, um Ihn durchdringen und begreifen zu können. Ein Fisch, der im Meer lebt, kann die Tiefe und das Ausmaß des Meeres nicht erkennen.

Du bist ein allwissendes Meer und ich, eine wertlose Krabbe, kann Deine ungeheuere Größe nicht ergründen.

Guru Nanak, Sri Rag M1

Gott ist unendlich, und alle Vorstellungen der Endlichkeit, die Ihm beigemessen werden, sind ihrer Natur nach begriffliche Widersprüche, denn beide Vorstellungen sind gänzlich unvereinbar miteinander. Er schuf unzählige Brahmas, Vishnus, Shivas, Gorakhs und Naths, Ramas und Krishnas, Buddhas, Christi und Mohammeds. Sie alle waren Fackelträger Seines Lichts, und es werden noch viele mehr kommen, so wie es die Bedürfnisse und Erfordernisse der Zeit verlangen. Da der Mensch begrenzt ist, kann er den Unendlichen und Seine unerforschlichen Wege, mit denen Er Seine Ziele verfolgt, unmöglich erkennen. Je mehr der Mensch in weltlichem Wissen und Gelehrsamkeit fortschreitet, desto mehr entfernt er sich von Ihm, und die Bereiche der Hohen Glorie verblassen in seinen Augen.

Gott ist in der Tat grenzenlos, doch wir begrenzte Wesen versuchen, Ihn in bemessene und beschränkte Begriffe einzuengen, denn solange wir nicht eins mit Ihm werden, können wir Ihn unmöglich erkennen.

Du bist grenzenlos; wie können wir begrenzte Wesen Dich, o Gott, erkennen.

Guru Arjan, Sorath M5