XI

Erfahrung der idealen Religion

Eine Innere Errungenschaft

Für das Experiment der Vereinigung der Seele mit der Überseele muss man das Laboratorium des menschlichen Körpers betreten, wie der Student irgendeiner Wissenschaft den entsprechenden Raum für einen wissenschaftlichen Versuch betritt und alle Türen und Fenster schließt, damit der Lärm und die Unruhe draußen ihn bei seiner Arbeit nicht stören. Auf dem Tisch hat er verschiedene Gegenstände und Instrumente bereitliegen, die alle ganz rein und sauber sind, damit er sie unter der Leitung und Anweisung seines in dieser Wissenschaft erfahrenen Lehrers gebrauchen kann, und so beginnt er mit dem Experiment. Er macht sich mit einer festen Absicht, mit zielbewusster Aufmerksamkeit und aufrichtiger Hingabe an das Werk. Selbst wenn er einmal oder auch zweimal versagt, lässt er sich dadurch in seinem Streben nicht entmutigen, sondern beginnt wieder und wieder von neuem, bis er Erfolg hat. Auf genau dieselbe Weise muss das spirituelle Experiment im menschlichen Körper ausgeführt werden, nachdem alle physischen Sinne ausgeschlossen sind, so dass der Lärm und das Getriebe der Welt nicht eindringen können.

Dieser Prozess des Hineingehens besteht im Zurückziehen der Sinnesströme, indem man sie am Sitz der Seele oder des Bewusstseins, an seinem Zentrum hinter den beiden Augenbrauen konzentriert. Mit anderen Worten muss der Geist, der gegenwärtig den ganzen Körper von oben bis unten durchdringt und mit der Welt identifiziert ist, an einer Stelle gesammelt werden, bis man die Vorstellung, einen Körper zu haben, völlig verliert. Sobald die Aufmerksamkeit nicht mehr nach außen geht, also die Ausgänge geschlossen sind, kann das spirituelle Experiment in Gegenwart einer Meister-Seele beginnen; unter Seiner Führung und Anweisung muss der ganze Prozess mit genauester Aufmerksamkeit und liebender Hingabe ausgeführt werden.

Danach ist man nicht länger ein physisches Wesen, sondern reiner Geist. Das ist auch die strahlende Form des Meisters – der personifizierte Ton – Naam, Shabd, Sruti, Nad, die verborgene Melodie, oder wie man es auch nennen mag. Man kann den Geist nur dann mit dem Ton verbinden, wenn das Gemüt von allen mentalen Schwingungen frei und der Verstand ganz still ist, so dass innen und außen eine friedvolle Ruhe herrscht.

Nur den Körper zu waschen ist von geringem Nutzen. Die innere Sauberkeit muss der äußeren Sauberkeit vorangehen. Erst muss das Gemüt von allen Wünschen, Sehnsüchten, von Zorn, Verhaftetsein und Egoismus gesäubert und gereinigt werden, bevor man mit dem spirituellen Experiment beginnen kann.

Durch äußeres Waschen, ohne das Gemüt im Innern zu reinigen, verliert einer beides, hier und danach; immer gequält durch Lust und Zorn, ist er verwirrt und verloren.

Guru Arjan, Asa M5

Auch der Prophet Mohammed legte großen Nachdruck auf die Reinheit des Herzens. Er sagte, dass Namaz (das Gebet) der Schlüssel zu Jannat (dem Paradies), die Reinheit des Herzens der Schlüssel zu Namaz und Keuschheit mehr als die Hälfte auf dem Pfad gottwärts sei.

Bei Matthäus lesen wir:

Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Doch die innere Sauberkeit wird nicht erlangt, indem man lediglich den Körper wäscht. Der Schmutz am Körper kann durch Wasser entfernt, Flecken können mit Seife ausgewaschen werden, aber das sündige Gemüt wird nur durch die Verbindung mit dem Wort gereinigt.

Deshalb sagt Guru Nanak:

Wenn Hände, Füße und Körper schmutzig sind, werden sie mit Wasser reingewaschen. Wenn die Kleider beschmutzt und fleckig sind, werden sie mit Seife gereinigt. Ist das Gemüt durch die Sünden unrein geworden, kann es nur durch die Verbindung mit dem Wort wieder sauber werden.

Jap Ji, Strophe 20

Wir können uns mit dem Wort verbinden und es praktizieren, wenn wir das innere Bewusstsein mit dem Tonprinzip in Einklang bringen; aber zu diesem Zweck hat man erst das Gemüt und die Sinne zu bezwingen.

Wer die zehn Sinne unter Kontrolle hält, kann das Licht des Himmels sehen.

Guru Arjan, Gauri M5

Der Geist, der dieses Experiment allein ausführen muss, kann nichts tun, solange er völlig im stürmischen Meer der Leidenschaften vertieft ist. Er wird, wie ein leckgeschlagenes Boot ohne Ruder, von den Wellen hin- und hergeworfen und ist hilflos Wind und Wetter ausgesetzt.

Ehe man nicht eine tatsächliche Erfahrung vom Selbst und von Gott erlangt, kann man nicht glauben und kein unerschütterliches Vertrauen in die Existenz Gottes haben. Die Heiligen und Meister-Seelen überschreiten in der Tat die Grenzen der drei Körper – des physischen, astralen und kausalen – und erlangen echte Erfahrung und Verbindung mit der Wirklichkeit im Innern. So sind Sie kompetent, die Menschheit auf den erhabenen Pfad zu Gott zu führen, denn Sie sprechen aus eigener Erfahrung und nicht von dem, was sie vom Hörensagen kennen oder aus sekundärem Wissen, das Sie aus den alten Schriften oder von gelehrten Priestern und Pandits haben.

Hört auf das wahre Zeugnis der Heiligen, denn Sie sagen das, was Sie tatsächlich selbst sehen.

Guru Arjan, Ramkali M5

Gottmenschen verlangen niemals blinden Glauben an Ihre Lehren. Im Gegenteil, Sie erklären laut und vernehmlich:

Glaube nicht eher den Worten eines Meister-Heiligen, bis du eine wirkliche Erfahrung von dem, was Er sagt, gemacht hast.

Solange ich die Wahrheit nicht mit meinen eigenen Augen gesehen habe, kann ich nicht voll überzeugt sein von dem, was der Meister sagt.

Soami Ji

Erst als ich die Wahrheit mit meinen eigenen Augen sah, setzte ich wirklichen Glauben in des Meisters Worte.

Tulsi Sahib

Die Meister-Seelen glauben an das direkte Zeugnis des erfahrenden Geistes. Sie sind wie der Rishi Ashtavakra imstande, Segnungen auf der Stelle zu übermitteln. Meister-Heilige machen keine vagen Versprechungen, die sich erfüllen mögen oder auch nicht, und Sie nähren auch keine trügerischen Hoffnungen, die sich verwirklichen oder auch nicht. Ihre Religion ist eine aus barem und echtem Gold und nicht eine auf bloßen Kredit. Warum soll man sich mit Riten und Ritualen befassen und das Ausüben verdienstlicher Taten beachten in der Hoffnung, sich für später eine ungewisse Belohnung zu sichern? Die menschliche Geburt ist zu kostbar und das menschliche Leben leider zu kurz, um es mit nutzlosen Dingen zu verzetteln, die am Ende doch keine Frucht tragen.