XVI

Der Pfad der Meister

Die drei Praktiken der vorgeschriebenen Methoden

Der Mensch besteht aus drei verschiedenen Seinsformen:

  1. dem physischen Körper, der hauptsächlich aus fester Materie besteht,
  2. dem mentalen Körper, der feinstofflich ist, und
  3. dem kausalen oder Ursachenkörper, welcher die ersten beiden erhält.

Der Geist oder die Seele wirkt durch alle drei Körper. Die verschiedenen Körper sind früher oder später der Auflösung oder Zersetzung unterworfen, während die Seele unzerstörbar ist, eine immer lebende Wesenheit, jenseits des Einflusses von Kal (Zeit) oder Tod. Sie ist ein Funken aus der Göttlichen Schmiede, in welcher der Lebensstrom geschmiedet wird, um die Welt zu formen und sie ins Dasein zu bringen. Der Körper ist der wahrhaftige Tempel Gottes, und dieser Mikrokosmos arbeitet ganz einfach nach den Richtlinien des Makrokosmos.

Der Makrokosmos ist im Mikrokosmos, und wer den Makrokosmos sucht, muss ihn im Mikrokosmos finden.

Dhanasari Peepa

Allein die Wahrheit oder Naam wirkt unmerkbar im Menschen wie im Universum. Gott und Sein Geist sind im Wesen eins. Um Gott zu erkennen, muss man erst das Selbst im Innern erkennen. Ohne Selbsterkenntnis durch Selbstanalyse kann das Erkennen der Einheit weder im Inneren noch Äußeren beginnen. Die mohammedanischen Heiligen sagen ebenfalls, dass Alam-i-Saghir (die kleine Welt) ein Urbild von Alam-i-Kabir (die große Welt) ist.

Der Mensch ist wahrhaft dreimal gesegnet. Er ist das Höchste und die Krone der Schöpfung. Ein vollkommener Mensch zu sein ist die Blüte des menschlichen Daseins.

Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist,

ist einer der Hauptgrundsätze im Christentum.

Kabir sagt, dass der Ergebene wie Gott selbst sein sollte. Diese Vollkommenheit muss daher dreifältig sein: physisch, mental und spirituell. Bis zu einem gewissen Grad liegt das an der eigenen, persönlichen Anstrengung, aber viel hängt auch von der äußeren Hilfe ab. In der Natur bringen die Obstbäume in viel kürzerer Zeit Frucht, wenn sie nach wissenschaftlichen Grundsätzen kultiviert werden, als wenn sie sich selbst überlassen bleiben. Dasselbe Prinzip wirkt mit weit größerer Kraft im Falle von empfindenden, bewussten, menschlichen Wesen. Ein Mensch, der die Hilfe einer Meister-Seele hat, kann viel leichter, viel einfacher und viel schneller spirituellen Erfolg erzielen als ohne Sie. Doch man muss nach der Verbindung und Hilfe eines Vollendeten Meisters suchen, Der nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis der spirituellen Wissenschaft wohlerfahren ist.

Zudem muss ein Aspirant sehr eigen sein hinsichtlich seiner Ernährung, seines Verhaltens und seiner Umwelt, denn all dies übt auf seinen Körper wie auf sein Gemüt einen gewaltigen Einfluss aus. Eine einfache Satwik-Ernährung (die alles Fleisch, Fisch, Geflügel und Eier ausschließt), Enthaltsamkeit von allen Rauschmitteln, von eitler Rede und eitlem Streben, ein vom Zauber der Welt losgelöster Geist, werden darum als Schulungsweg auf dem spirituellen Pfad eingeschärft. Mit diesen Voraussetzungen wird der Sadhak in die Praktiken eingeweiht, die seinem spirituellen Wohlergehen dienlich sind:

  1. Simran, (geladene Wiederholung)
  2. Dhyan, (Spirituelle Kontemplation) und
  3. Dhun Abhyas (Absorption in den Tonstrom).

Unser Gemüt beschäftigt sich gegenwärtig so sehr mit dem Simran der Welt und den weltlichen Dingen, dass wir mit diesen völlig identifiziert sind. Wir wissen nichts darüber, ob wir getrennt von ihnen eine besondere Existenz haben. Wie sehr wir auch immer versuchen mögen, das Gemüt nach innen zu kehren, es gelingt uns nicht. Gedanken an Freunde und Verwandte, an Büroakten und Berichte, an Gerichtshöfe und Gesetzbücher, an Medikamente und Krankheiten, an Gewinn und Verlust, an Lohn und Streik usw. kommen auf den mentalen Bildschirm wie in einem Lichtspieltheater. Um den Geist davon wegzubringen, muss man den Simran der Namen Gottes üben und über etwas anderes meditieren. Deshalb empfehlen die Heiligen für einen Sadhak oder Aspiranten, Simran mit der Zunge des Gedankens zu üben und Dhyan mit dem Auge des Gedankens. Durch diese beiden mentalen Vorgänge wird das Gemüt allmählich das Gleichgewicht erlangen, und seine immer schwankenden Neigungen kommen zur Ruhe. Zuletzt muss man auf die Stimme der Stille hören mit den Ohren des Gedankens.

Shabd oder Naam oder das Wort vibriert unaufhörlich in jedem von uns, denn dadurch leben wir. Die Seele und der Tonstrom sind Eins in der Essenz. In ihm erklingt eine wunderbare Musik, welche die Hydra-köpfige Schlange des Gemüts gefügig macht, wenn sie sie hört. Die Aufmerksamkeit (der Brennpunkt des Geistes), bisher ein Sklave des Gemüts, wird angezogen, gleichgestimmt und von den inneren Klängen der Musik absorbiert. Sie ist nicht länger in der Lage, unter dem Gemüt zu dienen, und die Folge davon ist, dass letzteres hilflos wird und gleich einem ausgenommenen Tierkörper abfällt. Der Geist, auf diese Weise vom Tonstrom aus dem Ozean der physischen Existenz gezogen, verliert seine getrennte Wesenheit und wird Eins mit dem Strom. Wenngleich jemand danach weiter in der Welt lebt, um seine zugeteilte Lebensspanne zu Ende zu bringen, ist er ein Jivan Mukta (ein befreites Wesen oder ein entpersonifizierter Geist). Er ist nicht länger ein gefesselter Sklave des Gemüts und der Sinne, sondern ist nun fest begründet in der Gottheit, sonnt sich immer im Göttlichen Inneren Licht, lauscht der Göttlichen Musik in seiner Seele. Die einzelnen Anweisungen in diesem dreifältigen Atma Sidhi oder der spirituellen Praxis werden vom Meister jedem Sadhak (Aspiranten) zum Zeitpunkt der Initiation gegeben.

Durch Simran und Dhyan werden die Sinnesströme im Körper allmählich gesammelt und auf das Zentrum des Geistes zwischen den beiden Augenbrauen konzentriert. Von hier aus wird der Geist durch den Tonstrom geleitet, und nachdem er die verschiedenen Ebenen überschritten hat, erreicht er seine ursprüngliche Heimat Sach Khand oder Mukam-i-Haq, die der Ursprung und die Quelle des Tonstroms ist.

Das ist Moksha, Nijat, Nirvana oder Erlösung im wahren Sinne des Wortes.