Abschied von Mata Ji

Inmitten der vertrauten und vielgeliebten Umgebung des Sawan Ashram – dem irdischen Heim aller Kinder des Meisters – nahm Meisters Frau, liebevoll Mata Ji genannt, am 3. April 1970 von der weltlichen Bühne Abschied und kehrte in ihre Spirituelle Heimat zurück.

Ihr zerbrechlicher Körper hatte etwa vier Jahre lang an der gefürchteten Krebskrankheit gelitten. Sich darauf beziehend, bemerkte der Meister hinterher:

Viele Menschen, die dieses Leiden erfahren haben, litten sehr und schrien laut, wegen der qualvollen Schmerzen, die es verursacht, aber mit Gottes Gnade, da sie einen direkten Kontakt mit Ihm Innen hatte, wurde Mata Ji die bedrückende Wirkung dieser Härte erspart.

Jene, die sie täglich trafen und mit ihr sprachen, pflegten sich an einem heiteren Gespräch zu erfreuen, dass von einem Lächeln begleitet war. Sie konnte sich nach ihrem Belieben ruhig im Ashram bewegen und es war ihr genug, zu wissen, dass sie unter der Obhut und dem Schutz des Meisters stand und dass ihre täglichen Bedürfnisse durch die Weisung und die persönliche Aufmerksamkeit von Bibi Hardevi Ji erfüllt wurden, die beständig selbstlosen Dienst mit liebevoller Fürsorge und Überlegung leistete.

Die letzten vier oder fünf Monate war Mata Ji gezwungen, mehr Zeit im Bett zu verbringen, obwohl sie noch fähig war, langsam ihren Weg zu den Wohnräumen des Meisters zu nehmen, die sich den ihren anschlossen, und sich unter die freundlichen Gesichter der Satsangis zu mischen. Schließlich war es ihr nicht mehr möglich, sich noch weiter umher zu bewegen, und während der Meister in der zweiten Märzhälfte auf Reisen war, verschlechterte sich ihr Zustand. Am 30. März fragte sie der Meister, ob sie bereit wäre, zu gehen, und sie erwiderte:

Ja, in drei Tagen.

Der Meister dachte einen Augenblick nach und sagte dann:

Nun, drei Tage, das bedeutet am 2. April – ich werde an diesem Tag sehr beschäftigt sein (anlässlich der besonderen Erinnerung an Baba Sawan Singh Ji) – der dritte wäre besser; am frühen Nachmittag, sagen wir um 13.30 Uhr. Ich werde dann freier sein.

In der Nacht des 2. April wurde der Meister physisch sehr krank und am 3. wurde die bereits geplante Initiation abgesagt, obwohl vierhundert oder fünfhundert Leute um die Initiation gebeten hatten und viele große Entfernungen gereist waren. Die Hoffenden empfanden große Enttäuschung in ihrem Herzen.

Etwa um 13 Uhr bemerkte Bibi Hardevi Ji, die während der schwierigen Zeit von Mata Jis Krankheit beständig an deren Bett gedient hatte, dass ihr Zustand sehr ernst wäre. Jemand schlug vor, den Meister in das Zimmer zu rufen, aber Bibi Ji wies darauf hin, dass sich der Meister in tiefer Meditation befände und nicht gestört werden könne. Dies missachtend, näherte sich derjenige dem Meister, und der Meister fragte beim Zurückkehren in Seine physische Form. Was ist? Als er von Mata Jis Zustand unterrichtet wurde, sagte der Meister: Ich weiß es. Auf weitere Bitte hin ging der Meister zu Mata Ji und fragte, wobei Er sehr gütig auf sie niederblickte:

Bist du bereit?

Sie sah auf und sagte:

Ja.

Der Meister sagte:

Bist du sicher, dass dein Herz ganz rein ist, ohne Hass gegen irgend jemanden?

Sie erwiderte:

Ja, ich habe gegen niemand etwas in meinem Herzen.

Der Meister sagte:

Warum lächelst du dann nicht?

Daraufhin begann das schmale, eingefallene Antlitz, das getrübt war vom Leiden, vor Freude zu erglühen. Die Betrübnis verschwand und das Antlitz wurde klar und heiter. Perlendes Lachen brach hervor und sie sah strahlend aus vor Glück. Sie ergriff die Hand des Meisters und sagte:

Vergebt mir, wenn ich jemals etwas tat, das Euch verletzte.

Der Meister lächelte. Sie sagte:

Beide Formen sind da – ich sehe Euch außen und Innen.

Der Meister sagte:

Gut, schließe nun die Augen und entspanne dich;

und mit diesen Worten kehrte Er in Seinen Raum zurück. Innerhalb von zehn oder fünfzehn Minuten war Mata Ji gegangen.

Jene, die um diese Zeit zugegen, und Zeuge dieses erstaunlichen, freudvollen und friedlichen Geschehens waren, verbreiteten die Nachricht unter den anderen.  Als die Menschen von diesem wundervollen Beispiel des letzten Zurückziehens der Seele vom menschlichen Körper erfuhren, verwandelte sich Traurigkeit und Ernst in Freude. Sie brachten Musikinstrumente und begannen Hymnen zum Lobe des Herrn zu singen. Der Meister missbilligte das Singen, aber sie konnten das Wunder und die Fülle nicht in ihrem Herzen zurückhalten und wünschten, der Freude über dieses Ereignis in Musik Ausdruck zu geben, wie es bei glücklichen Anlässen Brauch ist.

Alle Zeremonien wurden gemäß den Sikh-Riten durchgeführt, da der Meister standhaft dafür eintritt, dass man den weltlichen Teil seines Lebens in seiner Religion und seinen Bräuchen leben sollte – während die Heilige Wissenschaft des Licht- und Tonprinzips den Spirituellen Teil darstelle. Wie bei den Hindus hielten die Sikhbräuche die Verbrennung auf dem Begräbnisplatz aufrecht, und so wurde Mata Jis Körper liebevoll zur Ruhe gebettet, wobei ihr die Hände derer, die ihr nah und lieb waren, dienten, die der körperlichen und Spirituellen Verwandten.

Gewöhnlich werden an dem zweiten Tage nach der Bestattung die verbliebenen Gebeine zusammen mit der Asche gesammelt und gemäß dem Brauch in einen heiligen Fluss geworfen. Da das Programm des Meisters am 5. April einen Besuch in Rishikesh und die Teilnahme an einer Besprechung vorsah, wurden die Blumen, wie sie genannt werden, in dem Wagen des Meisters zu dem bekannten religiösen Ort am Wasser des Ganges gebracht. Es gibt einen bestimmten Platz an diesem heiligen Fluss, wo die Gebeine der Frommen und der Entsagenden versenkt werden. Als man sich dem Platze näherte, erhoben die dortigen Priester Einwände, dass die Zeremonie da abgehalten würde, da die Verschiedene einem Haushalt vorgestanden hätte; sie sollte vielmehr weiter stromabwärts stattfinden.

Unter denen, die den Meister begleiteten, war Maharishi Raghuvacharya Ji, ein bekannter und geachteter Yogi, der in dieser Gegend wohl bekannt ist und der noch immer sein Leben fortführt,  obgleich er bereits mehr als einhundert Jahre alt ist. Er trat mit Erstaunen vor und fragte:

Wie kann die Gemahlin eines so Großen Heiligen eine bloße Hausfrau genannt werden?

Nachdem er dies in Erinnerung gebracht hatte, war die Sache entschieden, und wie es der Brauch verlangt, wurden die einen Behälter gelegt und mit einem großen Stein beschwert. Dieser wurde dann zur Mitte des Stromes gebracht und in den Fluss geworfen. Eine Zeitlang schwammen sie, anstatt zu versinken, auf der Oberfläche und dann versanken sie allmählich, bis sie außer Sicht waren.

Raghuvacharya Ji bemerkte:

Wie Sie alle wissen, schwimmen die Gebeine sehr weniger Menschen wie Blumen auf dem Wasser, so wie hier – diese Menschen werden die Großen Seelen genannt.

Alle, die anwesend waren, senkten das Haupt in stummer Ehrerbietung.

Am zehnten Tage wurden die Beisetzungszeremonien mit der Lesung des Guru Granth Sahib von Anfang bis Ende, ohne Unterbrechung, was achtundvierzig Stunden dauert, im Sawan Ashram beendet. Die Verwandten und einige Satsangis waren anwesend. Satsang wurde am Morgen des 12. April abgehalten und wiederum um 15.30 Uhr, als das Lesen beendet war. Beide Male befassten sich die Ansprachen des Meisters mit dem Leben hier und im Jenseits.

In jener Nacht, als die Verwandten im Hause des Meisters mit betrübten Gesichtern saßen, bemerkte der Meister ruhig:

Es scheint, dass ihr eure Mutter verloren habt und ich meine weltliche Gefährtin verloren habe – aber sie ist nicht tot – sie ist lebendiger als zuvor.

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Quelle: Sat Sandesh / November–Dezember 1970