XIII

Der Pfad der Meister

Die einzig Wahre Religion –
Para Vidya oder die Wissenschaft vom Jenseits

Der Mensch kann eine kurze oder eine weite Sicht haben. Der Eine sieht nur das, was gerade vor seiner Nase ist, hingegen vermag ein Anderer in weitentfernte himmlische Regionen einzudringen. Beider Welten sind ganz verschieden. Darum sollten wir nach einem Menschen suchen, Der völlig in der Gottheit begründet und ein bewusster Mitarbeiter Gottes ist. Auf diese Weise können wir in die Lage versetzt werden, durch Ihn Gottes Wege zu erkennen und zu begreifen, und wir haben Zugang zum tatsächlichen Erlebnis der Gottverwirklichung.

Das Wissen von Gott ist eine innere Wissenschaft der Seele und daher bekannt als Para Vidya oder das Wissen vom Jenseits, im Gegensatz zu Apara Vidya, der Erfahrung oder dem Wissen auf der Sinnesebene. Alle wissenschaftliche Erkenntnis in ihrer ungeheuren Reichweite, dem unbegrenzten Ausmaß und den unzähligen Möglichkeiten, hat letzten Endes ihren Ursprung in der physischen, materiellen Welt und bildet nicht die Wurzel des Wissens. Sie vermittelt uns nur Wissen über die materielle Schöpfung und gibt dem Verstand Nahrung, während sich Para Vidya mit dem Schöpfer oder der Wirklichkeit, die allem Geschaffenen zugrunde liegt, befasst und der Seele oder dem Geist Nahrung gibt.

Apara Vidya befasst sich mit den Dingen, die innerhalb des Bereichs der menschlichen Sinne liegen, mit den Gesetzen, die ihre Entwicklung bestimmen, wie diese Gesetze beherrscht und in den Dienst zum Nutzen der Menschheit gezwungen werden können.

Para Vidya hingegen befasst sich mit dem aktiven Lebensprinzip, welches in der Schöpfung wirkt und durch das wir den Lebensimpuls in der ganzen beseelten Schöpfung empfinden. Der Mensch kann eine ganze Menge über die Welt wissen und doch unwissend sein hinsichtlich des fundamentalen und grundlegenden Lebensprinzips, das in ihm wogt und das Leben seines Lebens und die Seele seiner Seele ist. Selbsterkenntnis ist der Schlüssel, der alle Probleme des Lebens löst. Das Wissen von der Welt ist nur von geringem Nutzen, wenn wir nicht wissen, wer wir sind. Gelehrsamkeit und Wissen schärfen den Verstand und erweitern sein Tätigkeitsfeld zu gleich weiter Ausdehnung wie die Schöpfung selbst (wenn es möglich wäre); doch je mehr und je besser sich einer nach außen hin ausdrücken kann, desto weiter ist er vom Ideal des wirklichen Lebens – dem Leben des Geistes – entfernt.

Bu Ali Qualander sagt:

Alles, was wir sehen, ist eine große optische Täuschung, eine bloße Chimäre und eine Fata Morgana, ohne wirkliche Existenz. Alles, was wir wissen, ist große Unwissenheit.

Und Soami Ji erklärt:

Ein Mensch mit Intuition und Verwirklichung ist ein Adept in der inneren Wissenschaft, während ein Gelehrter ein unwissender Tor ist, der unter der drückenden Last der Bücher stöhnt.

Die Wissenschaft kann uns über physische Dinge und ihre Beziehungen zueinander unterrichten, weiß aber gar nichts über die Schöpferische Kraft, die dahinter liegt. Das Ziel des Lebens liegt nicht in bloßem Buchwissen und der Buchgelehrsamkeit, sondern im Erkennen des Lebensprinzips, das in der ganzen Schöpfung wirksam ist: Das Wort, Kalma oder Naam, ganz gleich, welchen Namen wir ihm geben wollen. Wie die Meister-Seelen sagen, findet das wahre Wissen seine Blütezeit und Erfüllung durch die Verbindung mit dem Tonstrom, Shabd oder Nad und nicht lediglich durch das Lesen der Schriften und anderer Bücher.

Die Wissenschaft der Meister ist von jeher, seit undenkbaren Zeiten eine rein innere Wissenschaft. Sie wird Para Vidya genannt, ist ein selbstexistentes Wissen und nicht von irgendeinem anderen Wissen abhängig. Sie ist die älteste, die natürlichste und vollkommenste Wissenschaft, aber sie kann nicht allein aus Büchern entnommen werden. In den Schriften wurde zweifellos der Versuch gemacht, sich mit der spirituellen Wissenschaft möglichst ausführlich zu befassen, aber alle Anstrengungen haben sich als erfolglos erwiesen, da die unendliche Wirklichkeit nicht auf leblose oder trockene Blätter beschränkt bleiben konnte. Es gibt auch nichts im Äußeren, mit dem Sie verglichen werden könnte. Überdies haben die Verfasser mit den beschränkten Worten und dem begrenzten Verstand nicht die Mittel, um Sie angemessen zu beschreiben.

Die Meister-Seelen haben immer äußerste Zurückhaltung von gelehrtem Disput oder philosophischer Polemik angeraten, da die Wirklichkeit weit über dem Bereich der Sinne, des menschlichen Gemüts und des menschlichen Verstandes liegt. Wenn man sich intellektuellen Bestrebungen hingibt, ändert man sein Leben nicht. Sie betonen und bestimmen nachdrücklich:

Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein.

Ihre Lehren sind bares Gold und haben keinen Raum für ein Kreditgeschäft. Sie sind eine praktisch anwendbare Wissenschaft und nicht bloße theoretische Beweisführung.

Man hat erst die Theorie zu erlernen und sagt dann der eigenen Logik Lebewohl, um zu tun und zu sehen, was man erreicht.

Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der Praxis und nicht im Beweisführen und Argumentieren. Lasst alle Diskussionen und Auseinandersetzungen und übt sie aus; dann nehmt die Wahrheit hin.

Soami Ji

In der Mandukya Upanishade wird gesagt, dass einmal ein Mann namens Shounack zu dem Weisen Bhardwaj ging und ihn fragte:

Meister, nennt mir das Wissen, durch welches man allwissend und all-erkennend wird.

Der Weise erwiderte:

O Shounack, die Kenner von Brahm sagen uns, dass es in der Welt zwei Arten von Wissen gibt: Apara Vidya und Para Vidya. Das erstere besteht im Studium der Veden und anderer Schriften, aller physischer Wissenschaften wie Astronomie, Grammatik usw., aber es bringt einen nicht von Angesicht zu Angesicht mit Brahma. Das letztere – Para Vidya – ist das Wissen vom Jenseits, durch welches Brahma, der Unwandelbare Akshahr gefunden werden kann. Es ist ein praktisch anwendbares Wissen und befasst sich mit Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis, die beide über dem Bereich der Sinne, des Gemüts und des Verstandes liegen. Er kann nur durch den reinen Atman oder Geist erkannt werden, nachdem er durch richtige Kontemplation, richtige Konzentration und richtige Meditation die verschiedenen Koshas oder Umhüllungen, von denen er umgeben ist, abgestreift und sich so befreit und tatsächlich den physischen, den feinstofflichen und den kausalen Körper überschritten hat. Während die eine Wissenschaft reine Buchgelehrsamkeit der Welt ist, stellt die andere eine Wissenschaft der Umkehr oder der Zurückziehung des Geistes von der Welt und den weltlichen Dingen und Beziehungen dar, und das ist die Wurzel allen Wissens.