Kirpal Singh / Guru Nanak

Die Spirituellen Ebenen

Ein Auszug aus dem Jap Ji von Guru Nanak

Nanak gibt im Jap Ji einen flüchtigen Überblick über die verschiedenen Spirituellen Bereiche, welche die Seele auf ihrer Heimreise zu durchqueren hat.

Es sind fünf an der Zahl:

  1. Dharm Khand oder der Bereich des Handelns;
  2. Gyan Khand oder der Bereich des Wissens;
  3. Sarm Khand oder der Bereich der Verzückung;
  4. Karm Khand oder der Bereich der Gnade;
  5. Sach Khand oder der Bereich der Wahrheit.

Der erste ist der Bereich von Dharm, den die Seele gänzlich verwirklichen muss, ehe sie sich zur nächsthöheren Spirituellen Ebene, die darüber liegt, erheben kann. Es ist die Stufe, auf der sich die verkörperten Seelen völlig bewusst machen müssen, dass Er es ist, Der die Erscheinungen der Welt mit all ihren unveränderlichen Gesetzen, durch die sie alle gebunden sind, geschaffen hat. Keiner kann dem Gesetz von Ursache und Wirkung entgehen. Was der Mensch sät, das muss er ernten. Niemand ist außerhalb Seines Bereiches. Die Taten des Menschen gehen nach dem Tode mit ihm und werden auf der Waage der Göttlichen Gerechtigkeit gewogen. Diejenigen, die gefehlt haben, werden gemäß ihren Handlungen wieder zurückgeschickt. Das Einzige, das in Seinem Reich annehmbar ist, ist die Verbindung und Praxis mit dem Göttlichen Wort. Jene, welche daran festhalten, werden geehrt.

Strophe XXXIV

Als Er den Tag und die Nacht, die Monate und die Jahreszeiten, das Feuer, den Wind, das Wasser und die niederen Regionen schuf, begründete Er inmitten all dessen die Erde als Dharm Khand oder die Arena des Handelns. Und Er bevölkerte sie mit Geschöpfen vieler Farben und Formen, Geschöpfe, deren Menge nicht zu zählen ist. Alle werden nach ihren Taten beurteilt, denn der Herr ist wahr und makellos Sein Gesetz. Jene, die Ihm wohlgefällig sind, werden geehrt in Seinem Reich, und es ist nur durch Seine Gnade, dass man diese Auszeichnung erfährt. Die Unvollkommenen werden dort1 vollkommen. O Nanak! Es ist dort, wo sich dieses Mysterium enthüllt.

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In dieser Strophe beschreibt Nanak die ungeheure Ausdehnung des Gesichtskreises der Seele, wenn sie Gyan Khand oder die Ebene des Wissens, erlangt. Hier sieht der Ergebene die vielfältige Natur mit all den geschaffenen Dingen. Auf dieser Ebene nimmt Er die bezaubernden Weisen des wohlklingenden Gesangs auf, der in der ganzen Schöpfung widerhallt. Er empfindet eine überwältigende Freude, da er die Natur mit ihren unveränderlichen Gesetzen begreift und ihre Unendlichkeit an Formen und Erscheinungen, an mannigfaltigen Schöpfungen und vielfältigen Segnungen wahrnimmt.

Strophe XXXV

Soviel vom Bereich des Dharma. Und nun zu Gyan Khand, dem Bereich des Wissens:

Zahllos seine Elemente, Luft, Wasser und Feuer, und zahllose Krishnas und Sivas, und zahllos die Brahmas, welche die verschiedenen Schöpfungen gestalten mit zahllosen Formen und zahllosen Farbschattierungen. Zahllos die Handlungsbereiche2, zahllos die goldenen Berge3, und zahllos die Dhrus4 darin meditierend. Zahllos sind die Indras, zahllos die Sonnen und Monde, und zahllos die irdischen und stellaren Regionen; zahllos die Siddhas, die Buddhas, die Naths, und zahllos die Götter und Göttinnen. Zahllos sind die Danus5 und die Weisen, und zahllos die juwelen-besetzten Ozeane. Zahllos die Schöpfungsquellen, zahllos die Harmonien, zahllos jene, die ihnen lauschen, und zahllos die Verehrer des Wortes, endlos und unendlich, o Nanak! ist dieser Bereich.

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Von der Beschreibung Gyan Khands oder dem Bereich des Wissens, geht Nanak weiter zu Sarm Khand oder dem Bereich der Verzückung.

Strophe XXXVI

Göttliche Erkenntnis erleuchtet alles im Bereich des Wissens, während himmlische Symphonien unendliche Musik ertönen lassen, und Freude und Wonne alles überragt.

Als nächstes kommt der Bereich der Verzückung, in dem das Wort bezaubert. Alles dort Geschaffene ist von wunderbarer Seltenheit und jenseits aller Beschreibung. Wer immer ihn zu schildern sucht, hat seine Torheit zu beklagen. Hier werden Gemüt, Vernunft und Verstand vergeistigt, das Selbst kommt zu sich und durchdringt in seiner Entfaltung die Götter und Weisen.

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Im Bereich der Gnade erhebt sich der Mensch über die schwindenden Reize der Erscheinungswelt. Er sieht die ganze Natur ergeben zu Gottes Füßen und Ihm zu Diensten. Sein Wort reinigt die Seele von den Sünden und erweckt die schlummernden Kräfte in ihr. Nicht länger verdunkelt die Materie die Innere Schau. Er sieht, dass der Herr alles durchdringt und wird sich Seiner nunmehr völlig bewusst. Man steht hier dem Wort in seiner reinen Substanz gegenüber. Er erkennt nun sich selbst und seine Wahre Herkunft, denn er sieht sich wesenseins mit Gott.

Zuletzt erreicht die Pilgerseele Sach Khand oder die Wohnstatt der Wahrheit. Hier kommt das vollständige Einssein zu Stande und sie sieht, wie alle Universen nach Seinem Willen in ergebener Ehrfurcht und Verehrung wirken. Selbst der Gedanke an eine solche Schau ist segensreich, doch die Vision selbst ist der Art, dass sie kein Auge je gesehen hat. Das Herz kann sie nicht erfassen und die Zunge kann sie nicht beschreiben.

Strophe XXXVII

Höher noch steht Karm Khand, der Bereich der Gnade. Hier ist das Wort alles in allem, und nichts anderes überwiegt. Hier verweilen die Tapfersten der Tapferen, die Bezwinger des Gemütes, voll der Göttlichen Liebe. Hier verweilen die Verehrer mit Verehrung, unvergleichlich wie Sita6 ist. Erleuchtet mit unaussprechlicher Schönheit,  alle Herzen ganz von Gott erfüllt, sie leben jenseits vom Reich des Todes und der Täuschung7. Hier verweilen die Bhagats oder Weisen, angelockt aus allen Regionen, welche sich erfreuen an dem Wahren Einen und leben in fortwährender Glückseligkeit.

Sach Khand oder der Bereich der Wahrheit ist der Sitz des Formlosen Einen. Hier erschafft Er alle Schöpfungen, Sich erfreuend im Gestalten. Hier sind viele Regionen, himmlische Systeme und Universen, welche zu zählen das Zählen des Unzählbaren wäre. Hier, aus dem Formlosen heraus, nimmt das himmlische Plateau und alles andere Gestalt an, alles dazu bestimmt, sich zu bewegen nach Seinem Willen. Der, welcher gesegnet ist mit dieser Vision, erfreut sich in ihrer Kontemplation. Aber, o Nanak, dermaßen ist ihre Schönheit, dass der Versuch sie zu beschreiben, bedeutet das Unmögliche8 zu versuchen.

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Erläuterung: 1) Die letzten zwei Zeilen – Kach pakai uthe pa-aya, Nanak gia japey ja-aya – wurden von verschiedenen Übersetzern stets so ausgelegt, als ob dort die Wahren und die Falschen erkannt würden und nicht länger zu täuschen vermögen. Aber das scheint an dieser Stelle nicht gemeint zu sein; denn offenbar wird die Tatsache übersehen, dass die Zeilen nach dem Hinweis auf jene folgen, die bei Gott angesehen sind; und der bildliche Ausdruck „roh und reif“ eher Unreife und Reife bezeichnet als Falschheit und Wahrheit. 2) Karm Bhumi: Ort, an dem man mit einem freien Willen ausgestattet ist und die Früchte seiner eigenen Taten erntet. Diese Welt wird Karm Bhumi genannt, denn hier herrscht das Prinzip von Ursache und Wirkung. 3) Die drei Erhebungen in Trikuti; Mer, Sumer und Kailash: Die goldenen Berge, die von den Ergebenen in dieser Spirituellen Ebene geschaut werden. 4) Dhru: Ein Heiliger, Dessen unentwegte Meditation sprichwörtlich ist. 5) Danus: Halbgötter. 6) Sita: Gemahlin Ramas, die für ihre große Ergebenheit bekannt war. 7) Das Wort „Täuschung“ bezieht sich hier auf die Täuschung durch Maya oder die Materie. 8) Karara Sar: bedeutet wörtlich „hart wie Eisen“, bildlich „unmöglich“.